Wenn man sich für Schach und eine Verbesserung der eigenen Spielstärke interessiert, warum sollte man sich dann ausgerechnet mit "langweiligen" Endspielen beschäftigen und nicht mit neuen Eröffnungen, mit Strategie oder Taktik? Nun das hat keiner verlangt, sicherlich ist all das notwendig. Aber ich habe einmal eine Schachdatenbank (die BigDatabase der Firma Chessbase aus dem Jahr 1999) daraufhin untersucht, wie wichtig Endspielkenntnisse für einen fortgeschrittenen Spieler sind. Diese von mir untersuchte Datenbank enthält 1.114.429 Partien. (Aktuellere Datenbanken sind weitaus größer, enthalten z.T. über 3 Millionen Partien, was aber nicht unbedingt zu einer Verbesserung ihrer Qualität geführt hat. In den letzten Jahren sind mit Sicherheit keine 2 Millionen hochklassigen neuen Partien gespielt worden, aber es wurden immer mehr Datensätze aus Amateurturnieren in die Datenbanken aufgenommen, aus denen man wenig lernen kann.)


In diesen 1.114.429 Partien

  • wurden 86.478 Partien bis einschließlich dem 25.Zug gewonnen = 7,7%.
  • wurden 243.036 Endspiele gespielt (Beide Parteien höchstens 2 Figuren und beliebig viele Bauern) = 22.6%.

Das bedeutet, es ist weitaus wahrscheinlicher, gegen einen annähernd gleich starken Gegner bis ins Endspiel zu gelangen, als ihn in der Eröffnung zu überrumpeln oder selbst von ihm überrumpelt zu werden.


Die Endspiele kann man noch weiter untergliedern, je nach den in ihnen vorhandenen Figuren, der Anzahl der Bauern, usw. Die folgende Tabelle zeigt das zahlenmäßige Auftreten bestimmter Endspieltypen in der Datenbank. In einer Schachpartie kann es vorkommen, dass man zuerst ein Endspiel mit jeweils 2 Figuren hat, z.B. ein Doppelturmendspiel (1.Zeile der Tabelle). Nach dem Abtausch eines Turmpaars erhält man ein Turmendspiel (2.Zeile). Je nach weiterem Partieverlauf kann sich daraus ein Bauernendspiel oder ein technisches Endspiel ergeben (3.Zeile). Zum Verständnis: In technischen Endspielen kämpfen Figuren in Abwesenheit von Bauern gegen Figuren des Gegners oder gegen Bauern in Abwesenheit gegnerischer Figuren.


2 beliebige Figuren gegen die des Gegners: Eine geschlossene Theorie gibt es nicht. Nur Detailfragen sind untersucht worden, zum Beispiel Bauernstellung, Figurentausch oder Läuferpaar.
Turmendspiele: 94.206
Leichtfigurenendspiele: 84.050
Springer-Springer: 17.175 Springer-Läufer: 36.306 Läufer-Läufer: 30.569
Damenendspiele: 20.699
Bauernendspiele: 28.403 Technische Endspiele: 63.544


Bei so vielen verschiedenen Endspieltypen, mit welchen soll man beginnen? Meiner Meinung nach muss man sie in der umgekehrten Reihenfolge analysieren, in der sie in einer Partie vorkommen können. Wenn man nicht weiß, wie man mit bestimmten Figuren Matt setzen kann, nützt es nichts, eine derartige Figurenkonstellation anzustreben. Wenn man keine Ahnung hat, dass man in einer Stellung einen bestimmten Vorteil besitzt oder andersherum eine Stellung leicht Remis halten kann, ist man nicht in der Lage, die dorthin führenden Transformationen richtig einzuschätzen. Dabei spielen spätere Endspieltypen manchmal sogar bei der Eröffnungswahl eine Rolle. Nach den einleitenden Zügen der Spanischen Partie 1. e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Lb5 a6 (Stellung links)

Eröffnung
Endspiel


kann Weiß den schwarzen Springer schlagen 4. Lxc6 dc. Denkt man sich jetzt alle Figuren weg und zusätzlich den weißen d-Bauern gegen den schwarzen e-Bauern getauscht, dann erhält man die rechts abgebildete Stellung.

Diese Stellung ist für Weiß gewonnen. Bei beiderseitig bestem Spiel hat Schwarz keinerlei Chancen auf ein Remis. Trotzdem ist die Abtauschvariante heute nicht sehr beliebt, weil gute Spieler diesen Endspieltyp genau kennen. Während Weiß in einer solchen Partie auf Vereinfachungen aus sein wird, die ihn dem gewonnenen Endspiel näher bringen würden, wird Schwarz versuchen, seine Chancen im Mittelspiel zu nutzen. Immerhin verfügt Schwarz nach dem Abtausch des Läufers gegen den Springer über das Läuferpaar.