Astronomische Berechnungen für Amateure/ Zeit/ Zeitgleichung

Im vorangehenden Kapitel haben wir von der wahren Sonnenzeit WOZ und der mittleren Sonnenzeit MOZ geschrieben. Die Differenz der beiden Zeitangaben heisst Zeitgleichung ZGL[1]:

Ist der Wert der Zeitgleichung positiv, so gibt sie an, um wieviel eine einfache Sonnenuhr gegenüber einer gewöhnlichen Uhr vorgeht. Sie hat zwei Maxima und zwei Minima sowie vier Nullstellen, vier Mal im Jahr zeigt also auch eine einfache Sonnenuhr die mittlere Sonnenzeit:

Wichtige Punkte der Zeitgleichung
Absolute Extremwerte Relative Extremwerte Nullstellen
11. Februar –14 min 15 sec 15. April
14. Mai +3 min 41 sec 13. Juni
26. Juli –6 min 30 sec 1. September
3. November +16 min 25 sec 25. Dezember

Die Angaben sind als Richtgrössen zu nehmen, denn sie können sich von Jahr zu Jahr etwas ändern. Grundsätzlich setzen sich die Werte der Zeitgleichung aus zwei Effekten zusammen:

  • Zum einen befolgt die Erde auf ihrer Bahn um die Sonne das zweite Keplersche Gesetz, ist also in Perihelnähe schneller als in Aphelnähe; die Bewegung der wahren Sonne ist das Abbild dieser Erdbewegung. Demgegenüber bewegt sich die mittlere Sonne mit konstanter Geschwindigkeit am Erdhimmel.
  • Die mittlere Sonne bewegt sich auf dem Himmelsäquator, ändert also im Laufe eines Jahres ihre Kulminationshöhe nicht. Dagegen hat die wahre Sonne im Sommer eine deutlich grössere Kulminationshöhe als im Winter. Während sich also die mittlere Sonne unter den Hintergrundsternen von einem Tag zum nächsten nur um knapp 1° von Westen nach Osten verschiebt (Betrachtung im Kulminationspunkt), kommt bei der wahren Sonne noch eine Nord-Süd-Verschiebung dazu. Für die Zeitgleichung ist aber nur die West-Ost-Verschiebung massgebend.

Der erste Effekt hat eine Periode von einem Jahr, zwei Mal im Jahr ist er Null: anfangs Januar und anfangs Juli. Denn wir erinnern uns: wahre und fiktive Sonne starten gleichzeitig im Perihel und erreichen gleichzeitig das Aphel. Der Periheldurchgang ist aber um den 3. Januar, der Apheldurchgang um den 5. Juli. Der zweite Effekt hat eine Periode von einem halben Jahr, vier Mal im Jahr ist er Null: zu den Zeiten der Äquinoktien (21. März und 23. September) und zu den Zeiten der Solstitien (21. Juni und 21. Dezember). Addieren wir den Geschwindigkeits- und den Bewegungseffekt, so erhalten wir die bekannte Darstellung für den grafischen Verlauf der Zeitgleichung im Laufe eines Jahres.


Beispiel einer einfachen Sonnenuhr mit geradem Gnomon und geraden Stundenlinien auf dem Zifferblatt
Ein Analemma mit den wichtigsten Daten.
Sonnenuhr mit Analemma an der Kirche von Ettiswil.

Mehrfach wurde bisher eine „einfache Sonnenuhr“ erwähnt. Damit meinen wir eine Sonnenuhr, die einen einfachen, geraden Stab als Gnomon verwendet, und die gerade, meist radial vom Fusspunkt des Gnomon nach aussen verlaufende Linien als Stundenmarkierungen verwendet. Liest man von einer solchen Sonnenuhr die Uhrzeit ab, dann handelt es sich um die WOZ, und man muss diese Zeit mit dem für den jeweiligen Tag gültigen Wert der Zeitgleichung korrigieren, um MOZ zu bekommen. Es ist jedoch möglich, den Gnomon[2] so zu konstruieren, dass er gleich die Korrektur um die Zeitgleichung enthält. Dazu geht man von folgender Überlegung aus: trägt man in einem rechtwinkligen x-y-Koordinatensystem in Richtung der Abszisse, also der x-Achse, die Werte der Zeitgleichung ab, und in Richtung der Ordinaten, also der y-Achse, die Deklination der wahren Sonne, so erhält man eine leicht zerdrückte 8 als Grafik, das sog. Analemma. Wird der Gnomon oder werden die Stundenlinien des Zifferblattes als Analemma gestaltet, das zudem an den richtigen Stellen mit den zugehörigen Daten versehen ist, dann beinhaltet eine solche Sonnenuhr gleich die Korrektur mit der Zeitgleichung und zeigt nicht mehr WOZ, sondern die gleichmässig ablaufende MOZ. Wer die nötige Geduld und die Fähigkeiten im Umgang mit einem Bildbearbeitungsprogramm besitzt, kann ein Analemma fotografieren. Dazu wird über ein Jahr immer wieder zur exakt gleichen Zeit die Sonne fotografiert. Pro Monat sollten mindestens ein bis zwei Bilder aufgenommen werden. Setzt man die Bilder danach mit einem Bildbearbeitungsprogramm zu einem einzigen Kompositbild zusammen, so formen die Sonnenbilder ein Analemma.

Die Bahn der Erde ist über lange Zeit nicht unveränderlich, insbesondere verändern sich die Lage des Perihels und die Bahnexzentrizität. Dies beeinflusst die Bewegung der wahren Sonne am Erdhimmel. Der Himmelsäquator als Projektion des Erdäquators an die Himmelskugel ist auch nicht unveränderlich, sondern unterliegt der Präzession. All die Störungen haben zur Folge, dass sich die Bewegung von wahrer und mittlerer Sonne im Laufe der Zeit langsam ändern. Damit verändert sich aber auch die Zeitgleichung: beispielsweise war das Februarextremum vor 5000 Jahren deutlich tiefer und nimmt seither laufend ab. Dagegen wird das Juliextremum immer grösser, und in rund 2000 Jahren wird es grösser sein als das dannzumalige Februarextremum, wobei der Unterschied zwischen den beiden noch nicht sehr gross sein wird. Anders das Novemberextremum: vor 5000 Jahren war es noch kleiner als das Maiextremum, und in den nächsten 2000 Jahren wird es noch weiter anwachsen. Das Maiextremum ist dagegen in den letzten 5000 Jahren laufend kleiner geworden, und diese Abnahme wird sich auch in den nächsten 2000 Jahren noch weiter fortsetzen. So bleibt zwar über eine Zeit von rund 7000 Jahren die grundsätzliche Form der Zeitgleichungskurve mit zwei Gipfeln im Mai und November sowie zwei Tälern im Februar und Juli erhalten. Aber die Details (Höhe der Gipfel und Tiefe der Täler; welcher Wert ist absoluter, welcher relativer Extremwert) ändern sich in dieser Zeit merklich.



Übungen

  • Was bedeutet die Feststellung: „Die Zeitgleichung hat am 3. November den Wert 16 min 25 s“ für die Zeitangabe einer einfachen Sonnenuhr?
  • Schauen Sie in einem astronomischen Jahrbuch oder in einem Kalender nach: wann war 2007 der späteste Sonnenaufgang, wann der früheste Sonnenuntergang? Was haben diese Zeiten mit der Zeitgleichung zu tun?



Nachweis:

  1. Früher war die Zeitgleichung gerade mit umgekehrtem Vorzeichen definiert.
  2. Alternativ kann man statt des Gnomons auch die Stundenlinien auf dem Zifferblatt entsprechend gestalten.