Innere Medizin kk: Appendizitis
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Das Wichtigste
Bearbeiten- Die Appendizitis ist eine häufige, akute, entzündliche Krankheit des Bauchraumes.
- Entzündet ist der Wurmfortsatz des Dickdarmes im rechten Unterbauch.
- Es handelt sich um eine bakterielle Entzündung.
- Die häufig benutzte Bezeichnung Blinddarmentzündung ist unscharf, da das Coecum, der Blinddarm, nicht immer an der Entzündung beteiligt ist, es sei denn man rechnet den Wurmfortsatz zum Coecum dazu.
- Entscheidend ist an die Krankheit zu denken.
- Die besten diagnostischen Methoden sind der Tastbefund, das Labor, der Ultraschall und das CT des Abdomen.
- Die Krankheit wird meist operativ behandelt.
- Eine intravenöse Antibiose ist bei leichten Fällen auch ohne Op, bei schweren Verläufen zusammen mit der OP sinnvoll.
- Eine schwere, unbehandelte Appendizitis führt zur Perforation, Peritonitis, Sepsis und zum Tod des Patienten.
Titel Krankheitsnummer ( ICD )
BearbeitenICD 10
BearbeitenK35 Akute Appendizitis K36 Sonstige Appendizitis chronische Appendizitis rezidivierende Appendizitis K37 Nicht näher bezeichnete Appendizitis
Definition engl Bezeichnung + Abkürzungen
BearbeitenEinteilungen
Bearbeiten- entzündet - nicht entzündet
- nicht jeder Wurmfortsatz, der entfernt wird, ist auch wirklich entzündet.
- nicht perforiert - perforiert
- in die freie Bauchhöhle durchgebrochen oder nicht.
- akut - chronisch
- eine chronische Appendizitis ist sehr selten
Ätiologie Ursachen
BearbeitenHäufig bleibt die Ursache der Blinddarmentzündung unklar. Mögliche Ursachen können sein:
- Verschluss des Lumens z.B. durch Pflanzensamen, Koprolithen, Kirschkerne, Schrotkugeln, andere kleine Nahrungsbestandteile oder Würmer (z.B. Enterobius vermicularis).
- Mitbeteiligung bei Morbus Crohn
Epidemiologie Statistik Kosten
BearbeitenIn Deutschland gab es im Jahr 2016 ungefähr 110000 Fälle mit Appendizitis. Das Geschlechtsverhältnis ist dabei ungefähr 1 zu 1. Die Altersverteilung zeigt eine deutliche Häufung der Fälle bei jüngeren Menschen an. Auffällig ist der Rückgang der Fälle von circa 210000 im Jahr 2000 auf 110000 im Jahr 2016. Das mag ein Ausdruck der Bevölkerungsentwicklung in D sein oder/und die verbesserte Diagnostik widerspiegeln.
Pathologie Pathophysiologie
BearbeitenAnamnese
BearbeitenAnamnesefragen
Bearbeiten- Haben Sie Ihren Blinddarm noch ?
- Seit wann haben Sie die Schmerzen ?
- Wo haben die Schmerzen begonnen ? um den Bauchnabel ?
- Wo ist jetzt der maximale Schmerz ? rechter Unterbauch ?
- Werden die Schmerzen schlimmer ?
- Konnten Sie trotz der Schmerzen schlafen ?
- Liegt ein Dauerschmerz oder ein kolikartiger Schmerz vor ?
- Haben Sie ähnliche Schmerzen schon einmal gehabt ?
- Haben Sie erbrochen ?
- Haben Sie Durchfall ?
- Haben Sie Fieber ?
- Hatten Sie Schüttelfrost ?
Symptome und Klinik
Bearbeiten- Lokaler Schmerz im rechten Unterbauch
- erhöhte Entzündungswerte,
- Schüttelfrost , Fieber
Durchfall ist kein typisches Symptom einer Appendizitis.
Der Schmerz der Appendizitis nimmt über einige Tage an Schweregrad immer mehr zu und verlagert sich immer mehr in den rechten Unterbauch.
Eine chronische Appendizitis mit Schmerzen > 4 Wochen ist eine Rarität
Diagnostik
BearbeitenEinleitung
BearbeitenDie Diagnose der Blinddarmentzündung ist in den letzten Jahren durch eine verbesserte Bildgebung ( Ultraschall, CT) sicherer geworden. Basisuntersuchungen sind immer
- Anamnese
- Tastbefund
- Laborwerte
- Ultraschall
Bei einem typischen Befund im Ultraschall ist die Diagnose mittlerweile sicher, da sich die Ultraschallauflösung in den letzten Jahren stark verbessert hat. Der Ausschluss einer Appendizitis bei überblähtem Darm ist jedoch oft schwierig. Auch die Computertomografie kann hilfreich sein, insbesondere wenn der betroffene Patient sehr dick oder überbläht ist, und deswegen im Ultraschall und mittels Tastbefund schlecht zu untersuchen ist.
Tastbefund, Temperatur und Laborwerte
BearbeitenDie Diagnose Wurmfortsatzentzündung erhärtet sich durch klinische Befunde:
- Erhebung der Vorgeschichte und tastende Untersuchung des Patienten
- Die Palpation des rechten Unterbauchs McBurney-Punkt, Lanz-Punkt, retrogerades Darmausstreichen in Richtung Appendix (Rovsing -Zeichen)
- Kontralateraler Loslassschmerz (Blumberg-Zeichen): Hierbei wird auf der Körpergegenseite (kontralateral, also links) ein manueller Druck auf den Unterbauch ausgeübt und plötzlich wieder losgelassen. Im positiven Fall stellt sich daraufhin rechts ein Schmerz ein.
- Psoas-Dehnungsschmerz (das Bein wird im Oberschenkel gegen einen Widerstand gebeugt, wenn dabei Schmerzen im Unterbauch auftreten, ist der Test positiv)
- Douglas-Schmerz (Schmerzen bei digital-rektaler Untersuchung)
- Temperaturmessung
- Blutuntersuchung eventuell auch Urinuntersuchung
- Laboruntersuchung des Blutes
- Leukozytose,
- Erhöhung des CRP
- Laboruntersuchung des Blutes
Eine Appendizitis ohne CRP oder Leukozytose ist eine Rarität.
Bildgebung Übersicht
Bearbeiten- Bildgebung
- Ultraschalluntersuchung des Bauchraumes (Kokardenformation, tubuläre Struktur, Abszess, Ausschluss anderer Erkrankungen)
- Computertomographie (CT)
- evtl. Röntgen des Abdomens im Stehen,
- bei Frauen immer gynäkologisches Untersuchung
Am wichtigsten sind dabei die Laboruntersuchungen (Leukozyten, CRP), der Ultraschall und bei untersuchungstechnischen Schwierigkeiten das CT. Die früher übliche Temperaturdifferenzmessung Achselhöhle-Mastdarm ( 2°C) wird heute kaum mehr durchgeführt.
- Bei der Anamnese ist die Verlagerung des Schmerzes vom mittigen Oberbauch in den rechten Unterbauch und das Aufhören des anfangs periumbilikalen oder epigastrischen Schmerzes wichtig.
- Das plötzliche Auftreten eines schmerzfreien Intervalles mit anschließenden massiven Schmerzen im ganzen Bauchraum spricht für einen Durchbruch (eine Perforation) der Appendizitis.
Auch bei einer klinisch typischen Appendizitis ist heute vor der Operation immer einer Ultraschalluntersuchung anzustreben, um andere Erkrankungen mit gleicher Symptomatik wie beispielsweise eine akute Ileitis ( beispielsweise bei Morbus Crohn) auszuschließen.
Die Ultraschalluntersuchung der Appendizitis
BearbeitenSonographische Kriterien der akuten Appendizitis
Bearbeiten- Querschnitt: Kokarde über 6 mm Durchmesser
- Längsschnitt: Blind endende tubuläre Struktur
- Fehlende Komprimierbarkeit
- Lokaler Druckschmerz
- Koprolith
- Freie Flüssigkeit pericoecal und/oder retrovesikal
- Lokaler paralytischer Ileus
- Fehlende Peristaltik
- Echogene Umgebungsreaktion , Das fetthaltige Netz wird chemotaktisch zum Ort der Entzündung gezogen ??
- ( Erhöhte Farbkodierung der Appendixgefäße) , keine eigene Erfahrung damit
Typischer Ultraschallbefund bei Appendizitis
BearbeitenMann, 60 Jahre Indikation: Kommt mit Einweisung V.a. akute Appendizitis. Rechtsseitiger Unterbauchschmerz seit 3 Tagen Patient hat kein Fieber, fröstelt aber, kein Durchfall, kein Erbrechen Sonographie Abdomen Leber normal groß , echoarm, homogen , keine Raumfoderung Gallenblase steinfrei, unauffällig, Gallengang nicht verbreitert Pankreas normal , kein Tumor, Wirsungianus nicht verbreitert Nieren bds normal groß, nicht gestaut , kein Tumor, kein sicherer Stein Milz normal groß, homogen kein Aszites kein abdominelles Aortenaneurysma re Unterbauch deutlich lokal druckschmerzhaft vom Coecum nach kaudal laufend blind endende Darmstruktur 1,2 cm breit gestreckt verlaufend, ohne Peristaltik gering Flüssigkeit in der Umgebung > Dringender Verdacht auf akute Appendizitis Coecum auch etwas wandverdickt das terminale Ileum ist gleich medial davon und unauffällig Colon desc und Sigma : einzelne Divertikel , sonst nicht sicher auffällig kein Ileus Empfehlung: Dringliche Appendektomie
Wie kann man die Sonografie bei der Appendizitis erlernen ?
BearbeitenDie Ultraschalluntersuchung des Blinddarmes ist für den Anfänger oft schwierig. Das Untersuchungsobjekt ist klein, zeigt eine variable Lage und ist oft hinter anderen Darmstrukturen versteckt. Man sollte sich also bei der Untersuchung Zeit lassen, man braucht viele Untersuchungen und man braucht ein gutes Ultraschallgerät. Hat man sich einmal in der Coecumregion eingesehen, wird man dann durch gute Diagnosen und positive Rückkopplung vom Operateur motiviert. Man lernt schnell dazu, denn die Appendizitis ist nicht so selten.
Probelaparaskopie
BearbeitenNach dem Ultraschall muß man sich entscheiden, wie man weiter verfährt:
- Abwarten und nach einigen Stunden die nichtinvasive Diagnostik wiederholen
- eine Probelaparaskopie machen
- eine Computertomografie noch vor der Laparaskopie machen.
Je jünger der Patient ist, je besser der Ultraschallbefund und je erfahrener der Chirurg ist, wird man sich eher zur direkten Laparaskopie und dann auch endgültigen Therapie entscheiden. Bei älteren Patienten mit anderen Zusatzerkrankungen und unklarem Ultraschallbefund bzw stark geblähtem Bauch wird man sich eher für ein CT entscheiden. Beim älteren Patienten ist die Strahlenbelastung nicht ganz so entscheidend. Durch das CT werden auch andere Darmerkrankungen erfasst, die beim älteren Menschen häufiger werden : Obstipation, Coloncarcinom, Divertikulitis, Darmischämie etc.
Computertomographie
BearbeitenDer Satz: Für die Diagnose einer Appendizitis braucht man kein CT . ist falsch. Es ist beim älteren Patienten, bei unklarer Sepsis und bei stark überblähtem Bauch durchaus berechtigt ein CT zu fahren, dann sollte man allerdings das gesamt Abdomen mituntersuchen. Im CT kann man, wie im Ultraschall auch, oft den Wurmfortsatz ganz gut sehen, seine Wandverdickung, seine Lage und die Umgebungsreaktion gut einschätzen. Es ist also gar keine Schande, die Diagnose Appendizitis mittels CT zu stellen.
Differentialdiagnose der Appendizitis
BearbeitenSiehe auch akutes Abdomen
Gastrointestinale Differentialdiagnosen
Bearbeiten- Cholezystitis
- Morbus Crohn
- Divertikulitis
- Meckel-Divertikel
- Ulcus duodeni
- Gastroenteritis
- Colitis
- Darmverschluss
- Tumorerkrankungen
- Kolonkarzinom
- Karzinoid
- Pankreatitis mit Exsudatstraße in Richtung rechter Unterbauch
- Darmperforation
- Volvulus
- unspezifische Bauchschmerzen (Reizdarm)
- Appendicitis epiploica
- Groß et al. Eine seltene Ursache für Schmerzen im rechten Unterbauch. Med Klin (2009) 104 (3) S. 249-250
- Lymphadenitis mesenterica (Yersinien)
- Ileitis bei TBC
- sonstige Ileitis
Gynäkologische und urologische Differentialdiagnosen
Bearbeiten- Tubargravidität
- Endometriose
- stielgedrehte Ovarialzyste
- Adnexitis
- Ruptur einer Ovarialzyste
- Harnleiterstein
- Pyelonephritis
- Hodentorsion
- Blasenentzündung
- perinephritischer (nierennaher) Abszess
- Ovarialvenenthrombose
Pulmologische Differentialdiagnosen
Bearbeiten- Pleuritis
- basale Pneumonie
- Lungeninfarkt
Systemische Differentialdiagnosen
Bearbeiten- Ketoazidose bei Diabetes mellitus Typ 1, Pseudoappendizitis diabetika
- Porphyrien
- Purpura Schönlein-Henoch
Differentialdiagnosen bei Kindern
Bearbeiten- Gastroenteritis
- rechtsbasale Pneumonie
- Harnwegsinfekt
- Obstipation
- stielgedrehte Ovarialzyste bei Mädchen
- Zöliakie
- Meckel-Divertikel
Therapie
BearbeitenAntibiose
Bearbeitenlaparaskopische OP
BearbeitenOffene OP
BearbeitenVerlauf und Prognose
BearbeitenDie Sterblichkeit der in den Krankenhäusern abgerechneten Appendizitisfälle lag 2016 in Deutschland bei etwa 1 bis 2 pro 1000 Fälle.
Fälle
BearbeitenFall 1 und 2
BearbeitenZwei interessante Fallbeschreibungen aus dem Bayerischen Ärzteblatt 1 2018
Fall 3 Fehldiagnose Appendizitis
BearbeitenGeschichte der Krankheit
BearbeitenIn Noah Gordons Roman Der Medicus von 1986 und dem gleichnamigen Film von 2013 wird die Appendizitis als Seitenkrankheit beschrieben. Dieser Begriff wurde aber für ganz unterschiedlich einseitige Schmerzen und Krankheiten gebraucht und nicht nur für die Appendizitis.
Experten + Krankenhaeuser
BearbeitenKrankenhäuser mit Fallzahlen
Bearbeiten- Klinikum Nürnberg, Nürnberg 524
- Charite Universitätsmedizin Berlin 499
- Städtisches Klinikum Braunschweig422
- Klinikum Augsburg 400
- Kreisklinik Roth, 395
- Klinikum Dritter Orden, München 386
- Vivantes Klinikum im Friedrichshain, Berlin 338
- Vivantes Klinikum Neukölln, Berlin 322
Was kann ich selbst tun ?
BearbeitenDa man eine Appendizitis meist nur einmal in seinem Leben hat und die Krankheit bei einer verzõgerten Diagnosestellung durchaus bedrohlich verlaufen kann, sollte man bei anhaltenden Schmerzen im rechten Mittel- oder Unterbauch diese durchaus ernst nehmen und eine effiziente Diagnostik am besten in einem Krankenhaus durchführen lassen. Fühlt man sich in einem Krankenhaus nicht ernst genommen, dann sollte man sich, insbesondere bei anhaltenden oder weiter zunehmenden Schmerzen, auch nach einigen Stunden in einem weiteren Krankenhaus untersuchen lassen. Weichenstellend ist meist ein guter Ultraschaller oder ein Radiologe mit dem CT, die den Appendix oft direkt sehen können. Für den Ultraschall braucht es allerdings drei Voraussetzungen:
- einen erfahrenen Untersucher, der auch genügend Zeit hat
- ein gutes Ultraschallgerät
- einen gut schallbarer Patient.
Schlägt einem ein erfahrener Chirurg auf Grund des Tastbefundes und der vorliegenden Untersuchungsbefunde vor, den Appendix zu entfernen, sollte man sich nicht allzulange zieren dem zuzustimmen. Eine verzögerte Operation kann in einer üblen, bedrohlichen Bauchfellentzündung enden.
Fragen,Anmerkungen
BearbeitenKann eine Koprostase zu einer Appendizitis führen ?
BearbeitenWelcher Zusammenhang besteht zwischen Koprostase und Appendizitis ? Zunächst einmal besteht kein offensichtlicher Zusammenhang. Durch jede Entzündung im Bauch kann es zu einer entzündlichen oder reflektorischen Darmlähmung und dann auch akuten Koprostase kommen. Das gilt auch für die Appendizitis. Wenn man von Koprostase spricht, dann meint man aber meistens die chronische oder rezidivierende Koprostase. Eine chronische Koprostase ist wohl kein echter Risikofaktor für eine Appendizitis.
Literatur
Bearbeiten- Hahn H., Höppner F., von Kalle T., et al. Appendizitis im Kindesalter Radiologe 1997; vol 37: S.454-458
- The Lancet, Volume 377, Issue 9777, Pages 1573 - 1579, 7 May 2011
- Amoxicillin plus clavulanic acid versus appendicectomy for treatment of acute uncomplicated appendicitis: an open-label, non-inferiority, randomised controlled trial
- Prof Corinne Vons MD a , Caroline Barry PhD c ‡, Sophie Maitre MD b ‡, Karine Pautrat MD d, Mahaut Leconte MD e, Bruno Costaglioli MD f, Mehdi Karoui MD g, Prof Arnaud Alves MD d, Prof Bertrand Dousset MD e, Prof Patrice Valleur MD d, Prof Bruno Falissard MD c, Prof Dominique Franco MD a
- Amoxicillin plus clavulanic acid versus appendicectomy for treatment of acute uncomplicated appendicitis: an open-label, non-inferiority, randomised controlled trial
Links:
Bearbeiten- http://www.sonoweb.de/casereports/kasu0701.htm
- Kasuistik mit sehr schönen Bildern
- http://www.infomed.org/pharma-kritik/pk17b-95.html
- Antibiotikagabe bei Appendizitis
- https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/63159/Appendizitis-Antibiotika-verhindern-drei-von-vier-Operationen
- Behandlung der Appendizitis mit Antibiotika