Archimedisches Axiom – Serlo „Mathe für Nicht-Freaks“

Das archimedische Axiom Bearbeiten

 
Veranschaulichung des archimedischen Axioms: Egal wie klein die Strecke A ist, wenn man diese Strecke nur hinreichend oft aneinander legt, wird die Gesamtlänge größer als bei der Strecke B

Beginnen wir das Kapitel mit dem archimedischen Axiom:

Satz (Das Archimedische Axiom)

Zu jedem   und zu jedem   gibt es eine natürliche Zahl  , so dass   ist. In Quantorenschreibweise:

 

Beachte, dass für uns das archimedische Axiom kein Axiom ist, sondern ein Theorem. Denn im letzten Kapitel zur Vollständigkeit der reellen Zahlen haben wir bereits ein Axiom definiert, aus dem das archimedische Axiom folgt. Da aber die meisten Lehrbücher den obigen Satz als eines der Axiome für reelle Zahlen benutzen und es somit als „archimedisches Axiom“ bezeichnen, werde ich dies auch in diesem Lehrbuch machen.

Bedeutung des archimedischen Axioms Bearbeiten

Archimedisches Axiom (Youtube-Video vom Youtube-Kanal Quatematik)

Die Bedeutung des archimedischen Axioms wird klar, wenn wir seine Aussage negieren. Aus

 

wird durch Negation

 

Es gibt also positive Zahlen   und  , so dass jedes Vielfache von   kleiner als   ist. Damit wäre   eine in Relation zu   unendlich große Zahl. Wir können also sagen

Das archimedische Axiom lautet: „Es gibt keine zwei Zahlen   und  , so dass   in Relation zu   unendlich groß ist.”

Wenn   bezüglich   unendlich groß ist, dann ist   eine unendlich große Zahl, also eine Zahl, welche größer als jede natürliche Zahl ist. Analog ist   eine unendlich kleine Zahl, welche kleiner als jede positive rationale Zahl ist. Da es aber nach dem archimedischen Axiom keine solche Zahlen   und   geben kann, schließt es auch die Existenz unendlich kleiner oder unendlich großer Zahlen aus. Man kann also auch sagen:

Das archimedische Axiom lautet: „Es gibt keine positiven unendlich kleinen oder unendlich großen reellen Zahlen.“

Alternative Formulierung des archimedischen Axioms Bearbeiten

Das Inverse einer unendlich kleinen Zahl ist unendlich groß und umgekehrt. Damit bedingen sich unendlich kleine und unendlich große Zahlen gegenseitig. Es reicht also aus, nur die Existenz der unendlich kleinen oder die Existenz der unendlich großen Zahlen auszuschließen, um eine Aussage äquivalent zum archimedischen Axiom zu erhalten.

Eine unendlich große Zahl ist eine Zahl  , die größer als jede natürliche Zahl   ist. Die Existenz einer unendlich großen Zahl wird also durch folgende Aussage beschrieben:

 

Die Negation dieser Aussage schließt damit die Existenz unendlich großer Zahlen aus. Sie lautet:

 

Analog kann auch die Existenz unendlich kleiner Zahlen ausgeschlossen werden. Eine unendlich kleine Zahl ist eine Zahl, die kleiner als jeder Quotient   mit einer natürlichen Zahl   ist. Wenn es also unendlich kleine Zahlen geben würde, würde gelten:

 

Die Aussage, die die Existenz unendlich kleiner Zahlen ausschließt, lautet damit:

 

Damit haben wir zwei Alternativformulierungen für das archimedische Axiom gefunden. Dass die beiden Aussagen auch wirklich alternative Formulierungen des archimedischen Axioms sind, können wir dadurch zeigen, dass sie äquivalent zum archimedischen Axiom sind:

Satz (Alternative Formulierungen des archimedischen Axioms)

Folgende Aussagen sind äquivalent zum archimedischen Axiom:

  •  
  •  

Beweis (Alternative Formulierungen des archimedischen Axioms)

Obigen Satz können wir beweisen, indem wir folgende Implikationskette zeigen

 

Beweisschritt:  

Diese Implikation kann direkt gezeigt werden. Hierzu setzt man im archimedischen Axiom

 

für   und für   ein. Man erhält dann die Aussage

 
.

Beweisschritt:  

Sei   beliebig. Wir müssen nun zeigen, dass es eine natürliche Zahl   gibt, so dass   ist. Nun ist aber auch   größer 0 und damit gibt es eine natürliche Zahl   mit  . Daraus folgt aber  , was zu beweisen war.

Beweisschritt:  

Seien   und   beliebige positive reelle Zahlen. Nun ist auch   und es gibt damit eine natürliche Zahl   mit  . Wenn wir diese Ungleichung umstellen, kommen wir auf  , was zu zeigen war. Somit ist der Beweis der Implikationskette abgeschlossen.

Beweis des archimedischen Axioms Bearbeiten

Wie oben bereits erwähnt, ist für uns das archimedische Axiom kein Axiom, sondern ein Satz, den wir dementsprechend auch beweisen müssen. Dies wollen wir nun tun:

Wie kommt man auf den Beweis? (Das archimedische Axiom)

Es ist egal, welche der drei vorgestellten Varianten des archimedischen Axioms wir beweisen, da sie alle äquivalent zueinander sind. Ich wähle zum Beweis die Aussage

 

welche die Nicht-Existenz unendlich kleiner positiver Zahlen beschreibt. Um eine Idee für einen Beweis zu bekommen, gehen wir einmal vom Gegenteil aus und nehmen an, dass es eine unendlich kleine Zahl   gibt. Dies bedeutet aber, dass wir   nicht von   durch jede Intervallschachtelung mit rationaler Genauigkeit unterscheiden können, da der Abstand zwischen   und   kleiner als jede rationale Zahl ist. Jedoch haben wir im Intervallschachtelungsprinzip mit rationaler Genauigkeit definiert, dass jede solche Intervallschachtelung maximal eine Zahl approximiert.

Wir müssen also eine Intervallschachtelung mit rationaler Genauigkeit so geschickt wählen, dass wir bei der Existenz einer unendlich kleinen Zahl   einen Widerspruch erhalten. Mit etwas Nachdenken kommt man hier auf die Intervallschachtelung  .

Beweis (Das archimedische Axiom)

Wir beweisen die Aussage

 

Sei also   beliebig. Betrachte nun die Intervallfolge  , also die Folge

 

Diese Folge ist eine Intervallschachtelung mit rationaler Genauigkeit und damit existiert maximal eine reelle Zahl, die in allen Intervallen liegt. Nun liegt bereits   in allen Intervallen, womit   nicht in allen Intervallen   liegen kann. Es gibt also ein   mit  . Wegen   muss   sein. Es gilt also  , was zu beweisen war.