Soziologische Klassiker/ Das soziologische Dorf/ Ahnengalerie - Rousseau

Jean Jaques Rousseau (1712-1778)

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Rousseau's Menschenbild

Der Mensch ist schwach und hilflos, unfrei, ungleich, abhängig und auf Kooperation angewiesen. Nach Ansicht von Rousseau entstand soziale Ungleichheit mit der Kultur des Ackerbaus und die Aufteilung des Bodens. Dadurch bildete sich Eigentum und damit die Einrichtung von Gesetzen und Regierung. Die Einführung von Eigentum betrachtet Rousseau als den eigentlichen Sündenfall der menschlichen Geschichte. Die Ungleichheit ist damit kein natürlicher Zustand, sondern weit davon entfernt. Der Mensch ist frei geboren, jetzt aber in Ketten [1]. Er unterscheidet dabei zwischen politische Ungleichheit, in dem Sinne, dass Institutionen die Ungleichheit fördern, und moralischer Ungleichheit als jener Form, in der Ungleichheit als Ungerechtigkeit fraglos hingenommen und damit verfestigt wird. [2]

Der Naturzustand

Der Mensch ohne Kultur hat zwei natürliche Handlungsantriebe: begehren, fürchten. Der Unterschied zum Tier besteht darin, dass der Mensch dem Instinkt entrinnen kann. Er kann Handlungen unterlassen. Da er sich auf den Instinkt nicht verlassen kann, hat er Verstand. Reflexion dient dazu, mit Begehren und Furcht besser umzugehen als nur auf Instinktbasis. Der Mensch hat die Eigenschaft der Perfectibilité – er besitzt die Fähigkeit der Vervollkommnung. Ohne diese wäre er ein Tier, womit dieser Drang grundsätzlich positiv ist aber auch eine Zwangsstruktur bilden und die Selbsterhaltung zur Selbstsucht macht. Sie ist so auch die Quelle allen Übels, und verloren geht das Mitleid (Amour de soi: Selbstliebe; Amour de prope: Selbstzerstörung). Das wichtigste Instrument der Vervollkommnung ist der Verstand. Mit dem Eigentum beginnt die Geschichte der Abhängigkeit des Menschen. Diese Abhängigkeit zeigt sich in:

  • Sprache,
  • Sesshaftigkeit
  • Arbeitsteilung,
  • Familie
  • Erfindung des Eisens,
  • Ackerbau
  • Künste und Wissenschaften,
  • Soziale und politische Hierarchien [3]

Der Übergang vom Natur- zum Zivilisationszustand
Im Naturzustand ist der Mensch scheu und ängstlich; sein einziger Feind ist die Natur, die auch seine Lebensweise bestimmt. Bei diesem Kampf ist er hin und wieder auf andere angewiesen; es kommt zu losen Assoziationen. Diese freiwilligen Assoziationen führen dazu, dass die Menschen allmählich gemeinsame Interessen entwickeln. Dies führt zu vermehrten sozialen Kontakten, die zu Bevölkerungswachstum führen und dies wiederum zu vermehrten sozialen Kontakten. [4] Seine Argumentation hin zu einem soll-Zustand unterscheidet sich hier deutlich von jener Hobbes', da das Menschenbild nicht den homo homini lupus im Auge hat, sondern den ängstlichen und hilfsbedürftigen Menschen, dem durch das dem Menschen inne wohnenden Mitleids geholfen wird. [5] Die Lebensweisen differenzieren sich zunehmend aus. Hier ist der Beginn der Familie, denn in der Familie gibt es zum ersten Mal eine Differenzierung der Rollen in Mann und Frau. Eine weitere Folge der Familie ist das Eigentum, das mit der Privatisierung von Räumen beginnt. Die Menschen schaffen sich private Räume, die sie von anderen privaten Räumen abgrenzen womit Privateigentum entsteht. Damit entstehen aber auch die ersten Spannungen. Denn mit dem Eigentum entsteht die erste Form der Ungleichheit. Zum ersten Mal beginnen die Menschen zu vergleichen – dies führt zur Entstehung der Gefühle Eitelkeit, Geringschätzung, Scham und Neid. [6] Die Differenzierung, Domestizierung und die ständig wachsenden Bedürfnisse führen zu immer mehr sozialen Abhängigkeiten. Die Kooperationen, so dienlich sie anfangs waren, werden nun asozial, da man beginnt, seinen eigenen Vorteil auf den Kosten anderer zu erreichen. Im Verhältnis zwischen Herrschenden und Untertanen zeigt sich das fehlende Mitgefühl am deutlichsten [7]

Rousseau liegt jedoch zumindest darin falsch, wenn er davon ausgeht, dass primitive und einfache Stammesgesellschaften besonders friedlich seien.

Der Gesellschaftsvertrag
Der Gesellschaftsvertrag hat das Ziel, die Freiheit aller unter der Mitwirkung aller herbeizuführen. Der Mensch ist frei geboren, aber er lebt, verschuldet durch den Zustand der Zivilisation, ständig in Ketten. Der Gesellschaftsvertrag soll:

  • Die Freiheit des einzelnen Bürgers sichern
  • Garantieren, dass alle Bürger an den Beschlüssen der Gemeinschaft teilnehmen
  • Garantieren, dass es einen Gehorsam gegenüber den Beschlüssen gibt. [8]

Alle bisherigen Verträge zwischen Herrschenden und Untertanen, implizit wie explizit, werden damit ungültig. Der Mensch würde nicht länger auf seine Rechte verzichten, sondern sie ebenso wie seine Pflichten wahrnehmen. [9]

Problematisch dabei ist: Wenn jeder an den Beschlüssen mitwirkt, müssten die Bürger sich permanent treffen und ihren Willen kundtun, und der Vertrag muss ständig erneuert werden. Es muss ständig eine Abstimmung der individuellen Willen geben. [10] Zudem müssten jene, die sich ihrer Stimme enthalten, paradoxerweise zu ihrer Freiheit zwingen. [11]

Der Gesamtwille

Damit sich alle an den Beschluss halten, muss der Allgemeinwille ihr Handeln bestimmen. Es gibt:

  • volonté de tous – der Wille Aller: Die Summe von Privatinteressen. Jeder einzelne gibt sein Votum. Daraus ergibt sich dann der
  • volonté generale – der Allgemeinwille oder „Gesamtwille“ wird ermittelt, indem man vom Willen Aller (der Summe der individuellen Willen) alle davon extrem abweichenden abzieht.

Der Allgemeinwille geht immer davon aus, was das Beste für alle ist. Für eine klare Darlegung des Allgemeinwillen darf es, sagt Rousseau, keine besonderen Gesellschaften – heute „Parteien“ – geben. Jeder Bürger soll nur für seine eigene Meinung eintreten [12], denn sein Wille ist nicht übertragbar [13]. (Kollektivbewusstsein bei Durkheim oder auch kollektive Ziele bei Parsons)

Erziehung

Die Menschen wären ohne das richtige Kollektivbewusstsein gar nicht in der Lage, den Gesellschaftsvertrag zu erfüllen, dafür braucht es einen bestimmten Menschentyp. In seinem Buch „Emile“ beschreibt Rousseau, wie der Junge Emile zu einem solchen Menschenidealtyp erzogen wird. Die 7 Prinzipien der Erziehung:

  1. Die Kindheit ist kein Durchgangsstadium und muss als Eigenwert erkannt werden.
  2. Kindheit soll studiert werden.
  3. „Negative Pädagogik“: Man soll nicht erziehen, man soll nicht für das gesamte Leben, für Berufe und Rollen erziehen. Man soll weder belehren noch strafen, man soll ohne Druck von außen (Zeitplänen, Zielen, Vergleichen) erziehen.
  4. Erfahrungslernen (trial and error, Versuch und Irrtum) ist etwas Positives, man soll Kinder nicht vor Fehlern bewahren.
  5. Altersgerechte Erziehung, eigene Lebensphase Kindheit, man soll Kinder nicht wie kleine Erwachsene behandeln.
  6. Erziehung zum Bürger – Emile muss lernen, ein wertvolles Mitglied der Gemeinschaft zu werden,
  7. Emile wird mit den Prinzipien einer natürlichen Religion vertraut gemacht, also mit allgemeinen Prinzipien wie einer Ethik der Mitmenschlichkeit, Duldsamkeit, Toleranz usw. [14]


Literatur

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  • Gabriel, Manfred (2005):
    "Geschichte der Soziologie. Vorlesung WS 2005/06. Paris Lodron Universität"
    Salzburg.
  • Kiss, Gabor (1977):
    "Einführung in die soziologischen Theorien I."
    Opladen

Einzelnachweise

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  1. Kiss 1977, 25
  2. Gabriel 2006
  3. Gabriel 2006
  4. Gabriel 2006
  5. Kiss 1977, 26
  6. Gabriel 2006
  7. Kiss 1977, 29
  8. Gabriel, 2006
  9. Kiss 1977, 31
  10. Gabriel, 2006
  11. Kiss 1977, 32
  12. Gabriel, 2006
  13. Kiss 1977, 26
  14. Gabriel 2006