Statistik: Kombinierte Zufallsvorgänge

Kombinierte Zufallsvorgänge (insbesondere wiederholte oder mehrfache Versuche).


Allgemeines

Beispiele für kombinierte Zufallsvorgänge:

  • Eine Münze werfen, dann einmal würfeln.
  • Aus einer Urne ohne Zurücklegen 3 Kugeln ziehen.
  • Aus einer Lostrommel 10 Gewinner ziehen.
  • Gewinnspiel: Aus drei Toren eines wählen. Falls richtiges Tor, Wahl zwischen zwei Umschlägen.
  • 5x auf ein Ziel schießen.


Beispiel für die formale Definition

Es sollen nacheinander drei Zufallsexperimente durchgeführt werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass beim ersten Versuch das Ereignis A, beim zweiten Versuch das Ereignis B und beim dritten Versuch das Ereignis C resultiert, wird bezeichnet als P(A(1) ∧ B(2) ∧ C(3)). A, B und C können verschiedenen Ergebnismengen entstammen! Der hochgestellte Index kann unter Umständen weggelassen werden.

Beispiel für unabhängige Versuche

Wir betrachten den Zufallsvorgang: Wir werfen zuerst eine Münze und würfeln dann.

Die beiden Versuche haben jeweils die Ergebnismenge

ΩM = {Wappen (W); Zahl (Z)} bzw. ΩW = {1,2,3,4,5,6}

Es ergibt sich für diesen kombinierten Versuch die Ergebnismenge Ω* als kartesisches Produkt von ΩM und ΩW :

Ω* = {(W; 1), (W; 2), (W; 3), ... , (W; 6), (Z; 1), (Z; 2), ..., (Z; 6)}.

Ω* hat 12 Elemente. Jedes Element hat dieselbe Wahrscheinlichkeit, gezogen zu werden.


Wir suchen nun die Wahrscheinlichkeit für das Ereignis A*: Es wird erst Wappen geworfen und dann mindestens Fünf (F) gewürfelt:

Das Ereignis A* = W(1) ∧ F(2) belegt in Ω* 2 Elemente. Wir erhalten dann für die Wahrscheinlichkeit nach dem Symmetrieprinzip

 

Würfeln und Münzwurf sind jedoch stochastisch unabhängig und die Wahrscheinlichkeit muss nicht umständlich über die Ergebnismenge ermittelt werden. Also ist dann

 


Übung

Sie würfeln 3 mal. Mit welcher Wahrscheinlichkeit erhalten Sie zuerst zwei mal Sechs und dann höchstens Zwei?

Lösung:   .

Beispiel für abhängige Versuche

Wiederholte Versuche können aber oft stochastisch abhängig sein.

Aus einer Urne mit 2 roten und 1 schwarzen Kugeln sollen zwei Kugeln ohne Zurücklegen gezogen werden.

Das zweite Ergebnis ist vom ersten natürlich nicht mehr unabhängig, weil sich je nach erster gezogener Kugel der Inhalt der Urne ändert. Es sei: R: eine rote Kugel wird gezogen und S: eine schwarze Kugel wird gezogen.

Wir wollen zuerst die Ergebnismenge der abhängigen Versuche analysieren. Nummerieren wir die beiden roten Kugeln in R1 und R2. Man kann dann bei zwei mal ziehen folgende Ergebnisse erhalten:

Ω* = {(R1; R2), (R1; S), (R2; R1), (R2; S), (S; R1), (S; R2)}

Ω* hat insgesamt 6 Ergebnisse.


Wir definieren das Ereignis A: Zuerst wird eine rote (R), dann eine schwarze Kugel (S) gezogen, also A = R(1) ∧ S(2).

Es gibt in Ω* zwei Ergebnisse, die A betreffen, also ist die Wahrscheinlichkeit

 


Dieses Beispiel war einfach. Aber kann jetzt bei abhängigen Versuchen auch die Wahrscheinlichkeit für das kombinierte Ereignis unter Verzicht auf die vollständige Darstellung der Ergebnismenge bestimmt werden?

Bei stochastisch abhängigen Versuchen können die Wahrscheinlichkeiten nicht mehr ohne weiteres als Produkt der Einzelwahrscheinlichkeiten der Ereignisse bestimmt werden. Man kann aber sukzessiv den Multiplikationssatz der Ereignisse anwenden, der von den bedingten Wahrscheinlichkeiten bekannt ist: P(A∩B) = P(A)·P(B|A). Die Wahrscheinlichkeit, dass beim ersten Mal A und beim zweiten Mal B resultiert, ist also

 


Es ist nach der obigen Formel

       
       
  Beim ersten Versuch sind 3 Kugeln in der Urne; zwei sind rot Beim zweiten Versuch sind noch 2 Kugeln in der Urne; eine ist schwarz.  


Diese Regel lässt sich auch auf mehr als zwei Ereignisse erweitern:

Beispiel

Aus einer Urne mit 10 roten (R) und 5 schwarzen (S) Kugeln sollen ohne Zurücklegen nacheinander drei rote Kugeln gezogen werden. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist

 


Für mehr als zwei Ereignisse kann der allgemeine Multiplikationssatz der Wahrscheinlichkeiten angewendet werden. Er gilt auch für Ereignisse, die nicht aus einer gemeinsamen Ergebnismenge stammen:

 


Falls die A(i) (i = 1, 2, ... ,m) stochastisch unabhängig sind, ist natürlich wieder

 .


Je nachdem, wie die Problemstellung ist, gibt es für die Berechnung von Wahrscheinlichkeiten kombinierter Zufallsvorgänge also verschiedene Möglichkeiten:

  1. Wir bestimmen alle Elemente von Ω*, falls das möglich und durchführbar ist. Dann wenden wir das Symmetrieprinzip an.
  2. Wir überlegen uns, beispielweise mit Hilfe der Kombinatorik, die Zahl der Elemente in Ω* und wenden dann das Symmetrieprinzip an.
  3. Wir verwenden den allgemeinen Multiplikationssatz der Wahrscheinlichkeiten und können vielleicht sogar stochastische Unabhängigkeiten ausnützen.

Urnenmodelle

Bei wiederholten Versuchen greift man häufig auf das so genannte Urnenmodell zurück: Dieses Modell funktioniert im Prinzip folgendermaßen: Eine Urne enthält N viele Kugeln, die sich voneinander unterscheiden lassen. Es werden n viele Kugeln gezogen. Man interessiert sich für die Zahl von Kugeln mit einem bestimmten Merkmal unter den n gezogenen.


Wir unterscheiden grundsätzlich

  • das Urnenmodell mit Zurücklegen: Eine Kugel wird gezogen und wieder zurückgelegt
  • das Urnenmodell ohne Zurücklegen: Eine Kugel wird gezogen und nicht wieder zurückgelegt


Viele Zufallsvorgänge, speziell die wiederholter Versuche, können auf das Urnenmodell zurückgeführt werden. Den Anfänger mag die Vorstellung, eine Kugel zu ziehen und wieder zurückzulegen, eigenartig anmuten, aber so kann man unabhängige Versuche modellieren: Betrachten wir den Zufallsvorgang, zwei mal zu würfeln, so kann man stattdessen auch aus einer Urne mit 6 verschiedenen Kugeln zwei mal jeweils eine ziehen und wieder zurücklegen.

Kombinatorik

Wir haben eine Urne mit N Kugeln gegeben. Es sollen n Kugeln gezogen werden. Wir befassen uns nun mit der Zahl der möglichen Ergebnisse bei wiederholten Versuchen. Hier müssen wir die verschiedenen Arten der Anordnung gezogener Kugeln im Urnenmodell berücksichtigen.


Zur Verdeutlichung dieser Aufgabenstellung betrachten wir eine Urne mit 3 Kugeln A, B, C. Es sollen n = 2 Kugeln gezogen werden. Wie viel verschiedene Paare würden wir erhalten?

Wir unterscheiden die Aufgabenstellungen


Mit Wiederholung - Mit Berücksichtigung der Reihenfolge

Die Buchstaben werden mit Zurücklegen gezogen; ein Buchstabe kann also mehrmals im Paar auftauchen. Es kommt auf die Reihenfolge der Buchstaben an. Es sind folgende verschiedene Paare möglich:

(A,A), (A,B), (A,C), (B,A), (B,B), (B,C), (C,A), (C,B), (C,C).

Es gibt insgesamt   viele verschiedene Ergebnisse, wie man leicht sieht.


Mit Wiederholung - Ohne Berücksichtigung der Reihenfolge

Es sind folgende verschiedene Paare möglich:

(A,A), (A,B), (A,C), (B,B), (B,C), (C,C).

Es gibt insgesamt   viele verschiedene Ergebnisse.

Ohne Wiederholung - Mit Berücksichtigung der Reihenfolge

Die Buchstaben werden ohne Zurücklegen gezogen; ein Buchstabe kann nur einmal im Paar auftauchen. Es sind folgende verschiedene Paare möglich:

(A,B), (A,C), (B,A), (B,C), (C,A), (C,B).

Es gibt insgesamt   viele verschiedene Ergebnisse.

Ohne Wiederholung - Ohne Berücksichtigung der Reihenfolge

Es sind folgende verschiedene Paare möglich:

(A,B), (A,C), (B,C).

Es gibt insgesamt   viele verschiedene Ergebnisse.

Übungsbeispiel

Aus vier Personen Anna (A), Balduin (B), Cäcilie (C), Dagobert (D) werden zwei zum Geschirrspülen ausgelost, wobei eine Person abspült und eine abtrocknet.

Handelt es sich um ein Modell mit oder ohne Zurücklegen? Theoretisch wäre auch ein Modell mit Zurücklegen denkbar. Da das aber als unfair empfunden wird, gehen wir vom Modell ohne Zurücklegen (M. o. Z.) aus.


  • Mit welcher Wahrscheinlichkeit erwischt es zuerst Cäcilie und dann Balduin (Ereignis E)?

Hier kommt es auf die Reihenfolge der gezogenen „Kugeln“ an.


Methode a: Direkt über die Ergebnismenge

Die Ergebnismenge ergibt Ω* =

-

(A,B)

(A,C)

(A,D)

(B,A)

-

(B,C)

(B,D)

(C,A)

(C,B)

-

(C,D)

(D,A)

(D,B)

(D,C)

-

Jedes Paar hat die gleiche Wahrscheinlichkeit, gewählt zu werden. Es gibt insgesamt |Ω*| = 12 verschiedene Paare.

 


Methode b: Über die Zahl der Ergebnisse

Es handelt sich um ein Modell ohne Zurücklegen mit Beachtung der Reihenfolge. Es gibt
 

verschiedene Paare. Es gibt nur ein Ergebnis für das Ereignis E. Es ist also

 


Methode c: Über den Multiplikationssatz der Wahrscheinlichkeiten

 


  • Mit welcher Wahrscheinlichkeit müssen die zwei Männer abwaschen (Ereignis F)?


Methode a:

Es ist F = {(B,D), (D,B)}. Dieses Ereignis belegt in Ω* zwei Elemente. Also ist

 


Methode b:

M.o.Z, ohne Beachtung der Reihenfolge. Es gibt

 

verschiedene Paare . Es ist also  

Methode c:

 .