Konvergenz rekursiver Folgen beweisen – Serlo „Mathe für Nicht-Freaks“

In diesem Kapitel werde ich dir zeigen, wie du Konvergenzbeweise für rekursive Folgen führen kannst. Hier werden wir eine gute Anwendung des Monotoniekriteriums kennenlernen.

Problemstellung Bearbeiten

Nehme folgende Aufgabe:

Sei   eine durch   und durch   rekursiv definierte Folge. Konvergiert diese Folge? Wenn ja, wie lautet der Grenzwert?

Die Anwendung der Epsilon-Definition der Konvergenz ist in dieser Aufgabe schwierig. Weil die Folge   rekursiv definiert ist, können wir ihren Grenzwert nicht direkt ablesen. Auch sind im Allgemeinen Abschätzungen für den Term   mit einer reellen Zahl schwierig, weil wir keine explizite Form des Folgenglieds   kennen.

Lösungsstrategien Bearbeiten

In diesem Kapitel werde ich dir die folgenden zwei Lösungswege präsentieren, um die Konvergenz einer Folge zu zeigen:

  1. Explizite Bildungsvorschriften: Man kann versuchen, eine explizite Bildungsvorschrift der gegebenen Folge zu bestimmen, um mit dieser das Konvergenzverhalten der Folge weiter zu untersuchen.
  2. Monotoniekriterium verwenden: Wenn die rekursiv gegebene Folge konvergieren sollte, kann man versuchen, das Monotoniekriterium anzuwenden. Nachdem die Konvergenz der Folge bewiesen wurde, kann man dieses Wissen nutzen, um den Grenzwert der Folge zu bestimmen.

Lösungsweg: Explizite Bildungsvorschrift finden Bearbeiten

Eine mögliche Lösungsstrategie ist die, eine explizite Bildungsvorschrift von   zu bestimmen.

Hier bietet es sich an, die ersten Folgenglieder rekursiv auszurechnen. Dies ist generell empfehlenswert, um ein Gefühl für das Konvergenzverhalten der Folge zu bekommen. Die ersten Folgeglieder lauten:

 

Aufgrund dieser Liste der ersten Folgenglieder können wir vermuten, dass die Folge gegen   konvergiert. Für die explizite Bildungsvorschrift müssen wir eine Zuordnungsvorschrift   finden. Wir suchen also einen Term   für den gilt:

 

Wir sehen, dass der Nenner jeweils eine Potenz von   ist. Außerdem ist der Zähler jeweils die Vorgängerzahl des Nenners. Es ist also

 

Anhand dieser Beispiele liegt die Vermutung nahe, dass wir   wählen können. Es sollte also gelten:

 

Diese Vermutung müssen wir noch beweisen. Hier bietet sich wie in vielen anderen Beispielen die vollständige Induktion an. Im Induktionsanfang haben wir:

 

Den Induktionsschritt von   nach   können wir nach Anwendung des Rekursionsschritts führen:

 

Damit haben wir   gezeigt. Nun können wir das Konvergenzverhalten mit den Mitteln untersuchen, die wir bereits kennengelernt haben. Beispielsweise haben wir bereits   bewiesen und damit können wir die Grenzwertsätze anwenden, um die Konvergenz der Folge zu beweisen:

 

Alternative Möglichkeit: Folge in Teleskopreihe umformen und Bildungsvorschrift berechnen Bearbeiten

Die explizite Bildungsvorschrift einer rekursiven Folge kann manchmal sehr kompliziert sein. In diesem Fall gibt es eine andere Möglichkeit diese zu bestimmen. Diese Methode ist insbesondere dann möglich, wenn die rekursive Bildungsvorschrift die beiden vorherigen Glieder beinhaltet. Betrachten wir das Beispiel

 

Betrachten wir die Differenz zweier aufeinanderfolgender Glieder   und  , so erhalten wir

 

Führen wir denselben Schritt erneut durch, so erhalten wir

 

In jedem Schritt kommt also   als Vorfaktor hinzu. Nach insgesamt   Schritten erhalten wir

 

Damit können wir nun noch nicht den Grenzwert berechnen, da wir „nur“ eine Bildungsvorschrift für   und noch nicht für   haben. Diese erreichen wir, wenn wir die (Teleskop-)Summe über   bilden:

 

Auf der rechten Seite ergibt sich die geometrische Summe

 

Damit erhalten wir die explizite Darstellung

 

Mit   und den Rechenregeln für Folgen gilt

 

Lösungsweg: Monotoniekriterium anwenden Bearbeiten

Schritt 1: Beweis der Konvergenz Bearbeiten

Was machen wir, wenn wir keine explizite Bildungsvorschrift der Folge finden? In manchen Fällen kann das Monotoniekriterium helfen. Dieses Kriterium lautet:

Jede beschränkte und monotone Folge konvergiert.

Dementsprechend reicht es aus, wenn wir die Beschränktheit und die Monotonie der Folge zeigen. Schauen wir uns zunächst die ersten Folgeglieder an, um eine Vermutung über die Eigenschaften der Folge zu bekommen:

 

Die Folge scheint monoton zu steigen. Außerdem sieht es so aus, als ob die Folge nach oben durch   beschränkt ist.

Die Monotonie können wir induktiv beweisen. Hier zeigen wir zunächst im Induktionsanfang, dass   ist:

 

Der Induktionsschritt von   nach   ist:

 

Damit ist das monotone Wachstum der Folge bewiesen. Auch die Beschränktheit der Folge nach oben durch   kann mit Hilfe vollständiger Induktion gezeigt werden. Hier ist wegen   der Induktionsanfang   direkt gegeben. Im Induktionsschritt haben wir:

 

Damit ist die Folge   nach oben durch   beschränkt. Jetzt können wir auch die Konvergenz zeigen: Weil die Folge monoton steigt und nach oben beschränkt ist, konvergiert die Folge nach dem Monotoniekriterium.

Schritt 2: Grenzwert bestimmen Bearbeiten

Um den Grenzwert der rekursiven Folge zu bestimmen, können wir die gerade bewiesene Konvergenz ausnutzen. Wir wissen so nämlich, dass es ein   mit   gibt, wobei uns der exakte Wert von   noch unbekannt ist.

Um   zu bestimmen, betrachten wir den Limes  . Auch dieser Grenzwert ist   und somit erhalten wir

 

Der Wert   muss damit die Gleichung   erfüllen. Aufgrund dieser Bedingung können wir den exakten Wert von   bestimmen:

 

Damit ist   der Grenzwert der Folge  .

Verständnisfrage: Wir haben in der obigen Umformung verwendet, dass   ist. Wieso ist dem so?

  ist der Grenzwert der Folge  . Diese Folge ist eine Teilfolge von  , bei welcher das erste Folgenglied ausgelassen wurde. Da jede Teilfolge einer konvergenten Folge gegen denselben Grenzwert konvergiert, ist  .

Übungsaufgaben Bearbeiten

Übungsaufgabe 1 Bearbeiten

Aufgabe (Grenzwert einer rekursiv definierten Folge finden)

Gegeben sei eine rekursiv definierte Folge  :

 

Begründe, warum dies Folge konvergiert, und berechne deren Grenzwert über folgende Wege

  1. Durch finden einer expliziten Bildungsvorschrift
  2. Mit Hilfe des Monotoniekriteriums

Lösung (Grenzwert einer rekursiv definierten Folge finden)

Lösung Teilaufgabe 1:

Es gilt

 

Daher drängt sich die Vermutung auf, dass   für alle   ist. Wir beweisen diese mittels vollständiger Induktion über  :

Aussageform, deren Allgemeingültigkeit für   bewiesen werden soll:

 

1. Induktionsanfang:

Für   ist  .

2. Induktionsschritt:

2a. Induktionsvoraussetzung:

 

2b. Induktionsbehauptung:

 

2c. Beweis des Induktionsschritts:

 

Mit den Rechenregeln für Folgen gilt damit

 

Lösung Teilaufgabe 2:

Zunächst beweisen wir,   fallend monoton fallend ist. Das heißt, es ist   für alle  . Beweis mittels vollständiger Induktion über  :

Aussageform, deren Allgemeingültigkeit für   bewiesen werden soll:

 

1. Induktionsanfang:

 

2. Induktionsschritt:

2a. Induktionsvoraussetzung:

 

2b. Induktionsbehauptung:

 

2c. Beweis des Induktionsschritts:

 

Außerdem ist   nach unten durch   beschränkt, d.h.   für alle  . Auch dies beweisen wir über vollständige Induktion:

Aussageform, deren Allgemeingültigkeit für   bewiesen werden soll:

 

1. Induktionsanfang:

 

2. Induktionsschritt:

2a. Induktionsvoraussetzung:

 

2b. Induktionsbehauptung:

 

2c. Beweis des Induktionsschritts:

 

Nach dem Monotoniekriterium ist damit   konvergent. Damit ist  . Aus der Rekursiuonsgleichung erhalten wir damit

 

Also konvergiert   gegen  .

Übungsaufgabe 2 Bearbeiten

Aufgabe (Konvergenz einer rekursiv definierenten Folge berechnen)

Gegeben sei die rekursiv definierte Folge

 
  1. Begründe, warum diese Folge konvergiert, und berechne dessen Grenzwert.
  2. Was passiert bei den Startwerten  ?

Lösung (Konvergenz einer rekursiv definierenten Folge berechnen)

Lösung Teilaufgabe 1:

Es gilt

 

Führen wir denselben Schritt  -Mal durch, so erhalten wir

 

Mit Hilfe der (Teleskop)-Summe

 

folgt nun

 

Mit   und den Rechenregeln für Folgen gilt

 

Lösung Teilaufgabe 2:

Für   und   bekommt man durch Einsetzen:

 

Die Vermutung liegt daher nahe, dass die Folge konstant   ist. Mathematisch sauber beweisen wir das durch vollständige Induktion:

Aussageform, deren Allgemeingültigkeit für   bewiesen werden soll:

 

1. Induktionsanfang:

Den Induktionsanfang führen wir für  . Mit   und   folgt  .

2. Induktionsschritt:

2a. Induktionsvoraussetzung:

 

2b. Induktionsbehauptung:

 

2c. Beweis des Induktionsschritts:

 

Damit gilt auch  .

Anwendungsbeispiel: Babylonisches oder Heronisches Wurzelziehen Bearbeiten

 
Die ersten Folgeglieder der babylonischen Wurzelfolgen zur Berechnung von   mit den Startwerten  ,   und  .
 
Die Folgenglieder der babylonischen Wurzelfolge mit dem Startwert  .

Mit der babylonischen Wurzelfolge möchte ich dir ein Beispiel vorstellen, bei dem die Konvergenz einer rekursiven Folge mit Hilfe des Monotoniekriteriums bewiesen wird. Sie ist eine rekursiv definierte Folge, mit der sich ein Näherungswert für die Quadratwurzel einer Zahl bestimmen lässt und die von Computern zur Quadratwurzelbestimmung benutzt wird. Es gilt nämlich folgender Satz:

Satz (Babylonische Wurzelfunktion)

Sei   eine beliebige reelle Zahl mit  . Sei die Folge   rekursiv definiert durch

 

Dann konvergiert   gegen  .

Folgenglieder der Folge   liefern damit (bei ausreichend hohem Index) Näherungswerte für  , wobei der Fehler bei Folgengliedern mit ausreichend hohem Index beliebig klein ist. Wenn man also   mit dem Computer berechnen möchte, dann muss man nur Folgenglieder mit ausreichend großem Index berechnen.

Beweis (Babylonische Wurzelfunktion)

Um zu zeigen, dass die obige Folge wirklich gegen   konvergiert, werden wir in den folgenden zwei Schritten vorgehen:

  1. Wir zeigen zunächst mit dem Monotoniekriterium, dass   konvergiert.
  2. Wir zeigen mit Hilfe des ersten Schritts, dass der Grenzwert von   gleich   ist.

Wie du noch sehen wirst, kann der erste Schritt nicht weggelassen werden. Im zweiten Beweisschritt nutzen wir nämlich geschickt das Wissen, dass die Folge   konvergiert. Eine direkte Berechnung des Grenzwerts mit der Epsilon-Definition ist nur schwer möglich.

Beweisschritt: Die Folge   konvergiert.

Wir werden die Konvergenz mit Hilfe des Monotoniekriteriums beweisen. Hierzu zeigen wir, dass   monoton fallend und nach unten beschränkt ist.

Beweisschritt: Die Folge   ist nach unten beschränkt.

Um die Beschränktheit nach unten zu zeigen, nutzen wir das arithmetisch-geometrische Mittel: Für   gilt nämlich  . Damit erhalten wir

 

Also ist   nach unten durch   beschränkt.

Beweisschritt: Die Folge   fällt monoton.

Nun zeigen wir, dass   monoton fallend ist. Das heißt, dass   ist. Dazu zeigen wir die äquivalente Aussage  :

 

Wir haben gezeigt, dass   nach unten beschränkt ist und monoton fällt. Also konvergiert diese Folge nach dem Monotoniekriterium.

Beweisschritt: Der Grenzwert von   ist  .

Zur Berechnung des Grenzwerts wenden wir einen Trick an: Da   konvergiert, gibt es eine reelle Zahl   mit  . Nun ist aber auch  , da die Folge   eine Teilfolge von   ist und jede Teilfolge gegen denselben Grenzwert konvergiert. Aus der Rekursionsgleichung und den Grenzwertsätzen ergibt sich:

 

Diese Gleichung lösen wir nun nach   auf, um den Grenzwert zu erhalten:

 

Wegen   muss nun aber auch   gelten. Daher kommt nur die positive Lösung als Grenzwert in Frage. Also ist

 

Hinweis

Als Startwert für   kann sogar eine beliebige Zahl gewählt werden. Der Beweis kann dann analog geführt werden.

Übungsaufgabe Bearbeiten

Aufgabe (Rekursionsfolge für dritte Wurzel)

Sei   mit  . Zeige, dass die für   rekursiv definierte Folge

 

gegen   konvergiert. Gehe dabei wie folgt vor:

  1. Zeige mit Hilfe der Bernoullischen Ungleichung: Für jedes   mit   gilt  , und beweise damit mittels vollständiger Induktion   für alle  
  2. Zeige mit Hilfe von 1:   ist monoton fallend und nach unten beschränkt.
  3. Bestimme den Grenzwert von  .

Lösung (Rekursionsfolge für dritte Wurzel)

  1. Erste Ungleichung: Zunächst gilt
     

    Nun ist die Bernoulli-Ungleichung auf den hinteren Faktor anwendbar, denn

     

    Also folgt mit der besagten Ungleichung und wegen  :

     

    Zweite Ungleichung: Mittels vollständiger Induktion über  :

    Induktionsanfang:  .   nach Voraussetzung.

    Induktionsschritt:  .   nach der ersten Ungleichung, da nach der Induktionsvoraussetzung   gilt.

  2.   ist monoton fallend: Sei  . Wir wissen aus 1., dass  . Daraus folgt auch, dass   und damit  . Folglich gilt
     

    Also gilt  .

      ist nach unten beschränkt: Wegen   folgt sofort

     
  3. Da   nach 2. monoton fallend und nach unten beschränkt ist, folgt mit dem Monotoniekriterium die Konvergenz der Folge. Setzen wir  , so gilt mit der rekursiven Definition der Folge  :
     

Hinweis

Analog lässt sich allgemein für jede natürliche Zahl   und für reelle Zahlen   und   zeigen, dass die rekursiv definierte Folge   mit

 

gegen   konvergiert.