Studienführer Hans Albert: Charakterisierung der Philosophie Hans Alberts
Hans Alberts Kritischer Rationalismus untersucht Prozesse, wie Wissen neu entdeckt, gerechtfertigt und anerkannt wird. Typische Forschungsgegenstände sind Theorien, empirische Tatsachen, die Prüfung von Theorien, deren Bewährung und Wahrheitsnähe; die Suche nach Fehlern und Alternativen; das Bewerten der Ergebnisse, der Umgang mit Werten in der Wissenschaft und der soziale Charakter der Wissenschaft.
Die grundlegende methodologischen Regeln, die sich hier als relevant erwiesen haben, sind so allgemeiner Natur, dass sie in allen Wissenschaften und jeder zielgerichteten menschlichen Tätigkeit eine Rolle spielen können, vor allem auch in den Sozial- und Kulturwissenschaften.
Schon Karl Popper hatte die Analyse der naturwissenschaftlichen Methode ins Zentrum des philosophischen Denkens gerückt und auf diesem Gebiet Pionierarbeit geleistet. Aber erfolgreiche Naturforscher haben nicht allzu viel Neues bei ihm lernen können, außer ihre eigene Praxis nicht länger als induktivistisch, also falsch, zu interpretieren. Hans Albert geht es daher um die viel wichtigere Übertragung dieser Methoden auf andere Wissenschaften und ins politische Alltagsdenken.
Auch hier hatte Popper wichtige Beiträge geliefert, etwa das Programm einer ›offenen Gesellschaft‹ sowie methodische Vorschläge für die Sozial- und Geschichtswissenschaft. Trotzdem steht der eigentliche Umbruch in den Kultur-, Geistes- und Gesellschaftswissenschaften noch aus. Denn in diesen Disziplinen herrschen zum großen Teil noch immer unzulängliche Methoden vor, die fundamentalistisch, relativistisch, positivistisch, induktivistisch, sprachanalytisch, universalhermeneutisch, pragmatisch, dialektisch, radikal-konstruktivistisch usw. inspiriert sind.
An dieser Stelle kommt Hans Alberts Kritischer Rationalismus zum Zuge: seine Wissenschaftslehre für Wissenschaften, die nicht nur nach Wahrheit und gehaltvollen Theorien suchen, sondern auch andere Ziele verfolgen, wie etwa die Steuerung der Gesellschaft, - nicht die zentrale Steuerung, sondern die durch Regeln, Normen, Verfassungen und andere Institutionen. Das sind Disziplinen wie die Ökonomie, die politische Theorie, die Soziologie, die Rechts-, Erziehungs-, Medien-, Geschichts- und Kulturwissenschaften (Cultural Studies), letztere auch mit ihrem Unterprogramm der Gender Studies, oder auch die Theologie. In der Ökonomie und den Sozialwissenschaften beginnt das Albertsche Konzept bereits Fuß zu fassen; einigen Theologen hat es zu schaffen gemacht.
Um Alberts Werke zu studieren, empfiehlt es sich, sein Augenmerk auf vier Arbeitsgebiete zu richten:
- Die Ausarbeitung des Kritischen Rationalismus in Bezug auf die Rechtfertigung von Theorien und Argumenten, das Zusammenspiel von Wertung und Erkenntnis, die rationale Beurteilung von Werten und Zielen, den Zusammenhang von Verstehen und Erklären, die rationale Heuristik sowie das Funktionieren des sozialen Charakters der Wissenschaften und die Analyse ihrer methodologischen Institutionen.
- Die kritisch-rationale Methodenlehre für diejenigen Wissenschaften, die nicht nur nach wahren und gehaltvollen Theorien suchen, sondern noch eine Reihe anderer Ziele verfolgen und etwa mit der Durchsetzung individueller Freiheit, der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, der Offenheit gegenüber Kritik und anderen Lebensweisen die Steuerung der Gesellschaft im Auge haben.
- Die Auseinandersetzung mit konkurrierenden Lehren, die Alberts Kritischem Rationalismus Gelegenheit gibt, sich zu bewähren oder sich zu korrigieren.
- Die Umsetzung des Kritischen Rationalismus als Lebensweise, die von Fundamentalismus und Relativismus ebenso befreien könnte, wie von Dogmatismus und Fanatismus; vor allem auch von kostspieligen politischen Abenteuern utopistischer Weltverbesserung.
In diesen vier Richtungen bietet Hans Albert den idealen Ausgangspunkt für ein systematisches Studium des Kritischen Rationalismus und für die weitere Forschung. Während Popper in seinen sozialwissenschaftlichen Arbeiten sich an Leser richtet, die verstehen wollen, und deshalb – außer im Elend des Historizismus - auf technische Präzision verzichtet, sucht Albert bewusst die wissenschaftliche Auseinandersetzung und macht seine Argumente so stringent, dass auch Andersdenkende kein einfaches Davonkommen haben.
Viele seiner Positionen sind daher auch von seinen einstigen Diskussionsgegnern verstanden und übernommen worden. Von den bekannteren unter ihnen werden sie sogar mehr verbreitet als durch ihn selbst, zum Teil allerdings ohne Nennung seines Namens. Weniger schnell verbreitet sich seine Kritik an Autoren wie Heidegger, Gadamer, Apel und Habermas, deren Werke in der angelsächsischen Welt stärker als die Alberts als ›modern German philosophy‹ rezipiert werden. Die durchschlagenden Albertschen Kritiken an ihren Lehren werden weniger beachtet.
In Fachkreisen weiß man Alberts Beiträge zum Kritischen Rationalismus zu schätzen, und die durch ihn erreichte Revision der Methodologie verschiedener Sozialwissenschaften ist unbestritten. Rund ein Drittel seiner Werke ist in verschiedene Sprachen übersetzt worden. Auch in den Vorlesungsverzeichnissen fehlt er nicht. Einige Universitäten im In- und Ausland haben ihm die Ehrendoktorwürde und andere Auszeichnungen verliehen.