Latein an den Schulen

Heute ist Latein vornehmlich an humanistischen Gymnasien zu finden. Dort wird dem Lateinischen, neben dem Griechischen, noch eine herausgehobene Bedeutung zugemessen, was früher auf eine aktive Beherrschung des Lateinischen abzielte. Auch an anderen Gymnasien hat sich der Anteil des Lateins am Fremdsprachenunterricht stabilisiert. Etwa ein Drittel aller Gymnasiasten im deutschsprachigen Raum lernt Latein als erste, zweite oder dritte Fremdsprache.

Zwar ist das Latinum nur noch in wenigen Fächern Voraussetzung für das Studium, doch wird von Befürwortern des Lateins betont, dass das Erlernen der lateinischen Sprache weiterhin Basis für die korrekte Verwendung von Fremdwörtern sei, das Erlernen anderer romanischer Sprachen wesentlich erleichtere und erhebliche Transfer-Effekte für die Denkschulung aufträten. Aus deutschen und amerikanischen Untersuchungen geht hervor, dass der Latein-Unterricht auch die Beherrschung der englischen Sprache, vor allem im Vokabular, signifikant fördert.

Zwar hält sich der Mythos immer noch hartnäckig, dass Latein den Menschen mit ausgeprägter Begabung für Mathematik leichter fällt, aber trotzdem schadet es für das Erlernen der lateinischen Sprache nicht, wenn eine Begabung für formelle Denkvorgänge vorhanden ist. Menschen mit einer ausgeprägten Begabung für das intuitive Erlernen von Sprachen werden andere Fremdsprachen leichter erlernen. Ehemalige Lateinschüler besitzen zudem häufig die Fähigkeit einer besonders präzisen und sicheren Beherrschung der eigenen Muttersprache, was daran liegt, dass Lateinunterricht indirekt auch muttersprachlicher Unterricht ist.


Wozu Latein?

In der heutigen Zeit wird immer wieder darüber diskutiert, ob es sinnvoll ist, über 2000 Jahre alte Sprachen wie Lateinisch oder Altgriechisch überhaupt noch zu lernen. Woher rührt dieses Problem?

Man weiß, dass sich einst Römer besiegte Griechen als Hauslehrer gehalten haben: Sie wussten deren Kultur und Bildung zu schätzen und vertrauten ihnen die Ausbildung ihrer eigenen Kinder an („Pädagoge“ kommt von griechisch pais = Kind + ago = ich führe: der paidagogos begleitete die Kinder zur Schule und trug deren Bücher). Durch das römische Reich wiederum wurden weitere Kulturen auch sprachlich beeinflusst. Unabhängig davon haben sich alle Sprachen seitdem weiter entwickelt.

Ab der Zeit des Humanismus wurden die alten Sprachen wieder verstärkt genutzt. Von der Vorliebe für sie stammt die Tradition, Fachwörter, sogenannte termini technici, aus dem Lateinischen oder Altgriechischen herzuleiten. Daher hat das Lateinlernen den Vorteil, dass man botanische, juristische, medizinische und andere Fremdwörter nicht blind und stur auswendig lernen muss: Man kann sie (zum großen Teil) treffsicher übersetzen.

Beispiele:

  • „Präambel“ von prae ( = „vor“) + ambulare ( = „(spazieren) gehen“): Eine Präambel ist etwas, das einer Sache voran geht. Da sich der Ausdruck auf Bücher und Verträge bezieht, ist mit einer „Präambel“ ein „Vorwort“ gemeint.
  • „Benefizkonzert“ von bene ( = „gut“) + facere ( = „machen“) + co(n)- ( = gemeinsam, von cum = „mit“) + certamen ( = „Wettstreit“): Es handelt sich um einen (musikalischen) „Wettstreit“ zu Gunsten einer guten Sache, also um eine „musikalische Wohltätigkeitsveranstaltung“.
  • „Tyrann“: gr. tyrannos und später lat. tyrannus ist ursprünglich ein nicht-erblicher König gewesen. Wohl durch Missbrauch dieses Amtes ist der negative Beigeschmack hinzu gekommen, so dass man jetzt unter einem „Tyrannen“ einen „Gewaltherrscher“ versteht.

Eine andere Tatsache ist, dass die Römer es nicht geschafft haben, die Germanen vollständig zu unterwerfen (ähnlich den Kelten in Britannien). Das wird wohl der Grund dafür sein, weshalb die deutsche Sprache nicht so stark vom Lateinischen beeinflusst wurde, im Gegensatz zu manchen Nachbarsprachen (nicht die Grammatik, aber die Wörter). Vermutlich tun sich die Deutschen deshalb schwerer mit dem Erlernen von Latein, obwohl es eine ausgezeichnete Grundlage für das Erlernen weiterer (europäischer) Sprachen wäre.

Beispiele:

englisch lateinisch italienisch spanisch portugiesisch französisch deutsch
good bonus buono bueno bom bon gut
hour hora ora hora hora heure Stunde
(to) pay pacare pagare pagar pagar payer zahlen

(Literaturhinweis: Vossen, Latein Muttersprache Europas, Verlag Hub. Hoch, 5. Auflage 1981, ISBN 1528421; beschäftigt sich mit dem lateinischen Einfluss auf europäische Sprachen; sehr amüsant und anschaulich ist dabei das Kapitel über die Traumreise des Claudius durch das heutige Großbritannien, wo er hinter englischen Wörtern oft zu Recht lateinische vermutet)