Folgerungen aus den Körperaxiomen – Serlo „Mathe für Nicht-Freaks“

In diesem Kapitel untersuchen wir die Eigenschaften, die direkt aus den Körperaxiomen hergeleitet werden können.

Vorbetrachtung Bearbeiten

Folgerungen aus den Körperaxiomen, die ich dir in diesem Kapitel zeigen werde, sind dir bereits aus der Schulzeit bekannt. Vielen Studienanfängern bereitet aber gerade dies Schwierigkeiten, da ihnen diese Sätze selbstverständlich erscheinen (Wozu soll man etwas beweisen, was einem schon aus der Grundschule bekannt ist?!).

Um diesen Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen, kannst du dir einmal vorstellen, dass du nichts über die reellen Zahlen weißt. Stell dir vor, du hättest noch nie in deinem Leben gerechnet und wüsstest auch nicht, was Zahlen sind. Nun kommt jemand und möchte dir die „reellen Zahlen“ erklären. Dabei beginnt er seine Erklärung mit den Körperaxiomen. Was weißt du nun über die reellen Zahlen?

Nun, du weißt, dass es (mindestens) zwei Arten gibt, wie du reelle Zahlen miteinander verknüpfen kannst. Sprich: Mit der Addition und der Multiplikation gibt es (mindestens) zwei Operationen für die reellen Zahlen. Jedoch wird dir in den Körperaxiomen nicht erklärt, wie du die beiden Operationen konkret ausführen kannst. Du weißt zwar, dass man   oder   rechnen kann, du weißt aber (noch) nicht, dass   und   ist. Auch ist dir noch unbekannt, dass das Produkt von 0 mit irgendeiner anderen reellen Zahl immer 0 ist.

Jedoch ist es möglich, diese und andere dir bereits aus der Schule bekannte Tatsachen über Addition und Multiplikation allein aus den Körperaxiomen herzuleiten. Unsere Aufgabe in diesem Kapitel besteht vor allem darin, solche Tatsachen zu beweisen. Dabei dürfen zum Beweis nur Körperaxiome und bereits bewiesene Sätze verwendet werden. Du kannst zwar in der Beweisfindung auf dein Schulwissen zurückgreifen, im eigentlichen Beweis darfst du dieses aber nicht als Argument heranziehen.

Die Beweise dieses Kapitels sind auch deswegen wichtig für dich, weil dir die dahinter stehenden Beweisideen noch häufig im Mathematikunterricht begegnen werden (zum Beispiel in der Algebra). Da die Körperaxiome zur Addition und zur Multiplikation analog sind, sind auch die daraus herleitbaren Eigenschaften mit ihren Beweisen analog. Deswegen werde ich diese analogen Eigenschaften von Addition und Multiplikation zusammen behandeln.

Überblick über Folgerungen aus den Körperaxiomen Bearbeiten

Wenn man sich die Körperaxiome anschaut, dann fällt auf, dass nur die Existenz des neutralen Elements sowie des Inversen einer Operation gefordert wurde. Nun kann man sich die Fragen stellen: Kann es mehr als ein neutrales Element der Addition oder der Multiplikation geben? Gibt es Zahlen, die mehr als ein additives oder multiplikatives Inverse besitzen? Die Antwort lautet: Nein. Im Einzelnen:

  • Aus den Körperaxiomen folgt, dass es maximal ein neutrales Element der Addition und der Multiplikation gibt. Die in den Körperaxiomen genannten Zahlen   und   sind also eindeutig definiert.
  • Jede Zahl   besitzt maximal eine zu ihr negative Zahl  . Das in den Körperaxiomen genannte Negative   ist also eindeutig.
  • Jede Zahl   ungleich null besitzt maximal eine zu ihr inverse Zahl  . Das in den Körperaxiomen genannte Inverse   ist also eindeutig.

Außerdem können aus den Körperaxiomen folgende Eigenschaften bewiesen werden:

  • Das Negative der Null ist Null:  .
  • Das Inverse der Eins ist Eins:  .
  • Das Negative vom Negativen von   ist also wieder  :  .
  • Für   ist das Inverse des Inversen von   wieder  :  .
  • Das Negative von   ist  :  .
  • Das Inverse von   für   und   ungleich null ist  :  .
  • Die Gleichung   besitzt die eindeutig bestimmte Lösung  .
  • Die Gleichung   mit   besitzt die eindeutig bestimmte Lösung  .
  • Neben   gilt für alle   auch die Gleichung  .
  • Für alle reellen Zahlen   ist  .
  •   ist genau dann Null, wenn   oder  .
  • Das Negative von   entspricht also der Multiplikation von   mit dem Negativen von  :  .
  • Es gilt  .

Eindeutigkeit der Null / Eins Bearbeiten

Beweis zur Eindeutigkeit der Null

Satz (Eindeutigkeit der Null/Eins)

Die Null und die Eins sind durch ihre Eigenschaften (für alle   ist   bzw. für alle   ist  ) eindeutig bestimmt.

Zunächst werden wir die Eindeutigkeit der Null beweisen. Die Beweisidee ist dabei folgende: Wir zeigen, dass zwei reelle Zahlen   und   mit der Nulleigenschaft gleich sind.

Beweis (Eindeutigkeit der Null)

Nehmen wir an, wir haben zwei reelle Zahlen   und   mit der Nulleigenschaft.   und   erfüllen also für alle   die Gleichung   beziehungsweise die Gleichung  . Beachte dabei, dass   nicht zwangsläufig ungleich   sein muss, es könnte sich auch um dieselbe reelle Zahl handeln.

Setzen wir in der ersten Gleichung   für   die konkrete Zahl   und in der zweiten Gleichung   für   die Zahl   ein, so erhalten wir   und  .

Wegen des Kommutativgesetzes der Addition ist   und dementsprechend ist:

 

Damit ist  . Wir haben also insgesamt gezeigt, dass zwei reelle Zahlen mit der Nulleigenschaft gleich sein müssen.

Beweis (Eindeutigkeit der Eins)

Nehmen wir an, wir hätten zwei reelle Zahlen   und   mit der Einseigenschaft. Es gilt also für alle   die Gleichung   und die Gleichung  .

Setzen wir in der ersten Gleichung   und in der zweiten Gleichung   so erhalten wir   beziehungsweise  . Wegen des Kommutativgesetzes der Multiplikation ist   und damit:

 

Damit sind zwei reelle Zahlen mit der Einseigenschaft gleich.

Eindeutigkeit des Negativen / Inversen Bearbeiten

Beweis zur Eindeutigkeit des Negativen

Satz (Eindeutigkeit des Negativen/Inversen)

Für jede reelle Zahl   gibt es genau ein Negatives   mit  .

Für jede reelle Zahl   gibt es genau ein Inverses   mit  .

Die Beweisidee für diesen Satz ist dieselbe wie für den Eindeutigkeitsbeweis der Null/Eins. Nach den Körperaxiomen wissen wir bereits, dass es für alle   mindestens ein Negatives und für alle   mit   mindestens ein Inverses gibt. Es muss nur noch gezeigt werden, dass zwei Negative einer Zahl gleich sind und analog, dass zwei Inverse einer Zahl ungleich 0 auch gleich sind.

Beweis (Eindeutigkeit des Negativen)

Sei   eine beliebige reelle Zahl. Wir müssen zeigen, dass   höchstens ein Negatives besitzt. Seien also   und   zwei Negative von  . Es gilt also   und  . Nun ist:

 

Damit ist   und somit gibt es für   höchstens ein Negatives. Beachte, dass wir in jedem Umformungsschritt nur Eigenschaften der Addition verwendet haben, die in den Körperaxiomen definiert wurden.

Beweis (Eindeutigkeit des Inversen)

Sei   eine beliebige reelle Zahl ungleich 0. Sei außerdem   und   zwei Inverse von  . Es gilt also   und  . Wir können folgern:

 

Damit ist   und somit gibt es für   höchstens ein Inverses.

Das Negative der Null ist Null / Das Inverse der Eins ist Eins Bearbeiten

Beweis, dass das Negative der Null gleich die Null ist

Satz (Null ist sein eigenes Negatives)

Es gilt  . Dies bedeutet: Null ist das eindeutig bestimmte Negative zur Zahl Null.

Beweis (Null ist sein eigenes Negatives)

Zum Beweis dieses Satzes verwenden wir den gerade bewiesenen Satz zu Eindeutigkeit des Negativen/Inversen:   erfüllt die Nulleigenschaft: Es gilt für alle  , dass   ist. Setzen wir in diese Gleichung für  , so erhalten wir die Gleichung

 

Diese Gleichung kann man so interpretieren: Die Zahl   ist ein Negatives von  . Zur Erinnerung: Eine Zahl   ist genau dann ein Negatives der Zahl  , wenn   ist. Wenn man   setzt, so sieht man, dass nach obiger Gleichung   die Zahl   ein Negatives der Zahl   ist.

Nun ist nach dem obigen Satz das Negative einer reellen Zahl eindeutig bestimmt (es kann nur genau ein Negatives einer Zahl geben). Da   ein Negatives von   ist, muss es damit das eindeutig bestimmte Negative von   sein. In Formeln ausgedrückt:  .

Satz (Eins ist sein eigenes Inverses)

Es ist  . Eins also ist das eindeutig bestimmte Inverse zur Zahl Eins.

Beweis (Eins ist sein eigenes Inverses)

  erfüllt die Einseigenschaft: Es gilt für alle  , dass   ist. Setzen wir in diese Gleichung für   ein, so erhalten wir die Gleichung

 

Nach obiger Gleichung ist   ein Inverses von  . Da das Inverse einer reellen Zahl ungleich   eindeutig bestimmt ist, muss   das eindeutig bestimmte Inverse   der Zahl   sein. Es gilt also  .

Weitere Eigenschaften für Negatives / Inverses Bearbeiten

Satz

Es ist  . Das Negative vom Negativen von   ist also wieder  .

Für   ist  . Das Inverse des Inversen von   für   ist wieder  .

Der Beweis zu diesem Satz ähnelt stark dem Beweis des obigen Satzes. Wenn du willst, kannst du versuchen, diesen Beweis selber zu finden:

Beweis

Beweisschritt: Beweise, dass   ist.

  ist nach Definition das Negative der Zahl  , also diejenige reelle Zahl   mit  .

Nun ist   eine solche Zahl, da   ist. Also ist   ein Negatives der Zahl  . Da das Negative eindeutig bestimmt ist, ist   das einzige Negative von   und somit  .

Beweisschritt: Beweise, dass   ist.

  ist nach Definition das Inverse der Zahl  , also diejenige reelle Zahl   mit  .

Nun ist   eine solche Zahl, da   ist. Also ist   ein Inverses der Zahl  . Da das Inverse einer Zahl ungleich 0 eindeutig bestimmt ist, ist   das einzige Inverse von   und somit  .

Satz

Das Negative von   ist   (in einer Formel:  ) und das Inverse von   für   und   ungleich Null ist   (in einer Formel:  ).

Beweis

Beweisschritt:  

  ist ein Negatives der Zahl  , denn es gilt:

 

Da das Negative von   eindeutig bestimmt ist, ist  .

Beweisschritt:  

  ist ein Inverses der Zahl  , denn es gilt:

 

Da das Inverse von   eindeutig bestimmt ist, ist  .

Umformungen von Gleichungen Bearbeiten

Beweis, dass die Gleichung   die eindeutig bestimmte Lösung   besitzt

Wir interessieren uns nun für die Umformung von Gleichungen der Form  , wobei   und   zwei beliebige, reelle Zahlen sind. Aus der Schule wissen wir, dass diese Gleichung die eindeutig bestimmte Lösung   besitzt. Doch können wir dies auch aus den Körperaxiomen und den bisher bewiesenen Sätzen herleiten?

Satz (Umformung einer Summe)

Die Gleichung   besitzt die eindeutig bestimmte Lösung  .

Beweis (Umformung einer Summe)

Wir müssen zwei Dinge zeigen (Beachte, dass beide Schritte notwendig sind):

  1.   ist eine Lösung von  . Dieser Schritt beweist nur die Existenz, aber nicht die Eindeutigkeit einer Lösung für alle Fälle von   und  .
  2. Wenn   ist, so ist  . Dieser Schritt beweist nur die Eindeutigkeit, aber nicht die Existenz einer Lösung für alle Fälle von   und  .

Beweisschritt:   ist eine Lösung von  

Um zu zeigen, dass   eine Lösung von   ist, müssen wir für   den Term   einsetzen und schauen, ob die resultierende Gleichung   stimmt:

 

Beweisschritt: Aus   folgt  

Hier müssen wir zeigen, dass, wenn   ist, dann auch   ist. Sei nun  . Wenn wir beide Seiten von rechts mit   addieren, so erhalten wir  . Wegen dem Kommutativgesetz ist es egal, von welcher Seite wir   addieren. Du wirst aber noch Strukturen kennen lernen, die nicht kommutativ sind, wo es also relevant ist, von welcher Seite du etwas verknüpft. Für die linke Seite der Gleichung erhalten wir

 

und für die rechte Seite der Gleichung erhalten wir  . Also ist  .

Man kann diesen Beweisschritt auch so aufschreiben:

 

Satz (Umformung eines Produkts)

Die Gleichung   mit   besitzt die eindeutig bestimmte Lösung  .

Beweis (Umformung eines Produkts)

Hier sind folgende zwei Schritte zu beweisen:

  1.   mit   ist eine Lösung von  .
  2. Wenn   mit   ist, so ist  .

Beweisschritt:   mit   ist eine Lösung von  

Es ist

 

Beweisschritt: Aus   mit   folgt  

 

Allgemeines Distributivgesetz Bearbeiten

Beweis des allgemeinen Distributivgesetzes

In den Körperaxiomen wurde nur definiert, dass  . Die dir aus der Schule auch bekannte Tatsache   muss erst noch bewiesen werden:

Satz (Allgemeines Distributivgesetz)

Neben   gilt für alle   auch die Gleichung  .

Beweis (Allgemeines Distributivgesetz)

Obiger Satz folgt aus dem Kommutativgesetz der Multiplikation und dem Distributivgesetz,  :

 

Ein Produkt mit Faktor Null ist stets Null Bearbeiten

Beweis: Ein Produkt mit Faktor Null ist stets Null

Satz (Ein Produkt mit Faktor Null ist stets Null)

Für alle reellen Zahlen   ist  .

Dieser Satz ist wichtig, denn er begründet, warum man in den reellen Zahlen (beziehungsweise in einem beliebigen Körper) nicht durch   teilen kann: Nach Definition ist   gleich  . Um also durch Null teilen zu können, müsste die Null ein Inverses haben, es müsste also eine reelle Zahl   mit   geben. Da aber nach obigen Satz ein Produkt   stets Null ist, kann die Null kein Inverses besitzen und damit kann auch nicht durch Null geteilt werden. Schauen wir uns nun den Beweis des Satzes an:

Beweis (Ein Produkt mit Faktor Null ist stets Null)

Es ist

 

Es ist also  . Da   eine reelle Zahl ist, besitzt sie ein Negatives   und wir können beide Seiten mit diesem Negativem addieren:

 

Aus dem Kommutativgesetz der Multiplikation folgt direkt   für alle  .

Nullteilerfreiheit der reellen Zahlen Bearbeiten

Satz (Nullteilerfreiheit der reellen Zahlen)

  ist genau dann Null, wenn   oder  .

Hier haben wir also folgende Äquivalenz zu beweisen

 

Im vorherigem Abschnitt „Das Produkt mit Null ist stets Null“ haben wir bereits bewiesen, dass

 

ist. Dementsprechend bleibt nur noch zu zeigen, dass

 

In der Algebra nennt man eine Struktur mit einer solchen Eigenschaft „nullteilerfrei“. Ein Nullteiler ist in der Algebra nämlich eine Zahl   für die es eine Zahl   mit   gibt.   wäre damit ein „Teiler“ der Null. In den reellen Zahlen gibt es aber keine Nullteiler.

Beweis (Nullteilerfreiheit der reellen Zahlen)

Sei  . Wir müssen jetzt zeigen, dass dann entweder   oder   ist. Wir machen eine Fallunterscheidung in   und  : Ist  , so haben wir nichts zu zeigen. Ist  , dann gibt es das Inverse   und es gilt

 

Im Fall   ist also zwangsweise  . Ingesamt folgt so der zu beweisende Satz zur Nullteilerfreiheit.

Multiplikation mit -1 entspricht dem Negativen Bearbeiten

Satz

Es gilt  . Das Negative von   entspricht also der Multiplikation von   mit dem Negativen von  .

Beweis

Wir wollen zeigen, dass   das Negative von  , also  , ist. Nun ist   dadurch eindeutig bestimmt, dass   ist. Wenn wir also zeigen können, dass   ist, dann haben wir   bewiesen. Es ist

 

  ist damit ein Negatives von  . Aus der Eindeutigkeit des Negativen folgt  .

Alternativer Beweis

Wir gehen nun alternativ von   aus:

 

Minus mal Minus ergibt Plus Bearbeiten

Satz

Es gilt  .

Beweis

Es ist