Gleichmäßige Stetigkeit – Serlo „Mathe für Nicht-Freaks“

Die gleichmäßige Stetigkeit ist eine stärkere Form der Stetigkeit. Sie leitet sich aus dem Epsilon-Delta-Kriterium der Stetigkeit ab und spielt insbesondere bei der Approximation von Funktionen eine wichtige Rolle.

Motivation Bearbeiten

Wiederholung: Epsilon-Delta-Kriterium Bearbeiten

Die gleichmäßige Stetigkeit baut auf dem Epsilon-Delta-Kriterium der Stetigkeit auf, weshalb wir dieses zunächst wiederholen:

Eine Funktion   mit   ist genau dann stetig an der Stelle  , wenn es zu jedem   ein   gibt, so dass   für alle   mit   erfüllt ist.

In jeden noch so kleinen Epsilon-Schlauch um   liegen alle Funktionswerte einer hinreichend kleinen Umgebung um  . Ein Epsilon-Schlauch ist ein Bereich   bis   mit   um  :

 
Eine Funktion f mit einem Epsilon-Schlauch um f(x_0)

Eine Funktion   ist genau dann an der Stelle   stetig, wenn es für jeden noch so kleinen Epsilon-Schlauch ein   gibt, so dass alle Funktionswerte von   im Bereich von   bis   in diesen Epsilon-Schlauch liegen:

 
Alle Funktionswerte von x_0-delta bis x_0+delta liegen im Epsilon-Schlauch um x_0

Dieses   kann dabei sowohl von der vorgegebenen Funktion  , dem Wert  , als auch von der betrachteten Stelle   abhängen. Die nächste Grafik zeigt ein Beispiel, bei dem der gefundene  -Wert zwar für   klein genug, für   jedoch zu groß ist:

 
Der Wert für delta ist klein genug für x_0, jedoch zu groß für x_1.

Daher müssen wir das   nahe dem Punkt   kleiner wählen und bezeichnen die  -Werte an den Punkten   und   entsprechend mit   und  . Wir sehen, dass das   in der Definition der Stetigkeit von der betrachteten Stelle   abhängen kann. Dies ist in nachfolgender Grafik illustriert:

 
Beide Intervallgrößen delta_1 und delta_2 sind genügend klein für das gegebene psilon gewählt.

Herleitung der gleichmäßigen Stetigkeit Bearbeiten

Das Epsilon-Delta-Kriterium garantiert uns so die Approximierbarkeit einer stetigen Funktion  . Für jeden Maximalfehler   und jede betrachtete Stützstelle   finden wir ein  , so dass sich der Funktionswert   für jedes Argument   im Deltabereich   von   um maximal   unterscheidet. Für jedes Argument   mit   kann   als Annäherung von   mit einem maximalen Fehler von   verwendet werden. Folgende Abbildung illustriert dies für einige eingezeichnete Stellen  :

 
Approximation einer stetigen Funktion an verschiedene Stellen.

Jedoch hängen die gefundenen  -Werte von der betrachteten Stelle   ab. Deswegen sind die Rechtecke in der obigen Grafik auch unterschiedlich groß. Um eine gleichmäßigere Approximation zu erhalten, können wir zusätzlich fordern, dass alle Rechtecke in der Approximation gleich groß sein sollen. D.h. der  -Wert soll für jedes   gleich sein. Obige Abbildung sähe dann wie folgt aus:

 
Gleichmäßige Approximation einer stetigen Funktion.

Dies ist die Kernidee der gleichmäßigen Stetigkeit. Bei ihr findet man für ein vorgegebenes   ein globales  , so dass egal welche Stelle   man betrachtet, jeder Funktionswert   aus dem Delta-Bereich   einen Abstand kleiner als   von   besitzt. Damit erhalten wir folgende Definition der gleichmäßigen Stetigkeit einer Funktion  , welche eine gleichmäßige Approximierbarkeit ermöglicht:

Für jedes   existiert ein   (unabhängig von der Stelle  ), so dass für jede Stelle   und jedes Argument   mit   die Ungleichung   erfüllt ist.

Definition Bearbeiten

Definition der gleichmäßigen Stetigkeit Bearbeiten

Damit können wir die formale Definition der gleichmäßigen Stetigkeit wie folgt aufschreiben:

Definition (Gleichmäßige Stetigkeit)

Eine Funktion   ist gleichmäßig stetig auf D, falls zu jedem   ein   existiert, so dass sich für alle Stellen   und für alle Argumente   mit einem Abstand kleiner als   von   die Funktionswerte   und   um weniger als   unterscheiden. In Quantorenschreibweise lautet die Definition der gleichmäßigen Stetigkeit:

 

Anders formuliert heißt dies, dass es zu jedem   ein   gibt, so dass alle Paare   mit   die Ungleichung   erfüllen.

Quantorenschreibweise Bearbeiten

Die kommentierte Variante der Quantorenschreibweise lautet:

 

Vergleicht man die Epsilon-Delta-Definition der gleichmäßigen und der normalen Stetigkeit in Quantorenschreibweise, so fällt auf, dass zwei Quantoren vertauscht sind:

 

Das beruht darauf, dass bei der gleichmäßigen Stetigkeit das gefundene   ein globales Delta ist, welches unabhängig von der Stelle   ist. Um diese Unabhängigkeit auszudrücken, muss der Existenzquantor „ “ vor dem Allquantor „ “ für die Stützstellen erscheinen.

Herleitung der Negation der gleichmäßigen Stetigkeit Bearbeiten

Durch schrittweise Negation der Quantorenschreibweise erhalten wir die Definition der nicht gleichmäßigen Stetigkeit:

 

Also:

 

Negation der gleichmäßigen Stetigkeit Bearbeiten

Definition (Nicht gleichmäßige Stetigkeit)

Eine Funktion   heißt nicht gleichmäßig stetig, wenn es mindestens ein   existiert, bei dem es egal für welches   jeweils mindestens zwei Argumente   und   mit einem Abstand kleiner als   gibt, so dass die Funktionswerte   und   mindestens einen Abstand von   haben.

Gleichmäßige Stetigkeit ist eine globale Eigenschaft Bearbeiten

Die gleichmäßige Stetigkeit ist eine globale Eigenschaft einer Funktion. Dies bedeutet, dass es nur Sinn ergibt, die gleichmäßige Stetigkeit für eine Funktion als Ganzes zu betrachten. Im Gegensatz dazu ist die normale Stetigkeit eine lokale Eigenschaft. Es ist möglich, die Stetigkeit einer Funktion an nur einer Stelle zu betrachten bzw. zu definieren. Bei der gleichmäßigen Stetigkeit ist dies unmöglich.

Diese Tatsache ergibt sich aus der Definition: Bei der gleichmäßigen Stetigkeit finden wir ein globales  , dessen Delta-Bereich um jede Stützstelle für eine ausreichende Approximation sorgt. Für eine einzelne Stelle ergibt es keinen Sinn zu sagen, dass das gefundene Delta eine globale Gültigkeit hat. Man braucht hier nur eines zu finden.

Visualisierung Bearbeiten

Wiederholung: Visualisierung beim Epsilon-Delta-Kriterium Bearbeiten

Um das Epsilon-Delta-Kriterium zu visualisieren, zeichnen wir um den betrachteten Punkt   ein Rechteck mit der Höhe   und der Breite  . Um das Epsilon-Delta-Kriterium zu erfüllen, muss der Graph komplett im Inneren, aber nie direkt ober- oder unterhalb des Rechtecks verlaufen:

 
Das 2Epsilon-2Delta-Rechteck mit erlaubten und unerlaubten Bereich

Nehmen wir als Beispiel die Quadratfunktion und betrachten die Stelle  . Egal wie klein   vorgegeben ist, wir finden stets ein  , so dass der Graph komplett im Inneren des  - -Rechtecks liegt:

 
Visualisierung des Epsilon-Delta-Kriteriums anhand der Quadratfunktion

Wenn im Gegenzug die Funktion wie beim Beispiel der Vorzeichenfunktion   unstetig ist, so finden wir ein  , bei dem der Graph stets Werte direkt ober- oder unterhalb des Rechtecks besitzt – egal wie klein   gewählt wird. Bei der Vorzeichenfunktion im Punkt   ist dies zum Beispiel bei der Wahl   der Fall:

Visualisierung der gleichmäßigen Stetigkeit Bearbeiten

 
Bei gleichmäßig stetigen Funktionen kann um jeden Punkt des Graphen ein Rechteck mit Höhe   und Breite   eingezeichnet werden, ohne dass der Graph direkt ober-/unterhalb des Rechtecks liegt. Die Funktion   ist gleichmäßig stetig. Hier verläuft der Graph nur innerhalb des Rechtecks. Bei der Funkion   ist dies aber nicht der Fall. Bei kleinen Argumenten in der Nähe der Null verändert sich die Funktion so stark, dass, egal welche Breite des Rechtecks man wählt, Funktionswerte direkt ober- bzw. unterhalb des Rechtecks liegen.

Bei der gleichmäßigen Stetigkeit ist das   unabhängig von der betrachteten Stelle. Damit muss der Graph komplett im Inneren des Rechtecks verlaufen, egal mit welchen Punkt des Graphen als Mittelpunkt man es betrachtet. Sprich: Für jedes   muss es ein   geben, so dass man das  - -Rechteck beliebig am kompletten Graphen entlang verschieben kann, ohne dass es Funktionswerte direkt ober- bzw. unterhalb des Rechtecks gibt:

 
Bei einer gleichmäßigen stetigen Funktion liegt kein Punkt direkt ober- bzw. unterhalb des Rechtecks – egal wo man das Rechteck am Graphen ansetzt.

Bei einer nicht gleichmäßig stetigen Funktion ist dies nicht möglich. Nehmen wir als Gegenbeispiel die Quadratfunktion. Für ein beliebiges   können wir kein   setzen, so dass der Graph überall komplett im Inneren des  - -Rechtecks verläuft, egal wo wir dieses Rechteck ansetzen. Zwar kann bei  -Werten in der Nähe der Null der Graph im Inneren des Rechtecks liegen, weil sich dort die Quadratfunktion wenig ändert, aber je mehr wir das Rechteck nach rechts verschieben, desto stärker ist der Anstieg der Quadratfunktion. Irgendwann ist dieser so stark, dass Funktionswerte direkt oberhalb bzw. unterhalb des  - -Rechtecks liegen. Damit ist die Quadratfunktion ein Beispiel einer stetigen Funktion, die nicht gleichmäßig stetig ist:

 
Die Quadratfunktion als Beispiel für eine nicht gleichmägig stetige Funktion

Beweisschema Bearbeiten

Beweisschema: Gleichmäßige Stetigkeit Bearbeiten

In Quantorenschreibweise lautet die Definition der gleichmäßigen Stetigkeit:

 

Aus dieser Aussage kann ein Schema zum Beweis der gleichmäßigen Stetigkeit abgeleitet werden:

 

Beweisschema: Nicht gleichmäßige Stetigkeit Bearbeiten

In Prädikatenlogik lautet die Definition einer nicht gleichmäßig stetigen Funktion  :

 

Daraus ergibt sich ein Schema für den Beweis, dass eine Funktion nicht gleichmäßig stetig ist:

 

Gleichmäßige Stetigkeit als Verschärfung der Stetigkeit Bearbeiten

Die gleichmäßige Stetigkeit ist eine Verschärfung der normalen Stetigkeit. Dies bedeutet, dass jede gleichmäßig stetige Funktion auch stetig ist. Die Umkehrung gilt aber nicht. Es gibt stetige Funktionen wie die Quadratfunktion  , die nicht gleichmäßig stetig sind. Also:

 

Jede gleichmäßig stetige Funktion ist stetig Bearbeiten

Satz (Gleichmäßige Stetigkeit impliziert Stetigkeit)

Jede gleichmäßig stetige Funktion   mit   ist in jedem Punkt   stetig.

Beweis (Gleichmäßige Stetigkeit impliziert Stetigkeit)

Wir müssen zeigen, dass eine gleichmäßig stetige Funktion   in jedem Punkt   stetig ist. Dazu wird uns ein beliebiges   und   gegeben und wir müssen ein   finden, so dass aus   die Ungleichung   folgt. Nun können wir die Definition der gleichmäßigen Stetigkeit anwenden. Wir erhalten ein  , so dass für alle   mit   gilt, dass  . Da diese Implikation für alle Punkte   gilt, gilt sie insbesondere auch für   und  . Das gefundene   durch die gleichmäßige Stetigkeit kann also als   für die normale Stetigkeit verwendet werden.

Die Quadratfunktion ist stetig, aber nicht gleichmäßig stetig Bearbeiten

Wie wir gesehen haben, ist jede gleichmäßig stetige Funktion auch stetig. Die Umkehrung dessen gilt jedoch nicht, weshalb wir als Beispiel nochmals die Quadratfunktion betrachten:

 

Wie wir im Abschnitt Visualisierung bereits gesehen haben, können wir für ein beliebiges   kein festes   setzen, so dass der Graph überall komplett im Inneren des  - -Rechtecks verläuft, egal wo wir dieses Rechteck ansetzen. Je weiter wir das Rechteck nach rechts verschieben, desto stärker der Anstieg der Quadratfunktion, so dass Funktionswerte direkt oberhalb bzw. unterhalb des  - -Rechtecks liegen.

Die können wir auch anhand der Epsilon-Delta-Definition der gleichmäßigen Stetigkeit sehen:  . Wir wollen die Negation dieser Aussage beweisen und wollen somit zeigen:   und  . Betrachten wir   und nehmen wir an es gäbe ein  , sodass   für alle reellen Zahlen   mit   gälte. Betrachten wir nun ein   welches wir später festlegen werden. Wir nehmen die Zahlen   und  . Nun gilt per Konstruktion  .

Wir werden nun zeigen, dass   gilt.

 

Somit gilt weiter

 

Wählen wir nun   so können garantieren, dass  . Somit haben wir gezeigt, dass

 

nicht gleichmäßig stetig ist.

Baustelle: Beispiel gleichmäßig stetige Funktionen Bearbeiten

  • Die Identitätsfunktion   ist gleichmäßig stetig, weil wenn   gilt, können wir   zeigen, wenn wir   wählen.
  • Oben haben wir gesehen, dass die Quadratfunktion   auf den reellen Zahlen nicht gleichmäßig stetig ist. Schränken wir hingegen die Funktion auf ein abgeschlossenes Intervall ein, wird diese neue Funktion gleichmäßig stetig. Es gilt also zum Beispiel, dass
 

gleichmäßig stetig ist. Wir zeigen dies wie folgt: Es gilt

 

weil   gilt. Damit können wir   wählen und erhalten, so dass für alle   mit   die Abschätzung   gilt.

  • Die Wurzelfunktion ist gleichmäßig stetig auf  . Betrachte:
 

Sei   beliebig vorgegeben. Dann ist   eine geeignete Wahl: Seien   mit  .

Ohne Einschränkung können wir annehmen, dass  . Dann ist auch  , also folgt  .

Wir wollen nun sehen, dass   gilt.

Nach Voraussetzung wissen wir, dass  . Damit bekommen wir:

 

Insgesamt haben wir also  . Weil nach Voraussetzung   und auch   gilt, können wir aus dieser Gleichung die Wurzel ziehen und erhalten  , also  , was wir oben sehen wollten. Damit haben wir bewiesen, dass   gleichmäßig stetig ist.

  • Das nächste Beispiel ist nicht gleichmäßig stetig, es handelt sich um die Funktion
 

welche immer schneller gestreckte Sinuswellen in der Nähe von Null darstellt. Angenommen,   wäre gleichmäßig stetig, dann könnten wir ein geeignetes   aus der Definition finden. Für   wird die Frequenz von   jedoch immer schneller, so dass nahe Null immer eine ganze Periode der Sinusfunktion im  -Ball enthalten ist. Da der Abstand zwischen dem Maximum und dem Minimum einer Sinuswelle gleich   ist, kann die Bedingung   niemals überall erfüllt sein, wenn   ist. Dies wird noch einmal im folgenden Bild illustriert:

 
This image shows, that the topological sine curve is not uniformly continuous. For an environment of fixed width and x going towards 0, at some point a full period will be inside the environment.

Eigenschaften Bearbeiten

Wie wir gesehen haben, ist nicht jede stetige Funktion auch gleichmäßig stetig. Dies trifft jedoch zu, wenn wir den Definitionsbereich einer stetigen Funktion auf ein abgeschlossenes, kompaktes Intervall   einschränken:

Satz (Heine-Cantor für  )

Jede stetige Funktion   ist gleichmäßig stetig.

Beweis (Heine-Cantor für  )

Wir wählen einen indirekten Beweis und nehmen an, die Funktion   sei nicht gleichmäßig stetig. Das heißt, es gibt ein   und zu jedem   gibt es zwei Punkte  , so dass   und  .

Nach dem Satz von Bolzano-Weierstraß besitzt die beschränkte Folge   eine konvergente Teilfolge  , deren Grenzwert   im Intervall   enthalten ist. Dieser ist wegen   ebenfalls Grenzwert der Folge  .

Aus der Stetigkeit von   folgt   und  . Daher gibt es ein  , so dass   und   für alle  . Daraus folgt nun   für alle   im Widerspruch zu unserer Annahme   für alle  . Daher war die gemachte Annahme falsch und es folgt die gleichmäßige Stetigkeit.