In älteren Lehrwerken von altgermanischen Sprachen spielen Lautentwicklungen häufig eine wichtige Rolle. Für die Sprachkenntnisse selbst spielen sie aber nur eine untergeordnete Funktion und werden daher im Lehrbuch nicht behandelt. Trotzdem kann der Lernende mit Hilfe der Lautentwicklungen verwandte Wörter wiedererkennen und so das 'Vokabel pauken' enorm erleichtern. In ihrer Masse und ihrer Komplexität sind sie für Laien aber häufig nicht bis wenig hilfreich. Wir wollen uns daher nur auf einen Lautwandel beschränken, den sog. nordwestgermanischen Rhotazismus.
Beim sog. "Rhotazismus" (v. griech. Buchstaben rho abgeleitet) handelt es sich um ein Phänomen, bei dem ein stimmhaftes s sich in ein r wandelt. Dieser Lautwandel hat alle nord- und westgermanischen Sprachen betroffen und wird daher auch nordwestgermanischer Rhotazismus genannt. Betrachten Sie folgende Gotisch-Deutschen Wortpaare:
- huzd -> Hort
- dius (z) -> Tier
- is -> er
- weis -> wir
Sie können sich merken, dass gotisches /z/ deutsches /r/ entspricht. Bei den letzten drei Beispielen verdeckt die gotische Auslautverhärtung, dass es sich eigentlich um einen stimmhaften Laut handelt (man erkennt ihn noch an den Formen diuza "dem Tier" und izei "derjenige, der (Rel.)").
Nebenbei ist zu erwähnen, dass sich das Nominativ-s ebenfalls zu einem -r verschoben hat. Allerdings hat sich das -r nur im Nordgermanischen länger erhalten, z. B. altnord. stafr ("der Stab"). Kenner der nordischen Mythologie dürften das Nominativ-r aus Wörtern wie "Freyr" oder "Ragnarökr" kennen. Heute haben nur noch das Isländische und das Färöische eine Nominativendung: -ur.
|