Examensrepetitorium Jura: Zivilprozessrecht Erkenntnisverfahren: Klausurbasics 3
Erledigung der Hauptsache
BearbeitenAus Sicht des Klägers kann sich ein Prozess erübrigen, wenn z.B. der Schuldner die eingeklagte Forderung erfüllt. In dem Fall wird die Klage unbegründet (Forderung ist gemäß § 362 Abs. 1 BGB erloschen), d.h. müsste abgewiesen werden. Dem Kläger wären auch die Prozesskosten aufzuerlegen (§ 91 Abs. 1 S. 1 ZPO). Dieses Ergebnis kann natürlich nicht befriedigen, wenn die Klage zunächst begründet war und der Kläger sie für notwendig hielt. Auch die Kostenregelung des § 93 ZPO hilft dem Kläger nicht, wenn der Beklagte die Klageforderung nicht im Sinne von § 307 ZPO anerkennt. Zwar könnte der Kläger die entstandenen Prozesskosten als Verzugsschaden geltend machen (§§ 288 Abs. 4, 280 Abs. 1, 2, 286 BGB). Dazu wäre jedoch ein zweiter Prozess erforderlich, der Gläubiger hätte das Insolvenzrisiko des Schuldners zu tragen.
Die Praxis hat daher das prozessuale Institut der Erledigungserklärung geschaffen. Der Kläger erklärt also die Klage zu Protokoll oder mit Schriftsatz an das Gericht in der Hauptsache für erledigt. Der weitere Verlauf des Prozesses hängt von der Reaktion des Beklagten ab. Er kann sich der Erledigung entweder anschließen oder seinen Klageabweisungsantrag aufrecht erhalten.[1]
Übereinstimmende Erledigung
Bearbeiten§ 91a ZPO |
1. Rechtshängigkeit der Klage (§§ 261 Abs. 1, 253 Abs. 1 ZPO). 2. Klage muss nicht zulässig sein. 3. Beiderseits prozessual wirksame Erledigungserklärungen (= Vorliegen der Prozesshandlungsvoraussetzungen); beachte: kein Anwaltszwang (§§ 78 Abs. 3, 91a Abs. 1 ZPO). |
Aufgrund der im Zivilprozess geltenden Dispositionsfreiheit der Parteien, können sie den Prozess einvernehmlich beenden. Dies wird in § 91a ZPO vorausgesetzt. Die Regelung in der Norm betrifft nur noch die Kostenfolge dieses Vorgehens.
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Eine Erledigungserklärung des K liegt vor. Fraglich ist, ob sich B der Erledigung des K angeschlossen hat. Eine ausdrückliche Erledigungserklärung liegt zwar nicht vor, Prozesshandlungen sind jedoch auslegungsfähig und können sich auch aus schlüssigem Verhalten ergeben. Indem B keinen Antrag mehr zur Hauptsache, sondern nur noch einen Kostenantrag stellt, hat er sich konkludent der Erledigungserklärung des K angeschlossen (vgl. Schellhammer, Zivilprozess, 10. Aufl. 2003, Rn. 1702). Damit liegen übereinstimmende Erledigungserklärungen vor.
Wichtig: Es kommt nicht darauf an, dass der Rechtsstreit tatsächlich in irgend einer Weise erledigt ist. Allein entscheidend ist, dass die Parteien ihn für erledigt erklären. Nur dies ist Voraussetzung für den verfahrensbeendigenden Gerichtsbeschluss nach § 91a ZPO.
Das Gericht entscheidet daher gemäß § 91a ZPO durch Beschluss nur noch über die Kosten des Rechtsstreits, und zwar "unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen". Wichtigstes Kriterium dieser Ermessensentscheidung ist der hypothetische Ausgang des Prozesses, die ohne Erledigung zu erwarten gewesen wäre. Die Kosten einer unzulässigen oder unbegründeten Klage trägt also der Kläger, die Kosten einer zulässigen und begründeten Klage der Beklagte (Grundsatz gemäß § 91 ZPO), bei Teilobsiegen wird eine Kostenquote gebildet (Grundsatz gemäß § 92 ZPO).
Ausgehend davon kann die Kostenentscheidung durch Billigkeitsgesichtspunkte zu korrigieren sein. Hat der Beklagte z.B. keinen Anlass zur Klage gegeben, können auch bei voraussichtlichem Obsiegen dem Kläger die Kosten auferlegt werden (Wertung des § 93 ZPO).
Rechtsbehelf gegen den Kostenbeschluss ist die sofortige Beschwerde (§ 91a Abs. 2, §§ 567 ff. ZPO).
Einseitige Erledigung
BearbeitenEinseitige Erledigung |
I. Zulässigkeit der Klage 1. Rechtshängigkeit der urspünglichen Leistungsklage (§§ 261 Abs. 1, 253 Abs. 1 ZPO) 2. Erledigungserklärung des Klägers 3. Zulässigkeit der Klageänderung (§ 264 Nr. 2 ZPO) immer (+) 4. Feststellungsinteresse (§ 256 ZPO) immer (+) II. Begründetheit der Klage: Bestehen des Anspruchs auf Feststellung, dass die Klage in der Hauptsache erledigt ist 1. ursprüngliche Klage war anfänglich zulässig 2. ursprüngliche Klage war anfänglich begründet 3. ursprüngliche Klage ist ohne Zutun des Klägers unzulässig oder unbegründet geworden |
Die einseitige Erledigungserklärung[2] des Klägers ist gesetzlich nicht geregelt. Sie hat keine prozessbeendende Wirkung, denn dies gilt nur für die übereinstimmende Erledigung nach § 91a ZPO. Die Erklärung des Klägers ist auch keine Klagerücknahme im Sinne von § 269 Abs. 3 ZPO, denn diese führt zur Kostentragungspflicht des Klägers (S. 2 - eine Ausnahme besteht nach S. 3, wenn die Klage schon vor Rechtshängigkeit, also Zustellung an den Beklagten, zurückgenommen wird). Eine Umdeutung der Erledigungserklärung in eine Klagerücknahme scheidet daher aus[3].
Nach ganz h.M. handelt es sich bei der Erledigungserklärung vielmehr um eine Klageänderung: Die ursprünglich erhobene Leistungsklage wird in eine Feststellungsklage abgeändert (Klageänderungstheorie). Gegenstand der geänderten Klage ist die Feststellung, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist[4].
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K hat ursprünglich eine Leistungsklage erhoben, die nunmehr als unbegründet abzuweisen wäre (Forderung ist erloschen, § 362 Abs. 1 BGB). Seine Erledigungserklärung ist als Klageänderung zu verstehen: Anstelle des Leistungsantrags begehrt er nun Feststellung, dass der Klageanspruch in der Hauptsache erledigt ist. Eine solche Klageänderung ist gemäß § 264 Nr. 2 ZPO zulässig, da eine bloße Beschränkung des ursprünglichen Klageantrags vorliegt (im Leistungsantrag steckte schon die Feststellung). Das für die Feststellungsklage notwendige Feststellungsinteresse (§ 256 ZPO) liegt unproblematisch vor, da die Parteien über das Bestehen bzw. Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses streiten.
- Im Detail bestehen hinsichtlich der anwendbaren Normen Differenzen: Teilweise wird die Zulässigkeit der Klageänderung auf § 264 Nr. 3 oder § 263 ZPO gestützt[5]. Nach allen Ansichten ist die geänderte Klage jedoch unproblematisch zulässig.
Die Klage ist begründet, wenn dem K ein Anspruch auf Feststellung zusteht, dass die ursprünglich zulässige und begründete Klage ohne sein Zutun durch ein Ereignis nach Eintritt der Rechtshängigkeit unzulässig oder unbegründet geworden ist. Das ist hier der Fall: Durch Erfüllung ist die ursprüngliche Leistungsklage unbegründet. (Bei Zahlung auf eine Geldforderung durch Überweisung ist zu beachten, dass Erfüllung nicht schon mit Erteilung des Überweisungsauftrags, sondern erst mit Gutschrift auf dem Gläubigerkonto eintritt.)
Das Gericht entscheidet durch Urteil. Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, d.h. der Beklagte trägt die Kosten.
Billigkeitsgesichtspunkte spielen hier keine Rolle, da § 91a ZPO nicht anwendbar ist (gilt nur für die übereinstimmende Erledigung).
Teilerledigung
BearbeitenDer Vollständigkeit halber sei noch auf folgendes hingewiesen: Die oben dargestellten Regeln können auch auf Erledigungserklärungen, die nur einen Teil der Hauptsache betreffen, angewendet werden.
- Bei der übereinstimmenden Teilerledigung wird der weiterhin streitige Teil wie üblich behandelt, der erledigte Teil taucht nur noch in der Kostenentscheidung auf (die Kostenquote ergibt sich aus den §§ 91, 92 ZPO bzgl. des streitigen Teils und § 91a ZPO bzgl. des erledigten Teils).
- Bei der einseitigen Teilerledigung ändert der Kläger nur einen Teil der ursprünglichen Klage in eine Feststellungsklage. Es liegen also zwei Klageanträge vor, die getrennt zu behandeln sind.
Exkurs: Erledigung im Verwaltungsprozess
BearbeitenIm Verwaltungsprozess läuft die Erledigung der Hauptsache ganz ähnlich ab wie im Zivilprozess. Daher kann die Gelegenheit genutzt werden, einen Blick auf die Parallelproblematik zu werfen.[6]
Die übereinstimmende Erledigung
BearbeitenIn der VwGO ist wie in der ZPO nur die Kostenfolge der übereinstimmenden Erledigung geregelt: § 161 Abs. 2 VwGO enthält eine § 91a ZPO entsprechende Regelung. Das oben Gesagte kann insoweit also auf den Verwaltungsprozess übertragen werden. Wie im Zivilprozess wäre die Klagerücknahme (§ 92 VwGO) für den Kläger kostenungünstig (§ 155 Abs. 2 VwGO).
Entsprechend § 91a ZPO hängt auch die Erledigung nach § 161 Abs. 2 VwGO nicht davon ab, dass ein erledigendes Ereignis tatsächlich stattgefunden hat. Auch im Verwaltungsprozess sind die Parteien insoweit dispositionsbefugt[7].
Eine verwaltungsprozessuale Besonderheit betrifft allerdings den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit der Klage: Sie tritt nicht wie im Zivilprozess mit Zustellung an den Beklagten ein (§§ 261 Abs. 1, 253 Abs. 1 ZPO), sondern gemäß § 90 VwGO bereits mit Erhebung der Klage beim Verwaltungsgericht (im Zivilprozess begründet dies erst die sog. Anhängigkeit).
Eine weitere Besonderheit ist, dass der Beschluss aufgrund § 161 Abs. 2 VwGO nicht anfechtbar ist[8].
Die einseitige Erledigung
BearbeitenFür die einseitige Erledigung enthält die VwGO ebenso wie die ZPO keine Regelung, so dass auf die zum Zivilprozess entwickelte Klageänderungstheorie zurückgegriffen wird. Die Zulässigkeit der Klageänderung ergibt sich ebenfalls aus § 264 Nr. 2 ZPO, denn § 173 VwGO verweist auf die ZPO, soweit die VwGO selbst keine Regelung enthält. (Zum selben Ergebnis kommt das BVerwG, das eine privilegierte Klageänderung sui generis annimmt.) Die Erklärung des Klägers muss auch hier von der Klagerücknahme (§ 92 VwGO) abgegrenzt werden. Im Zweifel darf auch hier wegen der ungünstigen Kostenfolge (§ 155 Abs. 2 VwGO) keine Klagerücknahme angenommen werden. Das Feststellungsinteresse (§ 43 Abs. 2 VwGO) für die geänderte Klage ist ohne weiteres zu bejahen. Auch die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO liegt immer vor (sofern man die Norm auf die Feststellungsklage überhaupt anwenden will).
Eine wesentliche Abweichung zur einseitigen Erledigung im Zivilprozess ergibt sich jedoch bei der Begründetheit der Feststellungklage: Im Zivilprozess ist die Feststellungsklage begründet, wenn die ursprüngliche Klage Erfolg gehabt hätte, was später durch ein erledigendes Ereignis jedoch nicht mehr der Fall ist (siehe oben). Aufgrund der Wertung des § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO sind nach Ansicht des BVerwG jedoch die Erfolgsaussichten der ursprünglichen Klage nicht mehr zu prüfen; es komme allein auf das rein tatsächliche Vorliegen eines erledigenden Ereignisses an. Eine Ausnahme gilt für den Fall, dass der Beklagte ein berechtigtes Interesse (entsprechend § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO) an der Feststellung zum Erfolg der ursprünglichen Klage hat; ansonsten käme man zum unbilligen Obsiegen des Klägers, wenn dieser z.B. eine offensichtlich unzulässige oder unbegründete Klage erhebt, aber ein erledigendes Ereignis fehlt.
Verhältnis der Erledigterklärung zur Fortsetzungsfeststellungsklage
BearbeitenAuch diese Klage betrifft eine Erledigungssituation. Liegen die Voraussetzungen gemäß § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO vor, kann der Kläger seinen Klageantrag auf Feststellung, dass der ursprünglich angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig war, umstellen. Obsiegt er im Prozess, trägt der Beklagte die Kosten (§ 154 Abs. 1 VwGO). In dem Fall besteht kein Bedürfnis für eine Erledigterklärung (den Parteien bleibt aber immer die Möglichkeit, übereinstimmende Erledigterklärungen abzugeben).
Aus der Formulierung "außer in den Fällen des § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO" in § 161 Abs. 2 VwGO lässt sich ableiten, dass Hauptsacheerledigung und Fortsetzungsfeststellungsklage gleichberechtigt nebeneinander stehen[9]. Die Fortsetzungsfeststellungsklage verlangt jedoch ein besonderes Feststellungsinteresse. Wenn der Kläger kein solches geltend machen kann, ist er auf die Erledigterklärung angewiesen.
Beispiel
BearbeitenDer Oberbürgermeister der Stadt W verfügt, dass X sein Dach zu sichern hat, da ständig Dachziegeln auf den Gehweg herunterfallen. Zwei Tage nach Klageerhebung gegen die Ordnungsverfügung wütet ein grausamer Sturm. Das Dach wird vollständig abgedeckt.
In diesem Fall wäre das Rechtsschutzbedürfnis für eine Anfechtungsklage gegen die Ordnungsverfügung entfallen. Um eine Abweisung der Klage als unzulässig zu vermeiden, kann der X als Kläger zweierlei tun:
(Hier kommt der Unterschied zwischen der einseitigen Erledigungserklärung und der Fortsetzungsfeststellungsklage zum tragen)
1. X könnte könnte den Rechtsstreit für einseitig als erledigt erklären. Die Folge wäre, dass das Gericht nicht mehr über die Sache selbst entscheiden muss. Es entscheidet ausschließlich nur noch über die Kostentragungspflicht und die Erledigung als solche. Zur Sache selbst fällt keine Entscheidung!
2. X könnte aber auch sein Klagebegehren umstellen (Klageänderung gem. § 173 VwGO i.V.m. § 264 Nr.2 ZPO) und die gerichtliche Entscheidung verlangen. Dies kann er mit der Fortsetzungsfeststellungsklage! Das Gericht entscheidet nicht nur über die Kosten, sondern auch in der Sache selbst! Um die FFK jedoch geltend machen zu können, bedarf es eines sog. Fortsetzungsfeststellungsinteresses. z.B. Wiederholungsgefahr, Rehabilitationsinteresse und Präjudizitätsinteresse. Kurze und effektive Grundrechtseingriffe begründen auch ein Feststellungsinteresse (z.B. Art. 13 GG und Durchsuchung einer Wohnung)
Da wie hier im Beispielfall X kein besonderes Feststellungsinteresse besitzt, ist ihm zu empfehlen den Rechtsstreit für erledigt zu erklären. Eine Fortsetzung des Rechtsstreits in Form der FFK hätte nur Sinn, wenn die Ordnungsverfügung nicht zulässig oder nicht begründet wäre.
Anmerkungen
Bearbeiten- ↑ Zur Erledigung siehe Schellhammer, Zivilprozess, 10. Aufl. 2003, Rn. 1700 ff.; Zimmermann, ZPO-Fallrepetitorium, 5. Aufl. 2004, Fälle 212 ff.
- ↑ Besprechung einer Examensklausur mit einseitiger Erledigung bei Musielak, JuS 2006, 50 ff.
- ↑ Schellhammer, Zivilprozess, 10. Aufl. 2003, Rn. 1718.
- ↑ Schellhammer, Zivilprozess, Rn. 1720.
- ↑ Für letzteres Musielak, JuS 2006, 50.
- ↑ Dazu ausführlich Deckenbrock/Dötsch, Die Erledigung der Hauptsache im Verwaltungsprozess, JuS 2004, 489 ff., 589 ff., 689 ff.
- ↑ Deckenbrock/Dötsch, JuS 2004, 489 (491).
- ↑ Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, § 161 Rn. 19.
- ↑ Deckenbrock/Dötsch, JuS 2004, 689 (690).