Martin Heidegger „Sein und Zeit“/ Viertes Kapitel §§ 67–71

Vorbereitende
Analyse
Erneute
Analyse
§ 31 § 68a
§ 29 § 68b
§ 38 § 68c
§ 34 § 68d
§ 28 § 69
§§ 12, 15 § 69a
§ 44 § 69b
§ 18 69c
§§ 22–24 § 70
§ 9 § 71

Dieses Kapitel ist der Wiederholung der Daseinsanalyse unter dem Gesichtspunkt der Zeitlichkeit gewidmet. Damit entspricht Heidegger seinem methodischen Konzept des hermeneutischen Zirkels.

Zeitlichkeit und Alltäglichkeit
Heidegger hat im vorigen Kapitel die Zeitlichkeit als ontologischen Ursprung des Seins des Daseins, also der Sorge ausgemacht. Den ontologischen Ursprung freilegen bedeutet bei Heidegger nicht, dass etwa ein einzelnes erstes Aufbauelement gesucht wird, von dem aus sich dann die ‚höheren‘ Eigenschaften entwickeln lassen. Vielmehr ist „der Ursprung des Seins des Daseins [der Sorge] nicht geringer als das, was ihm entspringt, sondern er überragt es vorgängig an Mächtigkeit“.[1] Das heißt der ontologische Ursprung läßt mehr Phänomene verstehen, als die ihm entspringenden.

Es sollen nun für Verstehen, Befindlichkeit, Verfallen und Rede deren jeweilige Modi der Zeitigung untersucht werden. Hiermit ist dann der Boden für die Analyse der Zeitigung des gesamten In-der-Welt-Seins gegeben.[2]

Heidegger ordnet Verstehen, Befindlichkeit und Verfallen jeweils eine der drei zeitlichen Ekstasen Gewesenheit, Gegenwart, Zukunft eine primäre zu, welche das jeweilige Phänomen grundlegend bestimmt. Das heißt nicht, dass die Existenzialien nur durch die zugeordnete zeitliche Ekstase bestimmt werden, oder dass alle anderen dann schlicht unbedeutend sind. Steht ein bestimmter Aspekt des In-der-Welt-seins unter einer zeitlichen Ekstase, dann beherrscht diese das Existenzial lediglich mehr als die anderen. Es bleibt also jede Ekstase mit den anderen zwei zeitlichen Ekstasen verwoben. Da die Zeitlichkeit etwas ist, das sich vollzieht (Zeit ist weder vorhanden noch zuhanden) und den Ekstasen daher eine Dynamik innewohnt, sagt Heidegger auch, die Zeitlichkeit zeitigt sich. Wegen der untrennbaren Verbindung der drei Ekstasen zeitigt sich die Zeitlichkeit in jeder Ekstase ganz. Zeitigung ist dabei kein Nacheinander der Ekstasen, sondern „Zeitlichkeit zeitigt sich als gewesend-gegenwärtigende Zukunft“.[3] In dieser ekstatischen Einheit der vollen Zeitigung gründet für Heidegger auch die Einheit der Sorgestruktur.

Strukturmoment der Sorge Primäre zeitliche Ekstase
Verstehen Zukunft
Befindlichkeit Gewesenheit
Verfallen Gegenwart
Rede ist in sich selbst zeitlich, ihr entspricht keine primäre Ekstase, denn sie
vereint alle drei auf sich zugleich.

a. Zeitlichkeit des Verstehens
Heideggers Begriff des Verstehens ist ein überwiegend praktisch orientierter, den er kritisch gegen die Begriffe des Erkennens und Wissens abgrenzt. Verstehen ist daher auf den praktischen Umgang mit der Welt gerichtet, in dem sich das Dasein auf eine Zukunft hin entwirft. Erst die Zukünftigkeit ermöglicht das Verstehen, denn erst von der Zukunft her kommt das Dasein auf seine gegenwärtige Lebenssituation zurück und versteht, was „zu tun ist.“ Heidegger unterscheidet nun eigentliches und uneigentliches Verstehen und deren Bezug zur Zeitlichkeit.

Zeitekstase Uneigentliches Verstehen Eigentliches Verstehen
Zukunft Gewärtigen Vorlaufen
Gegenwart Gegenwärtigen Augenblick
Gewesenheit Vergessen/Erinnern/Behalten Wiederholung

Da das Dasein meist unentschlossen ist, zeitigt sich die Zeitlichkeit nicht aus der eigentlichen Zukunft. Das heißt, unentschlossen ist das Dasein auf die uneigentliche Zukunft bezogen, es ist nur in der Gegenwart beim zu Besorgenden. Es kommt also nicht auf sich zu (als Sein zum Tode) indem es sich die Zukunft bewusst als eigene aneignet, sondern es ist gegenwärtigend, es bestimmt sich aus dem Man und tut das was man betreibt.[4] Die Person verliert sich im gegenwärtigen Besorgen, statt das ganze ihres Lebensvollzugs zu erkennen.

Die eigentliche Gegenwart ist für Heidegger der Augenblick, in welcher der Entschluss die Situation erschließt, nämlich dass das Dasein als Person mit einem endlichen Entscheidungsspielraum vor sich existiert. Damit zeitigt sich das uneigentliche Verstehen/Entwerfen aus dem Gegenwärtigen, der Orientierung an durch das Man vorgegebenen Sinn- und Handlungsstrukturen. Der Augenblick als ein Gegenwartsmoment des eigentlichen Verstehens zeitigt sich aus der eigentlichen Zukunft, d. h. die Person eignet sich bewusst ihren Entscheidungsspielraum an als einen – wegen des Todes – endlichen.[5]

Erst durch die Zukunft und das Sein zum Tode kommt das Dasein auf sich selbst als Vereinzeltes zurück. Erst dann, wenn es so vor sich selbst (vor sein Da als Person) gebracht wurde, kann es sich die Gewesenheit (seine „Biographie“) zueignen als Wiederholung. Es „holt“ seine vergangenen Erlebnisse „wieder“ zu sich als zu seiner Person gehörig. Heidegger benutzt dabei den Begriff „Gewesenheit“ um ihn von der „Vergangenheit“ abzugrenzen, letztere verstanden als etwas nicht mehr Seiendes, das nicht mehr zum Dasein gehört. Der Begriff Gewesenheit zeigt hingegen an: Das Dasein ist seine Gewesenheit. Das uneigentliche Entwerfen des Daseins wird erst durch ein Vergessen möglich. Vergessen ist für Heidegger nicht ein Fehlen von Erinnerung, sondern vergessend ist das Dasein, weil es für seine Geworfenheit blind bleibt. Die Person hat kein Verständnis von ihrer Geworfenheit, d. h. davon, dass sie in ein kulturelles Überlieferungsgeschehen eingebunden ist, in dem Vorstellungen, Wissen, Fähigkeiten im geschichtlichen Prozess übermittelt werden – Vorstellungen, Fähigkeiten und Wissen die es selbst als Person bestimmen. Dies nicht zu sehen meint für Heidegger vergessen. Da die von der Person übernommene kulturelle Sinnwelt nicht etwas von ihr getrenntes ist, könnte man daher sagen, die Person vergisst sich, wenn sie sich ihre kulturellen Fähigkeiten nicht bewusst aneignet. Das uneigentliche Verstehen zeitigt sich in Heideggers Worten als vergessend-gegenwärtigendes Gewärtigen.

Für das Verstehen allgemein bleibt trotzdem festzuhalten: „Primär vollzieht sich die Zeitigung des Verstehens in der Zukunft.“[6]

b. Zeitlichkeit der Befindlichkeit

Die Grundbefindlichkeit der Angst dem Dasein sein In-der-Welt-sein, dass es also ist und zu sein hat. Dies ist, so Heidegger, nur möglich, weil das Dasein gewesen ist. Damit ist die zur Befindlichkeit gehörende Zeitlichkeit primär die der Gewesenheit. Die primäre Ekstase der Zeitlichkeit modifiziert zugleich die Ekstasen von Zukunft und Gegenwart.[7] Diese Behauptung, dass Befindlichkeit nur auf Grund von Zeitlichkeit möglich ist, muss allerdings noch gezeigt werden. Dies zu zeigen bedient sich Heidegger abermals der zwei bekannten Phänomene von Furcht und Angst.[8]

Zunächst wäre zu erwarten, dass Furcht sich auf ein zukünftiges Ereignis bezieht. Jedoch zeigt sich nach Heidegger bei der Analyse des Phänomens, dass nicht so sehr das zukünftige Wovor der Furcht eine Rolle spielt, sondern der sich Fürchtende. Die Furcht bringt so nämlich das Dasein auf sich zurück, sie wirkt gegenwärtigend. Das Zurückbringen des Daseins auf sich selbst erklärt auch den mit der Furcht einhergehenden Affektcharakter: das Dasein wird in dieser Gedrücktheit verwirrt, so dass es sich an das Besorgen verliert, indem es fürchtend von einer zur nächsten Möglichkeit springt. In der Furcht ist das Dasein daher selbstvergessen.[9]

Die Analyse der Angst hatte ergeben: das Wovor wie auch das Worum der Angst ist das In-der-Welt-Sein selbst. Damit aber kommt das Wovor nicht aus der Zukunft, es ist ja dieses nackte Da des Daseins, das zum Dasein immer „dazugehörige“ In-der-Welt-Sein. In dieser Nacktheit bringt die Angst das Dasein also auf seine Geworfenheit zurück, weshalb die Befindlichkeit der Angst durch die Gewesenheit konstituiert wird.[10] Da die Angst vor die mögliche Übernahme im Entschluss bringt, geht mit ihr keine Verwirrung wie bei der Furcht einher, denn der Entschluss stürzt sich ja nicht auf die nächstliegenden Möglichkeiten. Der Entschlossene kennt keine Furcht und lässt sich nicht durch nichtige Möglichkeiten einnehmen, sondern er ist frei für das Eigentliche, d. h. er erkennt sich als Person und versteht abzuwägen, welche Möglichkeiten im Sinne seiner Selbst zu realisieren sinnvoll sind.[11]

Auch wenn nicht alle Stimmungen im einzelnen analysiert werden können, so werden sie für Heidegger doch ebenso wie die Angst durch die Gewesenheit fundiert. Beispielsweise bezieht sich die Hoffnung für Heidegger nur vordergründig auf ein zukünftiges Ereignis, doch der Hoffende ist ja stets ein einzelnes konkretes Dasein. Dieses erhofft also für sich. Damit zeigt sich das Hoffen als Entlastendes – wovon jedoch erleichtert wird, ist die Last des Gewesenen. Ebenso zeigt sich für Heidegger die Gleichgültigkeit als durch die Gewesenheit bestimmt: Wenn man alles sein lässt, überlässt man sich damit auch der eigenen Geworfenheit.[12]

c. Zeitlichkeit des Verfallens

Als die primären Ekstasen von Verstehen und Befindlichkeit hatten sich Zukunft bzw. Gewesenheit gezeigt. Dem Verfallen kommt als primäre zeitliche Ekstase die Gegenwart zu. Allerdings handelt es sich um eine spezifische Weise des Gegenwärtigen, die Heidegger beispielhaft an der Neugier verdeutlicht. Neugier sucht nicht das verweilende Verstehen, sondern sie betrachtet die Dinge lediglich um zu sehen und gesehen zu haben. In diesem ständigen Unverweilen entspringt die Neugier aus dem Gegenwärtigen, jedoch so, dass es immer wieder im Gegenwärtigen um der Gegenwart Willen landet. Heidegger versucht mit dem „Entspringen“ die Paradoxie der Neugier zu fassen, dass diese einerseits nur im Moment sich für bestimmte Dinge interessiert, andererseits aber stets schon wieder auf dem Sprung zum nächsten Interessanten ist. Die Neugier sucht ständig das Neue, jedoch nicht weil sie Interesse an der Sache hat, sondern um vor sich selbst zu fliehen. Das heißt aber auch, dass nicht das Neue (als potentieller Gegenstand für unser Interesse) die Neugier bewirkt, sondern die Art der Zeitigung der Neugier führt selbst, gleichsam zwanghaft, auf das Neue zu. Die paradoxe Art der Neugier von Moment zu Moment zu springen ist also ein unruhiger Umgang mit der Gegenwart, aus dem her erst die Dinge als angeblich interessant empfunden werden. In Heideggers Worten: das entspringende Gegenwärtigen ist existenzial-zeitliche Bedingung der Möglichkeit der Zerstreuung. Die Aufenthaltslosigkeit stellt somit auch den schärfsten Kontrast zum Augenblick (als eigentliche Gegenwart, s.o.) dar: beide sind Modi der Gegenwart, jedoch sucht der erstere das Belanglose, letzterer bringt vor das Da des Daseins und schafft somit die Möglichkeit eigentlich zu sein.[13]

Für Heidegger steht also das Verhalten des Daseins auch wenn es nicht auf seine Zukunft oder Gewesenheit ausgerichtet ist, unter der Bedingung seiner Endlichkeit. Zwar ist die Gegenwart die primäre zeitliche Ekstase des Verfallens, jedoch dies nur, weil die Zeitlichkeit endlich ist. Der Ursprung des Entspringens ist die endliche Zeitlichkeit selbst, die das geworfene Sein zum Tode erst möglich macht: Erst weil das Dasein zum Tode ist, flieht es diese seine Geworfenheit. Erst die ‚verdrängte‘ Angst vor dem Tod zwingt das Dasein in Zerstreuung.[14]

d. Zeitlichkeit der Rede
Der Rede kommt keine primäre zeitliche Ekstase zu, wie dies bei Verstehen, Befindlichkeit und Verfallen der Fall ist, gleichwohl hat sie als Bevorzugte das Gegenwärtige. Die Rede ist an sich selbst zeitlich weil sie in der ekstatischen Einheit der Zeitlichkeit gründet: Indem in der Rede über etwas gesprochen wird, vereinigt sie stets alle drei Ekstasen mit einem Bezug zur Gegenwart.

Die Zeitlichkeit des In-der-Welt-Seins
Da nun die zeitlichen Ekstasen der Erschlossenheit, also von Verstehen, Befindlichkeit, Verfallen und Rede besprochen wurden, bleibt noch zu klären, welcher Zusammenhang zwischen Zeitlichkeit und In-der-Welt-Sein besteht. So ist vor allem das Phänomen von Welt nur durch die Zeitlichkeit des Daseins möglich[15] Heidegger möchte im Folgenden klar machen, dass die Zeitlichkeit das primäre ontologische Phänomen ist und nicht aber die vulgäre Zeitauffassung, welche das Dasein und die Welt als in der Zeit seiend vorstellt. Hierzu zeigt er einerseits, wie sich aus dem Besorgen erst das Rechnen mit Zeit ergibt (a), (b), andererseits, dass Welt erst durch die ekstatische Erschlossenheit ist (c).

a. Die Zeitlichkeit des Besorgens
Die Analyse des Zeug hatte gezeigt, dass dieses jeweils in eine Zeugganzheit eingebunden ist. Ein einzelnes Zeug ist somit niemals möglich. Zeug hat den Seinscharakter der Bewandtnis, den Umgang mit Zeug nannte Heidegger Bewendenlassen. Dieses Bewendenlassen muss nun als Element der Sorge zeitlich fundiert sein: Ihm entspricht die zeitliche Struktur des Gegenwärtigens. Vergegenwärtigt wird sich das Wozu des Zeug.[16] Dieses Wozu ist etwas, das sich weder im Werk noch im Werkzeug findet: Das Gegenwärtigen stiftet erst die Einheit dieser zwei Bezüge.

Damit macht das Gegenwärtigen auch das spezifische Vergessen verständlich, welches als das völligem aufgehen in der Sache bereits erwähnt wurde. Dass das Besorgen gegenwärtigend ist, läßt sich auch an den Modi des Begegnenlassens beobachten, nämlich Auffälligkeit, Aufdringlichkeit und Aufsässigkeit. Erst das Unzuhandene, das defekte Zeug läßt ja die Bewandtnisganzheit aufdringlich werden. Dies ist aber nur möglich, wenn das Dasein sich das Wozu des Zeug vergegenwärtigt, nur dann kann etwas wie Unzuhandenheit festgestellt werden.[17] Das Verständnis der Unzuhandenheit bleibt jedoch zunächst vorontologisch.

b. Theoretisches Entdecken
Die Frage dieses Abschnitts geht auf die Bedingung der Möglichkeit der Wissenschaft. Wissenschaft ist für Heidegger nur für ein Dasein in seinem In-der-Welt-Seins möglich. Mit ihr einher geht eine spezifische Sicht auf das Seiende bei welcher das Zuhandene als Vorhandenes aufgefasst wird. Dieser Umschlagpunkt wird meist einfach als Wechsel von der Umsicht zur Hinsicht, von der Praxis zur Theorie beschrieben. Dies reicht jedoch laut Heidegger nicht aus, zumal Praxis und Theorie sich vielfach durchdringen: Auch die Theorie hat ihre empirische Praxis, und die Praxis hat wiederum ihre spezifische Sicht (Theorie).[18]

Um den Zusammenhang aufzuklären, beginnt Heidegger seine Untersuchung bei der alltäglichen Umsicht. Diese hat die Bewandtnisganzheit immer schon verstanden und wird von einem Worumwillen „geleitet.“ Sie nähert die Dinge in der Weise der Überlegung, in welcher sich das Wenn-So erschließt: wenn dies geschehen soll, so muss jenes gemacht werden. Hier zeigt sich wieder die zeitliche Struktur der Gegenwärtigung. Das Wenn-So kann nur in einem Bewandtniszusammenhang (der Als-Struktur) verstanden werden. Die Als-Struktur basierte auf dem Verstehen, welches wiederum nur durch die Zeitlichkeit des Daseins möglich war: Das Dasein versteht, dass etwas als etwas gebraucht wird, wenn etwas so gemacht werden soll, damit es umwillen des Daseins selbst so ist. Somit zeigt sich die Als-Struktur als in der Zeitlichkeit fundiert: Nur weil es Zukunft gibt, kann das im Gegenwärtigen erfasste Wozu der Dinge verstanden werden.[19]

Heidegger fragt nun: Was passiert, wenn wir zum Beispiel einen Hammer nicht mehr einfach nur benutzen, sondern ihn auf eine Waage legen und sein Gewicht erfassen? Offensichtlich sieht man dabei nicht nur von seiner Eingebundenheit in die Zeugganzheit und seinem Sinn ab, sondern es ist eine völliges Umschlagen des Seinsverständnisses. So „übersieht“ zum Beispiel die Physik nicht nur den Zeugcharakter des Hammers, sondern auch noch den Platz, welchen das Zeug in der Gegend hat. Der Platz wird zu Raum-Zeit-Stelle, Umwelt überhaupt wird entschränkt, wie Heidegger sagt.[20] Was speziell die mathematische Physik damit zeigt, ist dass sie Seiendes nur durch Vorgabe seiner Seinsverfassung (nämlich der mathematischen Beschreibbarkeit) erschließt, sie gibt einen mathematischen Entwurf der Natur. Die Ausarbeitung dieses damit einhergehenden Seinsverständnisses nun macht dann den vollen Begriff dieser Wissenschaft aus. Die Ausarbeitung nennt Heidegger Thematisierung – sie erst objektiviert das Seiende.

Damit aber die Thematisierung vollzogen werden kann, muss das thematisierte Seiende transzendiert werden – die Möglichkeit hierzu ist Thema des nächsten Abschnitts.

c. Die Transzendenz der Welt
Um das zeitliche Problem der Transzendenz der Welt zu klären, muss nach dem Sein der Welt gefragt werden.[21] Die Analyse der Weltlichkeit der Welt hatte die Struktur der Welt freigelegt: Innerhalb der Bewandtnisganzheit zeigten sich deren Elemente als Um-zu, Wozu, Dazu, Um-willen, deren Verbindung untereinander Heidegger Bedeutsamkeit nannten. Dies ist dem Dasein in seinem Da erschlossen. Die Erschlossenheit des Da wird durch die Sorge konstituiert. Sorge basierte auf Zeitlichkeit. Damit zeigt sich die Zeitlichkeit als Bedingung der Möglichkeit von Welt: Die Welt ist ein Verweisungszusammenhang von Dingen, sie ergeben jedoch nur Sinn und haben einen Nutzen auf der Grundlage von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Das bedeutet jedoch nicht, dass das Dasein Sinn und Nutzen erst wie einen Schleier über die Dinge wirft, sondern sie sind nur so. Bereits vorher stellte die Untersuchung fest: Ohne Dasein gibt es keine Welt. Nun zeigt sich: Auch ohne den Horizont der Zeitlichkeit kann Welt nicht sein.

Heidegger nennt die Zeitlichkeit als den Horizont des Sinns von Sein (in Anlehnung an Kants Abschnitt zum Schematismus in der Kritik der reinen Vernunft) das horizontale Schema:

Zeitekstase Schemata (Wohin der Entrückung)
Zukunft Um-willen
Gegenwart Wovor und Warum
Gewesenheit Um-zu

Hier zeigt sich nochmals: da die Welt wesentlich aus den sinnhaften Bezügen besteht (diese machen die Weltlichkeit der Welt aus) und diese Bezüge zeitlich sind, d. h. als Vollzug, als Prozess, ist die Welt nicht in der Zeit sondern Welt zeitigt sich.[22]

Mit Transzendenz der Welt meint Heidegger nun, dass Welt ekstatisch (durch die zeitlichen Ekstasen) erschlossen sein muss, damit überhaupt Innerweltliches begegnen kann. Ohne Zeitlichkeit könnte das Dasein keinen Umgang mit den Dingen haben. Das zeitliche Herausragen des Daseins in die Welt bedeutet aber auch, dass die Welt immer weiter draußen ist, als jedes ihm unmittelbar gegebene Objekt. Dieses Weiter-draußen macht die Transzendenz der Welt aus: Welt ist nichts Greifbares und doch ‚braucht‘ das Dasein sie, damit ihm in ihr (innerweltlich) Dinge begegnen können.[23] Somit ist die Transzendenz der Welt auch Bedingung der Möglichkeit der wissenschaftlichen Erforschung von innerweltlich Seienden.

Die Zeitlichkeit der daseinsmäßigen Räumlichkeit
Da die Weise des Daseins zu Sein zeitlich ist, so muss sich nach Heidegger auch die daseinsmäßige Räumlichkeit als durch die Zeitlichkeit konstituiert erweisen.[24] Die daseinsmäßige Räumlichkeit wurde bestimmt als ein Hang des Daseins zur Nähe durch das Ent-Fernen. Die Dinge haben ihren Platz in einer Gegend. Dasein ist damit nicht im Raum vorhanden, sondern es räumt sich ein. Beim Einräumen entdeckt Dasein Gegend, also das Wohin des Zeugs. Hierfür muss es jedoch die Bewandtnisbezüge kennen. Da der vorige Abschnitt gezeigt hatte, dass Bewandtnis nur im Horizont einer ekstatisch erschlossenen Welt möglich ist, zeigt sich somit auch die Räumlichkeit des Daseins als durch die Zeitlichkeit fundiert: Das Nähern und Ent-Fernen der Dinge, das Entdecken von Gegend geschieht durch ein Gegenwärtigen. Im Gegenwärtigen ist erst ein sich Ausrichten auf das Dorthin und Hierher der Dinge möglich. Damit ist aber die Welt nicht im Raum vorhanden, sondern dieser lässt sich nur innerhalb einer Welt entdecken.[25]

Der zeitliche Sinn der Alltäglichkeit
Es wurde nun die Zeitlichkeit der Alltäglichkeit besprochen, ihr zeitlicher Sinn blieb, so Heidegger, jedoch noch im Dunkeln. Alltäglichkeit meinte eine bestimmte Seinsart, also wie es ist, so zu existieren. In diesem Zusammenhang wurden auch die Ausdrücke „zunächst und zumeist“ gebraucht, dabei meinte „zunächst“ die Weise des Daseins, in welcher es uns geläufig und bekannt ist, während „zumeist“ sich darauf bezog, wie sich uns das Dasein in der Regel zeigt. Alltäglichkeit ist für Heidegger nicht ein bloßer Aspekt, sondern eine grundlegende Weise zu sein.[26] Heidegger vermerkt lediglich kurz: Um nun den zeitlichen Sinn der Alltäglichkeit aufzuklären, muss zuvor eine Idee des Sinns von Sein überhaupt gewonnen werden, erst auf dieser Grundlage lässt sich das Problem angemessen in den Blick bringen.

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. SZ, Seite 334.
  2. Vgl. SZ, Seite 335.
  3. SZ, Seite 350.
  4. Vgl. SZ, Seite 337.
  5. Vgl. SZ, Seite 338.
  6. SZ, Seite 339.
  7. Vgl. SZ, Seite 340.
  8. Vgl. SZ, Seite 341.
  9. Vgl. SZ, Seite 342.
  10. Vgl. SZ, Seite 343.
  11. Vgl. SZ, Seite 344.
  12. Vgl. SZ, Seite 345.
  13. Vgl. SZ, Seite 347.
  14. Vgl. SZ, Seite 348.
  15. Vgl. SZ, Seite 351.
  16. Vgl. SZ, Seite 353.
  17. Vgl. SZ, Seite 355.
  18. Vgl. SZ, Seite 358.
  19. Vgl. SZ, Seite 360.
  20. Vgl. SZ, Seite 361.
  21. Vgl. SZ, Seite 364.
  22. Vgl. SZ, Seite 365.
  23. Vgl. SZ, Seite 366.
  24. Vgl. SZ, S. 367.
  25. Vgl. SZ, Seite 369.
  26. Vgl. SZ, Seite 371.