Materielles Zivilrecht im 2. Staatsexamen: Bereicherungsrecht


Allgemeines Bearbeiten

Das Bereicherungsrecht gilt, obwohl die einschlägigen Normen recht übersichtlich sind, als eines der schwierigsten Gebiete des Zivilrechts, vor allem weil die einschlägigen Tatbestände sehr abstrakt formuliert sind. Schwierige Sonderprobleme sind in Assessorexamensklausuren aber selten.

Die einzelnen Anspruchsgrundlagen werden unterteilt in Leistungs- und Nichtleistungskondiktion.

Leistungskondiktionen Bearbeiten

Arten der Leistungskondiktion Bearbeiten

  • § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB (durch Leistung auf eine vermeintliche, tatsächlich nicht bestehende Verbindlichkeit etwas erlangt)
  • § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB (der rechtliche Grund bestand ursprünglich, ist aber später weggefallen)
  • § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB (bezweckter Erfolg des zugrunde liegenden Rechtsgeschäfts nicht erreicht)
  • § 817 S. 1 BGB (Herausgabe von unter Verstoß gegen gesetzliches Verbot oder die guten Sitten)

Prüfschema Bearbeiten

  • Etwas Erlangtes ist jeder Vorteil, ein Vermögenswert im Sinne eines Marktwerts ist nach heute herrschender Meinung nicht erforderlich. Hierunter fallen bewegliche Sachen, Rechte, Gebrauchsvorteile, die Befreiung von Verbindlichkeiten gegenüber Dritten, aber auch Rechtspositionenen wie die Möglichkeit im Prädentenstreit die Auszahlung eines hinterlegten Betrages zu verhindern. Auch ein Bereicherungsanspruch kann wiederum Gegenstand eines Bereicherungsanspruchs sein.
  • Leistung ist jede bewusste zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens aus der Sicht des Leistungsempfängers. Die Zweckbestimmung wird analog §§ 133, 157 BGB ausgelegt.
  • Ohne Rechtsgrund ist die Vermögensmehrung erfolgt, wenn der mit der Leistung verfolgte Zweck nicht eingetreten ist (z.B. die Befreiung von einer Verbindlichkeit, wenn die Verbindlichkeit nicht bestand)

Nichtleistungskondiktionen Bearbeiten

Arten der Nichtleistungskondiktion Bearbeiten

  • § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB (etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, aber nicht durch Leistung), lex generalis zu § 816, § 822 BGB
  • § 816 Abs. 1 S. 1 BGB (entgeltliche Verfügung eines Nichtberechtigten)
  • § 816 Abs. 1 S. 2 BGB (unentgeltliche Verfügung eines Nichtberechtigten)
  • § 816 Abs. 2 (Annahme einer Leistung durch einen Nichtberechtigten, die dem Berechtigten gegenüber wirksam ist, bspw. § 407, § 793, § 808, § 851, § 893, § 2367 BGB)

Strittig ist die Natur von § 822 (Herausgabepflicht des Dritten, der unentgeltlich etwas erlangt hat).

Prüfschema Bearbeiten

  • Anwendbar ist die Nichtleistungskondiktion nur wenn die Sondertatbestände des § 816 und § 822 BGB nicht greifen
  • Etwas Erlangtes entspricht der Leistungskondiktion
  • In sonstiger Weise bedeutet, dass der Bereicherungsgegenstand nicht durch Leistung erlangt wurde, maßgeblich ist die Sicht des Empfängers
  • auf Kosten des Bereicherungsschuldners ist die Bereicherung erfolgt, wenn sie im Widerspruch zum wirtschaftlichen Zuweisungsgehalt einer geschützten Rechtsposition erfolgt ist, die er inne hatte
  • ohne Rechtsgrund ist die Bereicherung erfolgt, wenn der Bereicherte kein Recht zum Behaltendürfen des Erlangten hat

Subsidiarität der Nichtleistungskondiktion Bearbeiten

Die Nichtleistungskondiktion ist subsidiär zur Leistungskondiktion. Bei nur zwei involvierten Personen ist das irrelevant: Jede Vermögensmehrung kann dann nur entweder Leistung oder Nichtleistung sein. Im Mehrpersonenverhältnis hingegen soll die Rückabwicklung entlang der Leistungsbeziehungen stattfinden. Idee dahinter ist, dass jeder Beteiligte nur das Insolvenzrisiko desjenigen tragen soll, den er sich als Leistungspartner aussuchen konnte.

Die Subsidiarität ist kein absolutes Dogma, sondern gegebenenfalls zu korrigieren, wenn dies der Interessenlage von Bereicherungsschuldner, -gläubiger und des Verkehrs eher entspricht. Beispiele:

  • wenn der dem Empfänger geleistete Vorteil dem Anspruchssteller abhanden gekommen ist (§ 935 Abs. 1 BGB analog)
  • wenn der Vorteilserwerb unentgeltlich war (§ 816 Abs. 1 S. 2, § 822 BGB analog)
  • wenn der Erwerber bösgläubig war (z.B. § 932 Abs. 2 BGB analog)

Umfang des Bereicherungsanspruchs Bearbeiten

§ 818 regelt den Umfang des Bereicherungsanspruchs. Neben dem tatsächlich Erlangten hat der Bereicherungsschuldner danach auch die tatsächlich gezogenenen Nutzungen herauszugeben sowie alles, was er auf Grund eines erlangten Rechts oder als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung des erlangten Gegenstandes erworben hat. Nicht umfasst ist das sog. commodum ex negotiatione, also das was er als Gegenleistung für die Veräußerung des Erlangten erworben hat. Das zeigt sich an Abs. 2, der ebenfalls nur auf Wertersatz gerichtet ist. Das rechtsgeschäftliche Surrogat lässt sich bereicherungsrechtlich nur nach § 816 herausverlangen.

Entreicherung Bearbeiten

Der Bereicherungsausgleich, der nicht schuldabhängig ist, soll beim Bereicherungsgläubiger grundsätzlich nicht zu einem Schaden führen. Er haftet nach § 818 Abs. 3 BGB daher nur soweit der erlangte Vorteil noch in seinem Vermögen vorhanden ist. Das ist aber auch der Fall, wenn das Erlangte (z.B. Geld) verbraucht wurde, solange dem Verbrauch ein entsprechender Vermögensvorteil gegenüber steht, insbesondere soweit anderweitige Aufwendungen durch ihn eingespart wurden.

Entreicherung bei der Abwicklung gegenseitiger Verträge Bearbeiten

Ist ein gegenseitiger Vertrag fehlgeschlagen, sind die gegenseitigen Leistungen nach Bereicherungsrecht zurückzugewähren. Es stehen sich also zwei Bereicherungsansprüche gegenüber. In dieser Konstellation kann § 818 Abs. 3 BGB zu Unbilligkeiten führen, wenn einer der Bereicherungsgläubiger sich auf Entreicherung beruft.

Die Rechtsprechung hat hierfür die Saldotheorie entwickelt. Danach setzt sich die von den Parteien eigentlich gewollte synallagmatische Verknüpfung der vertraglichen Leistungen im Bereicherungsrecht fort: Sind beide Leistungen zumindest dem Wert nach im Vermögen des jeweiligen Bereicherungsschuldners vorhanden, werden sie von Amts wegen verrechnet soweit sie gleichartig sind (ein Anspruch besteht dann nur für denjenigen, bei dem ein Überschuss verbleibt) und zur Zug-um-Zug-Leistung verurteilt, wenn sie es nicht sind.

Ist die Leistung bei einem der Bereicherungsschuldner ganz oder teilweise untergegangen, wird er zwar nach § 818 Abs. 3 BGB frei, der Wertverlust wird aber von seinem eigenen Anspruch abgezogen.

Um den Schutzzweck verschiedener Normen die zur Nichtigkeit eines Vertrages führen können nicht auszuhebeln, gibt es zahlreiche Einschränkungen der Saldotheorie. Sie gilt nicht gegenüber

  • nicht voll Geschäftsfähigen[1]
  • arglistig Getäuschten [2]
  • dem Benachteiligten eines wegen Wucherähnlichkeit nach § 318 Abs. 1 BGB nichtigen Vertrags [3]
  • dem Käufer bei Entwertung der Kaufsache wegen eines Sachmangels für den der Verkäufer hätte einstehen müssen, wenn der Vertrag wirksam gewesen wäre [4]
  • dem Bereicherungsgläubiger eines Schuldners der nach § 818 IV, § 819 BGB verschärft haftet

Die herrschende Meinung in der Literatur löst das Problem dagegen über die sog. modifizierte Zweikondiktionentheorie. Sie verweigert dem Bereicherungsschuldner die Berufung auf § 818 Abs. 3 BGB.

Darlegungs- und Beweislast Bearbeiten

Die Darlegungs- und Beweislast für alle Tatbestandsvoraussetzungen des § 812 BGB trägt der Kläger. Den Schuldner kann aber eine gesteigerte sekundäre Behauptungslast für den Rechtsgrund zum Behaltendürfen treffen. Andernfalls müsste der Kläger einen kaum möglichen Negativbeweis führen. Das gilt zumindest dann, wenn dem Schuldner Gegenvortrag unproblematisch möglich ist.[5]

Fußnoten Bearbeiten

  1. BGHZ 126, 105
  2. BGHZ 57, 137
  3. BGH NJW 2001, 1127
  4. BGHZ 78, 216
  5. BGH NJW 1999, 2887