Das Gotische kennt den Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ und Vokativ. Auf dieser Seite werden die syntaktischen Verwendungen dieser Fälle (Kasus) aufgelistet. Der Instrumentalis, der in Resten noch existierte, hatte keine eigene syntaktische Funktion mehr und wird daher nicht genannt.

Nominativ

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  • Subjekt
Anders als im Deutschen, kann im Gotischen das Subjekt auch im Passivsatz im Nominativ stehen, wenn das Satzglied im entsprechenden Aktivsatz als Dativ- oder Genitiv-Objekt erscheinen würde.
Aktiv: *jah gaweisodedun daurawarde jah liuþarje jah Laiwweite [Gen. Pl.]
Passiv: jah gaweisodai waurþun daurawardos jah liuþarjos jah Laiwweiteis [Nom. Pl.] (Neh 7,1)
"und Türwächter und Sänger und Leviten wurden besorgt."
In einigen wenigen Fällen kann im Vokativ auch das Nominativ-s erscheinen. Bei der Begrüßung hails ist dies die Norm.
Bsp.: Hails, þiudans Iudaie (Joh 19:3) vs. Hails, þiudan Iudaie (Mk 15:18)
"Seid gegrüßt, König der Juden"

Sein Gebrauch deckt sich weitgehend mit dem aus der griechischen Vorlage:

  • Genitiv partitivus:
Der Genitiv ist ein Teil von etwas. In einigen Fällen ist eine Übersetzung mit "von" obligatorisch.
z. B. bei Verben: jabai ƕas matjiþ þis hlaibis [Gen.] (Joh 6:51)
"wenn jemand [etwas] von diesem Brot isst"
Zu beachten ist auch der Genitiv paritivus in Negativsätzen. Dieser ist eine seltene - zunehmend vom Akkusativ bzw. Nominativ verdrängte - "Altertümlichkeit und hat ursprünglich wie im Slavischen von der Negation abgehangen." (Streitberg 1981:21):
jah ni was im barne (Lk 1:7)
"und sie hatten keine Kinder"
dagegen: wein jah leiþu ni drigkid (Lk 1:15)
"Trinkt weder Wein noch Obstwein"
  • bei deklinierbaren Wortarten:
skatte fimf hunda (Lk 7:41)
"500 [an] Münzen"
  • Genitivobjekt (öfter als im Deutschen):
wesun auk allai beidandans is [Gen.]. (Lk 8:40)
"Sie alle warteten auf ihn."
  • Genitivus objektivus nach deklinierbaren Wortarten.
Dabei steht das Wort im Genitiv in einem Objekt-Verhältnis zum Bezugswort:
witodis garaideins (Röm 9:4)
"Anordnung/Regelung des Gesetzes", d. h. "Gesetzgebung"
Das "Objekt-Verhältnis" wird ersichtlich, wenn man das Bezugswort verbal verwendet: "er/sie/es ordnet ein Gesetz (Objekt des Prädikats!) an"
  • Genitiv possessivus (besitzanzeigender Genitiv)
Er tritt bei allen deklinierbaren Wörtern auf:
barne barna (1. Timo 5:4)
"die Kinder der Kinder"
Der besitzanzeigenden Genitiv kann auch bei den Verben wairþan "werden" und wisan "sein". Zu übersetzen ist das Verb meist mit "gehören".
ibai jah þu þize siponje is þis mans? (Joh 18:17)
"Gehörst du nicht auch zu den Schülern dieses Mannes?"
  • Genitiv der Trennung
Er tritt bei den Verben gaþarban "sich enthalten", atsaiƕan "betrachten", gahrainjan "reinigen" und gahailjan "heilen", sowie bei den Adjektiven framaþs "fremd", freis "frei", laus "leer", þarfs "nötig, bedürftig" oder wans "mangelhaft"
warjandane liugos, gaþarban mate, [...] (Tim I 4:3)
"Durch das Verbot zu heiraten [und] dem Verzicht von Speisen [...]"
  • Genitiv instrumentalis
Hierbei drückt das Genitivobjekt das Mittel, mit dem etwas getan wird, aus. Er tritt bei Verben auf, die mit "Füllen" zu tun haben z. B. usfulljan und fullnan, sowie bei den Adjektiven fulls, wairths, weihs
[...], ei fahedais usfullnau(Tim II 1:4)
"[...], damit ich mit Freude erfüllt werde"
  • Genitiv des Raumes
Dieser entwickelte sich aus dem Genitiv in der Bedeutung des Strebens. Er gibt bei Verben des "Gehens" den Ziel-/ Richtungsort an, z. B. bei insandjan, gaggan, usleiþan oder galeiþan.
manna sums godakunds gaggida landis franiman sis þiudangardja(Lk 9:12)
"ein bestimmter Mann ging in ein Land um für sich ein Königreich zu empfangen"
  • Genitiv der Zeit
Zeitwörter im Genitiv können als Adverbien gebraucht werden (sog. adverbialer Genitiv)
dagis ƕizuh "täglich", gistradagis "gestern", framwigis "fortwährend, für immer"
  • Indirektes Objekt
Einige Verben mit Dativobjekt können auch ein Akkusativ bei sich haben, z. B. bileiþan "verlassen, zurücklassen" (vgl. Mk 10,7 und Joh 16,32), einige auch mit Bedeutungsunterscheidung, wie gasakan + Dat. "drohen" und gasakan + Akk. "widerlegen, zum Schweigen bringen".
  • Dativ der Beteiligung und des Interesses :
Er steht im ersten Fall "adverbal bei Verben, die hören, dienen, gehorchen, willfahren, danken, drohen, zürnen, widerstehen, nützen, schaden, gefallen, dünken, ziemen, gleichen, geben, zuteil werden, einem etwas sein oder werden u. ä. bedeuten."[1] Im zweiten Fall kann er als Nominalphrase bei Adjektiven stehen. Zuletzt trifft man ihn auch bei Nomen actionis.
(1)guþ frawaurhtaim ni andhauseiþ (Joh 9:31)
"Gott erhört die Sünder nicht"
(2)[is] was kunþs þamma gudjin (Joh 18:15)
"[Er] war dem Priester bekannt"
(3)wulþu managein þeinai Israela(Lk 2,32)
"Ehre für die deine Leute Israels"
  • Dativ instrumentalis
Die Funktion des ehemaligen idg. Kasus   Instrumentalis hat weitgehend der Dativ übernommen. Nach diesem unterscheidet man zwischen zwei Funktionen:
Dativ des Werkzeugs/Mittels:
Der Dativ gibt das Werkzeug bzw. Mittel an, mit dem etwas getan wird. Bei der Übersetzung ist fast immer ein "mit" hinzuzufügen.
ik allis izwis watin daupja (Lk 3:15)
"Ich taufe euch mit Wasser"
Dativ in soziativer Bedeutung:
Der Dativ gibt an mit wem etwas getan wird.
baþ Teitu jah miþinsandida imma broþar (2. Kor. 12:18)
"Ich habe Titus [darum] gebeten und mit ihm einen Bruder gesandt."
  • Dativ der Zeitbestimmung:
Zeitangaben stehen gewöhnlich im Dativ (himma daga "heute"). Vgl. auch Akkusativ der Zeit für die Dauer und den Genitiv der Zeit.
  • Dativ beim Komparativ:

Das Vergleichsobjekt wird in Komparativsätzen in den Dativ gesetzt. Bei dem Übersetzen ist gewöhnlich ein "als" notwendig:

ik allis izwis watin daupja, iþ gaggiþ swinþoza mis. (Lk 3:15)
"Ich taufe euch mit Wasser, aber es wird jemand kommen, der stärker/größer ist als ich."

Akkusativ

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  • direktes Objekt
Zu beachten ist, dass einige unpersönliche Ausdrücke ein Akkusativobjekt verlangen: gredoþ* (+ Person im Akk.) "es hungert", þaurseiþ (+ Person im Akk.) "es dürstet", skula ist (+ Sache im Akk.) "ist schuldig" und kar' ist/ kara (+ Person im Akk.) (+ Sache im Gen.). Bsp. ni kara þuk [Akk.] manshun [Gen.] (Mk 12,14) "Du sorgst dich um nichts (wörtl. es kümmert dich niemandes)"
Der Akkusativ kann verwendet werden, um eine räumliche Ausdehnung auszudrücken:
jabai ƕas þuk ananauþjai rasta aina, gaggais miþ imma twos (Mt 5,41)
"Wenn dich jemand zu einer Meile zwingen, dann gehe zwei mit ihm."
  • Akkusativ der zeitlichen Ausdehnung:
Ebenso kann ein Akkusativ eine Zeitlänge angeben:
jah qino wisandei in runa bloþis jera twalif [...] (Lk 8,43)
"und die Frau, die im Blutfluss zwölf Jahre war [d. h. seit 12 Jahren ununterbrochen blutete] [...]"

Instrumentalis

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  • Der Instrumentalis gibt/gab das Mittel einer Handlung an.
Er hat sich nur in der Pronominaldeklination erhalten, z. B. beim Pronomen ƕe "womit". Ebenso erscheint er gelegentlich beim Komparativ:
hve managizo taujiþ? (Mt 5,47) "Was tut ihr mehr?"
ni þe haldis (Sk 4,22) "nicht um so mehr"
Die Funktion wurde vom Dativ übernommen

Präpositionen

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af (+ Dat.) "von"
afar (+ Dat./Akk.) "nach"
alja (+ Dat.) "außer"
ana (+ Dat./Akk.) "an"
and (+ Akk.) "längs"
andwairþis (+ Dat.) "gegenüber"
at (+ Dat.) "bei, zu"
at (+ Akk.) "bei, zu (+ Zeitpunkt)"
bi (+ Dat./Akk.) "bei, um, an"
du (+ Dat.) "zu" (dreimal mit Akkusativ belegt)
fairra (+ Dat.) "fern"
faur (+ Akk.) "vor"
faura (+ Dat.) "vor"
fram (+ Dat.) "von"
hindana (+ Gen.) "von hinten"
hinter (+ Dat./Akk.) "hinter"
in (+ Dat./Akk./Gen.) "in, nach, auf"
innana (+ Gen.) "innen"
inuh (+ Akk.) "ohne"
miþ (+ Dat.) "mit"
nehva (+ Dat.) "nahe bei"
þairh (+ Akk.) "durch"
uf (+ Dat./Akk.) "unter"
ufar (+ Dat./Akk.) "über"
ufaro (+ Dat./Gen.) "über"
und (+ Dat./Akk.) "um, bis zu"
undar (+ Akk.) "unter"
undaro (+ Dat.) "unter"
us (+ Dat.) "aus"
utana (+ Gen.) "außen"
utaþro (+ Gen.) "von außen"
wiþra (+ Akk..) "gegen"

Für Präpositionen mit mehreren Kasus gilt, wie im Deutschen, dass durch den Kasus eine Richtung (Akkusativ) oder eine Ruhe (Dativ) ausgedrückt werden kann (man vergleiche die Sätze "Ich laufe in das Haus [mit Akk.]" und "ich laufe im Haus [mit Dat.]"). Drückt das Verb eine perfektive Aktionsart aus - das gilt insbes. für Verben des Fallens, Setzens oder Kommens -, so ist oft entscheidend, ob der Sprecher den Abschluss (Ruhe -> Dativ) oder den Verlauf (Richtung -> Akkusativ) ausdrücken möchte:

jah qaþ Iesus: du stauai ik in þamma fairhvau [Dat.] qam, ei þai unsaihvandans saihvaina jah þai saihvandans blindai wairþaina. (Joh 9,39)
"Und Jesus sprach: Ich bin zum Gericht in diese Welt gekommen, auf dass die da nicht sehen, sehend werden, und die da sehen, blind werden."
qaþ imma: jai, frauja, ik galaubida þatei þu is Xristus, sunus gudis, sa in þana fairhvu [Akk.] qimanda. (Joh 11,27)
"Sie spricht zu ihm: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in diese Welt kommt."

Einzelnachweise

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  1. Streitberg 1981:15, Beispielsätze ebenfalls von dort