Soziologische Klassiker/ Homans, George C.

Grundstruktur des Kapitels:

Biographie in Daten

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Homans George Caspar

  • Geboren am 11. August 1910 in Boston, Massachusetts (USA)
  • Gestorben am 29. Mai 1989 in Cambridge, Massachusetts (USA)


  • Eltern: Robert Homans (Rechtsanwalt; Mitglied der Harvard Corporation); Abigail Adams Homans (Nachfahrin des 2.Präsidentden der Vereinigten Staaten John Adams)
  • Ehe: Nancy Parshall Cooper; 1941
  • Kinder: Elizabeth Susan, Peter


Beruflicher Werdegang

Homans hätte aufgrund einer langen Familientradition Anwalt werden sollen, strebte aber anfänglich eine Karriere als Journalist an.

  • 1923-1928: Besuch der angesehenen St. Paul's School in Concord, New Hampshire
  • 1928-1934: Studium der englischen und amerikanischen Literatur an der Harvard University in Cambridge, Massachusetts
  • 1932/1933: Assistent von Professor Lawrence Joseph Henderson, er unterstützte diesen bei einem Seminar über Vilfredo Pareto
  • 1934-1939: Studium der Soziologie, wiederum an der Harvard University, später Beginn des Studiums der Anthropologie, er schloss jedoch keines dieser Studien ab
  • 1941-1945: Teilnahme am 2. Weltkrieg als Lieutenant Commander
  • 1939-1980: Mitglied der Harvard University in Cambridge
  • bis 1946: Faculty Instructor als Nachfolger von Robert K. Merton
  • 1946-1953: Associate Professor
  • 1955-1980: Full Professor of Sociology an der Harvard University
  • 1970: Neugründung des Departments of Sociology (ehemaliges Department of Social Relations), wobei Homans den Vorsitz ("Chairman") übernimmt
  • 1980: Emeritiert

Theoriegeschichtlicher Kontext

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Einer seiner Lehrer während des Englischstudiums war Bernard DeVoto, der ihm Vifredo Paretos Werk Trattato di Sociologia ans Herz legte. Lawrence Joseph Henderson, Professor für Biochemie, entschied sich zwei Jahre später dazu, ein Seminar über Vilfredo Pareto zu halten und suchte dafür einen Assistenten. Homans, der bei der Suche nach einer Stelle als Journalist erfolglos war, wurde hierfür unbezahlt eingestellt. Homans' Einstieg in die Soziologie vollzog sich damit in einem besonders günstigen Umfeld, lernte er doch Joseph Schumpeter, Talcott Parsons, Pitirim A. Sorokin und Robert K. Merton kennen. Auf Empfehlungen hin studierte er bei Charles H. Ilwain Geschichte und verfasste das Buch English Villagers of the Thirteenth Century. Ab 1942 arbeitete er eng mit Elton Mayo zusammen, der ihn zur Lektüre von Radcliffe-Brown und Bronislaw Malinowski veranlasste.

Homans stützt sich in seiner Argumentation stark an die Verhaltenspsychologie, jedoch nicht dem behavioristischen Forschungsprogramm von Buurhus F. Skinner. Über Lern- und Wirtschaftstheorien gelangt er so zu einer verhaltenstheoretischen Soziologie und Austauschtheorie.

Bereits sein Buchtitel Social Behavior (dt. Elementarformen sozialen Verhaltens) weist darauf hin, dass sich Homans nicht auf die Grundbegriffe von Max Weber einlässt, die zu diesem Zeitpunkt bereits hoch anerkannt waren, sondern sich weigert, das Zusammenleben von Menschen der Soziologie alleine zu überlassen. Dadurch verwischt sich in seiner Lehre die Trennung von Soziologie und Psychologie. Dessen ist er sich aber durchaus bewusst, in Elementarformen sozialen Verhaltens weist er sogar ausdrücklich darauf hin, dass er sich damit gegen Durkheims Standpunkt stellt, Soziales ausschließlich durch Soziales zu erklären.

  • An Introduction to Pareto: His Sociology (mit C. P. Curtis), New York, 1934
  • English Villagers of the Thirteenth Century, Cambridge, 1941
  • The Human Group, New York, 1950; dt: Theorie der sozialen Gruppe, 1960
  • Bringing Men Back In, in: American Sociological Review 29, 1964
  • Social Behavior: Its Elementary Forms, New York, 1961/1974; dt: Elementarformen sozialen Verhaltens, 1968
  • Sentiments and Activities: Essays in Social Science, London, 1962
  • A Life of Synthesis, in: American Behavioral Scientist 12, 1968
  • The Nature of Social Science, New York, 1967; dt: Was ist Sozialwissenschaft?, 1969
  • Coming to My Senses: The Autobiography of a Sociologist, New Brunswick, 1984
  • Certainties and Doubts. Collected Papers 1962-1985, New Brunswick, 1987


  • R. L. Hamblin und J. H. Kunkel (Hrsg.): Behavior Theory in Sociology. Essays in Honor of George Caspar Homans, New York, 1977
  • H. W. Boger: Der empirische Gehalt der Austauschtheorie von George Caspar Homans, Berlin, 1986

Das Werk in Themen und Thesen

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Theorie der sozialen Gruppe (The Human Group), New York, 1950

Unter einer sozialen Gruppe versteht Homans Personen, die dauerhaft und wechselseitig interagieren und an der Zahl so viele sein dürfen, dass jeder mit jedem in direkten Kontakt (face to face) treten kann. Um diese Definition an Webers Grundbegriffe anzuknüpfen, also eine soziale Beziehung mit einer überschaubaren Anzahl von Mitgliedern. Homans beschäftigt sich so vordergründig mit Mikrosoziologie, formuliert seine allgemeineren Theorien aber derart, dass sich daraus sozialwissenschaftliche Gesetze ergeben, die auf die Grundgesamtheit der Gesamtgesellschaft schließen lassen. Er unterzieht folgende fünf Gruppen seinen Überlegungen:

  • den "Bank Wiring Observations Room" aus der Hawthorne Studie
  • die "Norton Street Gang" aus W. F. Whytes Street Corner Society
  • die Familie auf der Insel Tikopia,
  • Hilltown (eine sozial desintegrierte Gemeinde),
  • eine Elektrofirma, zusammen mit den Daten der Arensberg/Macgregor-Studie

Trotz grundsätzlichen Verschiedenheiten dieser Gruppen zieht er dabei folgende Einheitlichkeit heraus:

  • Aktivität
  • Interaktion zwischen Gruppenmitgliedern
  • Gefühl der Zusammengehörigkeit und Solidarität
  • Explizit oder implizit formulierte Normen

Ergebnis ist, dass es in allen Gruppen gleichermaßen gruppenformende Kräfte gibt, die einer beständigen Situation von gegenseitiger Abhängigkeit ausgesetzt sind. So gilt beispielsweise: Je häufiger Menschen freiwillig miteinander in Kontakt treten, desto eher entsteht Sympathie und andersherum ist die Chance hoch, dass sich Gruppenmitglieder, die sich sympathisch finden, häufig in Kontakt treten.


Elementarformen sozialen Verhaltens (Social Behavior: Its Elementary Forms), New York 1961

Homans geht dabei mit einer strukturell-individualistischen Theorie davon aus, gesellschaftliche Ordnungen seien das Ergebnis einer Vielzahl individueller Handlungen. Neben den gesetzmäßigen Aussagen leugnet er aber keineswegs unbeabsichtigte und unerwünschte Ergebnisse.

Die sechs prägnantesten Hypothesen zur Handlungstheorie formuliert er als Wenn-dann- bzw. Je-desto-Hypothesen:

  • Erfolgshypothese: Je häufiger eine bestimmte Handlung einer Person belohnt wird, desto wahrscheinlicher ist es, dass diese Person diese Handlung wiederholen wird.
  • Stimulushypothese: Wenn früher in einer bestimmten Reizsituation Handlungen belohnt wurden, dann gilt, je ähnlicher die gegenwärtige Reizsituation der damaligen ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Handlung wiederholt wird.
  • Werthypothese: Je wertvoller das Ziel (z.B. in Hochkostensituationen), desto wahrscheinlicher ist, dass die erforderliche Handlung ausgeführt wird.
  • Deprivations-Sättigungs-Hypothese: Je häufiger eine bestimmte Handlung belohnt wird, desto weniger wertvoll ist jede weitere Belohnung dieser Art.
  • Aggressions-Billigungs-Hypothese: 1) Wenn eine Person für eine Handlung nicht die erwartete Belohnung erhält, verärgert dies; die Resultate des folgenden aggressiven Verhaltens werden dann für die Person wertvoll. 2) Wenn eine Person nicht die erwartete Bestrafung erhält, sondern eine Belohnung bekommt, wird diese Person auch das gleichartige Handeln anderer tolerieren und diese Ergebnisse als wertvoll erachten.
  • Rationalitätshypothese: Hat eine Person die freie Wahl zwischen mehreren Handlungsoptionen, wird sie jene bevorzugen, deren Handlungskonsequenzen multipliziert mit der Wahrscheinlichkeit am größten ist.

In sozialen Beziehungen ist aber die Verteilung von Macht und Autorität verschieden, wodurch manche über die Fähigkeit verfügen, Belohnungen zu verteilen.


Weiterhin sind die Ausführungen über Bestrafung erwähnenswert: Wirkt bei einer Person Bestrafung nicht, wird das Maß dieser erhöht. Folge ist entweder, dass a) die Sanktion zum Einlenken bewegt oder b) die erhöhte Bestrafung Verärgerung hervorruft. Dies ist der häufigste Fall, wenn Belohnungen ungerecht verteilt werden, und führt zu abweichendem Verhalten, das gegen die Sanktionsgewalt gerichtet ist.


Was ist Sozialwissenschaft ? (The Nature of Social Science) New York, 1967

Homans zufolge gilt es, adäquat zu bleiben, sowohl übertriebene Hoffnungen zu dämpfen, wie auch tiefen Enttäuschungen entgegenzutreten. Er hat es stets abgelehnt, einen hohen Zaun um die einzelnen Sozialwissenschaften aufzustellen, eine Vorgehensweise die in den Vereinigten Staaten einiges an Rechtfertigung verlangt. Die Soziologie und die Naturwissenschaften unterscheiden sich nicht prinzipiell, sondern nur graduell, er fordert dabei sogar die Angleichung und nicht Abgrenzung. Diese Vermischung hat ihm so manche Kritik eingebracht. Auch wenn die allgemeinsten Hypothesen der Soziologie aus der Verhaltenspsychologie stammen, so liegt die Anwendung und Weiterentwicklung zur Erklärung sozialer Phänomene bei den Soziologen, die Psychologie gibt sich hier auffällig zurückhaltend.


Die Illusion der freien Wahl

Homans spricht hier sehr direkt von der lediglichen "Illusion", denn er denkt, alles, was Menschen tun, ist absolut vorherbestimmt. Dies ist aber weniger als Prophezeiung zu verstehen, sondern eher als erlernte und soziale Bedingtheit, welche menschliches Handeln vorausbestimmt. Jedoch ist ein solcher Determinismus nicht belegbar und somit nur eine Glaubenssache in der Wissenschaft. Die Menschen können darüber durchaus glücklich sein, dürfen sie doch weiter daran glauben, aufgrund ihrer eigenen Entschlüsse ihre Lebensbedingungen schaffen zu können.

Rezeption und Wirkung

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Die Wirkung, die Homans auf die soziologische Folgegeneration ausgeübt hat, ist oft nicht unmittelbar sichtbar. Jedoch hat er unbestritten dazu beigetragen, dass in der Soziologie klare und überprüfbare Hypothesen sowie verständliche Argumentationen vermehrt verwendet werden. Von den Soziologen des 20. Jahrhunderts war Homans der erste, der vehement den individualistischen Ansatz vertreten hat.

Sein Werk war in seinem vollen Umfang nie unumstritten, jedoch sind einzelne Teile, wie die Hypothesen über den sozialen Tausch und seine Theorie der sozialen Gruppe, zu soziologischem Allgemeingut geworden. Weitestgehend anerkannt ist seine grundlegende Idee, befriedigende Erklärungen gesellschaftlicher Prozesse nur dann als möglich anzusehen, wenn diese aufgrund des Zusammenwirkens von Einzelpersonen entstanden sind.

In der einleitenden Anmerkung zu Theorie der sozialen Gruppe verdeutlicht Robert K. Merton den Stellenwert dieses Werkes. So bezeichnet er es als die bahnbrechendste Analyse zur soziologischen (Klein-)Gruppentheorie seit Georg Simmel.

Aber so groß das Ansehen war, so wenig wurde diese Thematik weiter behandelt. Ob die Kleingruppenforschung erschöpft ist oder der Erkenntnisgewinn zu gering, sei dahingestellt, fest steht jedoch, dass in erwähnenswerter Weise nur noch die Sozialpsychologie sich dieses Thema angenommen hat.

Aufgenommen und weiterentwickelt wurden seine Ideen insbesondere in der Theorie des Marktes von Peter Kappelhoff und bei Victor Nees‘ Abhandlung über Normen.

Anwendung fanden sie auch bei Karl-Dieter Opp, der bestehende Theorien abweichenden Verhaltens mit dem individualistischen Ansatz weiterentwickelte.


Literatur

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  • Homans, George Caspar (1972):
    "Elementarformen sozialen Verhaltens"
    Opladen
  • Homans, George Caspar (1972):
    "Was ist Sozialwissenschaft?"
    Opladen
  • Hillmann, Karl-Heinz (1994):
    "Wörterbuch der Soziologie"
    Stuttgart
  • Opp, Karl-Dieter (2000):
    "George Caspar Homans" in: Kaesler, Dirk / Vogt, Ludgera (Hrsg.): "Hauptwerke der Soziologie"
    Stuttgart
  • Opp, Karl-Dieter / Wippler, Reinhard (1999):
    "George Caspar Homans" in: Kaesler, Dirk (Hrsg.): "Klassiker der Soziologie. Bd. 2: Von Talcott Parsons bis Pierre Bourdieu"
    München

Internetquellen

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