Eine Hinführung zu den Werken SETHs

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Einleitung

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Von 1963 bis zu ihrem Tod im Jahr 1984 empfing die Amerikanerin Jane Roberts in rund tausend »Sitzungen« (engl. "sessions’’) Botschaften einer »körperlosen Persönlichkeit«, die sich Seth nannte. Jane Roberts befand sich dabei in einem tiefen Trancezustand und sprach die Mitteilungen Seths mit stark veränderter, männlicher Stimme. Ihr Mann, Robert Butts (von Seth Joseph genannt), schrieb die Botschaften mit. Bei diesen Sitzungen waren häufig auch andere Personen anwesend, auf deren Fragen Seth spontan antwortete.

In ihrem ersten Buch über diese Ereignisse (Das Seth-Material [SM]) beschreibt Jane Roberts, die von Seth Ruburt genannt wurde, die Vorgeschichte des Kontakts mit Seth und gibt einen thematisch geordneten Überblick über den Inhalt der ersten 510 Begegnungen mit Seth.

In der 511. Sitzung, am 21. Januar 1970, begann Seth ein Buch zu diktieren, das erste von insgesamt acht »Seth-Büchern«. Diese sind:

1. Seth Speaks (deutsch: Gespräche mit Seth) Sitzungen 511 – 596 (21. Jan. 1970 – 27. Sept. 1971)

2. The Nature of Personal Reality (dt. Die Natur der persönlichen Realität) Sitzungen 609 – 677 (10. April 1972 – 11. Juli 1973)

3. The "Unknown“ Reality Band 1: Sitzungen 679 – 704 (4. Febr.– 17. Juni 1974) Band 2: Sitzungen 705 – 744 (24. Juni 1974 – 23. April 1975)

4. The Nature of the Psyche (dt. Die Natur der Psyche) Sitzungen 752 – 800 (28. Juli 1975 – 4. April 1977)

5. The Individual and the Nature of Mass Events (dt. Individuum und Massenschicksal), Sitzungen 801 – 873 (18. April 1977 – 15. August 1979)

6. Dreams, "Evolution“ and Value Fulfillment (dt. Träume, „Evolution“ und Werterfüllung), Sitzungen 881 – 873 (13. Sept. 1979 – 8. Febr. 1982)

7. The Magical Approach 17 Sitzungen ohne Nummerierung (6. Aug.– 15 Okt. 1980)

8. The Way Toward Health 14 Kapitel (3. Jan – 30. Aug. 1984)

Alle diese Bücher sind unter dem Namen Jane Roberts erschienen.

Das gesamte Werk Seths – sowohl die in den ersten 510 Sitzungen übermittelten Aussagen wie auch das danach begonnene umfangreiche literarische Werk – dient einem einzigen Anliegen, nämlich der Verkündigung einer Reihe von Botschaften und Lehren. Von diesen sagt Seth

Was ich euch sagen werde, ist schon vor Jahrhunderten gesagt und immer dann wiederholt worden, wenn es vergessen worden war. Ich hoffe dabei auch manches berichtigen zu können, was im Laufe der Zeit entstellt wurde. (Sitzung 511)

Jedoch gilt dies nicht für alle seine Aussagen:

Von manch Anderem biete ich euch meine eigene, originale Interpretation. Ich beschreibe die Realität so, wie ich sie kennen gelernt habe und berichte über meine Erfahrungen in zahlreichen Ebenen und Dimensionen. (511)

Seth gibt sich jedoch nicht als allwissend:

Ich erzähle euch einfach, was ich weiß; es gibt aber auch vieles, was ich nicht weiß. (426)

Und er schließt auch das Auftreten von Störungen und Fehlern nicht ganz aus:

Es können (bei der Übermittlung) Störungen auftreten, so wie jede Information entstellt werden kann. Wir (d. h. Jane Roberts und Seth) sind jedoch jetzt an die Zusammenarbeit gewöhnt, daher treten Störungen sehr selten auf. (513)

Die Tatsache, dass Seth – nach eigener Aussage – nicht allwissend und die überlieferten Botschaften nicht unfehlbar sind, ist für die Rezeption und die Interpretation seiner Aussagen wichtig: Eine übereifrige und unkritische Annahme seiner Botschaften halte ich für ebenso falsch wie die Tendenz, Seth zu einem Idol oder einem Guru zu machen. Tatsächlich lassen sich nämlich in einigen Details der Botschaften, so wie sie uns übermittelt wurden, zweifelsfrei Fehler oder Mängel nachweisen, wobei allerdings nachträgliche Übertragungsfehler oft nicht auszuschließen sind. Auch weisen die vorliegenden Übersetzungen – von ihrer sprachlichen Qualität einmal ganz zu schweigen – gelegentlich erhebliche Mängel auf. All das sind gute Gründe, eine kritische Distanz nicht ganz aufzugeben. Mit diesen Bemerkungen will ich aber nicht in Frage stellen, dass Seth uns Wichtiges mitzuteilen hat. Er selbst sagt dazu:

Da ich nicht mehr mit einem Körper verbunden bin, weiß ich um einige Wahrheiten, die viele von euch anscheinend vergessen haben. Ich hoffe, euch daran zu erinnern. Dabei spreche ich weniger zu dem Teil von euch, den ihr für euer Ich haltet, als vielmehr zu dem Teil, den ihr nicht kennt, den ihr teils verleugnet, teils auch vergessen habt. Dieser Teil von euch liest dieses Buch genauso wie »ihr«. (511)

Hier begegnet uns erstmals ein im Werk Seths sehr häufiges und sehr wichtiges Phänomen: Seth spricht mit derselben Anrede »du« oder »ihr« (oder auch »meine Leser«) oft im selben Satz verschiedene »Teile« oder »Schichten« der Persönlichkeit an. Dies muss man wissen und beachten, um manche Aussagen richtig verstehen zu können. Auch bedarf es dazu einiger Erklärungen, die später folgen. (Eigentlich müssten mehrere aufeinander folgende Kapitel nebeneinander gelesen werden, um sie richtig verstehen zu können. Da dies schwer möglich ist, empfiehlt sich eine wiederholte Lektüre.)

Die religiöse und weltanschauliche Orientierung seiner Leser ist für Seth belanglos:

Ich spreche zu denen, die an Gott glauben, und zu denen, die es nicht tun; ich spreche zu denen, die glauben, dass die Naturwissenschaft irgendwann alle Fragen über die Natur der Realität beantworten wird, und zu denen, die dies nicht glauben. Und ich hoffe euch Hinweise geben zu können, die es euch ermöglichen, euch wie nie zuvor selbständig mit dem Wesen der Realität auseinander zu setzen. (511)

Diese »Toleranz« Seths bedeutet jedoch nicht, seine Botschaften wären weltanschaulich neutral oder die Einstellung seiner Leser wäre beliebig:

Manche meiner Leser mögen glauben, sie wären ihrer Natur nach körperliche Wesen und ihr Bewusstsein wäre an ihren Körper gebunden, ja es würde sogar von diesem hervorgebracht. Wenn ihr aber glaubt, eure Existenz hinge von eurem Körper ab, dann fühlt ihr euch von der Auslöschung bedroht; denn keine physische Form überdauert, und kein Körper – so schön er in der Jugend sein mag – bewahrt seine Vitalität und seine Anmut auch im Alter unvermindert. Wenn ihr euch also mit eurer Jugend, eurer Schönheit, eurer Intelligenz oder euren Leistungen identifiziert, dann nagt an eurem Selbstbild das Wissen, dass diese Eigenschaften jederzeit vergehen können und irgendwann auch vergehen werden.
Ich schreibe dieses Buch, um euch zu versichern, dass dieser Glaube falsch ist. Im Grunde seid ihr ebenso wenig körperliche Wesen, wie ich eines bin. Ich aber habe zahlreichere Körper besessen, als ich jetzt aufzählen möchte – und wieder abgelegt. Dennoch existiere ich offenbar; denn Personen, die nicht existieren, können keine Bücher schreiben. Ich bin völlig unabhängig von einem Körper – und ihr seid es auch.
Das Bewusstsein erschafft den Körper – nicht umgekehrt.
Nur weil ihr so sehr mit euren Alltagsangelegenheiten beschäftigt seid, merkt ihr nicht, dass es in euch einen Teil gibt, der weiß, dass seine Kräfte denen eures gewöhnlichen Ich (damit ist das Ich gemeint, mit dem wir uns meist identifizieren) weit überlegen sind.
Ihr könnt nicht verstehen, was ihr seid und was ich bin, solange ihr das Wesen der menschlichen Persönlichkeit nicht versteht und die Eigenschaften des Bewusstseins nicht kennt. Wenn ihr glaubt, euer Bewusstsein wäre irgendwo in eurem Schädel eingesperrt und könnte nicht daraus entfliehen, oder wenn ihr meint, euer Bewusstsein ende an der Oberfläche eures Körpers, dann unterschätzt ihr euch – und müsst andererseits mich für eine Täuschung halten.(511)

Und nun nennt Seth seine vorbereitenden Anliegen:

Es gibt einige Tatsachen, mit denen ich euch vertraut machen möchte:
Ihr seid nicht in die Zeitspanne eures Lebens eingesperrt wie eine Fliege in eine Flasche.
Ihr könnt euch nicht darauf verlassen, dass eure Sinne euch ein getreues Bild der Wirklichkeit vermitteln. Sie sind sympathische Lügner und erzählen euch phantastische Geschichten so überzeugend, dass ihr auf sie hereinfallt.
Ihr seid, wenn ihr träumt, manchmal weiser, kreativer und weitaus kenntnisreicher, als wenn ihr wacht.

Dann kommt Seth zu seiner eigentlichen Botschaft, über die zu sprechen er niemals müde wird und die er in seinen ersten Büchern immer weiter entfaltet:

Ich spreche zu euch vor allem als Lehrer mit einer Botschaft: Ihr selbst erschafft die Welt, die ihr kennt. Euch ist die vielleicht furchtbarste aller Gaben verliehen worden: die Fähigkeit, eure Gedanken nach außen in körperliche Formen zu projizieren.
Diese Gabe bringt Verantwortung mit sich, und viele von euch, die sich einerseits zu ihren Erfolgen im Leben gratulieren, sind andererseits geneigt, für ihre Fehlschläge Gott, das Schicksal oder die Gesellschaft verantwortlich zu machen. Auch neigt die Menschheit insgesamt dazu, ihre Schuld und ihre Irrtümer auf einen Vater-Gott zu projizieren, der dieser vielen Anschuldigungen nachgerade überdrüssig sein müsste. Ihr könnt das Unglück der Welt auch nicht dem Teufel anlasten, denn ihr seid aufgeklärt genug, um zu wissen, dass der Teufel eine Projektion eurer Psyche ist. Andererseits aber seid ihr noch nicht weise genug, eure Kreativität konstruktiv anzuwenden.
Tatsächlich erschafft jeder von euch seine physische Realität selbst, und alle zusammen erschafft ihr sowohl die Herrlichkeiten als auch die Schrecken der Erde. Und solange ihr nicht erkennt, dass ihr die Schöpfer all dessen seid, weigert ihr euch natürlich, die Verantwortung dafür zu übernehmen. (511)

Hier geht es eigentlich um zwei verschiedene Dinge:

1. Um die Erschaffung der »körperlichen Formen« in der Welt, der »physischen Realität«, und

2. um die Gestaltung der Vorgänge in der Welt, ihrer »Herrlichkeiten und Schrecken«.

Ich meine, dass seit dem Jahr 1970, als Seth diese Worte diktierte, in vielen Menschen das Bewusstsein gewachsen ist, dass das unermessliche Leid auf der Erde von den Menschen selbst verursacht wurde und noch immer verursacht wird.

Weniger verbreitet mag der Gedanke sein, dass zum Beispiel die schier unglaublichen, unvorhersehbaren und völlig unwahrscheinlichen Vorgänge in Mittel- und Ostdeutschland sowie in Osteuropa überhaupt, die schließlich zum Zusammenbruch der dortigen Diktaturen geführt haben, ein Ergebnis der Sehnsucht von Millionen Menschen nach Freiheit waren.

Ganz unglaublich aber mutet uns die Behauptung Seths an, wir würden durch unsere Gedanken auch die materielle Welt erschaffen. Später wird sich zeigen, dass Seth damit eigentlich die Gedanken, genauer: die psychische Energie, unseres inneren Ich meint. (Siehe dazu den obigen Hinweis auf verschiedene Teile oder Schichten unserer Persönlichkeit.)

Durch diese Vorstellung allerdings könnten wir uns auch überfordert fühlen, oder sie könnte uns dazu verleiten, uns selbst zu überfordern – oder aber zu resignieren. Darum sagt Seth:

Kümmere dich um das, was unmittelbar vor dir liegt. Du bist nicht für die Rettung der ganzen Welt verantwortlich, noch dafür, alle ihre Probleme zu lösen – wohl aber ist es deine Aufgabe, dich um deine eigene Nische des Universums zu kümmern. Wenn jeder Mensch das tut, rettet die Welt sich selbst. (Aus einer persönlichen Botschaft für Jane Roberts am 23. Oktober 1981, in: Träume, „Evolution“ und Werterfüllung; Vorwort)

 

Die multidimensionale Wesenheit

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Erster Aspekt: Die Reinkarnation

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Ich habe zahlreichere Körper besessen, als ich jetzt aufzählen möchte. (511)

Auch ihr habt andere Leben gelebt, und das Wissen darum ist in euch, auch wenn ihr euch dessen nicht bewusst seid .(511)

Der Gedanke an die Möglichkeit der Reinkarnation, also an die Möglichkeit, dass wir nicht nur ein einziges Mal auf Erden leben, sondern schon wiederholt und sogar sehr oft hier gelebt haben könnten und folglich damit rechnen müssen, auch künftig neuerlich wiedergeboren – inkarniert – zu werden, dieser Gedanke bereitet vielen Menschen unseres Kulturkreises große Schwierigkeiten. Ich kenne Menschen, denen der erste intensive Kontakt mit dieser Vorstellung buchstäblich den Schlaf geraubt hat, und andere, die Monate brauchten, um ihre Scheu oder ihren Widerwillen vor einer ernsten Auseinandersetzung damit zu überwinden. Aber die Wahrheit richtet sich nicht nach unseren Wünschen, nach unseren Vorlieben und Abneigungen, und auch die christliche Lehre ist kein gültiges Argument gegen den Wiedergeburtsglauben, denn es gibt keine unüberwindlichen Widersprüche zwischen beiden, es gibt sogar christliche Sekten und Gemeinschaften, zu deren Glaubenskanon die Wiedergeburtslehre gehört. Der Glaube an die Wiedergeburt ist auf der Erde weit verbreitet, ja, er findet sich sogar beim größeren Teil der Menschheit. Dies beweist natürlich gar nichts; ich erwähne es nur, weil viele Menschen der westlichen Welt meinen, lediglich die Bewohner Südostasiens und Tibets glaubten an die Reinkarnation. Das Gegenteil ist richtig: Der Glaube an die Wiedergeburt findet sich nicht nur in fast allen Teilen der Welt, sondern auch in früheren Jahrhunderten im Abendland: bei den Kelten Mittel- und Westeuropas ebenso wie bei den Wikingern Islands und Skandinaviens. Evans-Wentz entdeckte noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts Hinweise auf ein Weiterbestehen des Reinkarnationsglaubens unter den keltischen Einwohnern Schottlands, Wales’ und Irlands. Die weite Verbreitung des Glaubens an die Wiedergeburt auf der Erde ließ SCHOPENHAUER bemerken: „Wenn ein Asiate mich nach einer Definition für Europa fragen würde, müsste ich ihm antworten: Es ist der Teil der Welt, der vollständig von der unerhörten und unglaublichen Täuschung beherrscht wird, dass eines Menschen Geburt sein Anfang sei und dass er aus nichts geschaffen wurde.“ (Parerga und Paralipomena) Seit der Zeit Schopenhauers allerdings haben viele Abendländer den von ihm beklagten Irrglauben abgelegt. Eine Umfrage des Gallup-Instituts von 1968 – also noch vor der Blütezeit der «Esoterik« – hat ergeben, dass 18 Prozent der Bewohner von acht europäischen Ländern an Reinkarnation glaubten. Ein Jahr später erklärten bei einer ähnlichen Umfrage 20 Prozent der US-Amerikaner und 26 Prozent der Kanadier, an Reinkarnation zu glauben. Spätere Umfragen ließen eine steigende Tendenz erkennen. In der Philosophie des Abendlandes hat der Reinkarnationsglaube eine lange Tradition, die mindestens bis auf Pythagoras (etwa 570 - 496 v. Chr.) zurückreicht. Zu den Anhängern des Glaubens an die Wiedergeburt gehören neben vielen anderen Sokrates, Plato, Plotin, Giordano Bruno, Goethe, Schopenhauer, Emerson und Walt Whitman. Es ist bezeichnend, dass diese Tatsache in der westlichen Welt weitgehend verheimlicht oder ignoriert wird und dass viele Anhänger des Reinkarnationsglaubens meinen, sie gehörten einer kleinen, exotischen Minderheit an, und sich daher manchmal scheuen, sich zu ihrem Glauben zu bekennen. Einer der wichtigsten Gründe hierfür ist sicher der zumindest unterschwellig noch sehr wirksame Einfluss der großen christlichen Kirchen. Dabei darf die von diesen Kirchen durchgehend vertretene Ablehnung des Wiedergeburtsglaubens nicht als wesenhaft christlich angesehen werden. Im Gegenteil, es gibt sogar im Neuen Testament Hinweise auf den Reinkarnationsglauben, wenngleich diese auch – vielleicht als Folge späterer Retuschen – eher spärlich und indirekt sind. Sie erwecken aber den Eindruck, als werde der Reinkarnationsglaube als selbstverständlich und keiner weiteren Erläuterung bedürftig vorausgesetzt. Die einschlägigen Stellen lauten:

(Jesus über Johannes den Täufer:) Und wenn ihr es gelten lassen wollt: Ja, er ist Elija, der wiederkommen soll. (Mt. 11,14)
(Jesus fragte seine Jünger: Für wen halten die Leute den Menschensohn?) Sie sagten: Die einen für Johannes den Täufer, andere für Elija, wieder andere für Jeremia oder sonst einen Propheten. (Mt. 16,14)
(Über Johannes den Täufer:) Andere sagten: Er ist Elija. Wieder andere: Er ist ein Prophet wie einer von den alten Propheten. (Mk. 6,15)
(Johannes der Täufer über sich selbst:) Sie fragten ihn: Wer bist du dann? Bist du Elija? Und er sagte: Ich bin es nicht. – Bist du der Prophet? Er antwortete: Nein. (Joh. 1,21)
Unterwegs sah Jesus einen Mann, der seit seiner Geburt blind war. Da fragten ihn seine Jünger: Rabbi, wer hat gesündigt? Er selbst oder seine Eltern, sodass er blind geboren wurde? (Joh. 9,1,2) – (Die Frage der Jünger ist nur sinnvoll, wenn man annimmt, dass sie an die Wiedergeburt und an eine Karmalehre geglaubt haben, die eine Bestrafung der Sünden in einem späteren Leben vorsieht.)

Nach STEVENSON (Wiedergeburt, Frankfurt 1992) hat mindestens ein Teil der Christen Südeuropas bis zum sechsten Jahrhundert an die Reinkarnationslehre geglaubt. Die Katharer, eine christliche Sekte in Südfrankreich (12. bis 14. Jahrhundert) und Italien (dort bis Anfang des 15. Jahrhunderts), besaßen einen stark ausgeprägten Glauben an die Reinkarnation. Aus den Aufzeichnungen ihrer Verfolger, den Mönchen der Inquisition, von der sie schließlich auf grausame Weise ausgerottet wurden, geht hervor, dass einige der Katharer angaben, sich an ein früheres Leben oder gar mehrere erinnern zu können. (Literaturangaben dazu finden sich bei Stevenson.) Auch bei den Anthroposophen Rudolf Steiners und der von ihnen beeinflussten Christengemeinschaft (gegründet 1922) ist die Reinkarnationslehre wesentlicher Bestandteil der Weltanschauung.

Neben dem Buch Stevensons, dem ich wichtige Hinweise verdanke, empfehle ich zu diesem Thema zwei weitere, unbedingt vertrauenswürdige Bücher:

Lama Anagarika Govinda, Der Weg der weißen Wolken, München 1966, und
Thomas Sugrue, Edgar Cayce, München 1981

Seth macht diesen Aspekt der von ihm so genannten multidimensionalen Wesenheit des Menschen mit spürbarem Vergnügen an einigen seiner früheren Leben anschaulich:

Zur Zeit Jesu Christi lebte ich als ein Mann namens Millenius in Rom. Mein Geld verdiente ich als Kaufmann, aber ich war ein höchst neugieriger Herr, und auf meinen zahlreichen Reisen verbrachte ich viel Zeit mit ganz unterschiedlichen Menschen.
Ich war rund und dick, mein Auftreten war alles andere als patrizierhaft und meine Kleidung leicht vernachlässigt. Es gab damals ein Schnupfpulver, das aus einer bestimmten Sorte Stroh hergestellt wurde. Ich schnupfte ständig und beschmutzte oft mein Oberkleid damit.
Mein Haus lag im geschäftigsten, nordwestlichen Viertel der Stadt, am Rande dessen, was ihr die Innenstadt nennen würdet. Unter anderem verkaufte ich auch Eselsglocken. Ihr werdet sie nicht für eine besonders exquisite Ware halten, aber die Bauern außerhalb Roms fanden sie sehr nützlich. Jede hatte einen anderen Klang und dadurch konnten die Bauern ihre Esel von den unzähligen anderen unterscheiden.
Auch innerhalb Roms wurden vielfach Esel als Lasttiere benutzt, besonders von den einfacheren Leuten. Die Anzahl der Glocken, ihr Ton, selbst ihre Farbe, alles hatte seine Bedeutung. Im Gedränge der Stadt konnten die Armen und die Sklaven, welche Waren – häufig welkes Gemüse – von den Karren der Händler kaufen wollten, die speziellen Glocken erkennen.
Die Glocken waren nur ein kleiner Teil meiner Ware, die vor allem aus Tuchen und Farben bestand, aber sie faszinierten mich. Wegen meines Interesses an ihnen reiste ich weit mehr in der Umgebung und in der Region herum, als es ein vernünftiger Mann hätte tun sollen. Die Glocken wurden mein Steckenpferd. Meine Neugier stachelte mich an, auf der Suche nach immer neuen Glocken weit umherzureisen, und brachte mich mit Leuten zusammen, die ich sonst nie getroffen hätte.
Ich konnte zwar nicht lesen und schreiben, aber ich war schlau und geistig rege. So entdeckte ich, dass verschiedene jüdische Sekten – sowohl innerhalb wie außerhalb Roms – für irgendwelche Zwecke bestimmte Glocken benutzten. Dass ich römischer Bürger war, gab mir ein klein wenig Sicherheit auf meinen Reisen. Ich begegnete dabei so viel Juden wie Römern. Sozial stand ich nicht weit über ihnen. (588)
Sehr viel später – im vierten Jahrhundert – war ich ein unbedeutender Papst, und zwar kein sehr guter. Ich hatte zwei uneheliche Kinder, eine Geliebte, die sich heimlich in mein Studierzimmer schlich, einen Magier, den ich mir für den Fall hielt, dass ich nicht mehr recht weiter wusste, eine Haushälterin, die – solange sie bei mir war – jedes Jahr schwanger wurde, und drei Töchter, die ins Kloster gingen, weil ich nichts von ihnen wissen wollte. Ich regierte nicht lange, und so werde ich nur in einigen wenigen Berichten und auch dort nur mit lumpigen drei Zeilen erwähnt.
Ich kam aus einer großen Familie und war ehrgeizig, wie alle intelligenten jungen Männer jener Zeit. Zum Militär wollte ich nicht, so blieb nichts anderes als die Kirche. Als Papst erließ ich zwei Kirchengesetze, woran ihr sehen könnt, dass bei allem immer auch etwas Gutes herauskommt. (Auf eine Frage aus dem Teilnehmerkreis antwortend:) Nein, mein Name war nicht Clemens – aber der Name gefällt mir.
Danach folgten vier Leben unter den widrigsten Umständen, damit ich den Unterschied zwischen Luxus und Armut, zwischen Hochmut und Mitgefühl kennen lernte. Und es gab Tage in späteren Jahrhunderten, da ich dieselben Straßen ging, die ich einst als Papst gewandelt war. Als Papst war ich sie leichten Fußes gegangen, als armer Bauer dagegen kam ich beladen und schweren Fußes daher, bis ich gelernt hatte, was ich lernen musste, so wie auch ihr alle eure Lektionen lernen werdet. (Aus einer Gruppensitzung am 25. Mai 1971.)
Ich will meine früheren Existenzen hier nicht im Detail besprechen, ich erwähne sie nur, um auf einige Punkte hinzuweisen. Vor allem: Ich bin viele Male Mann oder Frau gewesen, und ich habe mich mit verschiedenen Berufen und Tätigkeiten abgegeben, und immer mit der Absicht zu lernen, um eines Tages lehren zu können. Meine gegenwärtige »Arbeit« hat daher eine solide Grundlage in körperlichen Existenzen.
Ich habe niemals die Rolle einer überragenden Persönlichkeit von historischer Bedeutung gespielt, sondern meine Erfahrungen in den schlichten und unauffälligen Vorkommnissen des Alltagslebens gemacht, im normalen Lebenskampf. Ich habe die Sehnsucht nach Liebe erfahren, das unaussprechliche Verlangen des Vaters nach dem Sohn, des Sohnes nach dem Vater, des Mannes nach der Frau, der Frau nach dem Mann, und ich war mit Haut und Haaren in die Netze menschlicher Beziehungen verstrickt gewesen. Einmal war ich ein Gewürzhändler in Dänemark, wo ich Ruburt und Joseph kannte. In mehreren Leben war ich ein Schwarzer, davon einmal im heutigen Äthiopien und einmal in der Türkei.
Meinem Leben als Papst folgten später einige Leben als Mönch. In einem davon wurde ich das Opfer der spanischen Inquisition. Meine Erfahrungen mit weiblichen Existenzen umfassen die einer einfältigen Jungfer in Holland, einer Kurtisane zur Zeit des biblischen David und mehrere Existenzen als bescheidene Mutter mit vielen Kindern.
In mehreren Leben war ich mir meiner früheren Existenzen bewusst. Als Mönch kopierte ich einmal ein Manuskript, das ich selbst in einem anderen Leben geschrieben hatte.
Oft hatte ich eine Vorliebe für körperliche Fülle – und besaß sie auch. Doch zweimal bin ich Hungers gestorben.
Ich habe meine Tode nachher immer als sehr lehrreich empfunden. Stets war es ein Gewinn, zwischen zwei Leben den Gedanken und Ereignissen nachzuspüren, die zu meinem Sterben geführt hatten. Keiner meiner Tode hat mich überrascht. Während ich im Sterben lag, empfand ich das Unausweichliche daran; auch war ein Wiedererkennen dabei, ja ein Gefühl der Vertrautheit: „Natürlich, dieser und kein anderer ist mein persönlicher Tod.“ Und ich habe dann selbst die bizarrsten Todesumstände widerspruchslos hingenommen und dabei fast ein Gefühl der Vollendung gehabt: Das Leben wäre ohne den Tod nicht vollständig. Alle meine Tode waren die Ergänzung des jeweiligen Lebens; immer hatte ich das Gefühl, dass es nicht anders sein könnte.
Und dann stellte sich ein überwältigendes Gefühl der Demut und zugleich der Ekstase ein, wenn das innere Ich beim Eintritt des Todes seine Freiheit spürte. (588)
Wenn man viele Male geboren wurde und gestorben ist, bei jedem Tod die Vernichtung erwartet hat und dann erfährt, dass man weiterhin existiert, dann nimmt das Ganze den Charakter einer göttlichen Komödie an. Alle meine Tode wären für mich Abenteuer gewesen, hätte ich gewusst, was ich heute weiß. (518)

Zum Schluss dieses Abschnitts zitiere ich den englischen Philosophen John Ellis McTaggart (1866-1925):

Ein Leben wie das unsere, in dem Sünde mit Tugend ringt, und Zweifel mit Zuversicht, und Hass mit Liebe, kann uns nicht befriedigen, aber es kann uns eine Menge lehren – weit mehr als wir zwischen einer einzigen Geburt und einem einzigen Tod lernen könnten.

Kein Mensch kann in einem einzelnen Leben die Lektionen ungebrochener Gesundheit und körperlicher Krankheit lernen, die Lektionen des Reichtums und der Armut, des zurückgezogenen Studiums und des öffentlichen Handelns, der Freundschaft und der Einsamkeit, der Auflehnung und des Gehorsams, der Tugend und des Lasters. Und es wäre so gut, sie alle zu lernen. Ist es da nicht kostbar, hoffen zu können, dass das, was wir in einem Leben versäumt haben, in einem anderen uns zukommen kann?

Und obwohl der Weg lang ist, er kann nicht ermüdender sein als ein einziges Leben. Denn mit dem Tod lassen wir hinter uns die Erinnerung und das hohe Alter und die Müdigkeit. Wir sterben vielleicht alt, aber wir werden jung geboren werden. Und der Tod erhält eine tiefere und gnädigere Bedeutung, wenn wir ihn betrachten als Teil des beständig sich wiederholenden Rhythmus des Fortschritts – so unvermeidlich, so natürlich und so wohltuend wie der Schlaf.

Soweit ich sehe, ist die Wiedergeburt in allen Religionen, die sie lehren, etwas Zwangsläufiges, das dem Menschen als Schicksal auferlegt und seiner direkten Einwirkung entzogen ist. Er hat keinen Einfluss darauf, geschweige denn ein Bestimmungs- oder Wahlrecht darüber, mit welchem Geschlecht und welcher Hautfarbe er wann, wo, in welche familiäre Umgebung und in welche materiellen Umstände hinein wiedergeboren wird und welche körperlichen, seelischen und geistigen Anlagen er dabei mitbringt. Nach Auffassung von älteren Formen der klassischen Reinkarnationsreligionen Hinduismus, Buddhismus und Jainismus kann bei der »Seelenwanderung« die Seele sogar in einem Tier und selbst in einer Pflanze reinkarniert werden. Alle diese Gegebenheiten, die das Leben des Menschen von Anfang an bestimmen, aber auch alles, was ihm später als »Schicksal« begegnet oder zustößt – Unfälle, Krankheiten, alle nur denkbaren »glücklichen« oder »unglücklichen« Ereignisse – dies alles ist gleichsam über ihn verhängt. Die Ursache dieses »Verhängnisses« ist das Karma (altindisch: Tat) des Menschen: die Gesamtheit aller von ihm in diesem oder einem früheren Leben vollzogenen guten und schlechten Taten. Nach dem Gesetz des Karma setzt jede Tat einen Vergeltungsprozess in Gang, der so zwangsläufig ist, wie wir es sonst nur vom naturwissenschaftlichen Kausalitätsprinzip kennen, und der sich in diesem oder einem späteren Leben auswirkt. Das zentrale Anliegen des Erlösungsstrebens in diesen Religionen ist es, dass der Mensch sich durch völlige Selbstentäußerung aus dem Kreislauf ständiger Wiedergeburten löse, um endlich als Erlöster in das Nirwana, den Zustand endgültigen Erlöschens, einzugehen.

Die unpersönliche Gnadenlosigkeit dieses Vergeltungsprozesses, die unabsehbare Dauer und die Mühseligkeit des Vorgangs der Selbstentäußerung, ja das Ideal der Selbstentäußerung selbst, wie auch ihr erwartetes Ergebnis – die völlige Auslöschung im Nirwana – hat für viele Menschen des Abendlandes verständlicherweise etwas geradezu Grauenhaftes an sich.

Für Seth sind diese Vorstellungen groteske Verzerrungen uralter Weisheiten. Er sagt dazu:

Die Vermutung ist falsch, eure Handlungen in diesem Leben würden von einer früheren Existenz verursacht, oder ihr würdet in diesem Leben für die Verbrechen in einem vergangenen bestraft. (521)
Die Leben werden nicht von einer äußeren Macht über euch verhängt, sondern wachsen aus eurem innersten Kern hervor. (522)
Ich will einmal versuchen, den Einfluss früherer Leben kurz zu beschreiben: Sie beeinflussen euch wie jede andere Erfahrung auch. (523)

Dies kann sich zwar ähnlich auswirken wie ein durch Karma auferlegtes Schicksal, beruht aber ganz auf eigener Wahl:

Ein Mensch, der in einem Leben grausam war, erwählt sich im nächsten vielleicht Umstände, durch die er die Wirkungen von Grausamkeit (auf das Opfer) kennen lernt; dies heißt aber nicht, dass der Betreffende dieses ganze Leben lang dann Opfer sein muss. (The Way Toward Health, Sitzung vom 2. April 1984)

Viele Religionen lehren, dass ein Suizid das Karma besonders stark belastet und sich auf künftige Leben in ganz besonderer Weise negativ auswirkt. Auch dazu äußert sich Seth:

Menschen, die sich selbst töten, erwartet nicht etwa eine besonders ausgesuchte Strafe, noch ist ihre Situation von vornherein schlechter als die anderer. Auch sie werden als Individuen behandelt. Sind sie allerdings im letzten Leben irgendwelchen Problemen oder Schwierigkeiten ausgewichen, dann werden sie sich diesen in einem anderen Leben stellen müssen. (Aber auch dies geschieht dann durch eigene Wahl.) Aber das gilt nicht nur für Suizidanten. Und viele andere, die sich gewissen Erfahrungen des Lebens verweigern, begehen genauso wirksam Suizid, obwohl sie dabei am Leben bleiben. (546)

Über das Nirwana sagt Seth:

Das Ich, für das ihr euch haltet, wird niemals ausgelöscht. Euer Bewusstsein wird nicht ausgeblasen, noch wird es – im höchsten Glück seiner selbst nicht mehr bewusst – von irgendeinem Nirwana verschluckt. So wenig wie ihr jetzt im Nirwana seid, werdet ihr es auch künftig jemals sein. (637)
Es gibt nichts, das so tödlich wäre wie das Nirwana. Eure christlichen Vorstellungen lassen euch wenigstens die unsichere Hoffnung auf ein zwar langweiliges und eintöniges Paradies, in dem aber immerhin eure Individualität sich ausdrücken kann, während das Nirwana diesen Trost nicht kennt. Es verheißt euch lediglich die Auslöschung eurer Persönlichkeit in einer Glückseligkeit, die euer Sein zerstört. Rette sich wer kann vor einer solchen Glückseligkeit! (Fußnote zu 637)
Die Konzeption des Nirwana und die Idee des christlichen Himmels sind zwei Versionen desselben Bildes. In der ersten verliert sich die Individualität in der Glückseligkeit eines undifferenzierten Bewusstseins, in der zweiten geben sich Individuen, die sich zwar noch immer ihrer selbst bewusst sind, einer sinnlosen Anbetung hin. Keine der beiden Theorien enthält Verständnis für die Aufgaben des Verstandes, noch für die Evolution des Bewusstseins. (647)

Auch Seth benutzt den bekannten Vergleich der Reinkarnationen mit verschiedenen Dramen, in denen ein Mensch nacheinander auftritt. Bei Seth jedoch kommen einige neue, wesentliche Gesichtspunkte dazu: Der Mensch hat nicht nur das Drama, in dem er auftritt, selbst ausgewählt, er hat auch das Drehbuch geschrieben und die Kulissen selbst geschaffen. Und der Sinn der wiederholten Reinkarnationen ist nicht die Strafe für frühere Vergehen, das Abtragen des Karmas. Vielmehr dienen die vielfältigen Leben unter den unterschiedlichsten Bedingungen der Weiterentwicklung und der Entfaltung des Wesenskerns des Individuums und bieten ihm verschiedenartige Wirkungsfelder für seine schöpferische Tätigkeit. Kurzum: Es geht dabei um das Sammeln von Erfahrungen, um seelische Weiterentwicklung und um schöpferisches Tun in verschiedenen Umwelten und unter verschiedenen persönlichen Bedingungen.

Stellt euch euer gegenwärtiges Ich als Schauspieler in einem Theaterstück vor. Dieser Vergleich ist zwar nicht neu, aber treffend. Das Stück spielt im zwanzigsten Jahrhundert. Die Requisiten, die Szenerie, den Inhalt habt ihr selbst geschaffen; ja, ihr seid für dieses Stück Autor, Regisseur und Schauspieler in einer Person – ihr und jedes andere Individuum, das mitspielt.
Ihr seid jedoch dermaßen auf eure Rollen fixiert, derart gefesselt von der Realität, die ihr erschaffen habt, so hingerissen von den Problemen, Herausforderungen, Hoffnungen und Sorgen der einzelnen Figuren, dass ihr – die menschliche Spezies – schon seit langem vergessen habt, dass sie eure eigenen Schöpfungen sind. Dieses tief bewegende Drama mit seinen Freuden und Leiden entspricht in diesem Vergleich eurem gegenwärtigen Leben, sowohl individuell als auch kollektiv.
Diejenigen, die noch an diesen hoch komplizierten Passionsspielen, den so genannten Reinkarnationsexistenzen, teilnehmen, finden es schwierig, darüber hinaus zu sehen. Andere, die sich gleichsam zwischen den Stücken ausruhen, versuchen mit den noch am Spiel Beteiligten in Verbindung zu treten; aber sie befinden sich sozusagen lediglich zwischen den Kulissen und können auch nicht weiter sehen.
Ich benutze hier den Vergleich mit schriftlich fixierten Dramen, jedoch handelt es sich in Wirklichkeit um höchst spontane Aufführungen, in denen die Schauspieler innerhalb des Rahmens des jeweiligen Stückes völlig frei sind. Es gelten die oben erwähnten Grundannahmen, es gibt keine Proben; es gibt – wie ihr später sehen werdet – Zuschauer, und wie in jedem guten Stück gibt es auch hier jeweils ein Grundthema. So hat es zum Beispiel die zahlreichen großen Künstler bestimmter Epochen nicht einfach darum gegeben, weil sie zufällig in diese Zeit hineingeboren wurden oder weil die Verhältnisse dafür günstig waren. Vielmehr war es das Thema des Stückes, dass intuitiv erkannte Wahrheiten in Form von Kunstwerken zu Tage treten sollten. Das geschah mittels einer Kreativität von so weittragenden und überwältigenden Resultaten, dass die in jedem Schauspieler verborgen ruhenden Fähigkeiten geweckt wurden und Modelle für neue Verhaltensweisen entstanden.
Zeitalter der Renaissance – geistiger, künstlerischer oder psychischer Erneuerung – treten auf, weil die intensive innere Konzentration der Mitwirkenden auf solche Ziele gerichtet ist. Die Aufgabe mag in jedem Stück eine andere sein, aber die Themen sind immer Leuchtfeuer für jedes Bewusstsein.
Eure multidimensionale Wesenheit ist so beschaffen, dass sie diese vielfältigen Erfahrungen machen und dennoch ihre Identität bewahren kann. Sie wird natürlich von den verschiedenen Stücken, an denen sie mitwirkt, beeinflusst. Es findet eine ständige Kommunikation statt, oder, wenn ihr das vorzieht, eine fortwährende Rückmeldung.
Natürlich haben diese Spiele einen Sinn. Die multidimensionale Wesenheit lernt darin durch ihr Wirken. Sie probiert eine schier endlose Reihe von Lebensweisen, Verhaltensmustern und Einstellungen aus und verändert sie wieder, je nach dem Ergebnis.
Ihr seid Teil der multidimensionalen Wesenheit, die diese Existenzen lebt, diese kosmischen Passionsspiele erschafft und darin auftritt. Weil ihr euch aber ganz auf die jeweilige Rolle konzentriert, identifiziert ihr euer ganzes Sein damit. Übrigens habt ihr auch diese Regel aus bestimmtem Grund selbst aufgestellt.
Das Bewusstsein befindet sich im Zustand des Werdens, und daher hat die multidimensionale Wesenheit keine endgültig fertige psychische Struktur. Sie ist ebenfalls im Zustand des Werdens. Sie lernt die Kunst der Verwirklichung. In sich hat sie unerschöpfliche Quellen der Kreativität, unbegrenzte Möglichkeiten der Entwicklung. Aber sie muss erst die Mittel der Verwirklichung finden und selbst Wege suchen, um die unbeschreiblichen Schöpfungen, die in ihr sind, zum Leben zu bringen.
Zu diesem Zweck schafft die multidimensionale Wesenheit die unterschiedlichsten Bedingungen, um darin zu wirken, und stellt sich Aufgaben, an denen sie manchmal – nach euren Begriffen – wenigstens anfangs scheitert, weil sie nämlich erst die Voraussetzungen schaffen muss, unter denen ein Gelingen möglich ist. Und all das geschieht mit großer Spontaneität und unbändiger Freude.
Jeder Schauspieler hat, während er seine Rolle spielt und sich auf das Stück konzentriert, innere Richtlinien. Er ist also nicht ganz auf sich selbst gestellt und nicht einsam und verlassen in dem Stück, das er, ohne es noch zu wissen, selbst erschaffen hat. Er hat Kenntnisse und Informationen, die ihm durch das zukommen, was ich die inneren Sinne nenne. Er hat also noch andere Informationsquellen als die innerhalb des Stückes vorhandenen. Jeder Schauspieler weiß das instinktiv. Auch sind innerhalb des Stückes Ruhepausen vorgesehen, in denen er sich zurückziehen und erholen kann. In diesen Zeiten wird er von seinen inneren Sinnen über die anderen Rollen informiert, die er auch noch spielt, und es wird ihm klar, dass er viel mehr ist als das Ich, das in dem jeweiligen Stück auftritt. Während dieser Pausen erkennt er auch, dass er selbst das Stück mit verfasst hat, und er ist nicht an jene Vereinbarungen gebunden, an die er sich halten muss, solange er aktiv an dem Stück mitwirkt. Diese Ruhepausen sind natürlich die Zeiten, in denen ihr schlaft und träumt; aber es gibt auch noch andere Zeiten, in denen jeder Schauspieler deutlich sieht, dass er von Kulissen und Requisiten umgeben ist, und in denen er plötzlich die scheinbare Realität der Aufführung durchschaut.
Das bedeutet nicht, dass das Stück nicht real wäre oder dass es nicht ernst genommen werden müsste. Es bedeutet lediglich, dass die beteiligten Personen Rollen spielen – wenngleich wichtige Rollen. Jeder Schauspieler muss jedoch selbst darauf kommen, welcher Art das Stück ist und was sein Part darin ist. Und er muss sich schließlich über die dreidimensionalen Grenzen der Szenerie hinaus verwirklichen.
Indem er seine Rolle spielt, muss jeder Schauspieler sich zunächst einmal selbst in der dreidimensionalen Realität verwirklichen. Die multidimensionale Wesenheit kann nicht in der dreidimensionalen Realität wirken, wenn sie nicht einen Teil ihrer selbst darin körperlich auftreten lässt. Dann setzt sie in dieser Realität vielerlei Schöpfungen und Entwicklungen in Gang, die auf andere Weise nicht stattfinden könnten.
Während ihrer dreidimensionalen Existenz hilft die Persönlichkeit auch anderen, und sie selbst profitiert davon und entwickelt sich weiter. Beides wäre auf anderen Wegen nicht möglich.
Die Bedeutung des Stücks liegt also in euch selbst. Der Sinn des Lebens ist euch zugänglich; das Wissen darum liegt unter der Oberfläche des Bewusstseins. Auch werden euch alle möglichen Winke und Fingerzeige gegeben. Ihr habt das Wissen eurer gesamten multidimensionalen Wesenheit in Reichweite. Wenn ihr das erkennt, hilft euch dieses Wissen, eure Probleme rascher zu lösen und die Aufgaben, die ihr euch gestellt habt, schneller zu erfüllen. Außerdem werden euch dadurch weitere Bereiche der Kreativität erschlossen, wodurch die ganze Aufführung profitieren kann. In dem Maße, in dem ihr der Intuition und dem Wissen der multidimensionalen Wesenheit erlaubt, durch euer bewusstes Ich zu fließen, in dem Maße werdet ihr nicht nur eure Rolle wirkungsvoller spielen, sondern auch dem ganzen Stück neue Energie, Einsichten und Kreativität schenken.
Nun kommt es euch natürlich so vor, als wäret ihr der einzige bewusste Teil eurer selbst, eurer multidimensionalen Wesenheit, denn ihr identifiziert euch ja ganz mit dem Darsteller in dem speziellen Stück. Die anderen Teile eurer multidimensionalen Wesenheit, die in den anderen Reinkarnationsdramen auftreten, sind sich ihrer aber ebenfalls bewusst. Und weil ihr ein gemeinsames multidimensionales Bewusstsein habt, deshalb seid ihr auch in diesen anderen Realitäten bewusst. Eure multidimensionale Wesenheit ist sich ihrer selbst in allen diesen Rollen bewusst. (521)
Die »Zeitstücke« haben alle einen bestimmten Zweck. Es liegt in der Natur des Bewusstseins, dass es sich in so vielen Bereichen wie möglich zu verkörpern sucht, dass es aus sich heraus neue Ebenen der Bewusstheit und neue Ableger zu schaffen sucht. Auf diese Weise erschafft es alle Realität. Daher ist die Realität immer im Zustand des Werdens. Die Gedanken, zum Beispiel, die ihr in eurer Rolle als Schauspieler denkt, sind vollkommen einzigartig und führen zu neuer Kreativität. Gewisse Aspekte eures Bewusstseins könnten auf keine andere Weise verwirklicht werden.
Menschen, die an Reinkarnation glauben, stellen sich im Allgemeinen vor, die verschiedenen Leben bildeten eine Reihe von Stationen auf einem vorgeschriebenen Weg, den sie gehen müssten. In Wahrheit aber werden die Leben nicht von einer äußeren Macht über euch verhängt, sondern wachsen aus eurem innersten Kern hervor. Sie gehören wesentlich zur Entwicklung des Bewusstseins der multidimensionalen Wesenheit. Während es sich immer weiter entfaltet, sucht es sich möglichst vielfältig auszudrücken. Dazu reicht ein einziges dreidimensionales Leben nicht aus, und auch nicht die dreidimensionale Existenzform allein.
Das Bewusstsein nimmt dabei viele verschiedene Formen an. Die Seele besitzt vollkommene Ausdrucksfreiheit. Sie wählt die Formen, je nach dem, was sie ausdrücken möchte; sie gestaltet Umgebungen wie Kulissen und formt Welten nach ihrem Bedarf. Und jede Umgebung, jede Welt, bringt neue Entwicklungen hervor.
Die Seele ist ein Individuum aus geistiger Energie. Sie gestaltet jeden eurer Körper und ist die treibende Kraft hinter eurem Fortbestehen; von ihr stammt alle eure Vitalität. Das Bewusstsein ruht niemals, sondern ist immerfort schöpferisch tätig.
Die Seele verleiht der dreidimensionalen Realität und dem dreidimensionalen Ich etwas von ihren Eigenschaften. Die Fähigkeiten der Seele sind innerhalb des dreidimensionalen Ich angelegt. Das dreidimensionale Ich, der Schauspieler, hat Zugang zu diesem Wissen und diesem Potenzial. Indem das dreidimensionale Ich dieses Potenzial zu nützen lernt und seine Verbundenheit mit der Seele entdeckt, steigert es seine Leistungsfähigkeit, sein Verständnis und seine Kreativität. Das dreidimensionale Ich wird mehr, als es selbst weiß. (522)

Die multidimensionale Wesenheit

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Zweiter Aspekt: Die Struktur der Wesenheit

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Das Ich, das ihr kennt, ist nur ein Teil, ein Splitter eurer gesamten Identität, eurer multidimensionalen Wesenheit. Die einzelnen Ichs sind jedoch nicht so miteinander verbunden wie die Perlen einer Kette. Sie gleichen eher den verschiedenen Häuten einer Zwiebel oder den Segmenten einer Orange, die durch ein und dieselbe Lebenskraft miteinander verbunden sind und aus demselben Ursprung in verschiedene Realitäten hinauswachsen. Ich will die Wesenheit nicht mit einer Orange oder einer Zwiebel vergleichen, sondern möchte sagen, dass die Teile der Wesenheit wie diese Dinge von innen nach außen wachsen. (512)

Vergleiche hinken oft, diese beiden Vergleiche aber schließen einander aus, sie sind miteinander unverträglich. Man müsste sich also für eines der beiden Bilder entscheiden. Seth zieht sich aus der Affäre, indem er sagt, er wolle die Wesenheit weder mit einer Zwiebel noch mit einer Orange vergleichen, und nimmt damit alles zurück, was er soeben gesagt hat. Was also fangen wir damit an?

Als ich vor längerer Zeit versuchte, den Aufbau der Wesenheit und ihrer Fragmente, der einzelnen Persönlichkeiten, in einem Bild darzustellen, entstand zunächst etwas, das einer technischen Konstruktionszeichnung ähnelte. Sie gab zwar den Aufbau recht deutlich und anschaulich wieder, wirkte aber abstoßend kalt, leblos, unpersönlich – eben technisch. Ich begann dann damit herumzuspielen, und so entstand nach und nach das Bild einer Blüte, genauer: eines Blütenkorbes, bei dem die Blütenblätter wie bei einer Sonnenblume aus dem Korbboden herauswachsen. Wenn man nun noch annimmt, dass jedes Blütenblatt oberhalb seines Fußes noch ein Stück mit seinen beiden Nachbarn verwachsen ist, oder sich zumindest so innig mit ihnen berührt, dass ein gewisser Austausch zwischen den dreien – und damit auch mit allen anderen – möglich ist, bevor das Blütenblatt ganz frei und selbständig nach außen wächst, dann ergibt sich ein Gebilde, an dem sich recht schön veranschaulichen lässt, wie Seth den Aufbau der Wesenheit beschreibt. Und dann lassen sich sogar das Orangenbild und das Zwiebelbild ein wenig miteinander versöhnen: Die Blütenblätter wachsen wie die Segmente einer Orange aus einer gemeinsamen Mitte heraus, in sich aber ist jedes einzelne Blatt geschichtet und hat von innen nach außen verschiedene Bereiche. Diese sind zwar – nach Seth – nicht deutlich von einander abgesetzt und getrennt, aber doch unterscheidbar und jedenfalls, um dem Verstehen etwas nachzuhelfen, einzeln benennbar.

Da ist zunächst das äußere Ich. Es ist der Teil, mit dem wir uns normalerweise ausschließlich identifizieren und somit das, was wir meinen, wenn wir »Ich« sagen. Es ist von allen unseren Teilen am unmittelbarsten mit der äußeren Welt, wie wir sie kennen, befasst. Zum äußeren Ich gehören unser Körper und die mentalen Tätigkeiten unseres Gehirns, der Verstand, das Bewusstsein und das Ich-Bewusstsein. Im Bild ist das äußere Ich der Teil eines Blütenblattes, der nicht mit seinen Nachbarn verwachsen ist.

Vom inneren Ich sagt Seth, es sei der Teil der Seele, der in uns ist. Was er dabei unter Seele versteht, wird noch genauer zu erklären sein. Mit »uns« meint er hier unsere gesamte gegenwärtige Persönlichkeit, die mehr ist als unser äußeres Ich. Er sagt darüber:

Dieser innere und – wie ihr meint – unbewusste Teil eurer selbst ist aber sehr wohl bewusst und hellwach. Er weiß weitaus mehr als euer äußeres Ich, und von seinem reibungslosen Funktionieren hängt eure ganze physische Existenz ab. Ihr, die ihr völlig auf die physische Realität ausgerichtet seid, achtet nicht auf seine Stimme und begreift nicht, dass in ihm eure eigentliche Stärke liegt und dass euer physisch orientiertes Ich daraus entspringt.
Das innere Ich lenkt die inneren Vorgänge in euch; es verknüpft und verarbeitet Informationen, die euch nicht über die körperlichen Sinne erreichen, sondern durch andere, innere Kanäle. Durch diese inneren Kanäle empfangt ihr lebensnotwendige Informationen.
Im inneren Ich spielen sich unglaubliche Vorgänge ab, ehe ihr auch nur einen Finger heben, mit der Wimper zucken oder diesen Satz lesen könnt. Und jegliche Kommunikation findet hier statt, lange bevor ein Wort gesprochen wird.
Das innere Ich nimmt auch jene Realität wahr, die jenseits des Dreidimensionalen existiert, und es trägt in sich die Erinnerung an jede eurer früheren Existenzen.
Dieser Teil ist von Natur aus hellsichtig und telepathisch, sodass ihr vor Katastrophen gewarnt werdet, bevor sie eintreten, wenn ihr auch die Nachricht nicht bewusst aufnehmt.
Das äußere Ich und das innere Ich arbeiten zusammen. Das eine befähigt euch, mit der euch bekannten Welt umzugehen, das andere trägt euch jene subtilen inneren Wahrnehmungen zu, ohne die eure physische Existenz gar nicht aufrechterhalten werden könnte. (512)

Das innere Ich ist, wie Seth sagt, der Teil der (umfassenderen) Seele, der in einem bestimmten Individuum ist und nur zu diesem gehört. Es gibt aber – neben den zahlreichen individuellen Teilen der Seele – auch einen Teil, der allen Individuen, allen Persönlichkeiten der Wesenheit gemeinsam ist. Von ihm sagt Seth:

Es gibt jedoch auch einen Teil von euch, der sowohl das innere wie das äußere Ich formt. Er ist es, der entschieden hat, dass ihr an diesem Ort und zu dieser Zeit als körperliches Wesen existieren sollt. Dies ist der Kern eurer Identität, der psychische Samen, aus dem ihr entsprangt, der Kern der multidimensionalen Wesenheit, von der ihr ein Teil seid. (512)

Für diesen Kern der Wesenheit und der Seele benutzt Seth im Laufe der Zeit unterschiedliche Bezeichnungen. Ich benutze künftig konsequent nur den Begriff Wesenskern dafür. In unserem Blütenbild entspricht dem Wesenskern der Korbboden der Blüte, aus dem alle ihre Blütenblätter herauswachsen. Er stellt im Bild den Kern der Seele dar, zu der außerdem auch der innerste Ring um den Korbboden gehört. Dieser Teil der Seele jedoch ist gleichsam segmentiert, und jedes Segment gehört zu einem ganz bestimmten Individuum, obgleich alle Segmente eine Einheit bilden. Es gibt im inneren Bereich der Wesenheit keine wirklichen Unterteilungen, wie Seht immer wieder betont, unter anderem auch in folgendem Zusammenhang:

Das Unbewusste, von dem die Psychologen sprechen, muss man sich gleichsam als die Berührungslinie zwischen dem äußeren und dem inneren Ich vorstellen. Ihr müsst jedoch wissen, dass es innerhalb des Ich keine wirklichen Unterteilungen gibt; ich spreche von den verschiedenen Teilen nur, um die Grundidee klar zu machen. (512)

Die Seele der multidimensionalen Wesenheit besteht aus dem Wesenskern (der allen Persönlichkeiten der Wesenheit gemeinsam ist) und aus den individuellen »Seelenteilen«. Alles, was Seth über die Seele insgesamt sagt, gilt also auch für den Wesenskern, manches davon sogar nur für ihn.

Die Seele ist ihrer Natur nach viel schöpferischer und komplexer, als selbst eure Religionen ihr zugestehen. Vor allem wird eure Vorstellung von der Seele dadurch stark eingeschränkt, dass ihr selbst und euer Denken auf eine dreidimensionale Realität beschränkt seid. (519)
Eine andere Schwierigkeit ist, dass ihr die Seele so häufig als ein vollendetes, statisches »Ding« anseht, das euch gehört. Die Seele aber wandelt sich ständig – und muss sich ständig wandeln. Sie ist lebendig, empfänglich, neugierig. (526)
Die Seele ist die am höchsten motivierte, am stärksten mit Energie geladene und gewaltigste Bewusstseinseinheit, die wir kennen – in allen Universen. Sie ist Energie, die in einem euch unvorstellbaren Maß konzentriert ist. Sie hat ein unbegrenztes Potenzial, mit dem sie ihre eigene Identität erarbeiten und ihre eigenen Welten formen muss. Diese schwere Aufgabe hat sie mit allen Wesen gemeinsam.
Sie hat in sich ein Potenzial, Persönlichkeiten hervorzubringen, das für euch unvorstellbar ist. Was ich sage, gilt für eure individuelle Seele und euren Wesenskern genau so wie für die Seele oder den Wesenskern im Allgemeinen. (526)
Wer von euch möchte schon seine gesamte Erfahrung, die ganze von ihm erfahrbare Wirklichkeit, auf die Realität beschränkt sehen, die ihr jetzt kennt?

Und er weist uns auf einen meist verborgenen Widerspruch hin:

Genau das tut ihr aber, wenn ihr glaubt, euer gegenwärtiges Ich wäre eure ganze Persönlichkeit, und wenn ihr darauf besteht, dass eure Identität durch eine endlose Ewigkeit hindurch unverändert bleiben soll. Ein solches ewiges Leben wäre in der Tat wie ein ewiger Tod. (526)

Die Wirklichkeit aber ist ganz anders:

Die Wesenheit gibt ihren Personen unendliche Möglichkeiten und Vielfältigkeiten. Ein individuelles Lebens, das Leben irgendeines Individuums also, könnte man zu Recht mit einem Traum seines Wesenskerns vergleichen. Was das Individuum als seine Lebenszeit wahrnimmt – eine Spanne von etlichen Jahren –, ist für den Wesenskern etwa das, was für euch ein Traum ist. Eure Träume sind Fragmente eurer selbst, und in einem umfassenderen Sinn seid ihr Fragmente eurer Wesenheit. (Seth Material, Kap. 5)
Man kann die Seele als ein elektromagnetisches Energiefeld ansehen, von dem ihr ein Teil seid. Sie ist eine Konzentration von schier unendlich vielen möglichen Aktivitäten, die nach Ausdruck und Verwirklichung streben. Sie ist eine Zusammenballung von Bewusstsein, das nicht an Materie gebunden ist und keinen Körper hat, das sich aber dennoch als eine Identität, als eine Wesenheit empfindet. (529)

Wie schon oben gesagt wurde, befindet sich die Seele ständig im Zustand des Werdens und hat daher auch keine endgültig fertige psychische Struktur. Sie lernt die Kunst der Verwirklichung. In sich hat sie unerschöpfliche Quellen der Kreativität, unbegrenzte Möglichkeiten der Entwicklung. Aber sie muss erst die Mittel der Verwirklichung finden und selbst Wege suchen, um die unbeschreiblichen Möglichkeiten, die in ihr sind, als Geschöpfe in der Realität, wie wir sie kennen, zum Leben zu bringen.

Seth spricht im Folgenden wiederholt von der dreidimensionalen Realität und vom dreidimensionalen Ich, womit er das für uns erfahrbare Universum und das äußere Ich meint. Dies sind Hinweise darauf, dass es neben der dreidimensionalen Realität noch eine andere mit mehr Dimensionen gibt und dass auch das Ich nicht nur in den drei Dimensionen unserer bekannten Realität existiert. Dadurch bekommt übrigens auch der Begriff »multidimensionale Wesenheit« einen zusätzlichen, neuen Aspekt. Doch darüber später mehr.

Das Bewusstsein eurer Seele nimmt viele körperliche Formen an, und diese brauchen einander nicht ähnlicher zu sein als die Raupe dem Schmetterling. Die Seele genießt vollkommene Ausdrucksfreiheit. Sie wählt immer neue Gestalten, um sich so ausdrücken zu können, wie sie das will. Sie baut sich Umgebungen wie Kulissen auf und konstruiert Welten, wie sie ihr nützlich sind. Und jede Szenerie, die sie schafft, gibt Anstoß zu neuen Entwicklungen.
Die Seele ist hoch individualisierte geistige Energie. Sie gestaltet jeden Körper, mit dem ihr euch bekleidet, und sie ist die treibende Kraft eures physischen Fortbestehens, denn von ihr kommt alle eure Vitalität.
Das Bewusstsein kann niemals ruhen, sondern muss immerfort schöpferisch tätig sein. Dabei überträgt die Seele ihre eigenen Merkmale auf die dreidimensionale Realität und auf das dreidimensionale Ich. Die Fähigkeiten der Seele sind im dreidimensionalen Ich angelegt und dieses hat Zugang zu ihrem Wissen und zu ihrem Potenzial. Indem das dreidimensionale Ich dieses Potenzial zu nutzen lernt und seine Beziehung zur Seele wiederentdeckt, steigert es sein Leistungsvermögen, sein Wissen und Verständnis und seine Kreativität.
Dadurch wiederum wird die gesamte multidimensionale Wesenheit in ihrem Kern und in allen ihren Teilen, in allen ihren Persönlichkeiten, gestärkt und bereichert. Ohne diese Kreativität wäre euer Planet steril geblieben.
Die Seele gibt also dem Körper und dem dreidimensionalen Ich in ihm den Lebenshauch. Das dreidimensionale Ich hat dann die Aufgabe, der Kreativität neue Wirkungsbereiche zu erschließen. Mit anderen Worten: Die Seele sendet Teile ihrer selbst aus, damit sie der Realität neue Wege bereiten. (522)
Eure Persönlichkeit, wie ihr sie kennt, der Teil von euch, den ihr für euer kostbares und einmaliges Ich haltet, auch dieser Teil wird niemals zerstört werden oder verloren gehen. Eure Individualität, wie immer sie ihr euch denken mögt, existiert – in euren Begriffen ausgedrückt – fort. Eure Persönlichkeit fährt fort, zu wachsen und sich zu entwickeln, doch hängen ihr Wachstum und ihre Entwicklung in hohem Maße von der Einsicht ab, dass sie, obgleich sie gesondert und individuell existiert, doch nur eine der zahlreichen Manifestationen der Seele ist. In dem Maße, wie sie das einsieht, wird sie lernen, ihre Kreativität zu entfalten und jene Fähigkeiten zu nutzen, die in ihr schlummern. (527)
Eure Seele ist ein weitaus kreativeres und wunderbareres Phänomen, als ihr bislang angenommen habt. Sie verfügt auch über die Weisheit, die Kenntnisse und die Erfahrung aller anderen Persönlichkeiten, die zu ihrer multidimensionalen Wesenheit gehören, und auch ihr habt Zugang dazu, aber nur dann, wenn ihr die wahre Natur eurer Realität begreift. Ich möchte nochmals betonen, dass diese Persönlichkeiten unabhängig von einander existieren und dass sie alle frei sind, sich schöpferisch zu betätigen und sich zu entwickeln. Es gibt jedoch eine innere Kommunikation zwischen ihnen, und das Wissen der einen ist allen anderen zugänglich – nicht etwa erst nach dem körperlichen Tod, sondern jetzt, in diesem Augenblick. (527)

Seth sagt auch, es gebe hier vieles, das schwer in Worte zu fassen und zu erklären sei. Wir sollten uns dadurch jedoch nicht entmutigen lassen, denn:

Ihr könnt die Natur der Seele und der Wesenheit intuitiv erfassen, und intuitives Wissen ist in vieler Hinsicht jedem anderen Wissen überlegen. Eine Voraussetzung für intuitives Verständnis der Seele ist das Verlangen danach. Ist dieses Verlangen stark genug, dann werdet ihr ganz von selbst zu Erfahrungen hingeführt werden, die ein lebendiges, eindeutiges, subjektives Wissen in euch hervorbringen. Solange ihr aber eine beschränkte Vorstellung von der Seele habt, seid ihr zu einem gewissen Grade von der Quelle eures Seins und eurer Kreativität abgeschnitten.
Die Seele nimmt alle Erfahrungen, die ihr macht, unmittelbar wahr. Die meisten Erfahrungen, die euch bewusst sind, kommen in physische Hüllen verpackt daher, und ihr haltet die Hüllen für die Erfahrung selbst und denkt nicht daran, darunter zu blicken. Die Seele hingegen braucht sich nicht an die Gesetze und Prinzipien zu halten, die für die physische Realität gelten, und sie ist von der physischen Wahrnehmung unabhängig. Die Wahrnehmungen der Seele betreffen geistige Handlungen und Ereignisse, die sozusagen unter der Oberfläche der euch bekannten physischen Ereignisse liegen. Die Wahrnehmungen der Seele sind auch nicht an die Zeit gebunden. Es versteht sich von selbst, dass die Wahrnehmungen der Seele nicht an die physischen Sinne gebunden sind und dass die Seele daher für ihre Wahrnehmungen keinen physischen Leib benötigt. (527)

Die Seele nimmt also auch dann wahr, wenn die physischen Wahrnehmungen aus irgendeinem Grunde ausgeschaltet sind: im Schlaf, in Narkose, im Koma usw. Diese erstaunliche Aussage Seths habe ich bei meiner Arbeit mit einer besonderen Form von Traumatherapie („Begleitetes Systematisches Wiedererleben“) wiederholt bestätigt gefunden. Meine Beobachtungen deuten darauf hin, dass Menschen im bewusstlosen Zustand sich selbst und ihre Umgebung sehen können, und zwar entweder »aus sich heraus«, d. h. wie sie normalerweise mit ihren Augen sehen würden, oder von außerhalb, so als ob sie an der Decke schwebten oder z. B. einen Meter über dem Boden schwebend sich in einigem Abstand neben ihrem Körper befänden. Dabei konnten sie oft auch hören und riechen.

Ich beende dieses Kapitel mit einem längeren Zitat über das Wirken der Seele:

Wenn ihr in das körperliche Dasein eintretet, dann ist euer Geist nicht nur keine leere Tafel, die der Zeichen harrt, die die Erfahrung darauf schreiben wird, sondern ihr seid bereits mit einem Vorrat an Daten ausgestattet, der den eines Computers weit übertrifft. Ihr begegnet dem ersten Tag auf eurem Planeten mit Fähigkeiten und Fertigkeiten, die bereits in euch vorhanden sind, ob ihr sie nutzt oder nicht; und diese sind nicht einfach das Ergebnis von Vererbung, wie ihr euch das vorstellt.
Ihr müsst euch eure Seele – obwohl nur vorläufig und um der Analogie willen – als einen bewussten und lebendigen, göttlich inspirierten Computer vorstellen, der die Existenzen und Lebenszeiten seiner Persönlichkeiten programmiert. Aber dieser Computer ist schöpferisch so hoch begabt, dass alle die vielfältigen Persönlichkeiten, die er entwirft, ins Leben treten und ihrerseits wiederum Realitäten schaffen, die der Computer selbst sich nicht hätte träumen lassen. Jede dieser Persönlichkeiten bringt eine feste Vorstellung von der Realität mit, in der sie sich betätigen will, und ihre geistige Ausrüstung ist maßgeschneidert für die spezifische Umwelt, in der sie leben wird. Sie genießt völlige Freiheit, muss sich jedoch in den Rahmen der Existenz einpassen, für die sie programmiert wurde. In den geheimsten Tiefen der Persönlichkeit ist jedoch in konzentrierter Form das Wissen lebendig, das dem Computer selbst innewohnt. Ich muss betonen, dass ich damit nicht sagen will, die Seele oder die Wesenheit wäre ein Computer; ich wollte euch nur bitten, die Sache einmal in diesem Licht zu sehen, um einige Punkte zu verdeutlichen. In jeder Persönlichkeit ist die Anlage vorhanden, nicht allein innerhalb ihrer Umwelt – in eurem Fall der physischen Umwelt – zu einer neuen Existenzform zu finden, sondern auch die eigene Bewusstseinsqualität schöpferisch so zu heben, dass sie sich durch das spezielle System hindurcharbeiten und die Schranken der ihr bekannten Realität durchbrechen kann. (513)

Zeit und Raum

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Zahlreiche Male sagt Seth unmissverständlich, dass es die von uns als Aufeinanderfolge von Augenblicken empfundene Zeit nicht gibt. Wenn es aber keine Zeit gibt, dann gibt es auch nicht Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die Zeit sei – so Seth – eine Illusion, ein Teil des Tarnungs- oder Verschleierungssystems – der Camouflage –, das unsere dreidimensionale Realität insgesamt darstelle, und hinter dem sich eine größere Realität verberge. Auch erklärt Seth immer wieder, alles Geschehen, alle Ereignisse seien simultan. Er verwendet dabei meist die (englischen) Wörter »simultaneous« oder »at once«, also Begriffe, in denen Zeit nicht vorkommt. (Es gibt scheinbar Ausnahmen, doch ist zu bedenken, dass im Englischen und Amerikanischen time nicht nur Zeit, sondern auch Mal bedeutet, also at one time auch auf einmal bedeuten kann.) In der deutschen Übersetzung dagegen finden sich immer wieder unlogische oder zumindest bedenkliche Aussagen wie: »Es gibt keine Zeit, alles findet gleichzeitig oder zur selben Zeit statt.« Wie aber können zwei Ereignisse zur selben Zeit stattfinden, wenn es keine Zeit gibt? Man kann solche Widersprüche nur vermeiden, indem man Begriffe wie simultan oder zugleich verwendet.

Wir haben hier also drei Aussagen zum Thema Zeit:

1. Es gibt keine Zeit, das heißt, keine Aufeinanderfolge von Augenblicken.

2. Es gibt nicht Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, oder: es gibt keinen Unterschied zwischen den dreien.

3. Alle Ereignisse sind simultan.

Genau besehen sind diese drei Aussagen gleichwertig (äquivalent): Aus jeder der drei Aussagen folgen die beiden anderen.

In ihren schlichtesten Formen: «Es gibt keine Zeit« oder «Zeit ist eine Illusion« finden wir diese Aussage auch in anderen philosophischen Systemen, insbesondere in manchen Formen des Buddhismus. Doch steht sie in denkbar krassem Widerspruch zu unseren elementarsten alltäglichen Erfahrungen. Erleben wir nicht ständig, wie die Zeit abläuft? Sehen wir nicht auf jeder Uhr die Zeit förmlich verstreichen? Macht uns nicht jede Sanduhr anschaulich, wie die Zeit verrinnt? Wie die Augenblicke – die Sandkörner – von der Zukunft durch die Gegenwart in die Vergangenheit fallen? Erfahren wir nicht alle unser Leben als Abfolge von Geburt, Kindheit und Jugend, von Reifen, Altern und Sterben? Soll wirklich heute gleich gestern gleich morgen sein? Was sollen wir im Ernst mit der Aussage «Es gibt keine Zeit« anfangen?

Manche der philosophischen oder religiösen Systeme, die sie verkünden, bieten gleichzeitig eine radikale Lösung an, indem sie sagen, nicht nur die Zeit, sondern a l l e s , was uns im Leben begegnet, ja das Leben selbst, sei eine Illusion, eine Maja. Dieses Lösungsangebot ist zweifellos von stark fatalistischer Natur; dem, der es annimmt, müsste alles gleichgültig sein oder gleichgültig werden. Auch die Aussage Seths, die Zeit und unser dreidimensionaler Raum seien Illusionen und Teile eines Tarnungssystems, könnte in diesem Sinn gedeutet werden: Alles ist eine Maja. Aber an anderer Stelle sagt Seth ausdrücklich, das Tarnungssystem sei real, wenn auch hinter ihm eine größere Realität stehe, und das Tarnungssystem und unser Leben darin habe Sinn und große Bedeutung. Die dreidimensionale Realität sei für uns ein wichtiges, ja ein unentbehrliches Trainingsfeld. Er erklärt, unsere Zeitvorstellung sei durch psychische und physiologische Besonderheiten der Menschen bedingt und in unserer dreidimensionalen Realität für uns notwendig. Er weist darauf hin, dass das, was für uns die Zeit ist, in einem – allerdings geheimnisvoll bleibenden – Zusammenhang mit einer Bewegung des Raumes steht und dass die Beschäftigung mit dem Phänomen der Zeit uns viel über die Natur der fünften Dimension lehren würde, was allerdings gleichfalls geheimnisvoll und unverständlich bleibt – bleiben muss.

Im Folgenden führe ich die wichtigsten einschlägigen Zitate aus dem Seth-Material (SM) und aus Gespräche mit Seth an. Das früheste überlieferte Zitat ist leider – wie Seth selbst sagt – so gut wie unverständlich (SM, Kap. 4). Erst sehr viel später gemachte Aussagen sind etwas besser zu verstehen.

Eure Vorstellung vom Wesen der Zeit ist falsch. Zeit, wie ihr sie erfahrt, ist eine Illusion, die von euren Sinnen verursacht wird. Sie zwingen euch, Abläufe in zeitlichen Abschnitten wahrzunehmen, aber das entspricht nicht der Natur der Abläufe. Mit Hilfe eurer Sinne könnt ihr die Realität nur in kleinen Portionen wahrnehmen, und so scheint es euch, dass immer nur ein Moment existiert und dann für immer vergangen ist, dass dann der nächste Moment kommt und genauso verschwindet wie der vorige.
Aber alles im Universum existiert simultan. Die ersten je gesprochenen Worte hallen noch immer durch das Universum, und das letzte Wort, das – nach euren Begriffen – dereinst einmal gesprochen werden wird, wurde schon gesagt; denn es gibt keinen Anfang (und kein Ende, wäre hinzuzusetzen). Nur eure Wahrnehmung ist es, die begrenzt ist.
Es gibt weder Gegenwart, noch Vergangenheit, noch Zukunft. Es gibt sie nur für jene, die in der dreidimensionalen Realität existieren. Da ich nicht mehr in ihr bin, kann ich wahrnehmen, was ihr nicht wahrnehmen könnt. Es gibt aber auch in euch einen Teil, der nicht in der materiellen Realität eingesperrt ist und dieser Teil weiß, dass es nur ein ewiges Jetzt gibt. Dieser Teil, der das weiß, ist euer inneres Ich. (SM, Kap. 12)

Hier sagt Seth also, dass unser Zeitverständnis einerseits durch unsere Wahrnehmung und unsere Sinnesorgane bedingt ist, andererseits auch durch die dreidimensionalen Realität, in der wir leben. Außerdem besteht ein Zusammenhang mit unserem Nervensystem:

Eure Vorstellungen von Raum und Zeit werden von eurem Nervensystem bestimmt. Das (schon erwähnte) Tarnungssystem wird von eurem inneren Ich so schlau erschaffen und aufrechterhalten, dass ihr gezwungen seid, eure Aufmerksamkeit ganz auf die erschaffene physische Realität zu richten. Aber die anderen Realitäten dahinter existieren natürlich auch, ob ihr sie wahrnehmt oder nicht.

Es folgt dann der Versuch einer Erklärung, der aber schon sprachlich so mangelhaft ist, dass er scheitern muss:

Tatsächlich existiert die »Zeit« insofern, als an den Nervenenden Impulse überspringen. Dabei nehmt ihr Aussetzer (oder Lücken, Fehlstellen...) wahr, weil dies kein simultaner Vorgang ist. (Simultan wozu? Ein einzelner Vorgang kann nicht simultan sein. Der Satz kann also nur bedeuten, dass es sich um einen Vorgang handelt, der Zeit beansprucht, der in seinen einzelnen Teilen nicht simultan ist.) Wenn aber zwischen jeder Wahrnehmung (es muss wohl heißen: zwischen je zwei Wahrnehmungen) eine Lücke ist, scheinen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sehr überzeugend und logisch zu sein. (SM, Kap. 18)
Die Welt erscheint euch so, wie sie es tut, wegen eurer psychologischen Struktur. Würdet ihr das Gefühl eurer persönlichen Kontinuität primär durch Assoziationsvorgänge gewinnen statt aus der Vertrautheit mit einem Ich, das sich durch die Zeit bewegt, dann würdet ihr die physische Realität auf völlig andere Weise erfahren. Gegenstände aus der Vergangenheit und solche aus der Gegenwart könnten dann zusammen (at once) wahrgenommen werden, und ihre Gegenwärtigkeit würde durch assoziative Verbindungen gerechtfertigt werden. Nehmen wir einmal an, euer Vater hätte während seines Lebens acht Lieblingsstühle besessen. Wenn eure Wahrnehmungsmechanismen sich primär auf intuitive Assoziationen anstatt auf die zeitliche Reihenfolge gründen würden, dann könntet ihr diese Stühle alle auf einmal (at one time) wahrnehmen, oder: wenn ihr einen sehen würdet, wäret ihr euch auch der anderen bewusst. So ist die Umgebung kein separates Ding an sich, sondern das Ergebnis von Wahrnehmungsmustern, und diese wiederum werden von psychologischen Strukturen bestimmt. (515)

Auch hier, in Gespräche mit Seth, wiederholt Seth:

Es gibt keine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Dennoch ist es kein Widerspruch, wenn ich Begriffe wie »vergangene Existenzen« benutze. (510)
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft existieren in diesem Sinne in Wirklichkeit nicht. (518)
Schlicht gesagt: Die Zeit ist keine Reihe von Augenblicken. Die Worte, die ihr sprecht, die Handlungen, die ihr ausführt, scheinen in der Zeit Platz einzunehmen, so wie ein Stuhl oder Tisch Platz im Raum einzunehmen scheint. Diese Erscheinungen (gemeint sind wohl Raum und Zeit) sind jedoch Bestandteile der komplizierten Kulissen, die ihr »im Voraus« aufgestellt habt, und solange das Spiel währt, müsst ihr sie als real annehmen. (521)
Die Wahrnehmungen der Seele hängen nicht von der Zeit ab, weil die Zeit eine physische Tarnung ist, die auf die nichtphysische Realität nicht angewendet werden kann. (528)
Was ihr von der Zeit wahrnehmt, ist ein Teil anderer Ereignisse, die in euer System eindringen und oft als Bewegung im Raum gedeutet werden, oder als etwas, das Ereignisse von einander trennt – wenn nicht räumlich, so doch auf eine Weise, die ohne Zuhilfenahme des Zeitbegriffs nicht definiert werden kann. – Was die Ereignisse von einander trennt, ist jedoch nicht die Zeit, sondern eure Wahrnehmung. Ihr nehmt die Ereignisse »eines nach dem anderen« wahr. Die Zeit, wie sie euch erscheint, ist in Wirklichkeit eine psychische Anordnung der Erfahrungen (KANT sagt: eine Kategorie zur Ordnung unserer Erfahrungen). Der scheinbare Anfang und das scheinbare Ende eines Ereignisses, die scheinbare Geburt und der scheinbare Tod sind einfach andere Dimensionen der Erfahrung ähnlich wie Höhe, Breite und Gewicht. Euch dagegen kommt es so vor, als würdet ihr einem Ende entgegenwachsen, während »Ende« ein Teil einer besonderen Erfahrung ist, oder, wenn ihr wollt, eines persönlichen Geschehens. (582)

Es kann also kein Zweifel bestehen: Seth behauptet, es gebe in Wirklichkeit oder im Grunde keine Zeit, unsere Wahrnehmung der Zeit sei eine Illusion, ein notwendiger Bestandteil unserer dreidimensionalen Realität, ein Teil des Tarnungssystems, hinter dem sich die wahre Realität verberge. In Wahrheit sei alles Geschehen simultan.

Diese Aussagen sind für den gesunden Menschenverstand eine ungeheure Provokation – mehr noch: ein Ärgernis. Sie widersprechen allen unseren Erfahrungen, die sich ja in der Zeit abspielen. Das bedeutet: Alle Vorgänge, die wir erleben oder uns auch nur vorstellen, haben eine gewisse Dauer, sie benötigen zu ihrem Ablauf eine Zeitspanne. Diese Zeitspanne besteht aus einer dichten Folge von »Augenblicken«, »Momenten« oder »Zeitpunkten«, die gleichsam an uns vorbei- oder durch uns hindurchfließen und die einer nach dem anderen uns »gegenwärtig« sind. Zuvor waren sie noch »zukünftig«, danach sind sie »vergangen«. Die Gegenwart kann daher beschrieben werden als der Zeitpunkt zwischen der Zukunft und der Vergangenheit. Unser Leben und Wirken findet immer nur in diesem »Gegenwartspunkt« statt. Künftige Ereignisse können wir allenfalls mehr oder weniger ungenau prognostizieren, einige davon können wir durch unser gegenwärtiges Handeln beeinflussen, viele werden überraschend über uns hereinbrechen. Vergangenes können wir nicht mehr verändern, allenfalls können wir daraus für gegenwärtiges und künftiges Handeln lernen.

Was würde es in Anbetracht dieser Überlegungen bedeuten, wenn es keine Zeit gäbe? Offensichtlich gäbe es dann auch keine Zukunft und keine Vergangenheit, sondern nur eine ständige Gegenwart. Alles Zukünftige wäre dann bereits vorhanden und alles Vergangene noch immer gegenwärtig. Und genau das behauptet Seth:

Alles im Universum existiert simultan. Die ersten je gesprochenen Worte hallen noch immer durch das Universum, und das letzte Wort, das – nach euren Begriffen – dereinst einmal gesprochen werden wird, wurde schon gesagt. (SM, Kap. 12)

Nach KANT sind Zeit und Raum Kategorien unserer Erfahrung – Schemata, mit deren Hilfe wir unsere Erfahrungen ordnen können: Jede Erfahrung findet an einem bestimmten Ort und in einer bestimmten Zeitspanne statt. Diese Kategorien sind – so KANT – »a priori« in uns angelegt, noch bevor wir irgendwelche Wahrnehmungen und Erfahrungen machen.

Von der Zeit wurde lange als selbstverständlich angenommen, sie sei »absolut«, das heißt, sie verfließe losgelöst von allem, unabhängig und unbeeinflussbar (NEWTON). Der Raum wurde – ebenfalls selbstverständlich – als dreidimensional betrachtet; dass er auch anders als »euklidisch« sein könnte, wurde wohl erstmals von GAUSS erwogen. (Ein euklidischer Raum ist ein Raum, in dem die Gesetze der euklidischen Geometrie gelten. Zum Beispiel: Die Winkelsumme eines ebenen Dreiecks beträgt 180°, und es gilt der Satz des Pythagoras.) Trigonometrische Messungen, die GAUSS eigens an einem Dreieck von etwa 180 km Seitenlänge anstellte, ergaben keine über die damalige Messgenauigkeit hinausgehenden Abweichungen von der euklidischen Metrik. Während so über den Raum immerhin Erwägungen und Untersuchungen angestellt wurden, blieb die Newtonsche Annahme einer absoluten Zeit bis ins 20. Jahrhundert hinein eine zwar niemals auch nur im Mindesten bezweifelte, aber im Grunde doch unbewiesene und unbegründete Hypothese. Durch EINSTEINS Spezielle Relativitätstheorie (1905) erst wurde diese Hypothese widerlegt, und es wurde bewiesen, dass es keine absolute Zeit gibt. Das bedeutet im Einzelnen:

1. Die Dauer eines Vorgangs ist keine absolute Größe, sondern wird von relativ zueinander bewegten Beobachtern unterschiedlich beurteilt.

2. Zwei Vorgänge A und B, die für einen bestimmten Beobachter gleichzeitig stattfinden, sind für andere, relativ zum ersten bewegte Beobachter nicht gleichzeitig, und zwar kann der Vorgang A – je nach Bewegung des Beobachters – für diesen vor, aber auch nach dem Vorgang B stattfinden.

Allerdings ist damit die Existenz der Zeit schlechthin nicht in Frage gestellt; es gibt beliebig viele verschiedene »Systemzeiten« für die einzelnen »Bezugssysteme«, nur gibt es keine absolute Zeit mehr. Nach MINKOWSKI (1908) ist die Zeit jedoch sehr eng mit dem Raum verbunden, sie stellt mit ihm zusammen eine höhere Einheit, ein »vierdimensionales raum-zeitliches Kontinuum« dar, in dem die Zeit die Rolle einer vierten Dimension spielt. Leider ist Minkowski bei dieser Interpretation ein Fehler unterlaufen, der unbemerkt geblieben ist, weil er bei den praktischen Anwendungen der Physik in der Technik nicht stört, und weil nur relativ wenige Physiker sich für die »Metaphysik der Physik« interessieren.

Bei aufmerksamer Betrachtung des »Minkowski-Raumes« (so wird das raum-zeitliche Kontinuum genannt) erkennt man jedoch, dass sich die dreidimensionalen Bezugssysteme der einzelnen, relativ zueinander bewegten Beobachter mit Lichtgeschwindigkeit in Richtung einer vierten (natürlich ebenfalls räumlichen) Dimension bewegen, die mit den drei Dimensionen des uns geläufigen Raumes einen vierdimensionalen Raum mit einer besonderen Metrik bildet, die man als pseudoeuklidisch bezeichnet. In diesem Raum gibt es im Grunde keine Zeit. An ihre Stelle tritt die Bewegung längs der vierten Koordinatenachse, und der zeitliche Abstand zweier Ereignisse (oder die Dauer eines Ereignisses) wird ersetzt durch den räumlichen Abstand zweier Punkte in Richtung der vierten Dimension

In diesem vierdimensionalen Raum ist die »Zukunft« nun der Teil des Raumes, der »über« dem jeweiligen Beobachter ist (in Richtung der Bewegung seines Bezugssystems); die »Vergangenheit« ist der Teil des Raumes, der »unter« ihm liegt. Das Entscheidende aber ist Folgendes: Eine genauere Untersuchung zeigt, dass in dem vierdimensionalen Raum die »vergangenen« Ereignisse n o c h immer vorhanden sind, und zwar »unter« dem Beobachter, und dass die »künftigen« Ereignisse b e r e i t s vorhanden sind, nämlich »über« ihm. (Dies schließt allerdings nicht aus, dass ein Teil dieser Ereignisse von dem Beobachter sehr wohl noch beeinflusst werden kann. Dieses Weltbild ist also keineswegs fatalistisch.) Der Beobachter allerdings kann weder die unter ihm befindlichen (»vergangenen«), noch die über ihm befindlichen (»zukünftigen«) Ereignisse wahrnehmen, da seine Wahrnehmung auf die drei Dimensionen seines Raumes – das heißt: auf die Gegenwart – beschränkt ist. Seth sagt dazu:

Nur eure Wahrnehmung ist es, die beschränkt ist.– Es gibt weder Gegenwart, noch Vergangenheit, noch Zukunft. Es gibt sie nur für jene, die in der dreidimensionalen Realität existieren. Da ich nicht mehr in ihr bin, kann ich wahrnehmen, was ihr nicht wahrnehmen könnt. (SM, Kap. 12)

Die Beschränkung unserer Wahrnehmung auf die drei Dimensionen des uns vertrauten Raumes, die uns die räumliche Wahrnehmung »vergangener« und »künftiger« Ereignisse unmöglich macht, ist auch der Grund dafür, dass der Mensch die Zeit gleichsam erfunden hat, um die Ereignisse, die in der vierten Dimension über- oder untereinander angeordnet sind, und die er nur nacheinander in der Gegenwart wahrnehmen kann, irgendwie zu ordnen, nämlich buchstäblich »auf die Reihe zu bringen«.

Nimmt man nun noch die den Physikern vertraute Tatsache hinzu, dass unser Raum gekrümmt ist – etwas, was sich leicht sagen, aber unmöglich vorstellen lässt – dann kommen wir zu einem Raum mit fünf Dimensionen, und Seths geheimnisvolle Bemerkung, dass die Beschäftigung mit der Zeit uns viel über die Natur der fünften Dimension lehren wird, wird verständlich.

Zum Schluss dieses Kapitels noch einige Anmerkungen zum Raum. Ein eindimensionaler »Raum« ist eine mathematische Linie von der Dicke und der Höhe null, also ein Gebilde, das sich nur in einer Richtung, eben in einer Dimension erstreckt. Ein zweidimensionaler »Raum« ist eine mathematische Fläche ohne Ausdehnung nach »oben« oder »unten«, das heißt senkrecht zur Fläche. Ein dreidimensionaler Raum ist der uns vertraute Raum mit Ausdehnungsmöglichkeiten in drei Richtungen: Länge, Breite und Höhe. Räume mit mehr als drei Dimensionen sind für uns nicht vorstellbar, obgleich sie mathematisch untersucht werden können.

Man kann nun sagen: Ein fünfdimensionaler Raum verhält sich zu einem dreidimensionalen etwa so, wie sich ein dreidimensionaler Raum zu einem eindimensionalen verhält. So wie das Dasein in einem dreidimensionalen Raum an Gestalten und Körpern, an Gestaltungs- und Erlebnismöglichkeiten dem Dasein in einem eindimensionalen Raum unendlich überlegen ist (und hier ist das so oft strapazierte und missbrauchte Adjektiv unendlich nicht nur am Platz, sondern unvorstellbar untertreibend), so ist das Dasein im fünfdimensionalen Raum dem in einem dreidimensionalen unendlich überlegen. Hier hätten wirklich unendlich viele »parallele Universen« Platz (von denen nicht nur Seth, sondern neuerdings auch einige Physiker und Philosophen sprechen), hier wäre reichlich Raum für die unendlich vielen möglichen Realitätssysteme, von denen Seth immer wieder spricht. Selbst die kühnste Fantasie reicht nicht aus, sich auszudenken – geschweige denn sich vorzustellen – was in einem fünfdimensionalen Raum möglich ist. Im Seth-Material und in Gesprächen mit Seth finden sich eine Reihe von Aussagen über den Raum:

Ihr existiert inmitten von vielen anderen Realitätssystemen, aber ihr nehmt sie nicht wahr. Und selbst wenn einmal ein Geschehnis von diesen Systemen in eure dreidimensionale Existenz durchbricht, seid ihr nicht imstande, dieses zu deuten, denn es wird durch den Durchbruch entstellt. (514)
Eure Vorstellung vom Raum ist höchst irrig. Der Raum, wie ihr ihn wahrnehmt, existiert einfach nicht. Die Illusion dieses Raumes wird nicht allein durch eure physischen Wahrnehmungsmechanismen hervorgerufen, sondern auch durch angenommene geistige Muster – durch Muster, die das Bewusstsein sich aneignet, sobald es eine bestimmte »Evolutionsstufe« innerhalb eures Systems erreicht. (519)
Das Universum, das ihr wahrnehmt, scheint aus Galaxien, Sternen und Planeten zu bestehen, die sich in unterschiedlicher Entfernung von euch befinden. Dies ist im Grunde eine Illusion. Eure Sinnesorgane und eure Existenzform als physische Wesen programmieren euch dazu, das Universum auf solche Weise zu sehen. Das euch bekannte Universum ist eure Deutung von Ereignissen, die in eure dreidimensionale Realität hineinragen. Die Vorgänge selbst sind geistiger Natur. (519)
Andere Bewusstseinsformen koexistieren innerhalb des gleichen »Raumes«,in dem sich eure Welt befindet. Sie nehmen eure physischen Gegenstände nicht wahr, denn ihre Realität hat eine andere Tarnungsstruktur. Ihr nehmt s i e nicht wahr, und sie nehmen euch nicht wahr. Dies ist jedoch eine verallgemeinernde Aussage, denn verschiedene Punkte eurer Realität können zusammenfallen und tun es gewissermaßen auch. (524)
Eure ganze Raumvorstellung ist derart verzerrt, dass jede Erklärung auf Schwierigkeiten stößt. (537)
Alles, was ihr in eurer dreidimensionalen Existenz wahrnehmt, ist nur eine Projektion einer größeren Realität in diese Dimension. (539)

Fast alle diese Aussagen können zwanglos gedeutet werden als Aussagen über eine fünfdimensionale Welt, wovon unser vermeintliches Raum-Zeit-Kontinuum ein vierdimensionaler Ausschnitt oder eine Projektion ins Vierdimensionale ist. (Der Ausdruck Projektion ins Vierdimensionale ist keineswegs eine Metapher, sondern ein mathematischer Begriff.) Seths Versuche, diesen fünfdimensionalen Raum mit Hilfe einer Analogie von Drähten und Ebenen anschaulich zu machen, sind natürlich – wie alle vergleichbaren Versuche – zum Scheitern verurteilt, da sie sich alle bemühen, etwas anschaulich zu machen, was unserer Anschauung entzogen ist.

Die Aussage: »Die Ereignisse sind geistiger Natur« (The events are mental) kann nur verstanden werden im Zusammenhang mit der Konzeption »Das Universum als Ideenkonstruktion«, auf das ich an dieser Stelle noch nicht eingehen will.