Interstellare Raumfahrt: Beispiel


Als Ziel nehmen wir einen Stern in der Nähe, da hätten wir im Umkreis von 14 Lichtjahren 32 Kandidaten. Die interessantesten sind:

   * Proxima Centauri, ein roter Zwerg in 4,2421 Lichtjahren
   * Alpha Centauri A und B, ein Doppelsternensystem,  in 4,3650 Lichtjahren
   * Epsilon Eridani, besitzt mindestens einen Planeten, in 10,522 Lichtjahren.

Wir peilen als Ziel erstmal Alpha Centauri A an, also 4,4 LJ, das sind Kilometer.

Und wieviel Zeit steht dafür zur Verfügung? Die Mannschaft ist beim Abflug vielleicht 25 Jahr alt. Menschen werden bei guter Pflege durchaus 100 Jahre alt. Wir benutzen alle Tricks und Kniffe: regelmäßig Sport, monatliche Vorsorgeuntersuchung, wir können die mit Vitamin C vollpumpen, ihnen eine 30%-reduzierte-Kalorien-Diät angedeihen lassen, Organe nachzüchten, usw. Sagen wir die Lebenserwartung beträgt etwa 90 Jahre und die Mannschaft ist bis zum 80. Lebensjahr noch Einsatz- und Zurechnungsfähig. Dann haben wir also 55 Jahre für die Flugzeit zur Verfügung. Rechnen wir mal mit 40, 50 und 60 Jahren.

Ok, wenn wir 4 Lichtjahre in 40 Jahren schaffen wollen, muss die Durchschnittsgeschwindigkeit grob bei 1/10 c liegen, also 30.000 km/s oder 30.000.000 m/s. Ganz schön schnell. Konkret:


  • Bei 40 Jahren: , am schnellsten Punkt nach 20 Jahren:
  • Bei 50 Jahren: 4,16284 * 10^16 m / 1,57788 * 10^9 s = 2,638249 * 10^7 m/s, am schnellsten Punkt nach 25 Jahren: 5,26 * 10^7 m/s ~ 16% c
  • Bei 60 Jahren: 4,16284 * 10^16 m / 1,893456* 10^9 s = 2,198541 * 10^7 m/s, am schnellsten Punkt nach 30 Jahren: 4,4 * 10^7 m/s ~ 13% c


Wir haben ja ne ganze menge Zeit, wir können also eigentlich ganz gemächlich beschleunigen. Sagen wir, wir beschleunigen die Hälfte der Zeit, drehen in der Mitte um, und bremsen den Rest der Zeit. Dann müssen wir um eine Durchschnittsgeschwindigkeit von Vd zu erreichen mit 2*Vd / t beschleunigen:

   * 40 Jahre: 
   * 50 Jahren: 2 * 2,638249 * 10^7 m/s/1,57788 * 10^9 s = 3,344043 * 10^-2 m/s²
   * 60 Jahren: 2 * 2,198541 * 10^7 m/s / 1,893456* 10^9 s = 2,322252 * 10^-2 m/s²

Also beschleunigen wir zwischen 2 und 5 cm pro s². Also die nötigen Beschleunigungswerte sind ja nicht so irre, das Problem ist diese Beschleunigung über Jahrzehnte aufrecht zu erhalten und den dafür nötigen Treibstoff (Reaktionsmasse) mit zu schleppen.

Rechnen wir probehalber erstmal mit konventionellem chemischen Treibstoff! Als Austrittsgeschwindigkeit ve nehmen wir mal 6000 m/s an (Die Space Shuttle Antriebe schaffen 4.400, die höchste bisher erreichte Austrittsgeschwindigkeit mit Lithium, Fluor und Wasserstoff liegt bei 5.320 m/s ). Der spezifische Impuls von 6.000 m/s = 6.000 Ns/kg bedeutet das 1kg Treibstoff eine Impulsänderung von 6000 N bewirken kann, also z.B. eine Sekunde lang eine Schubkraft von 6000 N liefert.

Soweit so gut. Der gute Herr Ziolkovsky sagt uns dass wir mit der Formel ausrechnen können wie schnell eine Rakete abhängig von der Austrittsgeschwindigkeit und ihrer Masse werden kann. Wir stellen die Gleichung um: .

Angenommen die Nutzlast unseres Raumschiffes soll nur 1kg betragen, und für den Flug lassen wir uns 60 Jahre Zeit, dann erhalten wir:

Soviel Treibstoff gibt’s nicht :( Es hilft auch nicht wenn wir die Nutzlast auf 1/100 Gramm reduzieren, wir müssen den Exponenten kleiner bekommen, und das geht nur mit langsamer fliegen oder höherer Austrittsgeschwindigkeit. Das Gewicht des Raumschiffes (Nutzlast) ist ohnehin egal im Vergleich zu den Unmengen an Treibstoff. Was wir also brauchen ist eine Möglichkeit weniger Treibstoff mit uns herumzuschleppen. Also entweder den Treibstoff im Sonnensystem lassen (Laser, Lichtsegel), oder unterwegs aufsammeln (Bussard-Kollektor) oder eben einen Hyper-effektiven Antrieb der möglichst hohe Austrittsgeschwindigkeiten hat.

Vergessen wir die chemischen Antriebe. Was gibt es denn noch? Da hätten wir:

   * Nuklear ( solid-core, liquid-core, gas-core): 20.000 m/s – 50.000 m/s
   * Ionen (HiPEP, VASIMIR): 30.000 m/s – 50.000 m/s
   * Ablative Laser Propulsion (ALP: LAPPS): 200.000 m/s – 32.000.000 m/s
   * Anti-Materie (AIMStar): 600.000 m/s
   * Nuklear Puls (Orion, Deadalus): 100.000 m/s – 10.000.000 m/s

Der normale Nuklearantrieb (Ein Kernreaktor um die Reaktionsmasse zu erhitzen) ist nicht effektiv genug, bisherige Ionen-Antriebe ebenfalls nicht. Für Anti-Materie Antriebe fehlt uns die Anti-Materie. Bleibt noch das alte “Atom-Bomben hinter sich werfen”-Konzept oder Ablative Laser Propulsion. Schauen wir uns zuerst ALP an

LAPPS

Die Idee hinter ALP-Systemen wie LAPPS ist das ein LASER ultrakurze Pulse (500 femto sekunden und weniger) auf eine Folie schießt. Weil die Pulse so kurz sind und der Laser auf eine extrem kleine Fläche trifft (10 µm) wird die moderate Energie des Lasers (z.B. 1 MW) an diesem Punkt zu einer enormen Energiedichte von (3 * 1020 W/cm²) führen. Dadurch werden sehr viele (6 * 1014 ) Partikel aus der Folie gerissen und weggeschleudert. Der LASER arbeitet mit einer Wiederholrate von einem oder mehreren Kiloherz und erzeugt dabei eine Kraft von 3,1 * 10-2 N

Ein Paper gibt eine Austrittsgeschwindigkeit von 200.000 m/s an. Damit ergibt sich als benötigte Reaktionsmasse für ein Raumschiff mit 100t Nutzlast und 60 Jahren Flugzeit:

e^( [2 * 2,198541 * 107 m/s] / [2 * 105 m/s] ) * 100.000 kg = Reaktionsmasse

e^( 220 ) * 100.000 kg = 3,5*10100 kg

Viel zuviel :( ! Benutzen wir den wesentlich optimistischeren Wert von 32.000.000 m/s den Dr. Kammash angibt:

e^( [2 * 2,198541 * 107 m/s] / [3,2 * 107 m/s] ) * 100.000 kg = Reaktionsmasse

e^( 1,4 ) * 100.000 kg = 405.520 kg = 405 t.

Das hört sich doch schon besser an! Für die verschiedenen Flugzeiten ergibt sich also als benötigte Reaktionsmasse bei einer Austrittsgeschwindigkeit von 32.000.000 m/s:

   * 40 Jahren:  e^(2,06) * 100 t = 785 t
   * 50 Jahren: e^(1,65) * 100 t = 521 t
   * 60 Jahren: e^(1,4) * 100 t = 405 t

Super, das Problem der Reaktionsmasse ist also gelöst (falls es tatsächlich klappt 60 Jahre lang einen Laser zu betreiben der tatsächlich diese Austrittsgeschwindigkeit erreichen kann). Als Folienmaterial wird zwar Goldfolie angegeben, aber hoffen wir mal das da auch ein anderes Metall in Frage kommt, außerdem wird sicherlich nicht jedes Atom auch weggeschleudert, aus den 785t kann also ganz schnell auch das 3fache werden, aber ok.

Viel wichtiger ist die Frage ob wir die notwendige Beschleunigung erzeugen können und woher wir die dafür benötigte Energie bekommen. Als notwendige Beschleunigungswerte hatten wir für:

   * 40 Jahre: 5,225065 * 10^-2 m/s²
   * 50 Jahren:  3,344043 * 10^-2 m/s²
   * 60 Jahren:  2,322252 * 10^-2 m/s²

Das hört sich zwar nicht nach viel an, allerdings müssen wir 100t Nutzlast + 900t Reaktionsmasse beschleunigen! Die Reaktionsmasse nimmt mit der Zeit ab, dennoch rechnen wir zunächst mal mit 1.000 t Schiffsmasse. Dann benötigen wir folgende Kraft (F = m*a):

   * 40 Jahre: 10^6 kg * 5,225065 * 10^-2 m/s² = 52.250 N
   * 50 Jahren:  10^6 kg * 3,344043 * 10^-2 m/s² = 33.440 N
   * 60 Jahren:  10^6 kg *2,322252 * 10^-2 m/s² = 23.222 N

Ups. Insbesondere wenn man bedenkt das unser 1 MW LAPP-System gerade mal 0,031 N an Schub erzeugt. Wir müssten den Schub also ver 1,7-Millionen-fachen. Dementsprechend steigt natürlich auch der Energiebedarf von 1MW auf 1,7-Millionen-MW oder 1700 GW. Wir sehen die Energiequelle wird nun zu einem größeren Problem, und wir müssen diese Energiequelle samt benötigtem Treibstoff in unsere 100t Nutzlast packen! Das ist ein generelles Problem: Umso weniger Reaktionsmasse ein Antrieb benötigt desto mehr Energie verschlingt er (ist ja klar: die geringere Reaktionsmasse muss ja zum Ausgleich stärker beschleunigt werden). Schauen wir uns die verfügbaren Energiequellen an:

   * Atomreaktoren: gibt es bereits, auch in mobilen Varianten für U-Boote und Flugzeugträger, eventuell kann der verbrauchte Treibstoff auch als Treibmasse verwendet werden.
   * Kernfusionsreaktor: gibt es noch nicht, Treibstoff hat aber etwa 7mal höhere Energiedichte, benötigt für einen Neustart eine sekundäre Energiequelle.

Die stärksten Kernreaktoren liefern derzeit etwa 1,6 GW und haben eine Masse von deutlich über 10.000t. Um 1.700 GW zu bekommen dürfte ein solcher Reaktor etwa 10.000.000 t Masse haben, und da ist nicht mal der benötigte Treibstoff (Uran) für einen 60 jährigen Betrieb enthalten. Zudem haben wir die Nutzlast gerade um den Faktor 10.000 erhöht, damit brauchen wir auch mehr Reaktionsmasse und mehr Kraft also auch mehr Energie also einen noch größeren Reaktor… :(

Sagen wir ein Fusionsreaktor wie ITER (oder später DEMO) produziert 10mal mehr Energie: dann haben wir einen 17GW Reaktor. ITER (der bisher überhaupt keine Energie erzeugt) hat folgende Massen:

   * 7.000 t Supraleiter (Niob-Zinn und Niob-Titan)
   * 700 t Divertor
   * 2.000 t Blankets


Dazu brauchen wir noch 300g Tritium am Tag um 800 MW Energie zu erzeugen. Also 637,5 kg Tritium pro Tag. In 60 Jahren also 14.971 t Tritium! Und die müssen erstmal aus noch mehr Lithium erbrütet werden…

So kommen wir offenbar nicht weiter.

Wir müssen das LAPPS effektiver bekommen. Sagen wir wir schaffen es LAPPS um den Faktor 100 zu verbessern, dann erhalten wir 3N pro MW an Schub. Für die 52.250 N um einen 40-Jahre-Flug bei 1000t Gesamtmasse (100t Nutzlast) zu erreichen benötigen wir dann: 17.500 MW also nur noch 17GW. Leider ist unser Phantasie-Reaktor (290t / GW) immer noch 50mal so schwer wie die verfügbare Nutzlast. Hmmm, zumindest sind wir jetzt fast in der richtigen Größenordnung….

Wir können den Start vielleicht optimieren (Sonnensegel, MagSail) und einen Teil der Reaktionsmasse fürs Abbremsen sparen wenn wir im Zielsystem ebenfalls ein MagSail nutzen. Das ist besonders günstig, weil ja ein großer Teil der Reaktionsmasse nur benötigt wird um andere Reaktionsmasse zu transportieren die später zum Bremsen benötigt wird.

Sagen wir die Startgeschwindigkeit entspricht der Fluchtgeschwindigkeit aus dem Sol-System (mit den 0,052 m/s² kämen wir sowieso nicht aus dem System). Die Fluchtgeschwindigkeit beträgt 42,1 km/s relativ zur Sonne.

Zum Abbremsen verwenden wir ein MagSail. Im großen und ganzen rollt unser Raumschiff mehrere supraleitende Kabel von 100 km Länge aus, deren Enden mit einer 630km langen supraleitenden Leiterschleife verbunden sind. Die Energie aus unserem Kernreaktor nutzen wir um ein magnetisches Feld um im interstellaren Medium eine Bremswirkung zu erzielen. Innerhalb von 4 Jahren lässt sich ein Raumschiff so von nahezu beliebigen Geschwindigkeiten (>70% c) auf 0.2% c = 600 km/s abbremsen (natürlich abhängig von der Dichte des Mediums und der Masse des Raumschiffes, das müsste man nochmal genauer anschauen ;) ).

Um von 600 km/s auf weniger als 30 km/s abzubremsen (Zielorbit um Alpha Centaurus A) also um 570.000 m/s benötigten wir bei den Beschleunigungswerten für

   * 40 Jahre: ca. 0,4 Jahre
   * 50 Jahre: ca. 0,5 Jahre
   * 60 Jahre: ca. 0,8 Jahre

Wir können also mit einem MagSail sowie unserem normalen ALP-Antrieb innerhalb von ca. 5 Jahren aus nahezu beliebigen Geschwindigkeiten auf Orbitalgeschwindigkeit abbremsen. Damit stehen uns für die Beschleunigungsphase nun nicht mehr 20 bzw. 25 oder 30 Jahre sondern 35, respektive 45 und 55 Jahre zur Verfügung. Bei gleichem Bedarf an Treibmasse können wir also eine höhere Endgeschwindigkeit erreichen, d.h. geringere Beschleunigungswerte sind ausreichend.

Wenn wir in den letzten 5 Jahren (der Bremsphase) 1,4 Lichtjahre zurücklegen, dann bleiben uns 35 Jahre um 3 Lichtjahre zurückzulegen. D.h. wir benötigen für 100t Nutzlast:

  1. Bei 35 Jahren eine Durchschnittsgeschwindigkeit von:  3 * 1016 m / 1,104516 * 109 s = 2,71612 * 107 m/s ~ 9% c
  2. Bei gleichmäßiger Beschleunigung (v / t = a): 2,71612 * 107 m/s / 1,104516 * 109 s = 2,46 * 10-2 m/s²
  3. am schnellsten Punkt nach 35 Jahren: 28.606.964 m/s ~ 28.600 km/s ~ 9.5% c
  4. Treibmasse für Bremsphase (100t Nutzlast, dV=570.000 m/s, ve=3,2 * 107 m/s):  e^( [57 * 104 m/s] / [3,2 * 107 m/s]) * 100.000 kg = 101.800 kg.
  5. Treibmasse für Beschleunigungsphase (202t Nutzlast, dV= 28.564.864 m/s): e^( [28,565 * 106 m/s] / [3,2 * 107 m/s]) * 202.000 kg = 2,44160 *202.000 kg =493.204 kg ~ 494t
  6. Gesamtmasse: 100t Nutzlast + 101t Treibmasse + 493t Treibmasse ~ 700t Gesamtmasse
  7. Benötigter Schub: 7*105 kg * 2,46 * 10-2 m/s² = 17.220 N
  8. Benötigte Energie: 5,7 GW, d.h. ein 1653 t Reaktor!

Ok, wir fliegen 60 Jahre, beschleunigen 55 Jahre und schleppen eine Nutzlast von 100t…

  1. Bei 55 Jahren eine Durchschnittsgeschwindigkeit von:  3 * 1013 km / 1,735668 * 10^9 s = 17.284,41 km /s ~ 5,76% c
  2. Bei gleichmäßiger Beschleunigung  (a=v/t):  17.284.410 m /s / 1,735668 * 10^9 s = 0,009958361 m/s² ~ 1cm/s²
  3. am schnellsten Punkt nach 55 Jahren (v=2s/t):  6 * 1016 m /  1,735668 * 10^9 s = 34.568.823 * m/s ~ 11.5% c
  4. Treibmasse für Bremsphase (100t Nutzlast, dV=570.000 m/s, ve=3,2 * 107 m/s):  e^( [57 * 104 m/s] / [3,2 * 107 m/s]) * 100.000 kg = 101.800 kg.
  5. Treibmasse für Beschleunigungsphase (202t Nutzlast, dV= 34.526.823 m/s): e^( [34,526 * 106 m/s] / [3,2 * 107 m/s]) * 201.800 kg = 1,0789375 *201.800 kg = 217,73 t.
  6. Gesamtmasse: 100t Nutzlast + 102t Treibmasse + 218t Treibmasse ~ 420t Gesamtmasse
  7. Benötigter Schub: 4,2*105 kg * 9,95 * 10-3 m/s² = 4.179 N
  8. Benötigte Energie: 1,4 GW, d.h. ein 406t Reaktor!