Religionskritik: Freud
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Sigmund Freud wurde am 6. Mai 1856 in Freiberg (Mähren) geboren und verstarb am 23. September 1939 in London. Er war ein bedeutender österreichischer Arzt und Psychologe, der als Begründer der Psychoanalyse und als Religionskritiker Bekanntheit erlangte. Obwohl seine psychoanalytischen Theorien und Methoden noch heute kontrovers diskutiert werden, gilt er als einer der einflussreichsten Denker des 20. Jahrhunderts.
Freud wird als Sohn jüdischer Eltern geboren, deren Vorfahren im 14./15. Jahrhundert infolge von Judenverfolgungen aus Köln nach Freiberg in Mähren gekommen waren. Obwohl Freud später Atheist wurde, hat er stets die Bedeutung des Judentums für sich betont.
Der Religionskritiker Freud
BearbeitenFreud bezeichnet sich selbst als einen Feind der Religion „in jeder Form und Verdünnung“ . Er steht in der Tradition Ludwig Feuerbachs. Dessen Thesen sieht er als seine philosophische Grundlage an. Ferner beruft er sich auf Friedrich Nietzsche, dem er zugesteht, etliche Einsichten der Psychoanalyse intuitiv vorweggenommen zu haben. Auch Arthur Schopenhauers Schriften hatten großen Einfluss auf den jungen Freud.
Freud bekräftigt die Religionskritik der Philosophen durch Einsichten, die er als naturwissenschaftlich geprägter Mediziner bei der Entwicklung der klinischen Psychoanalyse gewonnen hat. Dabei drängte sich ihm die Auffassung auf, dass die Religion einer Kindheitsneurose vergleichbar sei.
Hierbei argumentiert er anthropologisch, ontogenetisch und phylogenetisch:
Das anthropologische Argument definiert die Religion als infantiles (= kindliches) Abwehrverhalten gegen die menschliche Unterlegenheit: der Mensch habe die Naturkräfte personalisiert und zu schützenden Mächten erhoben. Somit helfen sie ihm in seiner Hilflosigkeit. Das zugrundeliegende Verhaltensmuster knüpfe an die frühkindliche Erfahrung der schützenden Eltern, besonders die des Vaters, an.
Auf die frühkindlichen Erfahrungen geht auch Freuds ontogenetischer Ansatz ein: Das ambivalente Verhältnis des Kindes gegenüber dem Vater setzt sich im Glauben des Erwachsenen fort. Er erkennt, dass er auch als solcher sich nicht völlig gegen fremde Übermächte wehren kann, weswegen er seinen Schutz im Gottesglauben sucht. Die Götter fürchtet er, trotzdem überträgt er ihnen seinen Schutz.
Das Motiv der Vatersehnsucht setzt sich bei der stammesgeschichtlichen Erklärung fort. Freud setzt bei der Urhorde nach Charles Darwin an, deren Stammesvater als absoluter Despot von den Söhnen sowohl verehrt als auch gehasst wurde, insbesondere aufgrund seines Anspruches, alle Frauen der Horde zu besitzen. Aus Eifersucht hätten sie ihr Oberhaupt gemeinsam umgebracht. Eine Nachfolge sei aufgrund der gegenseitigen Blockade ihres Feindes und gleichzeitigen Ideals nicht möglich gewesen. Als Gemeinschaft sollen sie sich auf eine Satzung verständigt haben, die ähnliche Taten ausschließen sollte und den Besitz der Frauen aufgeschlossen habe, sodass lediglich Frauen fremder Stämme und Sippen geheiratet wurden. Anschließende Mahlzeiten sollen an den vorangegangenen Mord erinnern. Das Schuldbewusstsein der gesamten Menschheit („Erbsünde“) sei somit der kulturbewahrende Anfang sozialer Organisation, Religion sowie sittlicher Beschränkung.
Freud wichtigste Schrift zum Thema Religionskritik ist Die Zukunft einer Illusion aus dem Jahr 1927.
Die Zukunft einer Illusion
BearbeitenIn der Schrift Die Zukunft einer Illusion aus dem Jahr 1927 von Sigmund Freud handelt es sich um einen religionskritischen Text, in der sich der Autor psychoanalytisch mit der Bedeutung von Religion als kulturbewahrende Institution befasst.
Nach Freud sind Kultur und Zivilisation Einrichtungen, die von Menschen geschaffen wurden, da diese nicht in der Vereinzelung existieren können. Andererseits verlangt diese Gesellschaft als Opfer Arbeitszwang und Triebverzicht, die von der Masse als "schwer drückend" empfunden werden. Um die Kultur gegen die in allen Menschen angelegten antisozialen und destruktiven Tendenzen zu verteidigen gibt es Verbote, die eine "Ablösung vom animalischen Urzustand" darstellen. Neben solchen Zwangsmitteln existieren aber auch solche, die die Menschen mit der Kultur aussöhnen und für ihre Opfer entschädigen. Dazu gehören z. B. die Verinnerlichung von Kulturvorschriften, der Besitz und Genuss von Kunst, sowie eine narzisstische Befriedigung durch die Anteilhabe an den Wohltaten der Kultur durch Identifizierung mit den bevorzugten Klassen innerhalb der Gemeinschaft:
Man ist zwar ein elender, von Schulden und Kriegsdiensten geplagter Plebeyer, aber dafür ist man Römer, hat seinen Anteil an der Aufgabe, andere Nationen zu beherrschen...
Das bedeutendste Element des "psychischen Inventars" für die Stabilisierung der Kultur ist jedoch die religiöse Vorstellung, da sie für den nötigen Triebverzicht sorgt und somit den anarchischen Naturzustand verhindert. Es sei die Hauptaufgabe der Kultur, ihr eigentlicher Daseinsgrund, uns gegen die Natur zu verteidigen - auch gegen die eigene - da sonst der Urzustand drohe.
Die Götter hatten zunächst eine dreifache Aufgabe:
- die Natur zu bannen,
- mit dem Schicksal zu versöhnen und
- für das Leiden zu entschädigen.
Im Laufe der Zeit gelang die Konzentrierung auf den väterlichen Kern der Gottesidee, erwachsen aus der Erfahrung der eigenen Hilflosigkeit während der Kindheit.
Der Autor sieht hier eine Wiederholung der individualpsychologischen Entwicklung in der Kindheit:
Wenn nun der Heranwachsende merkt, dass es ihm bestimmt ist, immer ein Kind zu bleiben, daß er des Schutzes gegen fremde Übermächte nicht entbehren kann, verleiht er diesen die Züge der Vatergestalt, er schafft sich die Götter, vor denen er sich fürchtet, die er zu gewinnen sucht und denen er doch seinen Schutz überträgt.
Religion ist so die Abwehr der menschlichen Hilflosigkeit und Ohnmacht, die sich - wie dem Vater gegenüber - in einem ambivalenten Verhältnis aus Liebe und Furcht äußert.
Freud setzt sich im weiteren Verlauf des Textes mit einem fiktiven Kritiker auseinander, der eine gegenaufklärerische Haltung vertritt und insbesondere auf die Konsequenzen des Zerfalls der Religion hinweist. Freud sieht jedoch gerade in der rein religiösen Begründung von Urteilen eine Gefahr durch die große Masse der Ungebildeten. Diese fänden keinen Ersatz, sollte die religiöse Motivation einst zerfallen, was für Freud unausweichlich passieren wird: „Solange sie nicht erfahren, daß man nicht mehr an Gott glaubt, ist es gut. Aber sie erfahren es, unfehlbar, auch wenn meine Schrift nicht veröffentlicht wird.“ Freud plädiert daher für eine rationale Begründung von Kulturvorschriften, die nicht durch affektive Kräfte zustande kommt, sondern auf Vernunft basiert. Dies bedeute zwangsläufig nicht nur einen Verzicht auf die feierliche Verklärung kultureller Vorschriften, sondern eine „allgemeine Revision derselben, die für viele die Aufhebung zur Folge haben muss“, was aber kaum zu bedauern sei.
Religionskritische Zitate von Freud
BearbeitenEine Neurose ist individuelle Religiosität, und Religion ist eine universelle Zwangsneurose.
Wir heißen also einen Glauben eine Illusion, wenn sich in seiner Motivierung die Wunscherfüllung vordrängt. ( Die Zukunft einer Illusion)
Es ist wirklich dem Menschen natürlich, alles zu personifizieren, was er begreifen will, um es später zu beherrschen. ( Die Zukunft einer Illusion)
Es gibt keine Instanz über der Vernunft. ( Die Zukunft einer Illusion)
Die Stimme des Intellekts ist leise, aber sie ruht nicht, ehe sie sich Gehör verschafft hat. ( Die Zukunft einer Illusion)
Literatur
BearbeitenSammelwerke
Bearbeiten- Gesammelte Werke. 19 Bände mit 8759 Seiten, Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1999. ISBN 3-596-50300-0
- Studienausgabe in zehn Bänden mit einem Ergänzungsband. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2000. ISBN 3-596-50360-4
- Werkausgabe in zwei Bänden. Bd. 1: Elemente der Psychoanalyse; Bd. 2: Anwendungen der Psychoanalyse. Hg. und komm. v. Anna Freud und Ilse Grubrich-Simitis. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2006. ISBN 3-596-17216-0
- Das Lesebuch. Schriften aus vier Jahrzehnten. Hg. u. komm. v. Cordelia Schmidt-Hellerau. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2006. ISBN 3-10-073302-9
Einzelne Werke (Auswahl) als Fischer-Tb
Bearbeiten- 1927 Die Zukunft einer Illusion
- 1939 Der Mann Moses und die monotheistische Religion
Zeitschriftenartikel
Bearbeiten- Raymond Battegay: Psychologie: Freud und das Judentum. Ambivalenz und Zugehörigkeit. Freud und seine ambivalente Beziehung zum Judentum sowie seine Einstellung zu den Religionen im Allgemeinen Aufbau. Das jüdische Monatsmagazin. Mai 2006. S. 6-11. ISSN 0004-7813