Gitarre: Stimmen mit Flageolett

Stimmen mit Flageolett

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Eine ausführliche Anleitung

Das Stimmen mit Flageolett lernt man erfahrungsgemäß nicht an einem Tag. Man benötigt einiges an Übung. Im praktischen Gitarrenunterricht kann sich das Lernen über mehrere Unterrichtsstunden verteilen. Es bietet sich an, jeweils zu Beginn einer Unterrichtseinheit ein wenig Zeit darauf zu verwenden, da man dann in der Regel so und so die Gitarren stimmen oder zumindest überprüfen muss. Man könnte sich vornehmen, in jeder Unterrichtsstunde jeweils sich einen Absatz vorzunehmen, und sich das Ziel setzen innerhalb von einem Monat oder so nebenbei (zu den sonstigen Lektionen) das Stimmen mit Flageolett zu lernen.

Die Berechnungen und die genauen Schwingungen braucht man nicht extra zu lernen. Es reicht, wenn man nachvollziehen kann, was passiert und warum. Nur dass der Kammerton „A“ (der Ton der Stimmgabel) auf 440 Hz geeicht worden ist, gehört zur Allgemeinbildung.

Die Stimmung nach Flageolett unterscheidet sich minimal von der so genannten gleichstufigen Stimmung. Für alle praktischen Belange ist der Unterschied jedoch so minimal, dass er keinem auffallen wird. Das Thema "Stimmungen" und die feinen Unterschiede kannst du bei Gelegenheit mal näher vertiefen.

 
[1]

Wie erzeugt man einen Flageoletton

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Die Saiten halbieren

Ausgangspunkt soll die A-Saite sein, welche über einen Referenzton (z. B. Stimmgabel) gestimmt worden ist. Zupft man diese gestimmte Saite an, so schwingt sie mit 110 Hz (gesprochen „Hertz“[2] = Schwingungen pro Sekunde; vgl. Bild oben Nr.1).

Drückt man diese Saite auf dem 12. Bund herunter, so erhält man ebenfalls einen Ton „A“ welcher mit 220 Hz genau doppelt so schnell schwingt und eine Oktave[3] höher klingt. (Nr.2).

Es gibt eine weitere Möglichkeit, das höhere „A“ zu erzeugen. Wenn man die A-Saite nicht herunterdrückt, sondern über dem 12. Bund gerade so leicht berührt, dass sich die Saite an dieser Stelle nicht bewegen kann, dann erklingt ebenfalls das „A“ mit 220 Hz. Der Finger muss ganz exakt über dem 12. Bundstäbchen liegen (Nr.3: beachte blauen Strich). Er liegt also etwas weiter als die gedrückte Variante. Würde man den Teil vor dem 12. Bund mit dem Teil dahinter vergleichen, so würde man feststellen, dass beide Teile gleich lang sind. Also hat man die Saite genau in der Hälfte geteilt.

Besonderheit

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Der Flageolett-Ton hat zwar die gleiche Tonhöhe wie die heruntergedrückte Variante, doch er klingt viel „weicher“ als die gegriffene Variante von Nr. 2. Zudem klingt die Saite bei einem Flageolett-Ton noch nach, wenn man den Finger entfernt. Bei der gegriffenen Variante verschwindet der Ton. Wenn man die Mechanik dreht, während noch der Flageolett-Ton erklingt, kann man den Erfolg seiner Bemühungen unmittelbar hören. So etwas ist bei der gegriffenen Variante nicht möglich. Dieses ist auch einer der Hauptvorteile des Stimmen mit der Flageolett-Methode.

Erste Übungen

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  • Versuche jede Saite durch ein Flageolett im 12. Bund um eine Oktave höher klingen zu lassen.
  • Versuche die drei hohen Saiten gleichzeitig (z. B. mit dem kl. Finger quer gelegt) als Flageolett erklingen zu lassen.

Diese drei Flageolett-Töne zusammen ergeben den Akkord E-Moll. Dieser Flageolett-Akkord eignet sich sehr gut, um ein Lied mit E-Moll stimmungsvoll zu beenden oder eine Pause auszufüllen. (Populäres Beispiel: die Gruppe Metallica setzt den E-Moll mit Flageolett-Tönen in ihrem Intro von „Nothing else Matters” ein.)

Die Quinte

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die Saite dritteln

Der nächste Flageolett lässt sich erfahrungsgemäß ein klein wenig schwerer erzeugen als der Flageolett im 12. Bund, da er etwas genauer getroffen werden muss. Aber im Prinzip funktioniert er genauso.

Doch zuerst greife man die A-Saite im 7. Bund. Der Ton lässt sich leicht abzählen: A Ais H C Cis D Dis E. Es erklingt also der Ton „E“ mit 165 Hz (Nr.4). „E“ ist von „A“ aus gesehen die Quinte[4].

Berührt man diese Saite genau über dem 7. Bund, so wird die Saite gedrittelt. Sie schwingt dreimal so schnell wie die leere A-Saite (Nr.1). Die gedrittelte A-Saite mit einem Flageolett im 7. Bund erklingt also mit 330 Hz (Nr.5).

zweite Übung

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  • Der erste Versuch, bei dem es richtig ums Stimmen geht:
    vergleiche die gedrittelte A-Saite mit der leeren hohen E-Saite. Die beiden Töne sollten gleich klingen. Falls nicht, muss nachgestimmt werden.
    : 
    3 mal kann das Hohe E dargestellt werden. Zwei davon wurden in diesem Kapitel beschrieben, die dritte folgt weiter unten.
  • Auch hier versuche man bei jeder Saite den Flageolett im 7. Bund zu erzeugen.
  • Wie heißt die Quinte von der D-Saite? (7. Bund von der D-Saite abzählen!)

die doppelte Oktave

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die Seite vierteln

Drückt man die A-Saite im 5. Bund, dann erklingt der Ton D. Dieses sollte noch vom Stimmen mit Hilfe der Bünde bekannt sein. (Nr.6) Dass dieses D mit 146,66 Hz schwingt braucht nicht wirklich zu interessieren.

Erzeugt man jedoch ein Flageolett über den 5. Bund so erklingt kein D sondern wiederum ein A. Im 5. Bund wird die A-Saite geviertelt. Bei Nr.3 wurde die Saite halbiert (Frequenz verdoppelt) und es erklang die Oktave. Da die Nr.7 gegenüber der Nr.3 wiederum halbiert worden ist, hat man erneut eine Oktave erzeugt, die doppelte Oktave vom Ton „A“ aus. Dieser Ton erklingt mit 440 Hz. Diese Hertzzahl ist die einzige Frequenz, die man sich wirklich merken sollte, denn es handelt sich um den Kammerton A[5], den wir von der Stimmgabel her kennen.

dritte Übung

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  • versuche von jeder Saite ein Flageolett im 5. Bund zu erzeugen.
  • vergleiche den Flageolett der tiefen E-Saite im 5. Bund mit der leeren hohen E-Saite

Die hohe E-Saite soll genau zwei Oktaven höher klingen als die tiefe E-Saite. Der Flageolett im 5. Bund der tiefen E-Saite soll ebenfalls zwei Oktaven höher erklingen. Also sollten sich diese beiden Töne gleich anhören. Falls nicht: Nachstimmen!

Praxistipp

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Wenn man mit einer Gruppe von Gitarrenspielern zusammen ist, reicht es, wenn ein Gitarrenspieler ein hohes (gestimmtes) „E“ erklingen lässt. Mit diesem Referenzton lassen sich drei Saiten vergleichen.

  • die hohe E-Saite leer gegriffen
  • die A-Saite mit einem Flageolett im 7.Bund
  • die tiefe E-Saite mit einem Flageolett im 5. Bund

Also kann man mit einem Referenzton (gestimmter Vergleichston) die Hälfte aller Gitarrensaiten stimmen.

 
Nebenbei
Flageolett-Töne werden im Notensystem und in Tabulaturen sehr oft mit Rauten dargestellt. Vermutlich möchte man mit der Raute die Berührung an nur einem Punkt symbolisieren. In Tabulaturen die den ASCII-Code verwenden (wie er oft bei Foren o.ä. verwendet wird) verwendet man oft eckige Klammern.

      <5> + <7>

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So wie man die tiefe E-Saite mit einem Flageolett im 5. Bund und eine A-Saite mit einem Flageolett im 7. Bund vergleichen kann, so kann man auch die nächsten Saiten miteinander vergleichen.

  • E mit Flageolett im 5. = A mit Flageolett im 7. Bund
  • A mit Flageolett im 5. = D mit Flageolett im 7. Bund
  • D mit Flageolett im 5. = G mit Flageolett im 7. Bund

   

G- H-Saiten-Übergang

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Versucht man jetzt auch die H- mit der G-Saite zu vergleichen, dann gelingt es nicht mehr.

 

Um dies zu begründen, muss man noch einmal einen Rückblick auf das Stimmen mit Bünden machen.

   
Die H-Saite wird nicht wie die übrigen Saiten mit dem fünften Bund der Vorgängersaite verglichen, sondern im vierten Bund.

Daher klappt für diesen Vergleich nicht die 5-7-Methode.

Man kann jetzt versuchen, die H-Saite über die hohe E-Saite zu vergleichen. Die geviertelte H-Saite ist wieder ein H, wenn auch ein recht hohes. Daher ist eine E-Saite im 7. Bund gedrittelt ebenfalls ein H. Da dieser Flageolett relativ hoch ist, sind Unterschiede gar nicht mal so leicht herauszuhören.

 

Wenn aber die hohe E-Saite gedrittelt ein H ergibt, so muss ja auch die tiefe E-Saite gedrittelt ein H ergeben. Und dieses H entspricht genau der leeren H-Saite. Dieses ist übrigens dasselbe Verhältnis, wie die A-Saite zur hohen E-Saite hat. Also entspricht die E-Saite im Flageolett 7. Bund der leeren H-Saite, genau wie die A-Saite im 7. Bund der hohen leeren E-Saite entspricht.

 

Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass man das hohe H ebenfalls durch Greifen der G-Saite kurz vor dem 4. Bund dargestellt werden kann. Dies ist jedoch nur interessant, wenn man ein wenig mit Flageolett-Tönen herumspielen will. [6] Der Ton H lässt sich auf 5-fache Weise darstellen:

 

Zusammenfassung für die Praxis

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Dies war eine komplette Darstellung, mit ein wenig zusätzlichem Hintergrundwissen. Das Hintergrundwissen kann einem später für die Harmonielehre noch von Nutzen sein. Für die Praxis, also das alltägliche Gitarrenstimmen, werden nicht alle Feinheiten benötigt, sondern es reichen drei Arbeitsschritte.

  1.   3 x das E (5-7-0)
  2.   3 x 5-7 [7]
  3.   H-Saite 7 - 0

Diese Methode ist für den täglichen Gebrauch sehr genau, und man ist nach einiger Übung sehr schnell; oft schneller als mit einem Stimmgerät.

Auch wenn ein Stimmgerät praktisch ist, sollte man sich nicht ausschließlich auf das Gerät verlassen. Es lohnt sich in jedem Fall, ein Stimmgerät nur für den Startton (die hohe E-Saite) einzusetzen, dann die übrigen Saiten mit Flageolett zu stimmen und erst am Schluss das Ergebnis noch einmal mit dem Stimmgerät zu überprüfen. Nur anfangs braucht man mit dieser Methode länger als mit dem Stimmgerät allein. Das Stimmen lernt man nur durch Übung, und auch wenn anfangs noch kein Unterschied feststellbar ist, wird man doch mit der Zeit immer besser. Von manchen wird es innerhalb weniger Tage erlernt, andere brauchen Wochen, bis es gelingt. Den größten Fehler, den man beim Flageolett-Stimmen machen kann, ist, es gar nicht erst zu versuchen.


Teil1 = Stimmen nach Stimmtönen
Teil2 = Stimmen mit Bünden
Teil3 = Stimmen mit Flageolett
vergleiche auch: Stimmen (Übersicht)



Fußnoten
  1. Die „Berechnungen“ sind formal gesehen nicht richtig aufgeschrieben, sondern stellen lediglich eine vereinfachte Kurzschrift dar.
    Additionen beziehen sich hier auf Bünde und Divisionen auf das Teilungsverhältnis der Saite.
    8 und 8 weisen auf Oktavsprünge hin.
  2. Die Einheit Hz wurde nach dem deutschen Physiker Heinrich Rudolf Hertz (sic!) benannt.
  3. Oktave: (seltener: „Oktav“, v. lat. octavus: „der achte“) bezeichnet hier den achten Ton nach dem A.
    A=1; B=2; C=3; D=4; E=5; F=6; G=7; A=8;
    (Die Vorzeichen müssen hier der Einfachheit halber nicht beachtet werden.)
  4. Quinte(seltener: „Quint“, v. lat. quintus: „der fünfte“) bezeichnet hier E als den 5. Ton nach dem A. vgl. Fußnote zur Oktave
  5. Der Kammerton ist ein gemeinsamer Ton nach dem Musikinstrumente eingestimmt werden. 1939 wurde die Frequenz für den Kammerton in London auf 440 Hz festgelegt.
  6. Dieses H ergibt sich aus einer gefünftelten G-Saite. Diese Terz entspricht einer Terz. Jedoch unterscheidet sich diese Terz einen Tick von der anderen Terz. Diese kleine Differenz ist ein Problem, mit dem sich besonders Klavierstimmer herumschlagen müssen.
  7. Nur die oberen drei 5-7-Vergleiche sind für die Praxis interessant.