Seitentitel: Reisen in das Alte Dresden/ Dresden in der Frühromantik/ Einleitung
(Reisen in das Alte Dresden/ Dresden in der Frühromantik/ Einleitung)

2. - 11. August 1794: Goethe besucht Dresden

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Johann Wolfgang von Goethe besuchte in der Zeit vom 2. bis zum 11. August 1794 häufig die Gemäldegalerie und die Antiken, noch häufiger aber die Gipsabgüsse in Dresden, für welche er ein besonderes Interesse entwickelt hatte.[3]

Im Jahre 1794 befand sich die Dresdner Gemäldegalerie seit 1747 in dem speziell zu diesem Zweck umgebauten kurfürstlichem Stallgebäude am Neumarkt, dem heutigen Johanneum.[4]

Die Antiken befanden sich damals seit fast siebzig Jahren im Palais im Großen Garten. Bereits August der Starke († 1. Februar 1733 in Warschau, ab 27. April 1694 als Friedrich August I. Kurfürst von Sachsen) hatte zum Ausbau seiner "Kunstkammer" über Agenten ständig antike Marmor-Skulpturen in Einzelstücken oder kleineren Sammlungen aufgekauft und 1728 die 160 Skulpturen umfassende Antiken-Sammlung des Agostino Chigi († 11. April 1520 in Rom), eines der reichsten Männer der Renaissancezeit und Bankier der Päpste, erwerben können und dort untergebracht. Dadurch wurde Dresden zur ersten deutschen Stadt mit einer Antikensammlung nach italienischem Vorbild.


Während seines zweiten Romaufenthaltes häuften Goethe und Johann Heinrich Wilhelm Tischbein in Tischbeins Atelier eine Unmenge an Gipsabgüssen von Antiken an. Im Bericht April 1788 seiner Italienische Reise beschreibt Goethe, dass die Juno Ludovisi am meistens wertgeschätzt wurde. Er hatte sie im Original in der Villa Ludovisi, den heutigen XVI. Rione (Stadtteil) Ludovisi[6] von Rom, persönlich gesehen und schrieb äußerst beeindruckt:

„…wovon das Original in der Villa Ludovisi steht… Es ist wie ein Gesang Homers.“ (Italienische Reise, 6. Januar 1787)

Winckelmann, Herder, Goethe, Schiller, Wilhelm von Humboldt und andere sahen in dem Junokopf den Inbegriff griechischer Idealität, "das Symbol griechischer Kunst schlechthin", weil er für ein Kultbild der Hera, Schwester und Gemahlin des Zeus, gehalten wurde. Aus dieser Ansicht heraus entwickelte sich eine höchste Verehrung. Goethe bezeichnete diese Kolossalbüste gar als seine „erste Liebschafft in Rom“, andere schrieben Gedichte wie Wilhelm von Humboldt[7], Friedrich Hebbel[8] und Paul Heyse[9]. 1845 schrieb Hebbel an Elise:

"Ich war nun schon zweimal in der Villa Ludovisi … und habe dort gesehen, was über alles, was man sehen kann, selbst in Rom, hinausgeht, die Juno."[10]


Darüber hinaus gab es in der Tischbeinschen Wohnung in Rom an Gipsabgüssen

einige kleinere Junonen [...] zur Vergleichung, [...] vorzüglich Büsten Jupiters und [...] ein guter alter Abguss der Medusa Rondanini.

Neben vielen unerwähnten Gipsen hob Goethe noch einen Herkules Anax hervor,

so kräftig und groß, als verständig und mild; sodann eines allerliebsten Merkur, deren beider Originale sich jetzt in England befinden.

Selbst Abgüsse von den ägyptische Obelisken waren dabei. Vieles davon blieb in Rom, so die Tischbeinschen Besitzungen, aber auch bei anderen Künstlern, besonders bei Friedrich Bury, der Goethes Quartier bezog und noch bis 1799 in Italien blieb.

Auch in Deutschland galt Goethes Interesse den Antiken. Die Juno aus Rom schenkte er bei seiner Abreise 1788 Angelika Kauffmann. Ein Mittransport über die Alpen schien unmöglich. Der Abguß im Junozimmer im Goethehaus am Frauenplan stammt vom Berliner Staatsrat Christoph Friedrich Ludwig Schultz und kam erst 1823 nach Weimar.[12]

Allein siebenmal weilte Goethe im Wörlitzer Park, von 1776 angefangen bis 1796.[13]

Hier steht mit dem von Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff zwischen 1769 und 1773 errichteten Wörlitzer Schloss der Gründungsbau des deutschen Klassizismus und eines der wenigen deutschen Bauwerke des Palladianismus. Fürst Franz und von Erdmannsdorff hatten auf der fürstlichen Grand Tour von 1765 bis 1767 nach Italien, Frankreich, in die Schweiz, nach Holland und England umfangreiche kulturhistorische und ökonomische Studien betrieben und auch die damals neuen Ausgrabungsfunden in den untergegangenen Städten Pompeji und Herculaneum besucht. Diese Kavalierstour zählt zu den beispielhaften Reisen aufgeklärter Fürsten des 18. Jahrhunderts. In Neapel begegnete er dem Diplomaten und Kunstsammler William Hamilton, was insbesondere Einfluss auf die Gestaltung der Insel Stein im Wörlitzer Park haben sollte.

Am Nymphäum, dessen Original in Rom zu bewundern ist, saß Goethe besonders gern, so daß hier eine Inschrift angebracht wurde:

Hier ist´s jetzt unendlich schön. Mich hat´s gestern Abend, wie wir durch die Seen, Kanäle und Wäldchen schlichen, sehr gerührt, wie die Götter dem Fürsten erlaubt haben, einen Traum um sich herum zu schaffen. Es ist, wenn man so durchzieht, wie ein Märchen, das einem vorgetragen wird, und hat ganz den Charakter der Elysischen Felder. In der sachtesten Mannigfaltigkeit fließt eins in das andre, keine Höhe zieht das Aug´ und das Verlangen auf einen einzigen Punkt, man streicht herum ohne zu fragen, wo man ausgegangen ist und hinkommt. Das Buschwerk ist in seiner schönsten Jugend, und das ganze hat die reinste Lieblichkeit. Goethe an Charlotte von Stein, Wörlitz, 14. Mai 1778

24. August 1794: Eröffnung der Mengs'schen Gypssammlung unter der Gemäldegalerie im Stallhof

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Ab 1794 wurden die Abguss-Figuren des Antiken-Kabinetts im Untergeschoss der Gemäldegalerie zur Schau gestellt, nachdem 1783 die 833 Stücke umfassende Sammlung des 1779 in Rom verstorbenen Anton Raphael Mengs erworben werden konnte.

Im Frühjahr 1784 erreichten die Gipsabgüsse in 96 Kisten über den Wasserweg Dresden und wurden zunächst im damaligen Gemäldesaal des Brühlschen Gartens aufgestellt, zu dem aber nur sehr begrenzt öffentlicher Zutritt bestand.

Am 24. August 1794 wurde ein eigens dazu bereiteter Saal unter der Bildergalerie im ehemaligen Stallhof für die Sammlung eröffnet.[19]

Bereits im gleichen Jahr arbeitete der damalige Inspector der Gipsantikengallerie, Johann Gottlob Matthaey, den Catalogue des jets des stuc des plus excellentes antiques[20] mit dutzenden Tafeln der Statuen und Reliefs aus.[21] Matthaey war bis dahin Modelleur an der Meißner Porzellanmanufaktur[22] und zog 1794 mit seiner Familie nach Dresden an den Neumarkt 571[23] um, wo er in direkter Nachbarschaft der Ausstellung lebte.

1796: Tieck und Wackenroder besuchen Dresden

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Im Frühsommer 1796 besuchten die gebürtigen Berliner Ludwig Tieck[24] und Wilhelm Heinrich Wackenroder[25] Dresden und dessen Kunstschätze wie die Gemäldegalerie, die Antikensammlung und die Mengs'schen Gypse.

Tieck und Wackenroder waren seinerzeit beide 23jährig und hatten das Friedrichswerdersche Gymnasium in Berlin besucht, Tieck ab 1782, Wackenroder ab 1786. Sie waren auch Schüler von Karl Philipp Moritz[26] an der Königlichen Akademie der Künste in Berlin. Ein weiterer Schüler zu dieser Zeit war dort Alexander von Humboldt.

Karl Philipp Moritz war im November 1786 mit Goethe bei Johann Heinrich Wilhelm Tischbein in Rom zusammengetroffen und wurde Goethes "Liebster Gesellschafter"[28] in Rom. Goethe betrachtete ihn wie einen jüngeren Bruder[29]

Tieck und Wackenroder lernten über Karl Philipp Moritz die Goethesche[30] klassische Antikenrezeption kennen.

Karl Philipp Moritz hatte 1788 in seiner Schrift "Über die bildende Nachahmung des Schönen" seine Gedanken über die Autonomieästhetik niedergelegt, welche Goethe zufolge aus Gesprächen zwischen ihm und Moritz in Rom hervorgegangen und somit für Goethe von größter Bedeutung waren.[31]

Die Schrift postulierte, dass das Kunstwerk keinem Fremdzweck diene und der Künstler keinem dienstbar sei, sondern als Schöpfer mit dem Erzeuger des Universums auf einer Stufe stehe.

So war es kein Zufall, dass Tieck und Wackenroder sowie auch Goethe persönlich die Mengs'sche Sammlung von Gipsabgüssen antiker Skulpturen aufsuchten, Goethe zwischen dem 2. und 11. August 1794, zwei drei Wochen vor der Eröffnung der Sammlung im Stallhof, Tieck und Wackenroder etwa zwei Jahre danach im Frühsommer 1796.

Im Sommer 1793 begaben sich die jungen Freunde, damals beide Studenten in Erlangen bei Nürnberg, auf weite Reisen in die Fränkische Schweiz, den Frankenwald und das Fichtelgebirge und kamen dabei in Kontakt mit der mittelalterlichen deutschen Kunst, von der sie stark fasziniert wurden. Während Tieck sogleich Reisebeschreibungen verfasste, hielt Wackenroder seine frischen Eindrücke in seinem Notizbuch fest.

Tieck und Wackenroder gelten auch als Begründer der romantischen Musikästhetik. Sie glaubten an einen transzendenten Charakter der Musik, in deren ekstatischen Momenten der Mensch sich über sich selbst erhebe.

Tieck veröffentlichte ab 1795 in Berlin seine ersten Erzählungen und Romane. [35] Beide, insbesondere aber Wackenroder, arbeiteten ab 1795 an den Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders, die 1796 in Berlin erschienen. In diese kunsttheoretischen Schriften flossen auch ihre Dresdner Eindrücke mit ein.

Im Jahre 1796 befand sich die Dresdner Gemäldegalerie seit 1747 in dem speziell zu diesem Zweck umgebauten kurfürstlichem Stallgebäude am Neumarkt, dem heutigen Johanneum.[36]

Die Antiken befanden sich damals seit fast siebzig Jahren im Palais im Großen Garten. Bereits August der Starke († 1. Februar 1733 in Warschau, ab 27. April 1694 als Friedrich August I. Kurfürst von Sachsen) hatte zum Ausbau seiner "Kunstkammer" über Agenten ständig antike Marmor-Skulpturen in Einzelstücken oder kleineren Sammlungen aufgekauft und 1728 die 160 Skulpturen umfassende Antiken-Sammlung des Agostino Chigi († 11. April 1520 in Rom), eines der reichsten Männer der Renaissancezeit und Bankier der Päpste, erwerben können und dort untergebracht. Dadurch wurde Dresden zur ersten deutschen Stadt mit einer Antikensammlung nach italienischem Vorbild.

Ab 1794 wurden die Abguss-Figuren des Antiken-Kabinetts im Untergeschoss der Gemäldegalerie zur Schau gestellt, nachdem 1783 die 833 Stücke umfassende Sammlung des 1779 in Rom verstorbenen Anton Raphael Mengs erworben werden konnte.

Im Frühjahr 1784 erreichten die Gipsabgüsse in 96 Kisten über den Wasserweg Dresden und wurden zunächst im damaligen Gemäldesaal des Brühlschen Gartens aufgestellt, zu dem aber nur sehr begrenzt öffentlicher Zutritt bestand.

Am 24. August 1794 wurde ein eigens dazu bereiteter Saal unter der Bildergalerie im ehemaligen Stallhof für die Sammlung eröffnet.[42]

Bereits im gleichen Jahr arbeitete der damalige Inspector der Gipsantikengallerie, Johann Gottlob Matthaey, den Catalogue des jets des stuc des plus excellentes antiques[43] mit dutzenden Tafeln der Statuen und Reliefs aus.[44] Matthaey war bis dahin Modelleur an der Meißner Porzellanmanufaktur[45] und zog 1794 mit seiner Familie nach Dresden an den Neumarkt 571[46] um, wo er in direkter Nachbarschaft der Ausstellung lebte.

Juni/Juli 1797: Wilhelm von Humboldt in Dresden

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Von W. v. Humboldt, 28.6.1797 (HABaG Bd. 1, S. 273 ff., Nr. 184):

Dresden, den 28. Juni 1797.

Es ist nicht ganz meine Schuld, liebster Freund, daß ich Ihren liebevollen Brief vom 8. d. erst so spät beantworte. Er ist mir, da er mich nicht mehr in Berlin gefunden hat, erst spät durch Vieweg zugekommen.

Ihre Änderungen der angezeigten Stellen [in Hermann und Dorothea] hat mir Vieweg nicht mitgeschickt. Er schreibt mir indes, daß er, zwei ausgenommen, von allen übrigen hat Gebrauch machen können. Ich bewundere, wie unermüdet Sie beschäftigt sind, diesem schönen Werke auch die letzte Vollendung zu geben, und da Sie es wünschen, so sollen meine kleinlichen Bemerkungen auch mit dem Druck selbst noch nicht aufhören.

Der Schluß des Ganzen, den Sie mir zugleich mitteilen, ist Ihnen vortrefflich gelungen. Er hilft das große Bild von der Lage der Zeit und der neuen Um[ge]staltung der Dinge, worauf das ganze übrige Gedicht wie auf einer ungeheuern Basis ruht, trefflich vollenden, und die Gesinnungen der beiden Verlobten Dorotheens greifen so schön ineinander ein, daß sie nun im eigentlichsten Verstande alles umschließen, was nur über diesen Gegenstand menschlich gedacht und empfunden werden kann. Die unerwartete Erscheinung des ersten Geliebten tut eine sehr große Wirkung. Sie gewinnen dadurch den großen Vorteil, einen höhern, kühnern, mehrumfassenden, heldenmäßigen Charakter auftreten zu lassen und mit dem Interesse des Ganzen zu verknüpfen, als der übrigen Anlage Ihres Plans nach möglich war. Die beiden Hauptarten menschlichen Daseins, die Sie selbst an einem andern Ort so meisterhaft schildern, das unruhige Streben nach Erweiterung und Veredlung und die bescheidene Beschränktheit, die nur auf der kleinen ihr angewiesenen Stelle tätig ist, stehen unbeschreiblich lebendig und individuell durch die Schilderung so weniger Verse da. Aber was darin so vorzüglich groß ist, ist, daß der ruhige Hermann eigentlich nicht minder heldenmäßig erscheint als der andere; er zeigt vielmehr eine Stärke und Festigkeit des Entschlusses, die nur, durch Vernunft und richtigen praktischen Sinn geleitet, sich in bescheidenen Schranken hält; und der ganze Unterschied zwischen beiden liegt vielleicht in Einflüssen des Himmelstrichs und der Nationalverschiedenheit.

Denn auch dies haben Sie so meisterhaft benutzt und dem Deutschen (der Ihnen, wie ich gern einmal recht umständlich ausführen möchte, für die idealische Darstellung seines Charakters schon so viel schuldig ist) wieder einen sehr edeln Platz angewiesen.

Dieser Schluß vollendet nun zugleich, wie es mir scheint, den Begriff des Epischen in Ihrem Gedicht, vorzüglich im Gegensatz mit der Idylle. Die Idylle kann in der Tat nicht mehr als Eine Stimmung des menschlichen Gemüts kennen, bloß die beschränkte, die auf Ruhe und bloße Zufriedenheit geht. Das kühne Bemühen des Völkerverbesserers, das rastlose Streben des Weltumseglers, der emsige Fleiß des Naturforscbers, selbst der höhere Standpunkt des Philosophen, mit dem er sich über die bloße Wirklichkeit erhebt, alles dies ist der Idyllenstimmung nicht bloß fremd, sondern entgegengesetzt. Sie ist schlechterdings nur das Bild einer Hälfte der Menschheit, und ich habe oft gedacht, ob es nicht eine Gattung der Dichtart geben müßte, die ebenso ausschließend nur die andere schilderte. Das Epos allein umfaßt die gesamte Menschheit, vereinigt zugleich Flug des Geistes und Ruhe der Empfindung, und fügt alle Elemente des menschlichen Daseins zu einem großen Ganzen zusammen. Dies finde ich in so hohem Grade in Ihrem Hermann und dies macht ihn mir besonders so vorzüglich wert.

Einige einzelne Verse in diesem neuen Schluß sind zugleich so glücklich gesagt, daß sie einen unbeschreiblichen Eindruck machen. So die beiden:

Alles regt sich, als wollte die Welt, die gestaltete, rückwärts

Lösen in Chaos und Nacht sich auf, und neu sich gestalten.

Nur daß Sie im zweiten Vers "gestalten" wiederbringen, gefällt mir nicht ganz. Es ist nicht bloß die Wiederholung, an der ich mich stoße. Es ist mir eben, als forderte der Zusatz "neu sich gestalten" auch eine Partikel bei dem ersten "die gestaltete", was doch nicht anginge. Doch wird es freilich schwer sein, einen andern gleich passenden Ausdruck zu finden. Sonst kann ich nicht sagen, daß mir auch nur Kleinigkeiten in diesem Schluß aufgefallen wären. Das Ganze schien mir zwar sich noch nicht so rein und ohne Anstoß lesen zu lassen als die vorigen Gesänge; doch konnte ich nicht finden, wo es im Einzelnen steckte, und überdies schrieben Sie mir ja, daß Sie es noch hier und da umändern.

Es schmerzt uns sehr, daß Sie uns beinahe die Hoffnung wieder nehmen, uns jenseits der Alpen zu sehen und daß wir vielleicht auch Meyer verlieren. Sagen Sie mir doch recht bald etwas Näheres; Alexander grüßt Sie herzlich; ebenso meine Frau, die noch innig über die Güte und Liebe, die Sie ihr in Jena erwiesen haben, gerührt ist. Leider ist sie seit einigen Tagen wieder nicht recht wohl. Wir bleiben bis zum 12. Juli hier. So lange ist unsere Adresse: An Herrn von Humboldt den Älteren (nicht: Legations-Rat) im gräfl. Hagenschen Hause am Markt. Später: bei Körner abzugeben. Sobald ich nach Wien komme melde ich Ihnen unsere dortige Wohnung. Die Briefe an Sie schicke ich bis auf weitere Nachricht an Schiller. Leben Sie herzlich wohl und reisen Sie recht glücklich.

Ihr

Humboldt.


August 1798: Novalis in Dresden

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K. Knoll: Die Antiken, wie sie Novalis im August 1798 in Dresden bei Fackellicht sah – F. A. Böttiger: Die Dresdner Antikengalerie mit Fackelbeleuchtung gesehen, den 25. August 1798 –

https://verlag.koenigshausen-neumann.de/product/9783826060007-die-europa-idee-von-novalis-um-1800/

Literatur

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  • Silvio Vietta[47]: Der Dresdenbesuch von Wackenroder und Tieck und die romantische Revolution der Ästhetik, In: Forschungsstätte für Frühromantik und Novalis-Museum Schloss Oberwiederstedt und Internationale Novalis-Gesellschaft: Gabriele Rommel[48] (Hrsg.), Arved Grieshaber (Hrsg.), Dennis F. Mahoney (Hrsg.): Die Europa-Idee von Novalis um 1800. Antike-Rezeption zwischen Mythos und Utopie. Eine Ausstellung von Forschungsstätte für Frühromantik und Novalis-Museum Schloss Oberwiederstedt 2015/2017, Wiederstedt, Forschungsstätte für Frühromantik und Novalis-Museum Schloss Oberwiederstedt, Verlag K&N (Verlags Königshausen & Neumann), Würzburg [2016], ISBN 978-3826060007, S. 137-143.[49]
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Anmerkungen

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  1. Johann Heinrich Wilhelm Tischbein: Das verfluchte zweite Kissen, Zeichnung in Tischbeins Wohnung.
  2. Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1751–1829): Goethe am Fenster seines Apartements in Rom, 1787.
  3. Vgl. Charlotte Schreiter: Antike um jeden Preis. Gipsabgüsse und Kopien antiker Plastik am Ende des 18. Jahrhunderts Walter de Gruyter, Berlin 2014.
  4. Vgl. Beschreibung von 1848 bis 1851 in w:wikisource:de:Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Das „Neue Königliche Museum zu Dresden“ öffnete am 25. September 1855 in der „Sempergalerie“, wo sich die Gemäldegalerie noch immer befindet.
  5. Gemälde von seinem Hofmaler Louis de Silvestre aus dem Jahre 1736, postum, drei Jahre nach dem Tod August des Starken.
  6. 1886 verkaufte der Fürst von Piombino die weitläufige Villa Ludovisi an die Stadt Rom, die dort ein neues Wohngebiet anlegte.
  7. Du lebtest nie, hast nie dich aufgeschwungen/ Zum Göttersitz, bist niemals ihm entstiegen;/ Im Marmor ewig deine Lippen schwiegen,/ Aus Künstlers Phantasie bist du entsprungen./ Doch hast du eignes Wesen dir errungen,/ Das ruht in deinen stillen Götterzügen,/ Und keine Macht der Zeit kann es besiegen,/ Da tief es ist in Menschenbrust gedrungen./ So alle Ewigkeiten zu durchwalten,/ Dass in der Schattenmenge Traumgewirre/ Er nicht, ein Bruchstück nur des Haufens, irre/ Kann auch der Mensch zu Eignem sich gestalten./ Dem Erdenstoff ein Funken nur entsprühet,/ Die eigne Bahn er dann selbst leuchtend ziehet. + Wilhelm von Humboldt: Gesammelte Schriften. Hrsg. von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften. 1. Abt.: Werke. Hrsg. von Albert Leitzmann. Bd. 9: Gedichte. Berlin.
  8. Du lässest uns die Blüte alles Schönen/ Und seines Werdens holdes Wunder sehen;/ Die Stirn ist streng, man siehts in ihr entstehen,/ Wo es noch ringen muss mit herben Tönen./ Die Wange will sich schon mit Anmut krönen,/ Doch darf sie noch im Lächeln nicht zergehen,/ Der Mund jedoch zerschmilzt in süßen Wehen,/ Dass Ernst und Milde sich im Reiz versöhnen./ Erst keusches Leben, wurzelhaft gebunden,/ Dann scheuer Vortraum von sich selbst, der leise/ Hinüberführt zur wirklichen Entfaltung;/ Und nun ist auch der Werdekampf verwunden,/ Man sieht nicht Anfang mehr, noch Schluss im Kreise,/ Und dieses ist der Gipfel der Gestaltung. + Friedrich Hebbel: Werke. Hrsg. von Gerhard Fricke, Werner Keller und Karl Pörnbacher. München: Carl Hanser 1965. Bd. 3, S. 114.
  9. Wie ein Gesang des Homer»? Und was denn sagte dies Antlitz/ Mir vom Zorn des Achill, von der Sirenen Gesang?/ Nein, kein dichtender Geist, kein irdischer Zauber beseelt dich:/ So unnahbar und kühl leuchtet der Äther allein. + Kunst und Künstler, 1877/78.
  10. Friedrich Hebbel: Werke. Hrsg. von Gerhard Fricke, Werner Keller und Karl Pörnbacher. München: Carl Hanser 1965. Bd. 3, S. 903.
  11. Kolossaler Frauenkopf, Höhe 1,14 m, Marmor aus Paros, gelangte 1622 in die Sammlung Ludovisi, Museo nazionale romano di palazzo Altemps in Ponte, dem V. Rione (Stadtteil) von Rom, Piazza di San Apollinare 44, in der Nähe der Piazza Navona.
  12. Jutta Assel, Georg Jäger: Goethes Italienische Reise, Rom. Goethes Juno Eine Dokumentation auf goethezeitportal.de.
  13. Brunhild Höhling: Goethe zu Gast im Gartenreich des Fürsten Franz. In: Anhaltische Goethe-Gesellschaft (Hrsg.): Ausgewählte Vorträge, Heft Nr. 1, 2013, S. 4-21, Auszug auf anhaltische-goethe-gesellschaft.de.
  14. Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1751–1829): Porträt Goethes in der Campagna, 1787, Städelsches Kunstinstitut Frankfurt am Main.
  15. Aquarell von Johann Gottlob Matthäi (1753–1832, Artikel im Stadtwiki Dresden), vgl. Johann Gottlob Matthaey: Verzeichniss der im königl. sächs. Mengs'ischen Museum enthaltenen antiken und modernen Bildwerke in Gyps, Dresden und Leipzig in der Arnoldischen Buchhandlung, 1831, Titelkupfer: Innere Ansicht des königl. sächs. Mengsischen Museums
  16. Aus: Saxonia Museum für saechsische Vaterlandskunde. Band 1. 1835
  17. Meissner Porzellan von Johann Carl Schönheit (* Februar 1730 in Meißen; † 27. Mai 1805 ebenda).
  18. Meissner Porzellan von Christian Gottfried Jüchtzer.
  19. Johann Gottlob Matthaey: Verzeichniss... S. VI: Von hier [dem Brühlschen Garten] nahm sie der Vorsteher der Sammlung in Empfang und brachte sie in den eigens dazu bereiteten Saal unter der Bildergalerie, welcher am 24. August 1794 eröffnet wurde. Er hatte sich hierbei gleichsam eine Geschichte der idealisirten Menschengestalt gedacht, von ihrem ersten Entfalten (schlafender Genius Nr. 1) bis zu ihrer Vollendung (in der Venus, Juno, Agrippina, in den Heroen, Göttern) und in's höchste Alter (Zeno).
  20. Die Tafeln dieses Catalogue des jets des stuc des plus excellentes antiques en figures, bas-reliefs, tetes, mains, pies etc. que Son Altesse-Serenissime Electorale de Saxe, Frederic Auguste a achete de Roma von Johann Gottlob Matthaey (par Jean Gottlob Matthaei) sind abgedruckt in: Staatliche Kunstsammlungen Dresden (Hrsg.): Die Sammlungen der Gipsabgüsse von Anton Raphael Meng in Dresden, München 2006, S. 124-167. = Moritz Kiderlen, Die Sammlung der Gipsabgüsse von Anton Raphael Mengs in Dresden. Katalog der Abgüsse, Rekonstruktionen, Nachbildungen und Modelle aus dem römischen Nachlass des Malers in der Skulpturensammlung, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, 2006?
  21. Vgl. Zitate aus Martin Flashar: Wohl die größte Abgußsammlung der Welt..., in: Antike Welt, Jahrgang 1999, Nr. 6, S. 569-576, auf museanum.net, mit zwei Bildtafeln.
  22. Vgl. Artikel Johann Gottlob Matthäi im Stadtwiki Dresden.
  23. Dresden zur zweckmäßigen Kenntniß seiner Häuser und deren Bewohner. 1799: Matthäi, Joh. Gottlob, Inspektor der Gipsantikengallerie, Neumarkt 571.
  24. * 31. Mai 1773 in Berlin.
  25. * 13. Juli 1773 in Berlin. Vergleiche auch Wilhelm Heinrich Wackenroder im Projekt Gutenberg mit einem weiteren Portrait und Digitalisaten seiner Werke.
  26. Karl Philipp Moritz im Projekt Gutenberg.
  27. Karl Franz Jacob Heinrich Schumann (1767-1827): Porträt des Karl Phillip Moritz (1756-1793) im Jahre 1791; heute im Gleimhaus Halberstadt.
  28. Hans Wahl, Anton Kippenberg: Goethe und seine Welt, Insel-Verlag, Leipzig 1932, S. 106.
  29. Goethe notierte im Dezember 1786 in Rom: „Moritz ist hier, der uns durch ‚Anton Reiser‘ und die ‚Wanderungen durch England‘ merkwürdig geworden. Es ist ein reiner trefflicher Mann, an dem wir viel Freude haben.“ Er könne nicht ablassen „über die Innerlichkeiten des Menschen, seine Anlagen und Entwicklungen fortwährend zu sinnen und zu spinnen [...] Moritz ist wie ein jüngerer Bruder von mir, von derselben Art, nur da vom Schicksal verwahrlost und beschädigt, wo ich begünstigt und vorgezogen bin."
  30. Vgl. Goethes Zeitschrift Propyläen, Juli 1798 bis Ende 1800; hier insbesondere der 1798 im ersten Band veröffentlichte Aufsatz Über Laokoon.
  31. "Über die bildende Nachahmung des Schönen. von Karl Philipp Moritz. Braunschweig 1788. Unter diesem Titel ward ein Heft von kaum vier Bogen gedruckt, wozu Moritz das Manuskript nach Deutschland geschickt hatte, um seinen Verleger über den Vorschuß einer Reisebeschreibung nach Italien einigermaßen zu beschwichtigen. Freilich war eine solche nicht so leicht als die einer abenteuerlichen Fußwanderung durch England niederzuschreiben. Gedachtes Heft aber darf ich nicht unerwähnt lassen; es war aus unsern Unterhaltungen hervorgegangen, welche Moritz nach seiner Art benutzt und ausgebildet. Wie es nun damit auch sei, so kann es geschichtlich einiges Interesse haben, um daraus zu ersehen, was für Gedanken sich in jener Zeit vor uns auftaten, welche, späterhin entwickelt, geprüft, angewendet und verbreitet, mit der Denkweise des Jahrhunderts glücklich genug zusammentrafen. Einige Blätter aus der Mitte des Vortrags mögen hier eingeschaltet stehen; vielleicht nimmt man hievon Veranlassung, das Ganze wieder abzudrucken. "Der Horizont der tätigen Kraft aber muß bei dem bildenden Genie so weit wie die Natur selber sein, das heißt, die Organisation muß so fein gewebt sein und so unendlich viele Berührungspunkte der allumströmenden Natur darbieten, daß gleichsam die äußersten Enden von allen Verhältnissen der Natur im großen, hier im kleinen sich nebeneinander stellend, Raum genug haben, um sich einander nicht verdrängen zu dürfen. Wenn nun eine Organisation von diesem feinern Gewebe bei ihrer völligen Entwicklung auf einmal in der dunklen Ahnung ihrer tätigen Kraft ein Ganzes faßt, das weder in ihr Auge noch in ihr Ohr, weder in ihre Einbildungskraft noch in ihre Gedanken kam, so muß notwendig eine Unruhe, ein Mißverhältnis zwischen den sich wägenden Kräften so lange entstehen, bis sie wieder in ihr Gleichgewicht kommen. Bei einer Seele, deren bloß tätige Kraft schon das edle, große Ganze der Natur in dunkler Ahnung faßt, kann die deutlich erkennende Denkkraft, die noch lebhafter darstellende Einbildungskraft und der am hellsten spiegelnde äußre Sinn mit der Betrachtung des einzelnen im Zusammenhange der Natur sich nicht mehr begnügen. Alle die in der tätigen Kraft bloß dunkel geahneten Verhältnisse jenes großen Ganzen müssen notwendig auf irgend eine Weise entweder sichtbar, hörbar, oder doch der Einbildungskraft faßbar werden; und um dies zu werden, muß die Tatkraft, worin sie schlummern, sie nach sich selber, aus sich selber bilden. — Sie muß alle jene Verhältnisse des großen Ganzen und in ihnen das höchste Schöne, wie an den Spitzen seiner Strahlen, in einen Brennpunkt fassen. — Aus diesem Brennpunkte muß sich, nach des Auges gemessener Weite, ein zartes und doch getreues Bild des höchsten Schönen runden, das die vollkommensten Verhältnisse des großen Ganzen der Natur, ebenso wahr und richtig wie sie selbst, in seinen kleinen Umfang faßt. Weil nun aber dieser Abdruck des höchsten Schönen notwendig an etwas haften muß, so wählt die bildende Kraft, durch ihre Individualität bestimmt, irgend einen sichtbaren, hörbaren oder doch der Einbildungskraft faßbaren Gegenstand, auf den sie den Abglanz des höchsten Schönen im verjüngenden Maßstabe überträgt. — Und weil dieser Gegenstand wiederum, wenn er wirklich, was er darstellt, wäre, mit dem Zusammenhange der Natur, die außer sich selber kein wirklich eigenmächtiges Ganze duldet, nicht ferner bestehen könnte, so führet uns dies auf den Punkt, wo wir schon einmal waren: daß jedesmal das innere Wesen erst in die Erscheinung sich verwandeln müsse, ehe es, durch die Kunst, zu einem für sich bestehenden Ganzen gebildet werden und ungehindert die Verhältnisse des großen Ganzen der Natur in ihrem völligen Umfange spiegeln kann. Da nun aber jene großen Verhältnisse, in deren völligem Umfange eben das Schöne liegt, nicht mehr unter das Gebiet der Denkkraft fallen, so kann auch der lebendige Begriff von der bildenden Nachahmung des Schönen nur im Gefühl der tätigen Kraft, die es hervorbringt, im ersten Augenblick der Entstehung stattfinden, wo das Werk, als schon vollendet, durch alle Grade seines allmählichen Werdens, in dunkler Ahnung, auf einmal vor die Seele tritt und in diesem Moment der ersten Erzeugung gleichsam vor seinem wirklichen Dasein da ist; wodurch alsdann auch jener unnennbare Reiz entsteht, welcher das schaffende Genie zur immerwährenden Bildung treibt. Durch unser Nachdenken über die bildende Nachahmung des Schönen, mit dem reinen Genuß der schönen Kunstwerke selbst vereint, kann zwar etwas jenem lebendigen Begriff näher Kommendes in uns entstehen, das den Genuß der schönen Kunstwerke in uns erhöht. Allein da unser höchster Genuß des Schönen dennoch sein Werden aus unsrer eignen Kraft unmöglich mit in sich fassen kann, so bleibt der einzige höchste Genuß desselben immer dem schaffenden Genie, das es hervorbringt, selber, und das Schöne hat daher seinen höchsten Zweck in seiner Entstehung, in seinem Werden schon erreicht; unser Nachgenuß desselben ist nur eine Folge seines Daseins und das bildende Genie ist daher im großen Plane der Natur zuerst um sein selbst und dann erst um unsertwillen da; weil es nun einmal außer ihm noch Wesen gibt, die selbst nicht schaffen und bilden, aber doch das Gebildete, wenn es einmal hervorgebracht ist, mit ihrer Einbildungskraft umfassen können. Die Natur des Schönen besteht ja eben darin, daß sein innres Wesen außer den Grenzen der Denkkraft, in seiner Entstehung, in seinem eignen Werden liegt. Eben darum, weil die Denkkraft beim Schönen nicht mehr fragen kann, warum es schön sei, ist es schön. Denn es mangelt ja der Denkkraft völlig an einem Vergleichungspunkte, wornach sie das Schöne beurteilen und betrachten könnte. Was gibt es noch für einen Vergleichungspunkt für das echte Schöne, als mit dem Inbegriff aller harmonischen Verhältnisse des großen Ganzen der Natur, die keine Denkkraft umfassen kann? Alles einzelne, hin und her in der Natur zerstreute Schöne ist ja nur insofern schön, als sich dieser Inbegriff aller Verhältnisse jenes großen Ganzen mehr oder weniger darin offenbart. Es kann also nie zum Vergleichungspunkte für das Schöne der bildenden Künste, ebensowenig als der wahren Nachahmung des Schönen zum Vorbilde dienen; weil das höchste Schöne im einzelnen der Natur immer noch nicht schön genug für die stolze Nachahmung der großen und majestätischen Verhältnisse des allumfassenden Ganzen der Natur ist. Das Schöne kann daher nicht erkannt, es muß hervorgebracht oder empfunden werden. Denn weil in gänzlicher Ermanglung eines Vergleichungspunktes einmal das Schöne kein Gegenstand der Denkkraft ist, so würden wir, insofern wir es nicht selbst hervorbringen können, auch seines Genusses ganz entbehren müssen, indem wir uns nie an etwas halten könnten, dem das Schöne näher käme als das Minderschöne — wenn nicht etwas die Stelle der hervorbringenden Kraft in uns ersetzte, das ihr so nahe wie möglich kömmt, ohne doch sie selbst zu sein: — dies ist nun, was wir Geschmack oder Empfindungsfähigkeit für das Schöne nennen, die, wenn sie in ihren Grenzen bleibt, den Mangel des höhern Genusses bei der Hervorbringung des Schönen durch die ungestörte Ruhe der stillen Betrachtung ersetzen kann. Wenn nämlich das Organ nicht fein genug gewebt ist, um dem einströmenden Ganzen der Natur so viele Berührungspunkte darzubieten, als nötig sind, um alle ihre großen Verhältnisse vollständig im kleinen abzuspiegeln, und uns noch ein Punkt zum völligen Schluß des Zirkels fehlt, so können wir statt der Bildungskraft nur Empfindungsfähigkeit für das Schöne haben: jeder Versuch, es außer uns wieder darzustellen, würde uns mißlingen und uns desto unzufriedener mit uns selber machen, je näher unser Empfindungsvermögen für das Schöne an das uns mangelnde Bildungsvermögen grenzt. Weil nämlich das Wesen des Schönen eben in seiner Vollendung in sich selbst besteht, so schadet ihm der letzte fehlende Punkt so viel als tausend; denn er verrückt alle übrigen Punkte aus der Stelle, in welche sie gehören. Und ist dieser Vollendungspunkt einmal verfehlt, so verlohnt ein Werk der Kunst der Mühe des Anfangs und der Zeit seines Werdens nicht; es fällt unter das Schlechte bis zum Unnützen herab, und sein Dasein muß notwendig durch die Vergessenheit, worin es sinkt, sich wieder aufheben. Ebenso schadet auch dem in das feinere Gewebe der Organisation gepflanzten Bildungsvermögen der letzte zu seiner Vollständigkeit fehlende Punkt so viel als tausend. Der höchste Wert, den es als Empfindungsvermögen haben könnte, kömmt bei ihm, als Biidungskraft, ebensowenig wie der geringste in Betrachtung. Auf dem Punkte, wo das Empfindungsvermögen seine Grenzen überschreitet, muß es notwendig unter sich selber sinken, sich aufheben und vernichten. Je vollkommner das Empfindungsvermögen für eine gewisse Gattung des Schönen ist, um desto mehr ist es in Gefahr, sich zu täuschen, sich selbst für Bildungskraft zu nehmen und auf die Weise durch tausend mißlungene Versuche seinen Frieden mit sich selbst zu stören. Es blickt z. B. beim Genuß des Schönen in irgend einem Werke der Kunst zugleich durch das Werden desselben in die bildende Kraft, die es schuf, hindurch und ahnet dunkel den höhern Grad des Genusses eben dieses Schönen, im Gefühl dieser Kraft, die mächtig genug war, es aus sich selbst hervorzubringen. Um sich nun diesen höhern Grad des Genusses, welchen sie an einem Werke, das einmal schon da ist, unmöglich haben kann, auch zu verschaffen, strebt die einmal zu lebhaft gerührte Empfindung vergebens, etwas Ähnliches aus sich selbst hervorzubringen, haßt ihr eignes Werk, verwirft es und verleidet sich zugleich den Genuß alle des Schönen, das außer ihr schon da ist und woran sie nun eben deswegen, weil es ohne ihr Zutun da ist, keine Freude findet. Ihr einziger Wunsch und Streben ist, des ihr versagten höhern Genusses, den sie nur dunkel ahnet, teilhaftig zu werden: in einem schönen Werke, das ihr sein Dasein dankt, mit dem Bewußtsein von eigner Bildungskraft sich selbst zu spiegeln. Allein sie wird ihres Wunsches ewig nicht gewährt, weil Eigennutz ihn erzeugte und das Schöne sich nur um sein selbst willen von der Hand des Künstlers greifen und willig und folgsam von ihm sich bilden läßt. Wo sich nun in den schaffenwollenden Bildungstrieb sogleich die Vorstellung vom Genuß des Schönen mischt, den es, wenn es vollendet ist, gewähren soll, und wo diese Vorstellung der erste und stärkste Antrieb unsrer Tatkraft wird, die sich zu dem, was sie beginnt, nicht in und durch sich selbst gedrungen fühlt, da ist der Bildungstrieb gewiß nicht rein: der Brennpunkt oder Vollendungspunkt des Schönen fällt in die Wirkung über das Werk hinaus; die Strahlen gehen auseinander; das Werk kann sich nicht in sich selber runden. Dem höchsten Genuß des aus sich selbst hervorgebrachten Schönen sich so nah zu dünken, und doch darauf Verzicht zu tun, scheint freilich ein harter Kampf — der dennoch äußerst leicht wird, wenn wir aus diesem Bildungstriebe, den wir uns einmal zu besitzen schmeicheln, um doch sein Wesen zu veredeln, jede Spur des Eigennutzes, die wir noch finden, tilgen und jede Vorstellung des Genusses, den uns das Schöne, das wir hervorbringen wollen, wenn es nun da sein wird, durch das Gefühl von unsrer eignen Kraft gewähren soll, soviel wie möglich zu verbannen suchen, so daß, wenn wir auch mit dem letzten Atemzuge es erst vollenden könnten, es dennoch zu vollenden strebten. Behält alsdann das Schöne, das wir ahnen, bloß an und für sich selbst, in seiner Hervorbringung, noch Reiz genug, unsre Tatkraft zu bewegen, so dürfen wir getrost unserm Bildungstriebe folgen, weil er echt und rein ist. Verliert sich aber mit der gänzlichen Hinwegdenkung des Genusses und der Wirkung auch der Reiz, so bedarf es ja keines Kampfes weiter: der Frieden in uns ist hergestellt, und das nun wieder in seine Rechte getretene Empfindungsvermögen eröffnet sich zum Lohne für sein bescheidnes Zurücktreten in seine Grenzen dem reinsten Genuß des Schönen, der mit der Natur seines Wesens bestehen kann. Freilich kann nun der Punkt, wo Bildungs- und Empfindungskraft sich schneidet, so äußerst leicht verfehlt und überschritten werden, daß es gar nicht zu verwundern ist, wenn immer tausend falsche, angemaßte Abdrücke des höchsten Schönen, gegen einen echten, durch den falschen Bildungstrieb in den Werken der Kunst entstehen. Denn da die echte Bildungskraft sogleich bei der ersten Entstehung ihres Werks auch schon den ersten, höchsten Genuß desselben als ihren sichern Lohn in sich selber trägt und sich nur dadurch von dem falschen Bildungstriebe unterscheidet, daß sie den allerersten Moment ihres Anstoßes durch sich selber und nicht durch die Ahnung des Genusses von ihrem Werke erhält, und weil in diesem Moment der Leidenschaft die Denkkraft selbst kein richtiges Urteil fällen kann, so ist es fast unmöglich, ohne eine Anzahl mißlungener Versuche dieser Selbsttäuschung zu entkommen. Und selbst auch diese mißlungenen Versuche sind noch nicht immer ein Beweis von Mangel an Bildungskraft, weil diese selbst da, wo sie echt ist, oft eine ganz falsche Richtung nimmt, indem sie vor ihre Einbildungskraft stellen will, was vor ihr Auge, oder vor ihr Auge, was vor ihr Ohr gehört. Eben weil die Natur die inwohnende Bildungskraft nicht immer zur völligen Reife und Entwicklung kommen oder sie einen falschen Weg einschlagen läßt, auf dem sie sich nie entwickeln kann, so bleibt das echte Schöne selten. Und weil sie auch aus dem angemaßten Bildungstriebe das Gemeine und Schlechte ungehindert entstehen läßt, so unterscheidet sich eben dadurch das echte Schöne und Edle, durch seinen seltenen Wert, vom Schlechten und Gemeinen. In dem Empfindungsvermögen bleibt also stets die Lücke, welche nur durch das Resultat der Bildungskraft sich ausfüllt. — Bildungskraft und Empfindungsfähigkeit verhalten sich zueinander wie Mann und Weib. Denn auch die Bildungskraft ist bei der ersten Entstehung ihres Werks, im Moment des höchsten Genusses, zugleich Empfindungsfähigkeit und erzeugt, wie die Natur, den Abdruck ihres Wesens aus sich selber. Empfindungsvermögen sowohl als Bildungskraft sind also in dem feinern Gewebe der Organisation gegründet, insofern dieselbe in allen ihren Berührungspunkten von den Verhältnissen des großen Ganzen der Natur ein vollständiger oder doch fast vollständiger Abdruck ist. Empfindungskraft sowohl als Bildungskraft umfassen mehr als Denkkraft, und die tätige Kraft, worin sich beide gründen, faßt zugleich auch alles, was die Denkkraft faßt, weil sie von allen Begriffen, die wir je haben können, die ersten Anlässe, stets sie aus sich herausspinnend, in sich trägt. Insofern nun diese tätige Kraft alles, was nicht unter das Gebiet der Denkkraft fällt, hervordringend in sich faßt, heißt sie Bildungskraft; und insofern sie das, was außer den Grenzen der Denkkraft liegt, der Hervorbringung sich entgegen neigend, in sich begreift, heißt sie Empfindungskraft. Bildungskraft kann nicht ohne Empfindung und tätige Kraft, die bloß tätige Kraft hingegen kann ohne eigentliche Empfindungs- und Bildungskraft, wovon sie nur die Grundlage ist, für sich allein stattfinden. Insofern nun diese bloß tätige Kraft ebenfalls in dem feinem Gewebe der Organisation sich gründet, darf das Organ nur überhaupt in alle seinen Berührungspunkten ein Abdruck der Verhältnisse des großen Ganzen sein, ohne daß eben der Grad der Vollständigkeit erfordert würde, welche die Empfindungs- und Bildungskraft voraussetzt. Von den Verhältnissen des großen Ganzen, das uns umgibt, treffen nämlich immer so viele in allen Berührungspunkten unsres Organs zusammen, daß wir dies große Ganze dunkel in uns fühlen, ohne es doch selbst zu sein. Die in unser Wesen hineingesponnenen Verhältnisse jenes Ganzen streben, sich nach allen Seiten wieder auszudehnen; das Organ wünscht, sich nach allen Seiten bis ins Unendliche fortzusetzen. Es will das umgebende Ganze nicht nur in sich spiegeln, sondern, soweit es kann, selbst dies umgebende Ganze sein. Daher ergreift jede höhere Organisation ihrer Natur nach die ihr untergeordnete und trägt sie in ihr Wesen über: die Pflanze den unorganisierten Stoff durch bloßes Werden und Wachsen; das Tier die Pflanzen durch Werden, Wachsen und Genuß; der Mensch verwandelt nicht nur Tier und Pflanze durch Werden, Wachsen und Genuß in sein innres Wesen, sondern faßt zugleich alles, was seiner Organisation sich unterordnet, durch die unter allen am hellsten geschliffene spiegelnde Oberfläche seines Wesens in den Umfang seines Daseins auf und stellt es, wenn sein Organ sich bildend in sich selbst vollendet, verschönert außer sich wieder dar. Wo nicht, so muß er das, was um ihn her ist, durch Zerstörung in den Umfang seines wirklichen Daseins ziehn und verheerend um sich greifen, soweit er kann, da einmal die reine unschuldige Beschauung seinen Durst nach ausgedehntem wirklichen Dasein nicht ersetzen kann." Johann Wolfgang von Goethe: Italienische Reise. In: Ludwig Geiger, Eduard von der Hellen: Goethes sämtliche Werke: Jubiläums-Ausgabe in 40 Bänden. Band 26, Teil 2. Cotta, Stuttgart u. a. 1907, S. 562ff. - Im Jahr 1900 wechselte Eduard von der Hellen nach Stuttgart. Dort war er bis 1923 literarischer Berater des Cotta-Verlages. Von der Hellen war der Hauptherausgeber der vierzigbändigen Jubiläumsausgabe von Goethes Werken, die in den Jahren 1902 bis 1912 erschien, sowie der sechzehnbändigen Säkularausgabe von Schillers Werken in den Jahren 1904 und 1905.
  32. Johann Heinrich Wilhelm Tischbein: Moritz, von Goethe und Tischbein gepflegt.
  33. Carl Philipp Moritz (1757-1793). Kolorierter Stich von H. Sintzenich, 1793.
  34. Friedrich Rehberg (1758–1835): Porträt des Karl Philipp Moritz, etwa 1790.
  35. Peter Lebrecht, eine Geschichte ohne Abenteuerlichkeiten (1795, zwei Bände), William Lovell (1795–1796, drei Bände) und Abdallah (1795).
  36. Vgl. Beschreibung von 1848 bis 1851 in w:wikisource:de:Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Das „Neue Königliche Museum zu Dresden“ öffnete am 25. September 1855 in der „Sempergalerie“, wo sich die Gemäldegalerie noch immer befindet.
  37. Gemälde von seinem Hofmaler Louis de Silvestre aus dem Jahre 1736, postum, drei Jahre nach dem Tod August des Starken.
  38. Aquarell von Johann Gottlob Matthäi (1753–1832, Artikel im Stadtwiki Dresden), vgl. Johann Gottlob Matthaey: Verzeichniss der im königl. sächs. Mengs'ischen Museum enthaltenen antiken und modernen Bildwerke in Gyps, Dresden und Leipzig in der Arnoldischen Buchhandlung, 1831, Titelkupfer: Innere Ansicht des königl. sächs. Mengsischen Museums
  39. Aus: Saxonia Museum für saechsische Vaterlandskunde. Band 1. 1835
  40. Meissner Porzellan von Johann Carl Schönheit (* Februar 1730 in Meißen; † 27. Mai 1805 ebenda).
  41. Meissner Porzellan von Christian Gottfried Jüchtzer.
  42. Johann Gottlob Matthaey: Verzeichniss... S. VI: Von hier [dem Brühlschen Garten] nahm sie der Vorsteher der Sammlung in Empfang und brachte sie in den eigens dazu bereiteten Saal unter der Bildergalerie, welcher am 24. August 1794 eröffnet wurde. Er hatte sich hierbei gleichsam eine Geschichte der idealisirten Menschengestalt gedacht, von ihrem ersten Entfalten (schlafender Genius Nr. 1) bis zu ihrer Vollendung (in der Venus, Juno, Agrippina, in den Heroen, Göttern) und in's höchste Alter (Zeno).
  43. Die Tafeln dieses Catalogue des jets des stuc des plus excellentes antiques en figures, bas-reliefs, tetes, mains, pies etc. que Son Altesse-Serenissime Electorale de Saxe, Frederic Auguste a achete de Roma von Johann Gottlob Matthaey (par Jean Gottlob Matthaei) sind abgedruckt in: Staatliche Kunstsammlungen Dresden (Hrsg.): Die Sammlungen der Gipsabgüsse von Anton Raphael Meng in Dresden, München 2006, S. 124-167. = Moritz Kiderlen, Die Sammlung der Gipsabgüsse von Anton Raphael Mengs in Dresden. Katalog der Abgüsse, Rekonstruktionen, Nachbildungen und Modelle aus dem römischen Nachlass des Malers in der Skulpturensammlung, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, 2006?
  44. Vgl. Zitate aus Martin Flashar: Wohl die größte Abgußsammlung der Welt..., in: Antike Welt, Jahrgang 1999, Nr. 6, S. 569-576, auf museanum.net, mit zwei Bildtafeln.
  45. Vgl. Artikel Johann Gottlob Matthäi im Stadtwiki Dresden.
  46. Dresden zur zweckmäßigen Kenntniß seiner Häuser und deren Bewohner. 1799: Matthäi, Joh. Gottlob, Inspektor der Gipsantikengallerie, Neumarkt 571.
  47. Vgl. Silvio Vietta.
  48. Vgl. Gabriele Rommel.
  49. Verlag; SLUB - Signatur: NH 5200 R760 + Regal: -2 344., Buch; SLUB, Artikel.