Lehrbuchrhetorik im Medizinstudium: Rhetorische Propaedeutik


Bei der Rhetorik geht es allgemein um strategische Zielerreichung gegen Widerstände, und zwar mit Hilfe von sprachlichen Mitteln, konkreter um "die pragmatisch motivierte, gekonnte Funktionalisierung der Textgestaltung im Sinne einer Rezeptionssteuerung und einer Vermittlung von Botschaften" (Knape, 135).

Da Lehrbücher das Ziel haben, dem Leser Wissen zu vermitteln bzw. beim Leser den Aufbau entsprechender mentaler Strukturen anzuregen, zu diesem Zweck Mittel und Maßnahmen strategisch einsetzen und dadurch den Text funktionalisieren, sind auch sie rhetorische Erzeugnisse. Im Folgenden werden daher – nach einem kurzen historischen Abriss – die Grundprinzipien und Vorgehensweisen der Rhetorik dargestellt (und gegebenenfalls im Hinblick auf die Lehrbuchgestaltung modifiziert).

Begriffliches: Der Hauptschauplatz der Rhetorik ist die mündlichen Auseinandersetzung, daher wird im Folgenden der Begriff "Rede" synonym zu "Text" verwendet. Der Autor, Redner und Texturheber wird der rhetorischen Tradition folgend als "Orator" bezeichnet.

Geschichtlicher Abriss

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Aristoteles (384-322 v. Chr.)
 
Cicero (106-43 v. Chr.)
 
Quintilian (35-96 n. Chr.)
 
Augustinus (354-430)

Die Rhetorik ist eine lebensweltbezogene Universaldisziplin, denn sie ist an keinen konkreten Gegenstand geknüpft, sondern kann auf verschiedene Gegenstände angewendet werden; wobei sie im Gegensatz zur Philosophie nicht das Wahre sondern das Wahrscheinliche eines Gegenstands auszumachen und zu mitzuteilen sucht, so dass ihr eine zwischen Wissenschaften und Praxis vermittelnde Stellung zukommt. Die Praxisbezogenheit der Rhetorik wird gerade an ihren Ursprüngen im Griechenland der Antike deutlich, als sie vor allem in Form der Gerichtsrede in Erscheinung trat – der wissenschaftliche Anfang der Rhetorik als Kunst des strategischen Überzeugens wird auf das fünfte Jahrhundert vor Christus datiert (die Zeit der Einführung der Demokratie) und vor allem mit Korax und Teisias, den Autoren des ersten Rhetorik-Lehrbuchs, in Verbindung gebracht, die als Gerichtsredner vor großen, nach dem Zufallsprinzip besetzten Laiengerichten auftraten. Daran zeigt sich auch das Prinzip, wonach die momentane Stellung der Rhetorik von der aktuell herrschenden Staatsform abhing: sie blühte auf, je mehr es auf die direkte Überzeugung von Entscheidern aus dem Volk ankam, wohingegen sie in Monarchien und Diktaturen an Bedeutung verlor.

Während die Sophisten die Rhetorik pragmatisch als politisch funktionalisierte Überredungstechnik auffassten, prangerte Platon (ca. 428 bis ca. 347 v. Chr.) den Scheincharakter der Rhetorik an; insgesamt hielt er die Sprache für ungeeignet, irgendwelche Wahrheiten zu erkennen. Die einzige Berechtigung der Rhetorik sah er in der Selbstanklage und der Forderung nach Selbstbestrafung (wobei er Strafe als seelenreinigenden Prozess und mithin als einen Akt der Güte auffasste). Aristoteles (384-322 v. Chr.), selbst Schüler des Platon, maß der Rhetorik dagegen eine höhere Bedeutung zu und betrachtete sie als Mittel zur publikumsorientierten Umsetzung dialektisch gewonnener Erkenntnisse; seine "Rhetorik", in der er besonders auf die affektischen Mittel einging ("Schauder und Jammern"), gilt selbst heute als klassisches Werk zur Beredsamkeit. Standardwerke von ähnlichem Rang verfassten zudem Cicero (106-43 v. Chr.), römischer Staatsmann, Redner und Schriftsteller, und Quintilian (35-96 n. Chr.), Rechtsgelehrter, Rhetoriklehrer und Schriftsteller. Quintilian richtete den Fokus auf die rhetorische Ausbildung: sie sollte von Kindesbeinen an erfolgen und auf Tugend, Wissen und Ausbildung rednerischer Fähigkeiten abzielen, wobei er besonderes Gewicht auf Fleiß und Übung durch Nachahmung legte. Eine ähnliche Auffassung hatte auch Cicero vertreten: rhetorische Meisterschaft sei durch Kunst (rhetorische Fertigkeiten) und Handwerk (Allgemeinbildung und Entfaltung von Talenten durch übende Nachahmung von Vorbildern) zu erreichen; im idealen Redner (orator perfectus) sah er Wissen, Fertigkeiten und Tugend verschmolzen. Augustinus (354-430), der sich vor seiner Zeit als Kirchenlehrer selbst als Rhetoriklehrer verdingte, befürwortete ein ähnliches Ideal: der Redner sollte ihm zufolge Weisheit und Beredsamkeit in sich vereinigen, Worte und Handlungen sollten einander entsprechen (vgl. Ueding/Steinbrink, 13ff).

 
Artes liberales

Im Mittelalter war die Rhetorik eine Disziplin der (meist) sieben freien Künste (artes liberales), wobei sie zusammen mit der Grammatik und Dialektik den Dreiweg (trivium) bildete, der dem Vierweg (quadrivium; bestehend aus Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik) beigestellt war; die Rhetorik war als fest im Bildungssystem verankerte Disziplin elementare Grundvoraussetzung für die höheren Wissenschaften (Jurisprudenz, Medizin, Philosophie, Theologie). Über Jahrhunderte hinweg wurden die freien Künste in ihrer Grundstruktur beibehalten, erst mit der einsetzenden Spezialisierung und Zersplitterung in Teilwissenschaften im 19. Jahrhundert verloren sie als Grunddisziplinen an Bedeutung – was auch den Niedergang der Rhetorik einläutete (vgl. Ueding/Steinbrink, 55ff).

 
Martin Luther (1483-1546)
 
Adolph Freiherr Knigge (1752-1796)

In der Reformation als einem der ersten großen Ereignisse der Neuzeit war die immer wieder aufklingende Forderung nach einem "Dinge statt Worte!" (Martin Luther) besonders deutlich vernehmbar, verbunden mit einer entsprechenden Verwendung rationaler anstelle von emotionalen Überzeugungsmitteln; diese Forderung sollte auch später immer wieder erneuert werden: So wurde in der Aufklärung Verstand und Vernunft eine entscheidende Bedeutung beigemessen, die Rhetorik als Vermittlerin der neuen Ideen sollte sich dementsprechend rationaler Mittel bedienen. Gegentendenzen – Gefühl statt Verstand – kamen auf mit dem Barock, bei dem das Publikum auf pathetische Weise überwältigt statt überzeugt werden sollte, mit dem Pietismus, einer religiösen Anschauung, die vor allem von Herz zu Herz reden wollte und dabei in hohem Maß auf affektische Mittel zurückgriff, sowie mit der Romantik; ihre Pervertierung erfuhr die Betonung affektischer Mittel in der Zeit des Nationalsozialismus, als mittels des Affekts die kritische Rationalität ausgeschaltet werden sollte. Ein sowohl die rationalen als auch die emotionalen Mittel integrierenden Mittelweg war dagegen im Humanismus aufgekommen. Die Forderung nach "den Dingen" war dabei selbst immer an Worte geknüpft – auch wer sich als arhetorsich darstellte, ging im Endeffekt rhetorisch vor und bediente sich einer speziellen rhetorischen Strategie, mit deren Hilfe er einen arhetorischen Eindruck entstehen lassen wollte. Keine Dinge ohne Worte (vgl. Ueding/Steinbrink, 76ff).

Die bereits unter anderem von Quintilian, Cicero und Augustinus artikulierte Idee des Redners als vir bonus (guter Mann), der gebildet, weltklug und moralisch integer sein und dabei immer angemessen, souverän und die Extreme meidend handeln sollte, wurde vor allem in der Neuzeit wieder aufgegriffen. So wurde dieses Idealbild zum Leitbild des höfischen und universitären Umgangs, fand sich später auch im Rednerideal Gottscheds sowie als Modell des gesellschaftlichen Kontakts in Knigges "Über den Umgang mit Menschen" (das jedoch im 19. und 20. Jahrhundert oftmals auf rein pragmatische Aspekte reduziert wurde) (vgl. Ueding/Steinbrink, 88ff).

Der Niedergang der Rhetorik begann im 19. Jahrhundert mit dem Bedeutungsverlust der Rhetorik als Wissenschaft, was auf der zunehmenden Spezialisierung und Differenzierung des universitären Fächerkanons beruhte – Rhetorik und Literatur wurden voneinander getrennt, Teilbereiche der Rhetorik in geisteswissenschaftliche Disziplinen integriert, denen es auf den Wirkungsaspekt von Sprache nicht ankam, rhetorische Methoden im Sinne dieser Disziplinen instrumentalisiert. Während die Rhetorik als Wissenschaft an Einfluss verlor, wurde sie im lebensweltlichen Zusammenhang bedeutsamer im Sinne einer Verabsolutierung der rhetorischen Praxis durch Ausdehnung auf alle Lebensbereiche (Propaganda etc.) (vgl. Ueding/Steinbrink, 136ff).

Kommunikations- und medienwissenschaftliche Rekonstruktionsversuche der klassischen Rhetorik als "New Rhetoric" brachten wenig ein: linguistische und semiotische Herangehensweisen zur Rekonstruktion der rhetorischen Figurenlehre endeten oftmals in einem "Systematizismus", in dem die Systematisiertheit Selbstzweck war; der pragmatische Aspekt von Sprache wurde künstlich abgetrennt; allerdings wurde auch der manipulative Aspekt von Rhetorik beleuchtet und die der Rhetorik inhärenten Alogik (insofern ihre argumentative Basis nicht aus Wahrheiten, sondern aus Wahrscheinlichkeiten besteht) gewürdigt. Kommunikations- und medienwissenschaftliche Analysen zur Wirkung von Kommunikation brachten hingegen wenige neue Erkenntnisse ein und bildeten eher Aspekte der rhetorischen Vorwissenschaftlichkeit nach – oftmals wurde nur alter Wein in neue Schläuche gefüllt (vgl. Ueding/Steinbring, 159ff).

Gerade im späteren 20. Jahrhundert kamen populäre, praxisbezogene Rhetoriken auf den Markt, die sich vor allem an Manager und Führungskräfte wandten. Ein Merkmal dieser Gebrauchsrhetoriken ist die Abkehr vom Rednerideal des vir bonus – an die Stelle von Echtheit und Sittlichkeit traten Manipulation, Inkongruenz, Vorspielen von Gefühlen und die skrupellose Anwendung unfairer Methoden. Rhetorische Teilbereiche wurden hierdurch technisiert, der Rhetoriklehrer selbst zum "Trainer" rhetorischer Techniken – ungeachtet der Tatsache, dass sprachliche, kommunikative und rhetorische Fähigkeiten schon in der Kindheit stark geprägt werden und durch spätere Eingriffe allenfalls partiell modifizierbar sind, zudem rhetorische Tricks zwar kurzfristig wirksam sein können, mittel- und langfristig jedoch oftmals ins Gegenteil umschlagen (vgl. Ueding/Steinbrink, 191ff).

Rhetorische Fähigkeiten müssen also bereits früh angelegt, gefördert und entfaltet werden; doch während die Rhetorik in früherer Zeit elementarer Bestandteil der schulischen Bildung war, wurde im 20. Jahrhundert der Unterricht entpragmatisiert und dadurch "ent-rhetorisiert", an die Stelle wirkungsintentionaler Kommunikation traten Introversion und Innenschau, an die Stelle der Deklamation der Besinnungsaufsatz. Reintegrationsversuche wurden vor allem in den siebziger Jahren unternommen, dialogische und wirkungsintentionale Formen in den Unterricht integriert, zunehmend nichtliterarische Texte rezipiert und analysiert. Von einer wirklichen Renaissance der Rhetorik im Lehrbetrieb kann jedoch bislang keine Rede sein (vgl. Ueding/Steinbrink, 183ff). Die folgende Darstellung soll daher nicht zuletzt einen – wenn auch äußerst kleinen – Beitrag zur Rehabilitierung der Rhetorik darstellen.

Grundprinzipien der Rhetorik

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Rhetorisches Situationsmodell

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Die entscheidenden Variablen der rhetorischen Situation: Orator, Gegenstand, Publikum und Kontext (als Hintergrundvariable)

Das kommunikationstheoretische Modell (Sender – Kanal – Empfänger; s. psychologische Grundlagen) wird nun zum Modell der rhetorischen Situation erweitert; diese besteht aus den wechselseitig aufeinander bezogenen Konstituenten Orator, Gegenstand, Publikum und Kontext (wobei Gegenstand und Kontext dem Kanal des kommunikationstheoretischen Modells zugeordnet werden).

  • Orator. Der Sender wird im rhetorischen Kontext als Redner, Orator bezeichnet. "Der Orator, den man auch den strategischen Kommunikator nennen könnte, ist der archimedische Punkt der Rhetoriktheorie" (Knape, 33); er lässt sich auffassen als "kognitives Kalkül, als soziale Handlungsrolle oder als Kommunikationsfaktor und textkonstruierende Instanz" (Knape, 33). Er geht dabei erfolgsorientiert und teleologisch vor, "[richtet] sein kommunikatives Handeln also an einem kommunikativen Ziel aus[…]" (Knape, 33f). Er will seine Überzeugung (certum) gegen Widerstände durchsetzen, sein Publikum nachhaltig überzeugen, kurz: Persuasion erreichen: "Der […] rhetorische Fall tritt dann ein, wenn ein Sprecher das Zertum (seine innere Gewissheit) gefunden hat , es zu seinem Anliegen macht, mit oratorischem Impetus hervortritt und ihm mit seinem Ego autem dico aktiv Geltung verschaffen will." (Knape, 76) Die Rhetorik ist also eine oratorzentrische Theorie (vgl. Knape, 73).
  • Gegenstand. Dies ist die verhandelte Sache, das Thema der Rede.
  • Publikum. Hierbei handelt es sich um den Zuhörer, den Empfänger der Äußerungen des Orators und somit das Ziel des oratorischen Handelns. Der Zuhörer ist "die grundsätzlich richtunggebende Instanz […], ob als Richter oder gegnerischer Anwalt, als politische Partei oder Festversammlung, gibt er den letzten, wenn auch außerhalb der Rede liegenden Bezugspunkt ab" (Ueding/Steinbrink, 222). Dabei muss man von einem "ganz unterschiedlich zusammengesetzte[n] Publikum mit uneinheitlichen Voraussetzungen" (Ueding/Steinbrink, 231) ausgehen. Die Variablen des Publikums, die der Orator berücksichtigen und beeinflussen kann, sind kognitiver, emotionaler und motivationaler Art (vgl. Knape, 87). Dabei gilt das kommunikative Interaktionsgesetz: "emittive Actio = rezeptive Reactio[:] […] Kommunikation ist immer wechselseitig und der kommunikative Impuls des Senders hat im Kommunikationsvorgang am Ende immer nur genau die Wertigkeit, die ihm die Reaktion des Empfängers einräumt." (Knape, 91)
  • Kontext. Dies ist die äußere Situation, der räumliche, zeitliche und soziale Zusammenhang, in den die anderen drei Konstituenten eingebettet sind; er bildet somit den Hintergrund hinter den übrigen Konstituenten.

Dabei gilt, dass aus der Sicht einer Instanz Widerstände von den übrigen Instanzen ausgehen (Widerstandsgesetz; vgl. Knape, 91). Dem Orator stellen sich bei der Durchsetzung seiner Intentionen also gegenstands-, publikums- und kontextbezogene Widerstände entgegen, die er in seine Handlungsplanung einbeziehen muss.

Das wichtigste Prinzip der Rhetorik ist das Prinzip der Angemessenheit (aptum). Stark vereinfacht besagt es: eine Rede muss in ihrer konkreten Ausgestaltung sowohl dem Redegegenstand (inneres aptum) als auch der Redesituation (äußeres aptum) angemessen sein, um die intendierte Wirkung entfalten zu können (eine genauere Erläuterung des aptum erfolgt weiter unten). Ein Verstoß gegen das innere aptum wäre etwa, eine Trauerrede in gereimter Form zu halten (die Textgestaltung ist dem Inhalt nicht angemessen), ein Verstoß gegen das äußere aptum, bei der Trauerrede zu lachen (die Vortragsweise ist der Situation unangemessen).

Andere wichtige rhetorische Prinzipien sind: Sprachrichtigkeit (puritas), Verständlichkeit (perspicuitas), Wahl der passenden Stilhöhe sowie die Orientierung der Rede am Publikum als entscheidendem Bezugspunkt.

Logos, Ethos, Pathos

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Logos, ethos und pathos sind sachliche und emotionale Überzeugungsmittel, die sich auf die entsprechenden Konstituenten der rhetorischen Situation beziehen und vom Orator intentional geformt und eingesetzt werden.

  • Logos (korrespondierende Konstituente: Gegenstand). Dies ist der Redetext mit seinen rationalen (informationsvermittelnden) und emotionalen (beziehungsgestaltenden, appellativen, selbstkundgebenden) Anteilen.
  • Ethos (Orator). Das ethos bezeichnet den Eindruck, den der Orator beim Publikum erzeugt ("image"); es umfasst die vom Publikum wahrgenommenen Charaktermerkmale des Orators, mit deren Hilfe milde, sanfte Affekte beim Publikum erzeugt werden.
  • Pathos (Publikum). Das pathos umfasst die starken Affekte des Publikums.

Da sowohl ethos als auch pathos über das logos (und dabei v. a. über seine emotionalen Anteile) transportiert werden – das ethos obligatorisch, das pathos fakultativ –, ist dieses die entscheidende Variable; sein Bezugspunkt ("Fluchtpunkt") ist das Publikum. Die Gewichtung der Überzeugungsmittel hängt von der Situation ab: zum Überzeugen des Publikums sind alle drei Mittel erforderlich, zum Informieren reicht das logos aus (mitsamt dem dabei obligatorisch vermittelten ethos).

Sprechakttheoretische Aspekte

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"Die moderne Sprechakttheorie lehrt, dass im Text allen sinntragenden sprachlichen Einheiten auf Satzebene eine Handlungsdimension inhärent ist." (Knape, 117) Sprechen ist also zugleich Handeln, durch unser Sprechen verändern wir die Welt – wir haben es also mit "Sprechhandlungen" oder "Sprechakten" zu tun (wobei im Folgenden "Sprechakt" als Bezeichnung für elementare Sprechhandlungen und "Sprechhandlung" für sprachliches Handeln gleich welcher Art verwendet werden). Sprechhandlungen beruhen auf Intentionen und lassen sich auf unterschiedliche Weise konkretisieren; dementsprechend lassen sich drei Ebenen differenzieren:

 
Ebenen einer Sprechhandlung
  1. Ebene der Intentionen oder intendierten Wirkungen (perlokutionäre Akte) – intentionales Gefüge.
  2. Ebene der Sprechhandlungen oder intendierten Handlungen (illokutionäre Akte) – pragmatisches Gefüge.
  3. Ebene der konkreten Äußerung (lokutionäre Akte) – Konkretisierung.

Eine bestimmte Intention (1.) lässt sich also durch verschiedene Sprechhandlungen (illokutionäre Akte) verwirklichen (2.), wobei man fünf elementare Sprechakte unterscheidet, die sich zum Teil auf bestimmte Komponenten des rhetorischen Situationsmodells Modells beziehen lassen (vgl. N. N.).

  • Expressiva. Beziehen sich auf den Orator, sagen etwas über ihn, seine Gefühle und Motive aus (Ich-Botschaften).
  • Kommissiva. Sagen aus, was der Orator tun wird; zu ihnen gehören beispielsweise Versprechen, Ankündigungen oder Drohungen.
  • Regulativa. Durch ihre Äußerung werden Wirklichkeitsbereiche direkt verändert.
  • Appellativa. Beziehen sich auf den Empfänger, indem sie ihn zu etwas auffordern.
  • Repräsentativa. Beziehen sich auf ein Objekt oder einen Sachverhalt.

Die elementaren Sprechakte lassen sich zu höheren Ordnungsmustern (Strukturmuster, Strategien) zusammenfügen.

Die Sprechhandlung lässt sich auf zahlreiche verschiedenen Weisen konkret realisieren (3.), abhängig von Wortwahl, Satzbau, Tonfall, Mimik und Gestik etc.

Die Verknüpfungen der drei Ebenen sind dabei variabel:

  • Verknüpfung von perlokutionärem und illokutionärem Akt. Eine Intention lässt sich entweder mit einem für die Intention typischen oder mit einem eher untypischen illokutionären Akt verwirklichen. Im ersten Fall liegt dann eine direkte Sprechhandlung vor, im zweiten Fall eine indirekte, wobei die indirekte Verknüpfung die in der Alltagssprache die weitaus häufigere ist.
  • Verknüpfung von illouktionärem und lokutionärem Akt. Wie erwähnt, lässt sich eine Sprechhandlung auf sehr unterschiedliche Weisen konkret umsetzen.

Der Orator geht also von der Intention aus und leitet aus ihr geeignete Sprechhandlungen ab. Eine Intention kann durch verschiedene Sprechhandlungen realisiert werden, umgekehrt können einer Sprechhandlung unterschiedliche Intentionen zugrunde liegen.

Wirkabsichten

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Eine Rede kann drei Wirkungen verfolgen: Belehren, Unterhalten und Bewegen; wobei das Belehren auf direktem, rationalem, verbalem Weg erfolgt (Zentralweg), Unterhalten und Bewegen dagegen vor allem über den indirekten, emotionalen, para- und nonverbalen Weg (Peripherweg). Zwar ist der Peripherweg der bei der direkten mündlichen, primärmedialen Kommunikation wichtigere; dennoch hat der Zentralweg bei der Konstruktion der Rede Vorrang – der rationale Text wird (nachträglich) durch gezielten Einsatz unterhaltender und bewegender Mittel modifiziert und emotionalisiert.

Diese drei Wirkabsichten korrespondieren mit den Konstituenten der rhetorischen Situation (Gegenstand, Redner, Publikum), ihren zugeordneten Überzeugungsmitteln (Logos, Ethos, Pathos), den Stilarten (schlicht, mittel, pathetisch-erhaben) sowie mit dem psychologischen Grundmodell (Kognition, Emotion, Motivation).

  • Belehren (docere). Die Übermittlung von Information ist die Basis der Persuasion, ohne sie wird eine Rede zu Propaganda und Agitation. Informationstransfer spielt im didaktischen Kontext eine entscheidende Rolle. Aufgrund der Verschränkung von Kognition, Emotion und Motivation und der Multidimensionalität von Botschaften (Informations-, Beziehungs-, Appell- und Selbstkundgabeaspekt) kann dieser Übermittlungsprozess jedoch niemals wirklich "rein" vonstatten gehen. Somit beeinflussen das Was und Wie der Informationsvermittlung unweigerlich die Art, wie das Publikum den Charakter des Redners wahrnimmt: "[D]ie Wirkung eines rein rationalen Vorgehens in der Rede ist niemals ganz emotionsfrei und auf den Verstand beschränkt. Sachlichkeit, Nüchternheit, Verständigkeit in Rede und Gedankenführung erwecken vielmehr […] zwar schlichte, aber dafür auch besonders dauerhafte Gefühle, die dann häufig über die Person des Redners […] vermittelt werden und damit zum Bestandteil seiner Charakterwirkung werden (ethos)." (Ueding/Steinbrink, 280) Für die Belehrung ist ein schlichter, sachlicher, klarer Stil passend, der jedoch nicht zu Langeweile führen darf – "die Wahrheit muß scheinen" (Ueding/Steinbrink, 280).
  • Unterhalten (delectare). Durch Unterhalten werden die "sanften, mittleren Affektstufen" (Ueding/Steinbrink, 281) wie Wohlwollen und Sympathie evoziert, was vor allem auf der Wirkung des Charakters des Orators beruht. Der Orator erhält dadurch Vorbildfunktion, wobei er sich selbst am Ideal des vir bonus orientieren soll. Der für das Unterhalten angemessene Stil ist der mittlere Stil, der die Extreme überzogene Sachlichkeit und Schwulst vermeidet und dadurch auf das Publikum entspannend, sympathisch und aufmerksamkeitssteigernd wirkt (vgl. Ueding/Steinbrink, 281).
  • Bewegen (movere). Hiermit sind die "Leidenschaften" (Ueding/Steinbrink, 282) gemeint, die mittels authentischer Darstellung der entsprechenden starken Emotionen und mit Hilfe von suggestiven Mitteln (z. B. Metaphern) erzeugt werden – "[d]as Übergewaltige nämlich führt die Hörer nicht zur Überzeugung, sondern zur Ekstase; überall wirkt, was uns erstaunt und erschüttert, jederzeit stärker als das Überredende und Gefällige" (Pseudo-Longinus, zitiert nach Ueding/Steinbrink, 282). Der adäquate Stil ist der pathetisch-erhabene Stil. Die Darstellung der Leidenschaften sollte jedoch nur gezielt und punktuell erfolgen, andernfalls entartet sie zu Schwülstigkeit, publikumsentrückter "Scheinraserei" oder "überspannter Geziertheit" (Pseudo-Longinus, zitiert nach Ueding/Steinbrink, 282).

Die Wirkungen lassen sich jedoch nicht monokausal erzeugen, sondern sind von zahlreichen situativen und prozessualen Faktoren abhängig (vgl. Knape, 88). Auch davor, dass das Publikum die Intentionen des Orators auf völlig andere Weise auffasst und vom Orator gesetzte Werte als Unwerte verkennt, ist der Orator nicht gefeit.

Rhetorischer Prozess

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Der Persuasionsprozess der Rhetorik lässt sich als strategischer Problemlösungsprozess auffassen, denn es geht darum, Intentionen gegen Widerstände durchzusetzen und dabei auf bestimmte Mittel und Maßnahmen zurückzugreifen. Dies lässt sich als fünfschrittiger Vorgehensplan darstellen:

  1. Analyse des Ausgangszustands.
  2. Analyse des Zielzustands (wobei mehrere – mitunter widerstreitende oder voneinander abhängige – Ziele existieren können; die Ziele sollten positiv formuliert und möglichst konkret gefasst werden).
  3. Auffinden geeigneter Mittel und Maßnahmen.
  4. Auswahl bestimmter Mittel und Maßnahmen sowie Durchführung.
  5. Evaluation und gegebenenfalls Handlungsrevision.

In den ersten beiden Schritten geht es also um eine Analyse der Situation, in den folgenden beiden Schritten um eine Synthese; die Evaluation nimmt eine Metaposition über den übrigen vier Schritten ein und besteht aus analytischen und synthetischen Anteilen.

Um die Oratorzentrik der Rhetorik zu betonen, lässt sich der Problemlösungsprozess folgendermaßen darstellen ("rhetorischer Prozess"):

  1. Analyse der eigenen Intentionen.
  2. Analyse der situativen Widerstände.
  3. Auswahl und Einsatz von Interventionsmitteln.
  4. Evaluation und gegebenenfalls Handlungsrevision.

Die ersten beiden Punkte des Problemlöseprozesses sind dabei zur Intentionsanalyse zusammengefasst – diese umfasst also die Analyse von Ausgangs- und Zielzustand sowie den Weg zwischen beiden. Während die Widerstände im Problemlösungsprozess nur implizit angenommen sind (indem das Auffinden der Mittel und Maßnahmen sich an den vorhandenen Widerständen orientiert), werden sie im rhetorischen Prozess expliziert. Insgesamt betrachtet der rhetorische Prozess das Vorgehen aus Perspektive des Orators, weshalb auch von "Intentionen" die Rede ist; der Problemlösungsprozess nimmt dagegen eine neutralere Position ein.

Der rhetorische Prozess stimmt dabei annähernd mit den Produktionsstadien der Rede überein, wenngleich diese ineinander greifen und eine strenge Trennung nur aus didaktischen Gründen gerechtfertigt ist.

Produktionsstadien Rhetorischer Prozess Problemlösungsprozess
Analyse Intellectio Intentionsanalyse Analyse der Ausgangslage
Analyse des Zielzustands
Widerstandsanalyse Auffinden von Lösungswegen (d. h. Kombinationen von Mitteln und Maßnahmen unter Berücksichtigung von Widerständen)
Synthese Inventio Auswahl und Einsatz von Interventionsmitteln im Hinblick auf Intention und Widerstände
Dispositio
Elocutio Entscheidung für einen Lösungsweg und Durchführung
Memoria
Actio
Evaluation

Rhetorischer Produktionsprozess

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Der rhetorische Produktionsprozess besteht aus sechs Phasen (vgl. Ueding/Steinbrink, 211ff):

  1. Intellectio. Analyse von Redegegenstand und Redesituation.
  2. Inventio. Auffinden des Redethemas beziehungsweise geeigneter Aspekte des Themas.
  3. Dispositio. Gliederung des Redegegenstands.
  4. Elocutio. Ausarbeitung der Rede.
  5. Memoria. Einprägen der Rede.
  6. Actio. Vortrag der Rede.

Diese Einteilung ist allerdings idealtypisch, vielmehr lassen sich die einzelnen Produktionsstadien nicht strikt voneinander trennen, überlappen sich oder sind zu Teilen ineinander enthalten. Beispielsweise hängt die dispositio eng mit der inventio, der elocutio und der memoria zusammen; inventio und dispositio können mitunter zu einem einzigen Arbeitsschritt zusammengefasst werden.

Die folgende Darstellung bezieht sich in erster Linie auf die Überzeugungsrede (also auf die der Rhetorik genuine Redeform), lässt sich aber aufgrund ihrer Allgemeinheit problemlos auf andere Textsorten übertragen. Wo es im Folgenden angebracht ist, werden lehrbuchspezifische Aspekte besonders hervorgehoben.

Intellectio – Analyse von Redegegenstand und Redesituation

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In der Intellectio geht es darum, mit Hilfe des antizipatorischen Kalküls Gegenstand, Publikum und Kontext (Situation) zu analysieren, um das oratorische Handeln an diesen Variablen auszurichten.

Analyse des Redegegenstands

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Die Analyse des Redegegenstands umfasst das Studieren, Erkennen und Verstehen des Gegenstands und seiner Strukturen, also "aller Sachen, Umstände und Beziehungen, die ein vorgegebener Redegegenstand beinhaltet" (Ueding/Steinbrink, 211). Dabei helfen Exzerpieren und zusammenfassendes Paraphrasieren relevanter Quellen (vgl. Kruse, 94).

Analyse der Redesituation

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Die Analyse der Redesituation ist Voraussetzung für ein der kommunikativen Situation angemessenes Handeln des Orators (vgl. Knape, 88) und umfasst drei Schritte:

  1. Festlegen der Intention, d. h. des Ziels, das mit dem Text erreicht werden soll; dieses Ziel lässt sich oftmals in unterschiedlich gewichtete Teilziele untergliedern, so dass sich eine Intentionshierarchie ergibt.
  2. Analyse der Widerstände, die der Zielerreichung wahrscheinlich entgegenstehen; Widerstände können dabei von allen übrigen Variablen der rhetorischen Situation herrühren (vgl. Knape, 91) – aus Sicht des Orators also von Gegenstand, Publikum und Kontext. Folgende Arten von Widerständen können dabei auftreten:
    • Kognitiver Widerstand. Adressatenseitiger Widerstand gegen die Initiation mentaler Konstruktionsprozesse, Widerstand durch projektives und selektives Verstehen, d.h. Verstehen gemäß eigener Erwartungen (vgl. Lay 2000a, 30).
    • Sprachwiderstand. Widerstand hinsichtlich der Transformation von freien mentalen Strukturen in vorgegebene, beschränkte semiotische Strukturen.
    • Textueller Widerstand. "Der Orator muss sich […] mit der Tatsache auseinandersetzen, dass auch der Selbstbezüglichkeits- und Selbstorganisationsdruck von Textualität die konstruktive Umsetzung seines oratorischen Telos in Zeichenstrukturen immer wieder dekonstruiert. Die Eigengesetzlichkeit jeder benutzten Sprache, jeder an Gattungsmodelle gekoppelten Textkonstruktion und aller wirkungsermöglichenden literalen Kodes stellen für ihn eine Schwierigkeit dar." (Knape, 60)
    • Medialer Widerstand. Widerstand durch das Medium, das dem Orator seine Gesetzmäßigkeiten aufzwingt.
    • Situativer Widerstand. Umfasst alle übrigen widerständigen Kontextelemente (vgl. Knape, 58ff)
  3. Einstellen auf das kommunikative Setting, d. h. auf Publikum und Kontext. (vgl. Knape, 88). Wichtig ist hierbei vor allem die alterozentrische, d. h. auf das Publikum und die Sache zentrierte Analyse von Publikumsvariablen (vgl. Lay 2000a, 19f): Wie ist das Publikum zusammengesetzt? (Beim Überzeugen:) Welche Interessen, welches Weltbild und welche Vorurteile hat es (vgl. Haft, 82)? (Beim Informieren:) Wie ist sein Wissensstand über das Thema, wie hoch seine kognitive Beanspruchbarkeit? Zudem ist ein Einstellung auf das Medium und die äußeren Rahmenbedingungen erforderlich.

Analysehilfsmittel

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Eine effiziente Methode, sich die verschiedenen Konstituenten der rhetorischen Situation klar zu machen und auf sie einzustellen, bildet die "inventive Suchformel (auch als Lasswell-Formel bekannt) quis? quid? ubi? quibus auxiliis? cur? quomodo?, woraus sich für den Orator ein situationsanalytisches Gefüge von sieben Aspekten ergibt: personale, negotiale, lokale, instrumentale, finale, modale und temporale Aspekte" (Knape, 89) – abgewandelt und erweitert: Wer sagt was wann wo mit welchen Mitteln zu wem mit welcher Intention und welcher Wirkung?

Ein anderes Hilfsmittel ist die "W.O.G.A.M.P.I.T.Z.-Methode": Analyse von "W-irkung, O-rt, G-rundeinstellung, A-bsicht der Rede, M-edium, P-ublikum, I-mage, T-itel/Auftrag, Z-eitpunkt" (Bartsch/Hoppmann/Rex/Vergeest, 19).

Inventio – Auffinden des Stoffs

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"Inventio ist die Bezeichnung für das Auffinden der Gedanken und stofflichen Möglichkeiten, die sich aus einem Thema bzw. aus einer Fragestellung entwickeln lassen. Voraussetzung dafür ist das sorgfältige, gründliche Studium aller Umstände, die mit der zu behandelnden Sache in Zusammenhang stehen; der erste Schritt liegt deshalb in der intellectio (dem Erkennen des Redegegenstandes): dem Aufnehmen, Verstehen und Beurteilen des Vorgegebenen" (Ueding/Steinbrink, 214). Anhand des "springenden Punktes" (Cicero, zitiert nach Ueding/Steinbrink, 214) eines Gegenstands lassen sich die passenden Gedanken auffinden, deren Auswahl schließlich entsprechend Intention, Publikum und Kontext und hinsichtlich der verschiedenen Wirkabsichten (docere, delectare, movere) erfolgt (vgl. Ueding/Steinbrink, 214). Bestimmte gedächtnisaktivierende Techniken können beim Auffinden und Bewusstmachen passender Aspekte hilfreich sein:

  • Topik. Die Topik ist die Lehre von den thematischen "Fundorten" (topoi) eines Gegenstands, d. h. von seinen verschiedenen Beschreibungskategorien. Man unterscheidet personenbezogene (z. B. Geschlecht, Alter, Körperbeschaffenheit, Ausbildung, Beruf, soziale Stellung, Neigungen etc.) und sachbezogene topoi (z. B. Ursache, Ort, Zeit, Modus, Ähnlichkeit, Umstände) (vgl. Ueding/Steinbrink, 243ff). Auch in der Medizin verwendet man bestimmte topoi; beispielsweise stellen Anamnesebögen Listen von patientenspezifischen Fundorten dar. Als lehrbuchbezogene Topiken lassen sich in der Medizin zudem die Gegenstandskataloge der verschiedenen Fächer heranziehen.
  • Mindmap. Bei der Mindmap bildet der "springende Punkt" das Zentrum, von dem aus verschiedene thematische Äste abgehen und sich verzweigen. Es geht also darum, "von einem Kerngedanken aus alle weiteren Gedanken darum herum aufzuzeichnen. […] Schreiben Sie in die Mitte des Blattes Ihr Thema […]. Überlegen Sie sich nun Überbegriffe dazu […]. Überlegen Sie nun, welche Unterbegriffe Ihnen zu diesen Überbegriffen einfallen […]. Dieses Netz der Gedanken spinnen Sie dann immer weiter." (Bartsch/Hoppmann/Rex/Vergeest, 28). Aufgrund ihrer Strukturiertheit kann eine Mindmap auch als Gliederungsgrundlage des Textes dienen, die die natürliche Ordnung des Themas darstellt (s. dispositio).

Dispositio – Gliedern des Stoffs

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In der dispositio wird der Stoff geordnet und gegliedert, werden die rationalen und affektischen Überzeugungsmittel positioniert – alles hinsichtlich der Intention und der intendierten Wirkungen (docere, delectare, movere): "Die Disposition richtet sich nach der Redeabsicht […]; [d]er […] gefundene Stoff muß daher in einen zweckmäßigen Zusammenhang gebracht […] werden[.]" (Ueding/Steinbrink, 215) Der Text erhält dadurch ein Grundgerüst, ein Skelett. Für umfangreiche Projekte ist eine sorgfältige Gliederung wichtiger als für kleine, für die ein allein geistig zurechtgelegtes Gerüst mitunter ausreicht (vgl. Ueding/Steinbrink, 219f).

Die Gliederung kann dabei der inhärenten Ordnung des Gegenstands entsprechen (natürliches Ordnungsprinzip, s. inventio) oder ein davon abweichendes, von Gegenstand und Intention abhängiges Schema verfolgen, etwa das antithetische Schema A-B oder das dreigliedrige Schema A-B-C, dessen Mittelteil beliebig erweitert werden kann (etwa zu einem Fünfsatz: A-B-B-B-C) (vgl. Ueding/Steinbrink, 216ff).

Eine mehr intentionsbetonte Vorgehensweise ist folgende:

 
Sprechakt, Strukturmuster, Strategie: Strukturmuster sind Kombinationen von Sprechakten, Strategien Kombinationen von Sprechakten und Strukturmustern; allen liegen spezifische Intentionen zugrunde
  1. Man analysiert seine Intentionen (s. intellectio), indem man sowohl die globale Intention als auch die verschiedenen damit verbundenen Teilintentionen ausmacht und ordnet und somit eine Hierarchie von Intentionen erstellt.
  2. Den verschiedenen Intentionen dieser Hierarchie (perlokutionäre Akte) werden dann korrespondierende Sprechhandlungen (Strategien, Strukturmuster, Sprechakte) beigestellt (illokutionäre Akte), so dass anhand der Intentionsstruktur eine zu ihr parallele Struktur der Sprechhandlungen entsteht.
    • Sprechakte. Elementare Sprechhandlungen; man unterscheidet Repräsentativa, Regulativa, Kommissiva, Expressiva und Appellativa.
    • Strukturmuster. Kombinationen von Sprechakten; die wichtigsten sind Beschreiben (räumliche Struktur), Erzählen (zeitliche Struktur) und Argumentieren (logische Struktur).
    • Strategien. Kombinationen von Strukturmustern und Sprechakten; die wichtigsten sind Informieren, Überzeugen und Affirmieren. Strategien bilden selbstständige Textmodule, denen eine allgemeine Intention zugrunde liegt ("Reden in der Rede") und sind die entscheidenden Bausteine von Texten (ein Text lässt sich in gewisser Weise auffassen als Sequenz einzelner isolierter oder aufeinander beruhender Strategien [z. B. Informieren als Vorbereitung auf Überzeugen]).
  3. Die Sprechhandlungen werden dann je nach Publikum, Kontext und antizipierten Widerständen ausgestaltet (s. Tabelle).
  4. Zuletzt werden die Sprechhandlungen durch sinnvolle Kombination in ein wirkungsvolles funktionales Gefüge gebracht, welches sich an der globalen Intention und am Publikum ausrichtet; die intentionsparallele Sprechhandlungsstruktur wird also gegebenenfalls umgeändert. Anschließend kann man zur elocutio, der konkreten sprachlichen Ausgestaltung übergehen (Überführung in lokutionäre Akte).

Diese Methodik entspricht dem allgemeinen Problemlösungsprozess: zuerst findet man die Intention und ihre Teilintentionen auf, dann wählt man anhand der Widerstände Mittel und Methoden aus und wendet sie an.

Zur dispositio gehört auch die strukturelle Gestaltung von Einleitung und Schluss des Textes, bei denen affektische Mittel stärker zum Einsatz kommen als im eher sachlichen Mittelteil. Einleitung und Schluss verfolgen jeweils unterschiedliche Wirkabsichten.

  • Einleitung. Die Einleitung (exordium) sollte kurz, auf den Gegenstand bezogen, klar gegen den nachfolgenden Teil abgegrenzt sein und mindestens eine von drei Funktionen erfüllen (die jedoch auch für den gesamten Text gelten):
    • Captatio benevolentiae. Wohlwollen und Sympathie des Publikums erlangen, vor allem durch Betonung gemeinsamer Interessen (gleichsam Rapport herstellen; vgl. O'Connor/Seymour, 47ff); dies sollte jedoch unauffällig geschehen.
    • Docilem parare. Das Publikum auf das Kommende vorbereiten, Vorverständnis induzieren.
    • Attentum parare. Die Aufmerksamkeit und das Interesse des Zuhörers wecken, indem man die Wichtigkeit und Neuartigkeit des Redegegenstands hervorhebt, den Publikumsbezug des Themas herausstellt (tua res agitur) und das Publikum emotional stimuliert (vgl. Ueding/Steinbrink, 259ff).
  • Schluss. Der Schluss (peroratio) soll wesentliche Aspekte des Textes zusammenfassen und affektisch zuspitzen. Da der Schluss für den Gesamteindruck der Rede entscheidend ist, muss er besonders sorgfältig gestaltet werden. Er kann zwei Funktionen erfüllen.
    • Zusammenfassung (enumeratio). Indem die im Text verhandelten Aspekte wiederholt und Kernaussagen intensiviert werden, werden sie vergegenwärtigt und bleiben im Gedächtnis des Publikums haften.
    • Affekterregung (affectus). Der Schluss ist in der Überzeugungsrede der Ort, an dem das Publikum endgültig überzeugt werden soll. Daher kommt den affektischen Mitteln eine zentrale Bedeutung zu: durch starke Emotionen (pathos) soll das Publikum zur Tat bewegt werden (movere), durch gemäßigtere Gefühle (ethos) von der Kongruenz, Ehrlichkeit und Rechtschaffenheit des Orators überzeugt und unterhalten werden (delectare) (vgl. Ueding/Steinbrink, 275ff). In stark sachbezogenen Reden spielen affektische Mittel freilich eine geringere Rolle.

Ziel der dispositio ist dabei nicht unbedingt Vollständigkeit – dies gilt zumindest für die mündliche Rede: Denn "[g]rundsätzlich ist es besser, nicht alles zu sagen und die Fülle der Gedanken zu begrenzen, also Überflüssiges, Beiläufiges, Minderüberzeugendes von vornherein gar nicht erst in der Disposition zu berücksichtigen. Die Überfüllung mit Stoff macht die Darstellung schwerfällig, schränkt die Nachprüfbarkeit ein und ermüdet Leser und Hörer. Doch sind hinsichtlich der Ausführlichkeit natürlich der Zweck der Darstellung und die gewählte Gattung zu berücksichtigen" (Ueding/Steinbrink, 218). In Lehrbüchern ist eine auf größtmögliche Vollständigkeit abzielende Darstellung mitunter angebracht; bestimmte Gestaltungsprinzipien und -elemente können jedoch dafür sorgen, dass keine Langeweile aufkommt.

Für viele Lehrbücher im Medizinstudium gilt allerdings, dass mit den Gegenstandskatalogen Mustergliederungen für Bücher und Kapitel vorliegen, so dass die dispositio praktisch überflüssig ist. Manchmal ist eine Neugliederung dennoch sinnvoll, vor allem dann, wenn die vorgegebene Gliederung didaktisch suboptimal gestaltet ist.

Die folgende Tabelle enthält die entscheidenden Werkzeuge des Orators.


Sprechhandlung Intention Form Charakteristika Vorgehen/Beispiel
Sprechakte Expressiva Etwas über den Orator mitteilen Meist bestehend aus einem (Teil-)Satz Bezieht sich auf den Orator ("ich") Beispiel: "Ich liebe dich."
Kommissiva Etwas über zukünftige Handlungen des Orators aussagen Bezieht sich auf den Orator ("ich") und sagt etwas über die Zukunft aus Beispiel: "Ich werde dich nächste Woche heiraten."
Regulativa Mithilfe des Sprechakts die Wirklichkeit verändern "Hiermit..." etc. Beispiel: "Hiermit erkläre ich euch zu Mann und Frau."
Appellativa Das Publikum zu etwas auffordern Bezieht sich auf das Publikum; enthält normative Elemente, Imperative Beispiel: "Lass mich in Ruhe, geh mir aus den Augen!"
Repräsentativa Einen Sachverhalt darstellen Bezieht sich auf Sachverhalte/Objekte Beispiel: "Die Verhandlung vor dem Scheidungsgericht ist anberaumt auf morgen, zehn Uhr."
Strukturmuster Argumentation Aussagen begründen und stützen Logische Struktur; Wenn-dann-Verknüpfung Logische Operatoren und Partikel (Quantoren, Junktoren) Vorgehen: logisch: meist gemäß modus ponens: wenn A, dann B; nun A, also B; oder: subjunktive Allaussage ("Alle X sind Y"), dann Konkretion ("t ist ein X") und schließlich Konklusion ("Also ist t ein Y"); topisch: Ableitung aus allgemein anerkannten Argumentationsstrukturen
Beschreibung Objekte und ihre Beziehungen darstellen; veranschaulichen, emotionalisieren Räumliche Struktur (variabel); Adjektive Ortmarkierende Wörter ("neben...", "hinter..." etc.) Beispiel: "Neben dem Baum steht ein Fahrrad." Vorgehen: eine für das Publikum nachvollziehbare räumliche Struktur wählen
Erzählung Ereignisse und ihre Beziehungen darstellen; Spannung erzeugen, emotionalisieren Zeitliche Struktur (starr); Verben Zeitmarkierende Wörter ("und dann...", "zuvor..." etc.) Beispiel: "Zuerst fiel der Baum um, dann zerbrach das Fahrrad unter der Last des Baums."
Strategien Informieren Informationsstand des Publikums an den des Orators annähern Bestehend aus Strukturmustern und Sprechakten Besondere Betonung des logos; einfacher Stil – Klarheit, Relevanz, Wahrheit und Prägnanz als Hauptkriterien Vorgehen: Analyse: Wie groß ist die Diskrepanz des Informationsstands zwischen Publikum und Orator? Wie gut kann das Publikum mit neuen Informationen umgehen? Wie stark ist das Publikum am Thema interessiert? Synthese: Einsatz v. a. von Repräsentativa, Erzählung, Beschreibung
Überzeugen Meinungen des Publikums hin zur Meinung des Orators ändern ("mentaler Wechsel") Besondere Betonung von pathos und ethos, das Publikum soll mit allen (ethisch vertretbaren) Mitteln überzeugt werden, dazu zählen auch suggestive Mittel etc.; argumentative Einseitigkeit und Undifferenziertheit sind aber zu vermeiden Vorgehen:
Analyse: Worin besteht die Meinungsdifferenz zwischen Orator und Publikum? Wie groß und wie gefestigt (mentaler Widerstandsgrad) ist sie?
Synthese: Einsatz v. a. von Expressiva, Appellativa, Argumentation, Beschreibung, Erzählung (Affekterzeugung beim Publikum)
Affirmieren Gleiche Meinungen von Publikum und Orator festigen ("Orator als Sprachrohr des Publikums") Ethos, um Wohlwollen beim Publikum zu erzeugen; pathos Vorgehen:
Analyse: Worin stimmen Publikum und Orator überein? Wie lassen sich diese Übereinstimmungen konkretisieren?
Synthese: Lob des Gegenstands, Kritik des "Antigegenstands"; v. a. emotionale Mittel, d. h. Expressiva, Beschreibung, Erzählung


Einige Hinweise zum Strukturmuster Argumentation:

  • Logik.
    • Logisches Verhältnis von Prämissen und Konklusion. Ein Argument besteht aus Prämissen (Vorsätzen) und einer Konklusion (Zielsatz, begründungsbedürftige These). Die Konklusion ist das zu Begründende, während die Prämissen in ihrer Gesamtheit die Begründung darstellen. Das Argument ist in allen Teilen bei Kenntnis der logischen Regeln nachvollziehbar, so dass sich die Konklusion gewissermaßen von selbst ergibt. Insgesamt lässt sich ein Argument daher als Wenn-dann-Satz darstellen: Wenn alle Prämissen wahr sind, dann ist auch die Konklusion wahr. Umgekehrt: wenn die Konklusion falsch ist, dann ist mindestens eine Prämisse falsch. Sind nicht alle Prämissen wahr (d. h. ist eine Prämisse falsch), dann muss zwar die Konklusion nicht falsch sein, es lässt sich dann jedoch keine Aussage über die Wahrheit oder Falschheit der Konklusion ziehen. Die Prämissen sind also einzeln notwendig und gemeinsam hinreichend für die Konklusion.
    • Formen von Prämisse und Konklusion.
      • Berechtigungssätze. Schlussregeln, Prinzipien oder Gesetze, die sich mithilfe von Quantoren (logische Partikeln, die den Geltungsbereich angeben) darstellen lassen (z. B. "alle Menschen sind sterblich", "einige Menschen sind Buchautoren").
      • Tatsachensätze. Einzelne Fakten (z. B. "Sokrates ist ein Mensch").
    • Argumente prüfen. Die Korrektheit eines Schlusses lässt sich feststellen anhand von Tabellen (vgl. Lay 2000a, 98), logischen "Rechnungen" (vgl. Kamlah/Lorenzen) oder grafisch mittels Euler-Diagrammen. Bei letztgenannter Methode werden Begriffe als Kreise und Individuen als Punkte dargestellt und entsprechend ihrer logischen Beziehungen angeordnet. Erst wenn die grafische Anordnung notwendigerweise mit der in der Konklusion postulierten Anordnung übereinstimmt, ist ein Argument gültig (vgl. Lay 2000a, 98).
 
Grafische Darstellung von Syllogismen: bei der Darstellung rechts ist zwar eine Überlappung der Mengen denkbar (oben), aber nicht notwendig (unten) – aus den Prämissen folgt daher nicht "Einige A sind C", sondern überhaupt nichts
  • Argumentationstypen.
    • Rationale Argumente. Auf Fakten beruhend, zielen auf den Verstand des Publikums.
    • Ethische Argumente. Auf Werten beruhend, zielen auf das Gewissen.
    • Plausible Argumente. Auf Vorurteilen, common sense und Wahrscheinlichkeiten beruhend, zielen auf das Gefühl ab (vgl. Haft, 111).
  • Intrinsische und extrinsische Argumente.
    • Intrinsische Argumente. Sich auf die Sache beziehend.
    • Extrinsische Argumente. Beziehen sich auf die äußere Situation der Argumentation.
  • Enthymem. Wenn einzelne Teile der Argumentation nicht explizit genannt werden, liegt ein Enthymem vor.
  • Anordnung von Argumenten.
    • Aufsteigende Anordnung.
    • Absteigende Anordnung.
    • Nestroianische Anordnung. Die schwächeren Argumente werden von den stärkeren eingerahmt und dadurch kaschiert.
 
Vergleich (links) und Analogie (rechts)
  • Argumentationsfiguren. Je nach dem, welche Prämissen auf welche Weise kombiniert werden, unterscheidet man verschiedene Argumentationsfiguren.
    • Syllogismen. Zwei Prämissen plus Konklusion.
    • Deduktion. Schluss von Prinzipien auf Einzelfälle.
    • Induktion. Schluss von (plausibel angeordneten) Einzelfällen auf Prinzipien.
    • Vergleich, Metapher. Verknüpfung von Entitäten verschiedener Wirklichkeitsbereiche (z. B. "Peter ist wie ein Löwe" [Vergleich], "Peter ist ein Löwe" [Metapher]).
    • Analogie. Verknüpfung von Beziehungen der Entitäten verschiedener Wirklichkeitsbereiche (z. B. "Peter verhält sich zu Andrea wie ein Löwe zu einer Gazelle").

Elocutio – Sprachliches Ausarbeiten der Rede

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Mittels der elocutio erhält das Skelett der dispositio Muskeln, Haut und Haare. Die Gedanken und Begriffe der dispositio werden gewissermaßen in Worte gekleidet. Ziel ist ein angemessener, klarer und prägnanter Text, der sowohl der Intention und Person des Orators, dem Gegenstand, den Erwartungen und Ansprüchen des Publikums sowie den Gegebenheiten des Kontexts entspricht. Hierzu schreibt man eine Rohfassung, die dann vernetzt, überarbeitet und wirkungsvoll ausgestaltet wird; bei Lehrbuchtexten folgt anschließend noch eine didaktische Überarbeitung. (In der Praxis sind die einzelnen Teilschritte allerdings nicht so strikt voneinander zu trennen.)

Schreiben der Rohfassung

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Zwar bezeichnet Quintilian die elocutio als den schwierigsten Schritt des gesamten Produktionsprozesses, doch sollte man sich davon nicht beirren lassen, sondern einfach "drauflos" schreiben: Die Zielgruppe, das eigene Image und den Gegenstand im Blick, im Hinterkopf erstens die Postulate von Angemessenheit (aptum), Verständlichkeit (perspicuitas) und Sprachrichtigkeit (puritas), zweitens die richtige Stillage und drittens die didaktischen Gestaltungsprinzipien, schreibt man sich an der Gliederung entlang, ohne dabei übermäßig auf exakte Wortwahl, Wohlklang und Satzbau zu achten und sich dadurch allzu sehr selbst zu reglementieren und möglicherweise gar zu blockieren (vgl. Kruse, 101f). Schreiben ist ein dynamischer und in gewisser Weise chaotischer Prozess, der manchmal etwas ganz anderes hervorbringt als ursprünglich geplant – Denken und Schreiben regen sich gegenseitig an, so dass sich oftmals "beim Schreiben die Sache entgegen der vorher angefertigten Disposition verändert, man also zu einem ganz anderen Ergebnis (oder zu anderen Teilergebnissen oder methodischen Vorgehensweisen) kommt als vorgesehen" (Ueding/Steinbrink, 220). Dabei macht es zunächst nichts, wenn der Text an vielen Stellen noch holprig und unfertig klingt; denn diese Mängel werden in der folgenden Überarbeitungsphase beseitigt.

Kohäsion

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Um aus den Einzelteilen ein funktional und ästhetisch zusammenhängendes Ganzes zu machen, bedarf es der Kohäsion (Verknüpfung) der einzelnen Bestandteile, und zwar durch…

  • Strukturmuster. Erzählung, Beschreibung oder Argumentation.
  • Wiederaufnahmestrukturen. Ausdrücke aus dem vorangehenden Abschnitt werden wörtlich oder sinngemäß wiederaufgegriffen und mit dem neuen Begriff des folgenden Abschnitts verbunden.
  • Metasprachliche Verknüpfungen. Der Übergang vom einen zum nächsten Abschnitt wird explizit angekündigt.

Mängelbeseitigung

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Der Text muss nun inhaltlich und formal überarbeitet werden, um die Rohfassung in einen leserfreundlichen, prägnanten Text umzuwandeln, wobei es folgende Prinzipien und Postulate zu beachten gilt:

  • Angemessenheit (aptum). Das aptum ist das wichtigste Prinzip der Rhetorik; es bezieht sich auf die internen (inneres aptum) und externen Bedingungen (äußeres aptum) eines Texts.
    • Inneres aptum. Das innere aptum bezeichnet das angemessene Verhältnis der verschiedenen Textelemente zueinander, die harmonische Abstimmung und Gestaltung der Rede, die mittels Auswahl des Brauchbaren (hierzu ist das Unterscheidungsvermögen, iudicium, nötig) zustande kommt.
      • Angemessenheit zwischen intellectio und inventio: Ist der Gegenstand des Texts angemessen entwickelt, gehen die aufgefundenen Aspekte aus dem Gegenstand hervor, harmonieren die aufgefundenen Aspekte untereinander?
      • Angemessenheit zwischen inventio und elocutio, zwischen res (Dingen) und verba (Worten): Sind die Gedanken auf angemesse Weise durch den Text ausgedrückt, Stimmen Inhalt und Ausdruck überein, ist die eigene Auffassung sprachlich angemessen umgesetzt?
      • Angemessenheit zwischen dispositio und elocutio: Sind die Gedanken zueinander und innerhalb des gesamten Textes richtig angeordnet, stimmt die textliche Komposition?
      • Angemessenheit zwischen einerseits actio und andererseits inventio, dispositio und elocutio: Stimmt die Art der Präsentation mit dem Stoff, der Textstruktur und dem konkreten Text überein?
      • Angemessenheit der verba untereinander: Stimmen die Worte untereinander überein, sind Stilbrüche vermieden?
      • Angemessenheit des ornatus: Ist der Redeschmuck angemessen?
    • Äußeres aptum. Das äußere aptum besteht im angemessenen Verhältnis zwischen Rede und Situation, was mittels Abstimmung der Intention auf den Kontext (consilium) geleistet wird.
      • Ist der Text auf das Publikum hin orientiert, ist er verständlich?
      • Passt die Rede zum Ort der Rede und zum Zeitpunkt ("timing")?
      • Ist die Rede der Person des Redners angemessen?
      • Passt der Gegenstand der Rede zu den Erwartungen des Publikums (vgl. Ueding/Steinbrink, 221ff)?
  • Sprachrichtigkeit (puritas). Die grammatische Korrektheit eines Texts ist Voraussetzung für seine Verständlichkeit und seine eventuelle Ausschmückung. Zudem, so Quintilian, soll die Sprache zeitgemäß sein und sich am Sprachgebrauch der aktuellen intellektuellen Vorbilder orientieren (vgl. Ueding/Steinbrink, 227).
    • Korrektheit der einzelnen Wörter.
    • Korrektheit der Sätze. Dies umfasst die Forderung sowohl nach syntaktischer Korrektheit als auch nach kurzer, aber nicht zu kurzer Darstellung (vgl. Ueding/Steinbrink, 226ff).
  • Deutlichkeit, Verständlichkeit (perspicuitas). Idealerweise drückt ein Text die Gedanken auf prägnante, konzentrierte Weise aus, so dass er das Publikum weder ermüdet noch überfordert. Das Postulat der perspicuitas gilt für die Produktionsstadien inventio und dispositio (klare Gedanken, klare und verständliche Struktur), elocutio (treffende Ausdrucksweise durch Verwendung der eigentlichen, konkreten Ausdrücke, zielstrebiger und linearer Satzbau, nachvollziehbare Gedankenfolge) und actio (klarer verbaler, para- und nonverbaler Ausdruck). Allerdings wird die perspicuitas durch den Anspruch des ornatus beschränkt – ein Text soll sowohl verständlich sein als auch ästhetisch gefallen (vgl. Ueding/Steinbrink, 229ff). Vier praktische Empfehlungen für verständliches Schreiben: Hauptsachen in Hauptsätze, Aktiv vor Passiv, Schachtelsätze vermeiden, Füllwörter streichen (vgl. Schneider, 41ff).
  • Wahl der richtigen Stilart. Die Darstellungsweise soll erstens dem Gegenstand entsprechen, ihn also allgemeinverständlich, wirkungsvoll, unterhaltsam und auf einleuchtende Weise darlegen ohne ihn zu trivialisieren, zweitens der Zielgruppe angemessen sein und drittens auch zum Orator passen. Idealtypisch unterscheidet man drei Stilarten:
    • Schlichte Stilart (genus humile). Diese vor allem dem Zweck des docere zugeordnete Stilart zeichnet sich durch Sachlichkeit, Verständlichkeit und Deutlichkeit aus und entspricht der alltäglichen Sprachverwendung. Die Darstellung sollte abwechslungsreich sein, verwendeter Redeschmuck aber nicht offensichtlich zutage treten. Die schlichte Stilart ist vor allem in genuin sachbezogenen Textteilen (Beschreibung, Argumentation, informierende Passagen) angebracht und dient in affektreichen Textteilen der Demonstration von "understatement".
    • Mittlere Stilart (genus medium). Im Gegensatz zur schlichten Stilart kommen hier mehr Tropen und Figuren zum Einsatz, um beim Publikum milde Affekte zu induzieren, es dadurch zu unterhalten und es somit wohlwollend zu stimmen.
    • Pathetisch-erhabene Stilart (genus grande). Um beim Publikum starke Affekte zu erregen und damit die sachlichen Aspekte des Texts (docere) emotional zu unterstützen, können alle Mittel der Kunst angewendet werden (vgl. Ueding/Steinbrink, 231ff). Jedoch: "Abgesehen von den Erfordernissen hinsichtlich der res und verba setzt das genus grande den erfahrenen, geübten und reifen Redner voraus, das Genie: das genus grande wird als die am schwierigsten zu beherrschende Stilart angesehen." (Ueding/Steinbrink, 234)

In pragmatischer Hinsicht hat sich folgender Dreischritt bewährt (vgl. Kruse, 238):

  1. Grobes Überarbeiten (auf Absatzebene). Sind die Einzelteile auf die globale Intention hin orientiert, ist die Komposition der Textteile (Strategien, Strukturmuster) stimmig (aptum)?
  2. Mittelfeines Überarbeiten (auf Satzebene). Passt die inhärente Struktur der einzelnen Strategiemodule und Strukturmuster, passen Einleitung, Schluss und Überleitungen (aptum, puritas, perspicuitas, Stilart)?
  3. Feines Überarbeiten (auf Wort- und Buchstabenebene): Sind die Wörter korrekt geschrieben, sind die Satzzeichen richtig gesetzt (puritas, perspicuitas, Stilart)?

Schmuck (ornatus)

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Schmuckvoll ist eine Rede dann, wenn sie einerseits fehlerlos, verständlich und klar ist (puritas und perspicuitas als Voraussetzungen des ornatus), andererseits das Publikum emotional stimuliert (ethos, pathos) – ein Text soll also sowohl zweckmäßig als auch schön gestaltet sein. Der Einsatz des Redeschmucks soll sich dabei an der Intention orientieren, soll abwechslungsreich, aber nicht übertrieben gestaltet sein und zu Anschaulichkeit und Verständlichkeit beitragen – und dabei zu Gegenstand, Publikum, Orator und zum Redetext selbst harmonieren (inneres und äußeres aptum).

Der Ausdruck einer Rede lässt sich zum einen mittels allgemeiner Mittel steigern: Amplifikation (Steigerung, Vergrößerung einer Sache), "geistreiche Zuspitzung und gesinnungstüchtige Schärfung der Rede durch Sprüche (sententia)" (Ueding/Steinbrink, 285), außerdem Kürze sowie Bildlichkeit und Augenscheinlichkeit der Darstellung (etwa mittels Konkretisierung oder Tempuswechsel) (vgl. Ueding/Steinbrink, 284ff). Weitere besonders hervorhebungswürdige Passagen können gezielt, also bewusst und der Intention entsprechend stilistisch umgeformt werden. Hierzu existieren riesige Kataloge von Stilmitteln, die sich pragmatisch jedoch folgendermaßen gruppieren lassen:

  • Tropen. Tropen sind Ersetzungen von eigentlichen Ausdrücken durch uneigentliche Ausdrücke (z. B. Metapher, Ironie, Synekdoche).
  • Stilfiguren im engeren Sinn.
    • Positionsfiguren. Veränderung der Stellung von Texteinheiten (z. B. Chiasmus, Antithese).
    • Wiederholungsfiguren. Wiederholung von Ähnlichem auf Laut-, Wort- oder Satzebene (z. B. Alliteration, Anapher, Parallelismus).
    • Quantitätsfiguren. Erweiterung oder Kürzung von Texteinheiten (z. B. Vergleich, Asyndeton).
    • Appellfiguren. Inszenierung eines Dialogs (z. B. Apostrophe, rhetorische Frage, Exclamatio).

Generell gilt für den Redeschmuck die Grundregel den Text stilistisch nicht zu überformen – weniger ist meist mehr.

Didaktische Aufbereitung

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Bei didaktischen Lesetexten folgt anschließend zum einen die formale und inhaltliche Überarbeitung des Texts ("Haupttext") hinsichtlich der didaktischen Gestaltungsprinzipien und zum anderen die Anreicherung des Texts mit didaktischen Gestaltungselementen, also beispielsweise mit Merkekästen, Fragen und Antworten, Zielformulierungen oder Übersichten (s. didaktische Gestaltungsprinzipien und -elemente). Beide Schritte greifen dabei ineinander; das aptum-Postulat gilt selbstverständlich auch hier.

Memoria – Einprägen der Rede

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Die (mündliche) Rede muss anschließend auswendig gelernt und somit abgespeichert werden, wozu man sich verschiedener Techniken bedienen kann (z. B. Mnemotechnik: "Ablegen" von Redegegenständen in einem "Gedanken-Gebäude"). Alternativ kann man ein Manuskript verwenden, welches ausformuliert ist, lediglich Stichworte enthält oder aus grafischen Elementen besteht, die die Redestruktur repräsentieren.

Bei Lehrbuchtexten, die ja gelesen werden, entfällt dieser Schritt; sie sind in den Seiten des Buchs "gespeichert" (oder auf anderen Speichermedien). Um Aktualität und Authentizität des Textes zu gewährleisten, ist allerdings eine kontinuierliche Anpassung und Korrektur erforderlich – "Lehrbuch-Autoren und Philosophen haben mindestens eines gemeinsam: sie bessern ein Leben lang an ihren Gebäuden" (Ueding/Steinbrink, XIIf).

Actio – Vortrag

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Den Vortrag der Rede vor dem Publikum hält Demosthenes für das wichtigste Element des ganzen Produktionsprozesses (vgl. Ueding/Steinbrink, 236). Wichtig sind hierbei Authentizität und Angemessenheit im verbalen, para- und nonverbalen Ausdruck sowie das Eingehen und Reagieren auf Publikumsreaktionen. Die für den mündlichen Vortrag entscheidende Variablen sind Atmung und Körperhaltung, Gestik, Stimme sowie die Sprechweise mit gezielten und sinnvollen Betonungen und Pausen. Bei Lehrbüchern tritt hingegen nicht ein Redner auf, weder unmittelbar (primärmediale Kommunikation) noch mittelbar über ein präsenzverfremdendes Medium (sekundärmediale Kommunikation), vielmehr wird der Text in seiner konkreten Gestalt und Aufmachung zum Interaktionspartner des Publikums, durch den der Orator spricht (tertiärmediale Kommunikation). Auch hierbei werden Botschaften sowohl über den Zentral- als auch über den Peripherweg vermittelt (wenn auch letztgenannter im Vergleich zum primärmedialen Vortrag weniger Bedeutung besitzt): der Text spricht nicht für sich allein (logos), sondern präsentiert zugleich das ethos des Orators. Da in der tertiärmedialen Kommunikation der Vortrag auf ein einziges Zeichensystem reduziert ist, also eine "Erfahrungsbeschränkung auf einen einzigen Sinn, den visuellen Sinn" (Knape, 103) vorliegt, verringert sich die Interventionspräsenz des Orators. "Der Orator muss [daher] bei der Textarbeit, sei es im verbalen oder im nonverbalen Bereich, ganz besondere Kompetenzen entwickeln, um der medialen Präsenzverfremdung Herr zu werden. Seine ganze persuasive Kraft muss sich auf die Strukturierung von Text verlagern. Er muss einer Struktur Funktion geben, während er sie erzeugt. Aus der korporalen Präsenz muss eine intellektuelle Präsenz im Text werden." (Knape, 104)


 
Zusammenfassende Übersicht