Öffentliches Recht im 2. Staatsexamen: Versammlungsrecht
Das Versammlungsrecht ist in hohem Maß examensrelevant. Die Gesetzgebungskompetenz liegt seit der Föderalismusreform bei den Ländern. In Bundesländern, in denen (noch) kein eigenes Versammlungsgesetz erlassen wurde (z.B. Berlin) gilt das Versammlungsgesetz (VersG) nach Art. 125a GG weiter.
Anwendungsbereich des VersG
BearbeitenSachlich ist das VersG nach § 1 VersG anwendbar, soweit eine öffentliche Zusammenkunft mehrerer Personen (nach h.M.: mindestens zwei) zum gemeinsamen Zweck der kollektiven Meinungskundgabe vorliegt. Umfasst sind auch Versammlungen von Ausländern (Art. 8 Abs. 1 GG ist hingegen reines Deutschengrundrecht). Ist die Versammlung nicht-öffentlich ist nach einer Ansicht das allgemeine Polizeirecht anwendbar, allerdings wegen Art. 8 Abs. 1 GG mit der Einschränkung, dass Eingriffe nach der Generalklausel nur zum Schutz der Grundrechte Dritter oder von Werten mit Verfassungsrang zulässig sind. Nach anderer Ansicht ist das VersG hier analog anzuwenden. Als Ermächtigungsgrundlage dient das VersG zudem nur für versammlungsspezifische Gefahren, nicht aber für Gefahren die zufällig mit der Versammlung zusammentreffen (z.B. ein Baum, der entlang der Demonstrationsstrecke umzufallen droht).
Zeitlich ist das VersG nur während der Versammlung bis zu deren Auflösung anwendbar. Vorfeldmaßnahmen vor Versammlungsbeginn (z.B. Durchsuchung von potentiellen Teilnehmern nach Waffen) fallen nach h.M. unter das allgemeine Polizeirecht.
Zuständige Behörde
BearbeitenZuständig für Anordnungen nach dem VersG ist in Berlin der Polizeipräsident in Berlin gemäß § 15 Abs. 1 S. 1 VersG, § 4 Abs. 2 S. 1 AZG, § 2 Abs. 4 S. 1 ASOG i.V.m. Nr. 23 Abs. 2 ZustKat ASOG.
Zulässige Maßnahmen nach dem VersG
BearbeitenAls lex specialis des besonderen Gefahrenabwehrrechts geht das VersG innerhalb seines Anwendungsbereichs dem sonstigen Polizei- und Ordnungsrecht vor. Maßnahmen gegen Versammlungsteilnehmer während der Versammlung können daher nicht auf andere Ermächtigungsgrundlagen gestützt werden (sog. Polizeifestigkeit des Versammlungsrechts).
Vor Beginn der Versammlung kann die zuständige Behörde nach § 15 VersG die Versammlung verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen. Dem Wortlaut des § 1 Abs. 3 VersG nach hingegen kann die Versammlung nach Beginn nur aufgelöst werden. Dies stellt nach h.M. eine planwidrige Regelungslücke dar: Über den Wortlaut der Norm hinaus soll auch nach Beginn der Versammlung die Erteilung von Auflagen als milderes Mittel zur Auflösung zulässig sein.
Voraussetzung für alle Maßnahmen nach § 15 VersG ist das Vorliegen einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung. Wegen der grundrechtlichen Verbürgung der Versammlungsfreiheit in Art. 5 und Art. 8 GG ist der Begriff eng auszulegen. Unmittelbar gefährdet ist ein Schutzgut demnach nur, wenn es Verfassungsrang hat und die Prognose der Gefährlichkeit auf tatsächlichen Anhaltspunkten, nicht bloßen Vermutungen basiert. Die Anhaltspunkte müssen sich auf die konkrete Versammlung beziehen, allgemeine Erwägungen wie "bei Nazi-Aufmärschen kommt es regelmäßig zu Gewalt" genügen nicht.[1]Je größer der zu erwartende Schaden ist, desto geringere Anforderungen sind jedoch an die Wahrscheinlichkeit seines Eintritts zu stellen.[2]
Eine Gefahr im Sinne des § 15 VersG für die öffentliche Ordnung kann sich nicht aus dem Inhalt der Versammlung ergeben, sondern muss aus sonstigen Umständen folgen.[3] Die mit dem Verbot einer Versammlung einhergehende Einschränkung der Meinungsfreiheit kann nur gerechtfertigt sein, wenn die zu äußernden Meinungen einen Straftatbestand erfüllen, in diesem Fall ist aber schon die öffentliche Sicherheit einschlägig.
Liegen die Voraussetzungen des § 5 VersG vor, oder wurde die Versammlung unter Verstoß gegen § 14 VersG bewusst nicht angemeldet, um einen Polizeieinsatz zu verhindern, liegt regelmäßig eine unmittelbare Gefahr vor.[4] Die fehlende Anmeldung ist hingegen kein Auflösungsgrund, wenn es sich um eine sog. Spontanversammlung handelt. Als milderes Mittel zur Auflösung sind polizeirechtliche Standardmaßnahmen im Einzelfall möglich.
Störerauswahl
BearbeitenGrundsätzlich sind Maßnahmen nach § 15 VersG nur gerechtfertigt, wenn die Störung vom Veranstalter der Versammlung selbst ausgeht, weil er die unmittelbare Gefahr selbst herbeiführt oder sie ihm zuzurechnen ist (z.B. bei Aufruf zu Gewalt). Geht die Gefährdung nicht vom Lager des Veranstalters, sondern von Dritten (z.B. Gegendemonstranten, "schwarzer Block") aus, kann der Veranstalter nur ausnahmsweise als Zweckveranlasser in Anspruch genommen werden. Anerkannt ist die Figur des Zweckveranlassers, wenn die Gefahr vom Veranstalter bewusst oder zwangsläufig herbeigeführt wird.
Eine Inanspruchnahme als Nichtstörer kommt hingegen nur unter den engen Voraussetzungen des polizeilichen Notstands infrage. Ein polizeilicher Notstand setzt voraus, dass die Gefahr anders als durch die Inanspruchnahme des Veranstalters nicht abgewendet werden kann, auch wenn die Behörden alle verfügbaren Kräfte zusammenziehen, ohne vorrangige staatliche Aufgaben vernachlässigen zu müssen.[5]
Rechtsschutz
BearbeitenVersammlungsrechtliche Verfügungen ergehen als Verwaltungsakte. Verfügungen sind daher in der Hauptsache per Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO bzw. Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analog oder direkt anzugreifen.
Regelmäßig ist aber nur Eilrechtsschutz nach § 80 Abs. 5 effektiv.
Literatur
BearbeitenMeßmann: Das Zusammenspiel von Versammlungsgesetz und allgemeinem Polizeirecht, JuS 2007, 524