Strukturen der japanischen Kampfkünste

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In den japanischen Kampfkünsten hat sich im Laufe der letzten Jahrhunderte ein Lehrsystem etabliert, das zusammen mit den Künsten in alle Welt exportiert wurde. Die Verbreitung einer Kampfkunst läuft in etwa ab wie die Verbreitung einer Krankheit (ich habe einige Zeit mit mir gerungen, ob ich diesen Vergleich anbringen soll, da mit Krankheiten natürlich allerlei Negatives verbunden wird; aber hier geht es ausschließlich um den Mechanismus der Verbreitung). Es gibt einen oder ein paar Infizierte, die wiederum andere anstecken, welche die Kampfkunst weiter verbreiten. In manchen, vor allem den jüngeren Kampfkünsten (Gendai Budo), ist ein Begründer oder die Begründerin der Kampfkunst bekannt und wird entsprechend den ostasiatischen Gepflogenheiten in Ehren gehalten. Im Karate gibt es nicht den einen Begründer. Karate entwickelte sich in mehreren parallelen Linien, die zum Teil noch heute nebeneinander bestehen. Die Anfänge dieser Linien verlieren sich im Dunkel der nicht schriftlich festgehaltenen Vergangenheit, der Rest ist Legende. Jedoch gibt es häufig prominente Personen, die sich durch ihren Beitrag zur Entwicklung des Karate derart hervorgetan haben (zum Beispiel durch Gründung eines Karate-Stils), dass ihnen ebenfalls große Verehrung zuteil wird.


Diese Karate-Meister hatten oft eine größere Anzahl Schüler, die sie in einem Dojo (=Ort des Weges) im Karate unterrichteten. Die Schüler schulden dem Meister Respekt und Höflichkeit; der Meister dankt dies, indem er seine Schüler an seinem Wissen und Können teilhaben läßt. Der japanische Lehrer erklärt nicht lang und breit was zu tun ist und wie etwas warum funktioniert. Der traditionelle Unterricht besteht zum größten Teil aus Drill: Der Lehrer führt eine Karate-Technik vor, worauf die Schüler versuchen ihn oder sie möglichst perfekt zu imitieren. In Europa und Amerika wurde dieser Unterrichtsstil häufig an die lokalen Lerngewohnheiten angepaßt und so wird hier ein etwas intellektuellerer Lehrstil gepflegt. Debattieren und weitschweifiges Diskutieren ist aber dennoch im Dojo unerwünscht.

In der japanischen Kultur hat sich ein ausgefeiltes System an Etikette und Höflichkeitsbekundungen etabliert, das den Angehörigen des westlichen Hemisphäre bei erstem Betrachten als reaktionär empfunden werden könnte. Übt man sich aber selbst in dieser ausgesuchen Höflichkeit, so stellt man fest, dass der allgemeine Umgang freundlicher und respektvoller wird. Diese Charakterschule ist ein wesentliches Merkmal des Karate-Trainings, das über die Trainingshalle hinaus auf den Alltag des Karateka wirkt. Die einzuhaltenden Regeln sind oft in einem Regelwerk festgelegt, dem Dojokun (im deutschen Vereinswesen Satzung). Von diesen gibt es einige Varianten, die aber oft auf das 20 Regeln umfassende Dojokun von Gichin Funakoshi zurückgeht, einem Karateka, von dem noch die Rede sein wird.

Japanische Namen werden in diesem Buch nach der westlichen Schreibweise in der Reihenfolge Vorname Nachname wiedergegeben. In der Literatur stößt man gelegentlich auf die traditionell japanische Umkehrung Nachname Vorname. Um die Reihenfolge eindeutig zu markieren, wird oft der Nachname in Großbuchstaben gedruckt.

Welche Rituale im Dojo der eigenen Wahl gelten, wird sich durch Beobachtung schnell erschließen. Folgender Trainingsablauf ist mit Variationen häufig anzutreffen:

  1. Vor dem Trainingsbeginn reihen sich die Schüler nach ihrer Graduierung geordnet gegenüber der Vorderseite des Dojo (Shomen) auf, der Lehrer steht oder sitzt ihnen gegenüber.
  2. Eine kurze Meditation mit geschlossenen Augen soll als innere Vorbereitung auf das bevorstehende Training dienen und helfen sich von allgemeinen Gedankengängen aus dem Alltag zu lösen.
  3. Die Begrüßung besteht aus einer oder mehreren Verbeugung und einer Höflichkeitsformel.
  4. Aufwärmgymnastik und Dehnübungen
  5. Unterricht nach Maßgabe des Lehrers
  6. Entsprechend dem "Angrüßen" wird - manchmal angekündigt durch dreimaliges Klatschen - auch nach einer kurzen Meditation wieder "abgegrüßt".

Graduierungen

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Karate hat das Graduierungssystem des Jūdō übernommen. Diesem System zufolge werden die Karateka in Schülergrade und Fortgeschrittenengrade unterteilt. Der Anfänger beginnt auf der Stufe des 9. Kyu und schreitet bis zum ersten Schülergrad (1. Kyu), um daraufhin zum ersten Fortgeschrittenengrad befördert zu werden, woraufhin dann die höheren Graduierungen folgen können.

Kyū (jap. 級) bedeutet wörtlich Klasse, Schulklasse oder Rang.

Der Begriff wird verwendet, um die Schülergrade, Farbgurte in Budō-Künsten, z.B. Karate, zu bezeichnen. Auch im Go ist diese Bezeichnung üblich. Kyū werden mit abnehmender Nummer gesteigert. Der 1. Kyū ist also der höchste Kyū, der 2. Kyū der zweithöchste etc.

In vielen Kampfsportarten werden die Kyū-Grade durch farbige Gürtel gekennzeichnet. Dabei trägt der Neuling vor der ersten Prüfung einen weißen Gürtel; die höheren Grade erhalten die Farben Gelb, Orange, Grün, Blau (Violett) und Braun.

Die Systeme sind jedoch nicht einheitlich; so werden im Jūdō auch Zwischenstufen (zweifarbige Gürtel) vergeben. Im Deutschen Karate-Verband (DKV) sind der vierte und fünfte Kyū durch den blauen Gürtel gekennzeichnet, 1. bis 3. Kyū ist braun (ohne weitere Unterscheidung). Im Aikidō werden – je nach Verband – entweder farbige Gürtel getragen, oder alle Kyū-Grade tragen unterschiedslos weiße Gürtel.

Als Dan (段, japanisch, Stufe) wird ein Fortgeschrittenengrad bezeichnet. Der niedrigste Grad (der 1. Dan) folgt auf den 1. Schülergrad (Kyū). Der 1. Schülergrad ist der höchste, die Rangfolge bei Fortgeschrittenen- und Schülergraden ist also vertauscht. Der höchste Dan-Grad ist eigentlich der 10. Dan; meistens - beispielsweise im Aikidō - wird jedoch kein höherer Grad als der 8. Dan verliehen, einige Schulen bewahren sich die beiden letzten Grade auch als besondere Ehrerbietungen für außergewöhnliche Schüler auf.

Auf japanisch werden die Dangrade wie folgt benannt/gezählt:

  • 1. Dan - 初段 Shodan
  • 2. Dan - 二段 Nidan
  • 3. Dan - 三段 Sandan
  • 4. Dan - 四段 Yondan
  • 5. Dan - 五段 Godan
  • 6. Dan - 六段 Rokudan
  • 7. Dan - 七段 Nanadan
  • 8. Dan - 八段 Hachidan
  • 9. Dan - 九段 Kudan
  • 10. Dan - 十段 Judan

Dabei heißt shodan wörtlich Anfangsgrad die übrigen enthalten das entsprechende Zahlwort als Vorsilbe und heißen damit Zweiter Grad, Dritter Grad, und so weiter.

Das Kyu/Dan-Graduierungssystem entstand in Japan gegen Ende des 19. Jahrhunderts und wurde von Jigorō Kanō, dem Begründer des Jūdō, populär gemacht. Heute wird das Dan-System neben dem Jūdō unter anderem auch im Kendō, Karatedō, Kyūdō, im Aikidō und beim Brettspiel Go verwendet.

In den meisten "gürteltragenden" Kampfsportarten werden die "Schwarzgurte" (1. bis 5. Dan) aufgrund technischer Prüfungen verliehen. In vielen Sportarten gelten die höheren Grade der Meisterschaft auch als "geistige" Meisterschaft, bei der der Träger eines entsprechenden Dan beginnt, die intellektuellen Hintergründe, Werte und Einsichten, die ein Kampfsport bzw. eine Kampfkunst vermittelt, zu verinnerlichen.

Ein Dan-Grad wird in jüngeren Budō-Systemen mit dem Tragen eines schwarzen Gürtels bei den unteren Dan-Graden (Yudansha) kenntlich gemacht. Die höheren Dan-Grade (Kodansha) werden teilweise mit einem rot-weißen, roten oder wiederum weißen Gürtel, ähnlich dem niedrigsten Schülergrad, gekennzeichnet. Dies ist in der asiatischen Philosophie begründet, dass die Schüler- und Meistergrade ein geschlossener Kreis sind, eine Harmonie. Allerdings auch nur theoretisch, in den meisten Kampfsportarten werden die höchsten Dan-Grade kaum oder gar nicht vergeben da sie als Vollendung angesehen werden. Einige Budō-Schulen/-Systeme verzichten auf äußerliche Kennzeichen der Graduierung.

Entgegen landläufiger Annahme bedeutet das Erreichen eines Dan-Grades keineswegs die perfekte Meisterschaft. Die Bedeutung des Wortes Dan, nämlich Stufe, legt nahe, dass auch jeder Dan-Grad nur ein Schritt ist. In einigen Systemen gilt vielmehr, dass der 1. Dan lediglich die Befähigung darstellt, die eigentliche Kampfkunst zu erlernen, also den Abschluß einer lediglich vorbereitenden Ausbildung.

Internationale Spitzenkämpfer in Kampfsportarten, die Wettbewerbe austragen, haben meistens höchstens den dritten Dan. Das liegt in den Mindestvorbereitungszeiten zwischen den Dan-Prüfungen und somit auch im Alter der Kämpfer begründet, welches meist durch die Vorgaben und Anforderungen des Leistungssports für Aktive begrenzt wird.


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