Supremum und Infimum bestimmen und beweisen – Serlo „Mathe für Nicht-Freaks“
Allgemeine Vorgehensweise
BearbeitenUm das Supremum oder Infimum einer Menge zu finden, kannst du folgendermaßen vorgehen:
- Menge veranschaulichen: Überlege dir, wie die Menge aussieht. Hierzu kannst du Skizzen anfertigen oder ggf. auch Computerprogramme verwenden.
- Hypothese über Supremum und Infimum anstellen: Ist die Menge nach oben beschränkt? Wenn ja, dann überlege dir, welche Zahl das Supremum sein kann. Wenn nein, dann besitzt die Menge kein Supremum. Analog schaue, ob die Menge nach unten beschränkt ist oder nicht, und überlege dir gegebenenfalls, welche Zahl das Infimum sein könnte.
- Beweise für Supremum und Infimum finden: Überlege dir auf einem Schmierblatt den Beweis dafür, dass die gefundene Zahl ein Supremum oder ein Infimum ist. Die notwendige Beweisstruktur findest du im nächsten Abschnitt.
- Beweis ins Reine schreiben: Zum Schluss musst du den Beweis aufschreiben. Dabei kannst du dich an der im nächsten Abschnitt folgenden Beweisstruktur für Supremum und Infimum orientieren.
Allgemeine Beweisstrukturen
BearbeitenDie hier aufgelisteten Beweisstrukturen sollten dir helfen, deine Beweise richtig und sauber aufzuschreiben. Sie zeigen dir aber auch, worauf du in der Beweisfindung achten musst.
Supremum: Beweisstruktur
BearbeitenUm zu zeigen, dass eine Zahl Supremum einer Menge ist, kannst du folgendermaßen vorgehen:
- Beweise, dass eine obere Schranke von ist: Zeige hierzu, dass für alle ist.
- Beweise, dass keine Zahl obere Schranke von ist: Nimm hierzu ein beliebiges und zeige, dass es ein gibt mit .
Infimum: Beweisstruktur
BearbeitenBeweise, dass Infimum einer Menge ist, können so aussehen:
- Beweise, dass eine untere Schranke von ist: Zeige hierzu, dass für alle ist.
- Beweise, dass keine Zahl untere Schranke von ist: Nimm hierzu ein beliebiges und zeige, dass es ein gibt mit .
Maximum: Beweisstruktur
BearbeitenHier kann man direkt der Definition des Maximums folgen:
- Beweise, dass eine obere Schranke von ist: Zeige hierzu, dass für alle ist.
- Zeige, dass ist.
Minimum: Beweisstruktur
BearbeitenUm zu zeigen, dass Minimum der Menge ist, kann man analog zum Maximum vorgehen:
- Beweise, dass eine untere Schranke von ist: Zeige hierzu, dass für alle ist.
- Zeige, dass ist.
Beispielaufgaben für Supremum und Infimum
BearbeitenEndliche Mengen
BearbeitenBei endlichen Mengen reeller Zahlen ist die Bestimmung des Infimums und Supremums einfach. Diese Mengen müssen nämlich immer ein Maximum und ein Minimum besitzen. Das Maximum der Menge ist automatisch Supremum und das Minimum ist automatisch Infimum der Menge.
Beispiel (Supremum und Infimum einer endlichen Menge)
Gegeben sei die Menge . Das Maximum der Menge ist und das Minimum ist . Es ist nämlich Teil der Menge und gleichzeitig ist größer gleich jedem anderen Element der Menge (Analoges gilt für das Minimum ).
Damit ist Supremum der Menge (weil es dessen Maximum ist). Analog ist Infimum der Menge.
Verständnisaufgabe: Bestimme das Supremum und das Infimum der folgenden Mengen:
Lösung:
- Das Supremum von ist und das Infimum dieser Menge ist .
- Es ist . Damit ist das Supremum dieser Menge gleich und das Infimum ist .
- Es ist . Also ist das Supremum und das Infimum von gleich .
Intervalle
BearbeitenDie Bestimmung des Infimums und Supremums bei Intervallen ist recht einfach, da der untere Randpunkt stets das Infimum und der obere Randpunkt stets das Supremum ist:
Satz (Supremum und Infimum von Intervallen)
Sei ein Intervall. Es gibt also mit , so dass eine der folgenden Formen besitzt:
Es ist dann das Infimum und das Supremum des Intervalls.
Wie kommt man auf den Beweis? (Supremum und Infimum von Intervallen)
Die obigen Intervalle unterscheiden sich darin, ob die Endpunkte , enthalten sind oder nicht. In jedem Fall wissen wir, dass für jedes gilt: . Wir wissen also, dass eine untere Schranke ist und eine obere. Damit ist , und wir müssen noch zeigen, dass die größte untere Schranke und die kleinste obere Schranke ist.
Dazu nehmen wir also an, es gäbe ein , so dass auch eine untere Schranke ist, und führen dies zu einem Widerspruch.
Um zu zeigen, dass keine untere Schranke sein kann, finden wir ein , so dass . Um so ein zu konstruieren, bilden wir den Mittelwert zwischen und , der nach Definition größer als ist. Es könnte passieren, dass so groß ist, dass der Mittelwert größer als wird. Hier bietet sich eine Fallunterscheidung an. Wenn so groß ist, dann liegt das komplette Intervall zwischen und und wir können einen beliebigen Punkt des Intervalls für nutzen. So können wir den Mittelwert von und für wählen. Analog verfährt man dann mit der oberen Schranke .
Beweis (Supremum und Infimum von Intervallen)
Sei ein Intervall. Wir legen uns nicht fest, ob die Randpunkte in enthalten sind. Damit decken wir alle Intervalltypen auf einmal ab. Für jedes solche Intervall gilt: . Also ist eine untere Schranke. Wir zeigen nun durch Widerspruch, dass die größte untere Schranke ist.
Sei also . Angenommen wäre eine untere Schranke von . Dann existiert kein , so dass . Wir machen nun eine Fallunterscheidung:
Fall 1:
Sei . Mit unseren Voraussetzungen können wir abschätzen
Folglich gilt und damit . Aus folgt
Das ist aber ein Widerspruch zu unserer Annahme, dass eine untere Schranke von ist.
Fall 2:
Wir betrachten . Aus unseren Annahmen folgt
Also gilt . Daraus folgt .
Weil gilt, folgt . Das ist aber wieder ein Widerspruch zu ist eine untere Schranke von .
Skizze, um die Lage von x im Intervall zu veranschaulichen, für die beiden Fälle.
In beiden Fällen haben wir ein Widerspruch dazu, dass eine untere Schranke von ist. Also ist das Infimum des Intervalls .
Um zu zeigen, dass das Supremum ist, kann man analog vorgehen. Ist eine kleinere obere Schranke von , betrachtet man für den Fall und für den Fall .
Alternativ kann man auch mit den Rechenregeln für Supremum und Infiumum folgenden Trick benutzen: Benutzen wir , können wir den obigen Beweis auf das Intervall anwenden.
Verständnisaufgabe: Bestimmen Sie das Supremum und das Infimum der folgenden Mengen:
- Das Supremum ist und das Infimum ist .
- Wegen entspricht dem Intervall . Damit ist das Infimum gleich 1 und das Supremum gleich 4.
- entspricht der Menge aller deren Abstand zu kleiner als ist. Damit entspricht diese Menge dem offenen Intervall . Das Infimum ist also und das Supremum ist .
- ist die Menge aller reellen Zahlen, die durch die Sinus-Funktion getroffen werden. Damit ist gleich . Das Infimum von ist damit und das Supremum ist .
Intervalle in den ganzen Zahlen
BearbeitenVerständnisaufgabe: Obiger Satz ist eine Besonderheit der reellen Zahlen. Es sei mit . Unter welchen Bedingungen existieren Suprema beziehungsweise Infima folgender Intervalle? Welchen Wert haben sie?
Es handelt sich in allen Fällen um endliche Mengen. Es ist nämlich:
In den ersten 3 Fällen ist wegen die Menge nicht leer, und damit ist
- und
- und
- und
Im vierten Fall kann es passieren, dass leer ist. Das ist genau dann der Fall, wenn . In diesem Fall existiert weder ein Supremum noch ein Infimum der Menge. Die leere Menge hat zwar das uneigentliche Supremum und das uneigentliche Infimum . Diese sind aber keine reellen Zahlen und damit keine Suprem / Infimum nach der Definition. Ist aber , dann ist im vierten Fall das Supremum gleich und das Infimum gleich .
Menge von Folgengliedern
BearbeitenWir werden nun folgende Aufgabe beweisen:
Aufgabe (Menge von Folgengliedern)
Bestimme das Supremum und das Infimum der Menge . Handelt es sich bei dem Supremum um ein Maximum und beim Infimum um ein Minimum? Beweise deine Behauptungen!
Wie kommt man auf den Beweis? (Menge von Folgengliedern)
Wir gehen nun schrittweise nach dem obigen Beweisverfahren vor:
Beweisschritt: Veranschauliche die Menge .
Die ersten Elemente der Menge lauten:
- ⋮
Die Menge hat also die Gestalt , wobei sich die fehlenden Elemente immer mehr der annähern.
Beweisschritt: Stelle eine Hypothese an, welche Zahlen Supremum bzw. Infimum der Menge sind.
Wir sehen, dass die Menge nach oben durch beschränkt ist. Gleichzeitig ist ein Element der Menge, womit Maximum der Menge sein muss. Außerdem ist die Menge nach unten durch beschränkt. Da sich die Elemente der Menge immer mehr der annähern, kann es keine untere Schranke größer als geben. Es folgt, dass wahrscheinlich das Infimum der Menge ist. Beachte, dass wir hier nur Vermutungen anstellen, weil wir intuitiv argumentieren. Es fehlt noch der handfeste Beweis.
Beweisschritt: Finde einen Beweis für das Supremum / Maximum.
Wir haben bereits festgestellt, dass wahrscheinlich das Maximum der Menge ist. Wir müssen also zwei Dinge zeigen:
- für alle
Wir haben bereits im ersten Schritt gesehen, dass Element von ist, denn für ist . Um zu zeigen, dass eine obere Schranke von ist, müssen wir zeigen, dass . Stellen wir diese Ungleichung schrittweise um:
Nun ist eine für natürliche Zahlen offensichtliche Aussage. Im Beweis müssen wir aber den umgekehrten Weg gehen: Da wir die Ungleichung zeigen wollen, müssen wir bei anfangen und diese Ungleichung schrittweise in umformen. Dies können wir machen, weil wir oben nur Äquivalenzumformungen verwendet haben.
Im letzten Kapitel haben wir gesehen, dass jedes Maximum einer Menge automatisch auch das Supremum der Menge ist (nur umgekehrt ist es nicht immer der Fall). Daraus folgt, dass Supremum von ist.
Beweisschritt: Finde einen Beweis für das Infimum / Minimum.
Um zu zeigen, dass Infimum ist, müssen wir zeigen:
- für alle
- Für alle gibt es ein mit
Um auch zu zeigen, dass kein Minimum ist, haben wir außerdem zu beweisen, dass . Zunächst muss ein Beweis für für alle gefunden werden:
Nun ist eine offensichtlich wahre Aussage, da positiv ist. Im späteren Beweis können wir also aus die Ungleichung beweisen, indem wir obige Umformung rückwärts durchführen (also zu beiden Seiten addieren).
Sei nun weiterhin beliebig. Wir müssen nun ein mit mit finden, so dass ist. Wir wählen hier die Variable und nicht , weil wir ein konkretes Element der Menge finden wollen (in der Mathematik wird oft verwendet, wenn man ein konkretes sucht). Formen wir diese Ungleichung nach um, um so ein passendes zu finden:
Wegen ist , also auch . Das archimedische Axiom garantiert uns nun, dass wir ein passendes finden, da nach dem archimedischen Axiom der Bruch kleiner wird als jede positive reelle Zahl.
Als Letztes fehlt noch die Beweisidee dafür, dass ist. Hier müssen wir zeigen, dass für alle gilt. Doch wegen ist und somit .
Beweis (Menge von Folgengliedern)
Es ist Maximum (und damit Supremum) der Menge und ist Infimum, aber kein Minimum der Menge .
Beweisschritt: ist Maximum der Menge
Beweisschritt: ist Element der Menge
Für ist . Damit ist .
Beweisschritt: ist eine obere Schranke der Menge
Für alle gilt
Damit ist größer gleich jedem Element von .
Beweisschritt: ist Infimum der Menge
Beweisschritt: ist untere Schranke der Menge
Für alle gilt
Damit ist kleiner gleich jedem Element von .
Beweisschritt: Keine Zahl größer ist untere Schranke der Menge
Sei beliebig. Es ist damit und somit gibt es nach dem archimedischen Axiom ein mit . Es ist
Weil ist, gibt es damit ein Element aus , welches kleiner als ist. Somit ist keine untere Schranke von .
Beweisschritt: ist kein Minimum von
Es ist und damit . Somit ist kein Element und damit auch kein Minimum von .
Menge von Funktionswerten
BearbeitenAufgabe
Bestimmen Sie Supremum und Infimum der Menge
Wie kommt man auf den Beweis?
Sei im Folgenden . Gehen wir nun schrittweise vor:
Schritt 1: Veranschauliche die Menge .
Die Funktion hat den Graphen:
Die Menge ist nun die Menge aller tatsächlich durch getroffenen Werte, also das Bild der Funktion .
Schritt 2: Stelle eine Hypothese an, welche Zahlen Supremum bzw. Infimum der Menge sind.
Wir können vermuten, dass das Supremum von ist. Weil ist, wird auch durch die Funktion getroffen. Damit liegt diese Zahl in und müsste demnach Maximum dieser Menge sein.
Außerdem liegt die Vermutung nahe, dass das Infimum von ist. Die Funktion scheint immer positiv, also größer gleich null zu sein. Je größer bzw. je kleiner , desto näher gehen die Funktionswerte gegen null (so sieht es zumindest auf den ersten Blick aus). Es sollte also insgesamt Infimum der Menge sein, wobei es nicht direkt in liegt und somit kein Minimum sein sollte.
Schritt 3: Finde einen Beweis für das Supremum / Maximum.
Wir vermuten, dass das Maximum der Menge ist. Weil ist, können wir beweisen, dass sein muss. Es fehlt jetzt nur noch der Beweis, dass eine obere Schranke der Menge ist. Hierzu müssen wir beweisen, dass für alle reellen Zahlen wir folgende Ungleichung haben:
Formen wir diese Ungleichung durch Äquivalenzumformungen um:
Wir wissen bereits, dass die letzte Ungleichung für alle erfüllt ist. Da wir nur Äquivalenzumformungen verwendet haben, können wir aus dieser später die Ungleichung wieder herleiten.
Schritt 4: Finde einen Beweis für das Infimum / Minimum.
Hier müssen wir zunächst zeigen, dass alle Elemente aus größer gleich null sind. Jedoch ist der Quotient von zwei positiven Zahlen, welches damit wieder positiv ist. Alle Elemente aus sind somit positiv und damit insbesondere größer gleich .
Fehlt noch der Beweis, dass auch die größte untere Schranke von ist. Sei hierzu beliebig. Wir müssen nun ein Element aus finden, welches kleiner als ist. Es muss also ein geben, so dass
ist. Formen wir diese Ungleichung durch Äquivalenzumformungen um:
Um die Wurzel ziehen zu können, muss also sein. Für die weitere Beweisfindung ist es aber kein Problem anzunehmen, denn für ist die letzte Ungleichung immer erfüllt. Die Quadratzahl ist dann nämlich immer größer als die negative Zahl .
Sei also . Wir erhalten weiter:
Für müssen wir also nur ein mit wählen. Dieses erfüllt dann automatisch
was zeigt, dass keine untere Schranke von ist.
Beweis
ist Maximum (und damit Supremum) der Menge und ist Infimum, aber kein Minimum der Menge .
Beweisschritt: ist Maximum der Menge
Beweisschritt: ist Element der Menge
Für ist . Damit ist .
Beweisschritt: ist eine obere Schranke der Menge
Es ist
Damit ist eine obere Schranke von .
Beweisschritt: ist Infimum der Menge
Beweisschritt: ist untere Schranke der Menge
Es ist für alle :
Damit ist null eine untere Schranke von .
Beweisschritt: Keine Zahl größer ist untere Schranke der Menge
Sei beliebig. Für ist
für jedes reelle , weil dann negativ ist. Für wähle so, dass ist. Dann ist nämlich auch obige Ungleichung erfüllt.
Für jedes gibt es also mindestens eine reelle Zahl mit . Für diese reelle Zahlen haben wir
Damit kann aber keine untere Schranke von sein, was beweist, dass die größte untere Schranke von ist.