Diskussion:Der Dresdner Missions-Hilfsverein/ Samuel David Roller
Louis Oeser: Album der Sächsischen Industrie. Verlag Louis Oeser, Neusalza 1856, Band 1, Seite 61–63
Die Chocoladen- & Cichorien-Fabrik von Jordan und Timäus in Dresden.
Dresden machte früher keinen Anspruch darauf, Fabrik- oder Handelsort zu sein; als Aufenthalt des Hofes, der Sitz der mehrsten hohen Behörden des Landes, sowie durch den beständigen Besuch zahlloser Fremden, fanden die Bewohner der Residenzstadt dadurch ihre hauptsächliche Nahrungsquelle und die Erzeugnisse der wenigen fabrikmäßig betriebenen Gewerbe beschränkten sich hauptsächlich auf Luxusgegenstände, berechnet für die Consumtion der hier und in der reizenden Umgebung wohnenden höheren Stände, sowie der zuströmenden Fremden; eine weitere Ausfuhr – welche durch die Wasserstraße der Elbe mit begünstigt wurde – fand nur bei wenigen Artikeln Statt. – Dem am 31. Januar 1834 gegründeten Gewerbeverein war es vorbehalten, eine vermehrte Thätigkeit auf diesem Gebiet hervorzurufen, er machte es sich zur Aufgabe, nach besten Kräften den Fabrikbetrieb in der Residenz zu heben und seine Bestrebungen waren nicht ohne Erfolg. Aber einen immer raschern Aufschwung nahm die Industrie, als Dresden nach und nach der Knotenpunkt mehrerer Eisenbahnen wurde, welche den schnellen Verkehr nach allen Richtungen hin erleichtern; höher hob sich die industrielle Thätigkeit, zahlreiche Fabriken in allen Branchen entstanden, oder sind seit neuester Zeit im Entstehen begriffen und erfreuen sich fast ohne Ausnahme der schönsten Blüthe; es befinden sich selbst welche darunter von europäischem, ja, einige haben selbst Weltruf erlangt.
Wir meinen damit vor Allen die Chokoladen- und Cichorien-Fabrik von Jordan und Timäus, welche nicht nur das umfangreichste industrielle Etablissement Dresdens ist, sondern in seiner Branche hinsichtlich der Großartigkeit des Fabrikbetriebs und der Ausdehnung seiner geschäftlichen Verbindungen wohl [62] in ganz Deutschland ihres Gleichen nicht findet, und von welcher man mit Zuversicht behaupten kann, daß sie auf einem großen Theil der bewohnten Erde bekannt ist, also wirklichen Weltruf besitzt.
Der umfangreiche Gebäude-Complex des Etablissements befindet sich auf dem rechten Elbufer, in Antonstadt-Dresden, Allaungasse Nr. 20 und besteht aus sechs Haupt- und acht Nebengebäuden, bei deren Aufstellung von vornherein ein großartiger Hauptplan nicht projectirt werden konnte, da anfangs das zu Gebote stehende Areal zu beschränkt war und erst durch Ankäufe nach und nach vergrößert wurde, und auch die Nothwendigkeit weiterer Ausdehnung erst im Lauf der Jahre bei zunehmenden Aufschwung des Fabrikbetriebs herausstellte. Dennoch ist auf die isolirte Situation sämmtlicher Gebäude, sowie darauf Rücksicht genommen, dieselben im Innern mit bis über die Dächer geführten Brandmauern zu versehen, welche Abtheilungen bilden, die im Fall eines entstehenden Brandes einzeln vertheidigt werden und das Etablissement vor einem totalen Brandschaden sehr wesentlich schützen können.
Außer bei dem einen in einfachen, geschmackvollen Styl aufgeführten Wohngebäude ist bei den übrigen Baulichkeiten auf äußere architektonische Ausstattung keine Rücksicht genommen, wohl aber auf eine, ihrem Zweck vollständig entsprechende Construction.
Die Gebäude enthalten:
- die durch Dampfkraft in Betrieb gesetzten Mühlen und Maschinen verschiedener Art, beider, jedoch völlig von einander getrennter, Fabriksbranchen;
- die erforderlichen Arbeitsräume, Packsäle und große Magazine, gewölbte sehr große Keller zur Lagerung ansehnlicher Massen von Fabrikaten und Rohmaterialien, letztere bestehend in Cacao, Zucker, Gewürzen u.s.w., sowie auch in gedörrten Cichorien-, Runkelrüben- und Möhrenwurzeln und anderen Erfordernissen;
- die Localitäten für rohe und gefärbte Papiere, eine Papierfärberei und Etiquettendruckerei;
- die Böttcherei, Werkstatt für Fertigung von Kisten, eine Schmiede;
- ein Spritzenhaus;
- die Wohnungen für einige Familien, und
- ein Wächterhaus mit einer Thurmuhr und einer Glocke, zur präcisen Regelung der Arbeitszeit.
Hierzu gehören noch ein Zier- und ein Gemüsegarten und ein angrenzendes Feldstück und das Ganze umfaßt ein Areal von zwölf Scheffeln, wovon die gegenwärtig vorhandenen Fabrikgebäude einen Raum von sechs Scheffeln einnehmen, also noch hinreichend Platz für projektirte neue Bauten übrig bleibt.
In Neustadt-Dresden besitzt das Etablissement am Palaisplatz das Haus Nr. 6, in welchem sich das Comptoir für Besorgung der merkantilen Arbeiten, das Verkaufsgewölbe, sowie Niederlagen und Packräume der zur Versendung bestimmten Fabrikate befinden.
Die Hauptbranchen des Etablissements sind:
- eine Fabrik für Caffe-Surrogate und
- eine Fabrik für Cacao-Fabrikate;
als Nebenbranchen werden noch betrieben:
- eine Fabrik für Bleiweis und Blaufarben und
- Fabrikation von Waizenstärke und Kartoffelmehl.
Die Haupterzeugnisse der Chocoladen-Fabrik sind:
- Trink-Chocoladen und Cacao-Massen in Tafelform, als Vanille, Gewürz- und Sanitäts-Chocoladen in den mannigfaltigsten Qualitäten; entölte Cacaos und sogenannte arabische Chocoladen, sowie Racahout de l’Orient;
- Dessert-Chocoladen in Täfelchen, Pasten, Papilloten, Blumen, Bonbons u.s.w.;
- Vanille-, Gewürz- und Gesundheits-Pastillen, auch Chocolat praliné;
- figurirte Chocoladen in mehr als fünfzehnhundert Variatäten, in allen Genres und Größen, bestehend in menschlichen und Thierfiguren, Büsten, Theater-Costüms, Früchten, Blumen, [63] Waffen, Hausggeräthschaften, imitirten Fleischwaaren; Metaillen, Monumenten etc., von denen viele sich durch wahrhaft künstlerische Ausführung auszeichnen und die Natur täuschend nachahmen, und
- Cacao-Massen in Blöcken.
Die Fabrik für Caffee-Surrogate liefert:
- Cichorien-, Runkelrüben-, Möhren-, Eicheln-, Gersten-, Korn- und mehrere andere dergl. Sorten Caffes.
Die Nebenbranchen erzeugen:
- Ultramarin in allen Nüançen;
- Bleiweis und Zinkweis, trocken und auch in Lein- u. Mohnöl abgerieben, und
- Weizenstärke und Kartoffelmehl.
Außerdem hält das Etablissement ein großes Lager chinesischen schwarzen und grünen Thee’s.
Diese Fabrikate, welche sich seit einer langen Reihe von Jahren der allgemeinsten Anerkennung erfreuen, finden ihren Hauptabsatz außer in sämmtlichen Staaten des Zollverbandes, auch nach vielen andern europäischen Ländern, sowie nach Süd- und Nord-Amerika und Australien.
Die Chocoladen befanden sich auf den Ausstellungen zu Mainz, Berlin, Dresden, London und München, wo die betreffenden Beurtheilungs-Commisionen durch Zuerkennung von Preismedaillen etc. sie ehrend auszeichneten.
Als bewegende Kraft für Maschinen zum Rösten und Mahlen der Rohstoffe, als: Cacao, Zucker, Gewürze, Wurzeln u.s.w. dienen drei Dampfmaschinen und zwar
- zwei mit Hochdruck von 16 und 8 Pferdekraft, und
- einer mit Niederdruck von 10 Pferdekraft.
Unter den aufgestellten Maschinen befinden sich viele, deren Construction in Deutschland anderweit noch nicht bekannt ist.
Besitzer des Etablissements sind die Herren G. H. C. Jordan, Ernst Jordan und Eduard Timäus, und dieselben beschäftigen fortwährend zwölf Comptoiristen, einen Maschinisten, einen Modelleur, zwei Reisende, zwei Factoren, wo Jeder eine der beiden Hauptbranchen leitet, und zweihundert Fabrikarbeiter.
In Bodenbach bei Tetschen besitzt das Etablissement eine für die kaiserlich österreichischen Staaten berechnete zweite Chocoladen- und Cichorien-Fabrik, von welcher in Wien, am Prater Nr. 575, und in Prag, am Graben Nr. 969, Hauptlager unterhalten werden. Es ist dieselbe nach dem Muster der Dresdner Fabrik eingerichtet.
Die Entstehung des jetzt zu so großartiger Ausdehnung gelangten Etablissement datirt sich aus dem Jahre 1823, wo die Herren G. H. C. Jordan und A. P. Timäus mit der Gründung der Cichorien-Fabrik begannen, welcher im Jahr 1830 die Errichtung der Chocoladen-Fabrik folgte. Die ansehnlichen Erweiterungen, welche das Etablissement erhielt, erfolgten im Lauf der Zeit successive, sowie deren Nothwendigkeit bei der stets vergrößerten Ausdehnung des Geschäftsbetriebs sich herausstellte. Anderweite Anlagen und Vergrößerungen stehen in nächster Zeit noch zu erwarten.
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