Satz von Bolzano-Weierstraß – Serlo „Mathe für Nicht-Freaks“

In diesem Kapitel besprechen wir einen Satz, der für viele Beweise hilfreich ist: Der Satz von Bolzano-Weierstraß, welcher nach Bernard Bolzano und Karl Weierstraß benannt ist.

Dieser Satz garantiert die Existenz von Häufungspunkten bei beschränkten Folgen und wird oft verwendet, um die Existenz von Grenzwerten oder Häufungspunkten zu zeigen. Zwar könnte zum Nachweis dieser Existenz auch das Intervallschachtelungsprinzip herangezogen werden, der Weg über den Satz von Bolzano-Weierstraß ist aber oftmals einfacher.

So wird in einigen Lehrbüchern mit Hilfe des Satzes von Bolzano-Weierstraß das Monotoniekriterium für Folgen und Reihen gezeigt. Auch kann mit ihm das Theorem bewiesen werden, dass stetige Funktionen auf abgeschlossenen Intervallen der Form mit beschränkt sind und ihr Maximum und Minimum annehmen.

Der Satz von Bolzano-Weierstraß Bearbeiten

Eine visuelle Erklärung des Satz von Bolzano-Weierstraß. (YouTube-Video vom Kanal Quatematik)
 
Bernard Bolzano
 
Karl Weierstraß

Der Satz von Bolzano-Weierstraß lautet:

Satz (Satz von Bolzano-Weierstraß)

Jede beschränkte Folge   von reellen Zahlen besitzt mindestens einen Häufungspunkt. Es gibt also eine reelle Zahl  , so dass mindestens eine Teilfolge   von   gegen   konvergiert.

Diesen Satz kannst du so nachvollziehen: Eine Folge ist genau dann beschränkt, wenn es ein Intervall   gibt, so dass alle Folgenglieder in diesem Intervall liegen. Nun hat eine Folge unendlich viele Glieder. Wenn man sie alle in das endliche Intervall   sperrt, gibt es ein ziemliches Gedränge und die Folgenglieder müssen sich zwangsweise zum Teil sehr nah kommen. Nun sagt der Satz von Bolzano-Weierstraß, dass es mindestens eine reelle Zahl   gibt, der die Glieder einer Teilfolge beliebig nah kommen. Diese Zahl   ist Häufungspunkt der Folge. Beachte, dass   selbst kein Glied der Folge sein muss. Auch könnte es insgesamt mehr als einen Häufungspunkt geben.

Wie bereits erwähnt, wird der Satz von Bolzano-Weierstraß bei Existenzbeweisen genutzt. So kann mit diesem Satz ein gesuchter Grenzwert oder ein gesuchter Häufungspunkt gefunden werden. Dabei ist die Anwendung dieses Satzes oft einfacher als die Benutzung des Supremumaxioms oder des Intervallschachtelungsprinzips. Der Grund liegt darin, dass die Beschränktheit einer Folge oft leicht nachgewiesen werden kann. Demgegenüber lässt sich das Supremumaxiom nur dann gut anwenden, wenn die gesuchte Zahl Supremum einer gegebenen Menge ist und beim Intervallschachtelungsprinzip muss man eine geeignete Intervallschachtelung konstruieren bzw. finden, die die gesuchte Zahl beliebig genau approximiert.

Hinweis

In der Literatur wird manchmal der Satz von Bolzano-Weierstraß in der Form „Jede reelle beschränkte Folge besitzt eine konvergente Teilfolge“ formuliert. Der Satz „Jede beschränkte Folge reeller Zahlen besitzt einen Häufungspunkt“ wird dann als Satz vom Häufungspunkt bezeichnet.

Notwendigkeit des Vollständigkeitsaxioms Bearbeiten

Für den Satz von Bolzano-Weierstraß ist die Vollständigkeit der reellen Zahlen eine notwendige Eigenschaft. Um dies zu sehen, nehmen wir als Grundmenge die rationalen Zahlen. Hier betrachten wir eine Folge rationaler Zahlen, die gegen eine irrationale Zahl konvergieren würde. Weil diese Folge konvergiert, muss sie auch beschränkt sein (wir hatten bereits nachgewiesen, dass jede konvergente Folge beschränkt ist). Außerdem ist der irrationale Grenzwert der einzige Häufungspunkt der Folge (jeder Grenzwert ist alleiniger Häufungspunkt einer Folge).

Nun besitzt die gewählte Folge keinen Häufungspunkt mehr, weil wir beim Wechsel von   nach   den einzigen Häufungspunkt der Folge entfernt haben. Damit kann für die Grundmenge der rationalen Zahlen der Satz von Bolzano-Weierstraß nicht gelten. Schließlich kann es beschränkte rationale Folgen geben, die keine rationalen Häufungspunkte besitzen. Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig die Grundmenge für den Satz ist und dass wir zum Beweis das Vollständigkeitsaxiom der reellen Zahlen benötigen werden. Schließlich ist die Vollständigkeit die wesentliche Eigenschaft, die die reellen von den rationalen Zahlen unterscheidet.

Beweis (mit Intervallschachtelung) Bearbeiten

Beweis (Satz von Bolzano-Weierstraß)

Sei   eine beschränkte Folge. Wir wissen, dass es ein   und ein   gibt, so dass alle Folgenglieder in   liegen (die Folge ist beschränkt):

 
Eine beschränkte Folge mit eingetragener oberer und unterer Schranke

Nun müssen wir einen Häufungspunkt der Folge finden. Wir wissen bereits, dass wir hierfür die Vollständigkeit von   benötigen, welche wir über das Intervallschachtelungsprinzip eingeführt haben. Zur Erinnerung: Eine Intervallschachtelung ist eine Möglichkeit, eine Zahl durch eine Folge von immer kleiner werdenden Intervallen   zu approximieren. Die gesuchte Zahl   ist dabei Element jedes Intervalls   der Intervallschachtelung. Dabei ist   eine Abschätzung nach unten und   eine Abschätzung nach oben von  , also  .

Wenn die Breite der Intervalle gegen   konvergiert (also die Approximation beliebig genau wird), dann garantiert das Intervallschachtelungsprinzip, dass durch die Intervallschachtelung genau eine reelle Zahl beschrieben wird. Es gibt also genau eine reelle Zahl, die in allen Intervallen   liegt.

Fazit: Um den gesuchten Häufungspunkt   von   zu finden, können wir eine Intervallschachtelung konstruieren, bei der jedes Intervall   approximiert. Das Intervallschachtelungsprinzip garantiert uns dann die Existenz von  . Wie gehen wir bei der Konstruktion der Intervallschachtelung vor?

Zunächst setzen wir   als erstes Intervall  . Wir wissen ja bereits, dass in diesem Intervall alle Folgenglieder liegen und damit sich auch der gesuchte Häufungspunkt in diesem Intervall befinden muss:

 
Visualisierung des ersten Intervalls in Bolzano-Weierstraß

Jetzt teilen wir das Intervall in zwei gleich große Intervalle:

 
Aufsplittung des Intervalls in zwei gleich große Intervalle

Da die Folge   unendlich viele Folgenglieder besitzt, müssen in mindestens einem der beiden Intervalle unendlich viele Folgenglieder von   liegen. Dieses Intervall setzen wir als das zweite Intervall   der Intervallschachtelung. Da   unendlich viele Folgenglieder der ursprünglichen Folge besitzt, sollte sich in diesem Intervall ein Häufungspunkt der ursprünglichen Folge befinden:

 
Das zweite Intervall der Intervallschachtelung

Nun können wir wiederum   in zwei gleich große Teilintervalle aufteilen:

 
Das zweite Intervall aufgeteilt in zwei gleich große Teilintervalle

Als nächstes Intervall   wählen wir das Teilintervall von  , welches wiederum unendlich viele Folgenglieder der ursprünglichen Folge besitzt. Wir wissen, dass   existiert, weil sich bereits in   unendlich viele Folgenglieder der ursprünglichen Folge befinden und damit auch in mindestens einem der zwei Teilintervalle unendlich Folgenglieder von   liegen müssen:

 
Das dritte Intervall der Intervallschachtelung

Dieses Verfahren wiederholen wir beliebig oft, so dass wir am Ende eine Intervallschachtelung   erhalten. Formal können wir die Intervallschachtelung wie folgt beschreiben: Setze  . Ist   gegeben, so setze   und

 

Die Breite der Intervalle   halbiert sich bei jedem Schritt. Es ist

 

Dabei ist   die Breite des  -ten Intervalls. Es folgt

 

Die Breite der Intervalle konvergiert gegen   und damit gibt es nach dem Intervallschachtelungsprinzip genau einen Punkt  , der in allen Intervallen   liegt. Dieser Punkt sollte Häufungspunkt der Folge sein. Das müssen wir aber noch beweisen.

Betrachten wir hierzu für ein beliebiges   die  -Umgebung   von  . Weil   ist, gibt es ein   mit  . Wegen   ist damit aber  . Nun hatten wir die Intervalle so konstruiert, dass in jedem Intervall unendlich viele Folgenglieder von   liegen. Also liegen auch in   unendlich viele Folgenglieder der ursprünglichen Folge. Wegen   sind alle Elemente von   auch Elemente von  . Damit müssen aber auch in der  -Umgebung unendlich viele Folgenglieder von   liegen (nämlich mindestens diejenigen, die bereits in   liegen).

Weil   beliebig gewählt wurde, liegen in jeder  -Umgebung von   unendlich viele Folgenglieder von  . Dies beweist, dass   Häufungspunkt von   ist, womit diese Folge mindestens einen Häufungspunkt besitzt.

Alternativer Beweis (mit Monotoniekriterium) Bearbeiten

To-Do:

@Stephan Kulla: Dieser Abschnitt muss noch überarbeitet werden.

Eine weitere Möglichkeit, den Satz von Bolzano-Weierstraß zu zeigen, lässt sich mit Hilfe des Monotoniekriteriums erläutern. Zur Wiederholung: Dieses besagt, dass jede monotone und beschränkte Folge reeller Zahlen konvergiert.

Da die Beschränktheit in der Voraussetzung von Bolzano-Weierstraß steckt, ist der wesentliche Teil des Beweises, den folgenden Hilfssatz zu zeigen, der in der Literatur auch als Auswahlprinzip von Bolzano-Weierstraß bezeichnet wird:

Satz (Auswahlprinzip von Bolzano-Weierstraß)

Jede reelle Folge besitzt eine monotone Teilfolge.

Wie kommt man auf den Beweis? (Auswahlprinzip von Bolzano-Weierstraß)

Am besten lässt sich dieser Satz beweisen, indem wir die "Gipfelstellen" unserer Folge   betrachten. Dabei heißt ein Folgenindex   Gipfelstelle der Folge  , falls für   gilt:  . Wichtig: Die Gipfelstellen sind die Indizes  , nicht die Folgenglieder  .

Betrachten wir zunächst ein Beispiel:

Sei   die Folge mit  , also die Folge  .

To-Do:

Sizze zur Folge

Diese hat alle ungeraden Zahlen   als Gipfelstellen, denn   für alle  ,   für alle   und so weiter. Sie hat also unendlich viele Gipfelstellen   für  . Was helfen uns nun diese Gipfelstellen für unsere monotone Teilfolge? Ganz einfach: Die zu den Gipfelstellen gehörenden Folgenglieder bilden eine (streng) monoton fallende Teilfolge

 

Dies ist auch kein Zufall, sondern liegt an der Charakterisierung der Gipfelstellen. Ist nämlich   eine Gipfelstelle, so ist   per Definition kleiner als die vorherigen zu den Gipfelstellen gehörenden Folgenglieder  , also  . So erhalten wir immer eine (streng) monoton fallende Teilfolge  , von  , falls die Folge unendlich viele Gipfelstellen hat.

Was machen wir nun aber im anderen Fall, wenn die Anzahl der Gipfelstellen unserer Folge endlich ist? Betrachten wir wieder ein konkretes Beispiel:

Sei nun   die Folge mit  , also die Folge  .

 
Folge a_n=(-1)^n*n/(n+1)

Diese Folge hat keine Gipfelstellen. Denn die ungeraden Indizes   sind keine Gipfelstellen, da für alle geraden Indizes   gilt  , also gibt es immer ein   mit  . Die geraden Indizes   sind aber auch keine Gipfelstellen, da die Teilfolge der geraden Folgenglieder (streng) monoton steigend ist:  . Also gibt es immer ein   mit  . Nun haben wir aber auch hier eine monotone Teilfolge. Denn die Folge der geraden Glieder   bildet eine (streng) monoton steigende Teilfolge von  .

Auch dies ist kein Zufall, sondern immer der Fall, wenn die Anzahl der Gipfelstellen endlich ist. Sind allgemein   die (endlich vielen) Gipfelstellen von  , dann ist   keine Gipfelstelle von  . Da   keine Gipfelstelle ist, gibt es aber   mit  . Da   nun ebenfalls keine Gipfelstelle von   ist, gibt es   mit  . Dies können wir nun sukzessive weiterführen und erhalten so immer eine monoton steigende Teilfolge   von  .

Beweis (Auswahlprinzip von Bolzano-Weierstraß)

1.Fall:   besitzt unendlich viele Gipfelstellen  . Dann ist die Teilfolge   per Definiton (streng) monoton fallend.

2.Fall:   besitzt endlich viele Gipfelstellen  . Stetze  . Wähle   mit  , und danach rekursiv für alle  :   mit  . Dann ist die Teilfolge   per Definiton monoton steigend.

Damit ist es nun kein Problem mehr, den Satz von Weierstraß mit Hilfe des Monotoniekriteriums zu beweisen:

Beweis (Alternativbeweis von Bolzano-Weierstraß)

Sei   eine beschränkte reelle Folge. Nach dem Hilfssatz von oben besitzt sie eine monotone Teilfolge  . Da   beschränkt ist, ist auch   beschränkt. Nach dem Monotoniekriterium konvergiert  . Also besitzt   eine konvergente Teilfolge und daher einen Häufungspunkt.