Handbuch Sozialleistungen/ Die Krankenversicherung



Mitgliedschaft und Beiträge Bearbeiten

Die Regelungen für die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung sind umfangreich, es gibt zahlreiche Ausnahmen für Menschen mit Behinderungen, Auszubildende usw.

Pflichtmitglieder (§ 5 SGB V):
Sind zunächst einmal alle Arbeitnehmer, die mehr als 450 € im Monat verdienen. Wer Mitglied der gesetzlichen Kasse war und Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung, der Krankenversicherung, der Rentenversicherung oder der Unfallversicherung erhält, ist ebenfalls pflichtversichert. Dies gilt auch für Menschen in Elternzeit und Empfänger von ALG II. Allerdings entsteht eine neue Pflichtmitgliedschaft nur bis zum 55. Lebensjahr.

Freiwillig Versicherte (§ 9 SGB V):
Sind vor allem Versicherte, die aus einer Pflicht- oder Familienversicherung ausgeschieden sind. Die Beiträge richten sich nach dem Einkommen und nach der Lebenssituation bzw. der Tätigkeit der Versicherten (ab 145 €/Monat). In Absatz 1 Nr. 4 findet sich eine Sonderregelung für schwerbehinderte Menschen.

Familienversicherte (§ 10 SGB V):
Ehepartner ohne Einkommen oder Kinder eines Mitgliedes. (Kinder können bei Erwerbslosigkeit bis 23, bei Ausbildung bis 25, bei Vorliegen einer Behinderung unbegrenzt familienversichert bleiben).

Rentner (§ 5 Abs. 1 Nr. 11):
Sind ebenfalls pflichtversichert, wenn sie in der zweiten Hälfte ihres Erwerbslebens Mitglied in der GKV waren. Auch Rentenantragsteller werden Mitglied in der Krankenversicherung der Rentner. Rentner, die freiwillig krankenversichert sind, erhalten einen Zuschuss.

Versicherungsfreie (§ 6 SGB V):
Alle, die nicht in die oben genannten Kategorien passen und Arbeitnehmer, die mehr als 5062,50 € im Monat verdienen oder in einem Beamtenverhältnis stehen.


Nach 18 Monaten Mitgliedschaft kann man seine Krankenkasse wechseln. Die Kündigungsfrist beträgt zwei Monate, verspätete Kündigungen werden auf den nächstmöglichen Termin umgedeutet. Wenn die Krankenkasse Zusatzbeiträge erhebt oder erhöht, besteht ein Sonderkündigungsrecht. Nutzt man als Mitglied der Krankenkasse einen Wahltarif mit erweiterten Konditionen, so verlängert sich in diesem Fall die Bindungsfrist auf mindestens 3 Jahre.

Beitragsrückstände Bearbeiten

Grundsätzlich ist die Mitgliedschaft in einer gesetzlichen oder privaten Krankenversicherung Pflicht. Betroffene, die nicht krankenversichert sind, werden bei „Entdeckung“ von der Krankenkasse rückwirkend versichert, deren Mitglied sie zuletzt waren. Damit werden auch die gesamten Beiträge der vergangenen Jahre fällig! Dies betrifft vor allem (ehemals) Selbständige, die kaum Einkommen erzielt haben.

Allgemein beträgt der Säumniszuschlag in der Sozialversicherung monatlich 1 % (§ 24 SGB IV). Allerdings sollen die Krankenkassen nach § 256a SGB V nachzuzahlende Beiträge angemessen ermäßigen und Säumniszuschläge erlassen. Wenn während des Nacherhebungszeitraums keine Leistungen in Anspruch genommen wurden (oder auf Kostenübernahme verzichtet wurde) werden den Beiträgen nur Einnahmen in Höhe von 10 % der monatlichen Bezugsgröße (312 €) zugrunde gelegt:
GKV-Spitzenverband-Beitragsschulden

Wenn Versicherte mit zwei Monatsbeiträgen im Rückstand sind und trotz Mahnung nicht zahlen, ruht der Leistungsanspruch. Ausgenommen sind die akute Notfallbehandlung u.Ä. (§ 16 Abs. 3a SGB V). Sobald ALG II oder Sozialhilfe bezogen werden ruht der Anspruch nicht mehr!

Mitglieder einer privaten Krankenversicherung können in den sogenannten Basistarif wechseln, bei dem ihnen die Leistungen der gesetzlichen Kassen geboten werden. Die Kosten betragen 2019 ca. 703 € im Monat; bei Empfängern von Grundsicherung wird der halbe Beitrag fällig. Bei Rückständen gelten ähnliche Regelungen wie in der GKV (§ 193 VVG), allerdings wird der Versicherungsnehmer in einen sogenannten Notlagentarif überführt mit Beiträgen von ca. 100 € im Monat (§ 153 VAG).

Leistungen und Zuzahlungen Bearbeiten

Neben Behandlung und Versorgung mit Medikamenten bietet die Krankenversicherung noch weitere Leistungen:

„Kinderkrankengeld“ (§ 45 SGB V)
Bei Erkrankung eines Kindes unter 12 Jahren (oder mit einer Behinderung) zahlt die Krankenkasse Krankengeld, wenn keine weitere Person im Haushalt das Kind beaufsichtigen kann. Dies gilt im Jahr für längstens 10 Arbeitstage je Kind, jedoch maximal 25 Arbeitstage (egal wie viele Kinder man hat). Bei allein Erziehenden besteht ein Anspruch auf 20 Tage pro Kind, insgesamt maximal 50 Tage. Die zeitliche Befristung entfällt, wenn das Kind an einer unheilbaren Krankheit leidet und nur noch eine stark begrenzte Lebenserwartung verbleibt.

Haushaltshilfe (§ 38 SGB V)
Versicherte haben für bis zu 4 Wochen Anspruch auf eine Haushaltshilfe, wenn ihnen die Weiterführung des Haushalts wegen schwerer Krankheit nicht möglich ist. Dies gilt für bis zu 26 Wochen, wenn im Haushalt ein Kind unter 12 Jahren lebt und keine andere Person diesen weiterführen kann. Wenn im Anschluss immer noch eine Haushaltshilfe benötigt wird, kommen Leistungen der Jugendhilfe nach § 20 SGB VIII in Frage, der Kostenbeitrag ist dann in folgender Verordnung geregelt:
Kostenbeitragsverordnung

Häusliche Krankenpflege
Kann vom Arzt verordnet werden, um Krankenhausbehandlung zu verkürzen (§ 37 SGB V). Sie umfasst die Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung und dauert im Regelfall maximal 4 Wochen. Wenn erforderlich kann die Leistung auch als stationäre Kurzzeitpflege erbracht werden. Details finden Sie unter:
GBA-Richtlinien

Anspruch auf Hilfsmittel
Haben Versicherte nach § 33 SGB V, wenn sie im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen. Dies beinhaltet keine allgemeinen Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens oder Gegenstände nach § 34 Abs. 4 SGB V. Die Folgekosten für Hilfsmittel, die über das Maß des Notwendigen hinausgehen, haben die Versicherten selbst zu tragen. Genaue Regelungen finden sich in der entsprechenden Richtlinie:
GBA-Hilfsmittel

Einen Überblick bietet das Hilfsmittelverzeichnis oder REHADAT:
GKV-Hilfsmittelverzeichnis
Rehadat


Individuelle Gesundheitsleistungen
Unter IGeL kann man alle Leistungen verstehen, die nicht zum festgeschriebenen Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen gehören, die eine Kasse also nicht zahlen muss. Hierzu zählen auch Atteste und Reiseimpfungen. Zum weitaus größeren Teil sind IGeL jedoch medizinische Maßnahmen zur Vorsorge, Früherkennung und Therapie von Krankheiten, die nach Einordnung der GKV nicht zeigen können, dass sie „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sind und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten“. Der Bund der (gesetzlichen) Krankenkassen bietet eine Bewertung von IGeL-Leistungen:
www.igel-monitor.de/


Für manche Leistungen müssen die Versicherten Zuzahlungen leisten (§§ 61, 62 SGB V). Sie entfallen, wenn die Belastungsgrenze von 2 % der jährlichen Bruttoeinnahmen erreicht wird (bei chronisch Kranken 1 %). Die Befreiung von der Zuzahlung erfolgt nur auf Antrag. Bei manchen Krankenkassen ist es möglich, die Summe sofort zu Beginn des Jahres zu entrichten, um sich für das ganze Jahr von Zuzahlungen befreien zu lassen.

Zuzahlungen in der gesetzlichen Krankenversicherung (nicht vollständig)
Medikamente (§ 61 SGB V) max. 10 € pro Medikament
Krankenhausbehandlung (§ 39 Abs. 4 SGB V) 28 Tage lang 10 € pro Tag in einem Jahr1
Haushaltshilfe (§ 38 Abs. 5 SGB V) 10 % der Kosten, max. 10 € pro Tag
Heilmittel (§ 32 Abs. 2 SGB V) 10 % der Kosten zzgl. 10 € pro Verordnung
Hilfsmittel (§ 33 Abs. 8 SGB V) 10 % der Kosten, max. 10 € pro Monat
Häusliche Krankenpflege (§ 37 Abs. 5 SGB V) 10 % der Kosten, zzgl. 10 € pro Verordnung
Fahrkosten (§ 60 SGB V) 10 € pro Fahrt
Zahnersatz (§ 55 SGB V) die GKV zahlt nur einen Zuschuss2
1Zuzahlungen bei medizinischer Rehabilitation werden angerechnet
2Bei einem Bruttoeinkommen unter 1.246 € (Alleinstehende) wird der Zahnersatz von der GKV gezahlt (§ 55 Abs. 2 SGB V)

Die Entgeltfortzahlung Bearbeiten

Ist der Arbeitnehmer unverschuldet durch Krankheit an der Arbeitsleistung gehindert, so hat er Anspruch auf Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber von bis zu 6 Wochen, wenn sein Arbeitsverhältnis mind. 4 Wochen besteht (EntgFG). Ein neuer 6-Wochen-Zeitraum aufgrund derselben Erkrankung entsteht, wenn der Arbeitnehmer 6 Monate lang wegen dieser Erkrankung nicht arbeitsunfähig war oder seit Beginn der ersten Krankschreibung 12 Monate vergangen sind. Erkrankt der Arbeitnehmer an einer anderen Krankheit, entsteht ein erneuter Anspruch auf 6 Wochen Entgeltfortzahlung. Wenn während bestehender Arbeitsunfähigkeit eine andere Krankheit hinzutritt entsteht keine neue 6-Wochen-Frist, d.h. zwischen zwei Krankheiten muss ein Zeitraum der Arbeitsfähigkeit liegen.

Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und die voraussichtliche Dauer mitzuteilen. Dauert die Krankheit länger als 3 Tage, ist eine ärztliche Bescheinigung nötig. Der Arbeitgeber kann das Attest auch schon früher verlangen. Die Bescheinigung ist spätestens am darauffolgenden Arbeitstag vorzulegen.


Krankengeld (§ 44 SGB V)
Arbeitnehmer erhalten nach den 6 Wochen Lohnfortzahlung noch 72 Wochen Krankengeld, es beträgt 70 % des letzten Brutto- aber höchstens 90 % des letzten Nettolohns. Davon werden noch Beiträge zur Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung abgezogen. Die 72 Wochen vermindern sich um Zeiten des Bezugs von Übergangsgeld (Reha).

Versicherte erhalten Krankengeld wegen derselben Krankheit maximal achtundsiebzig Wochen (brutto) innerhalb von je drei Jahren. Tritt während der Arbeitsunfähigkeit eine weitere Krankheit hinzu, wird die Leistungsdauer nicht verlängert. Anspruch auf Krankengeld wegen derselben Krankheit in einem neuen Dreijahreszeitraum entsteht nur, wenn der Betroffene mindestens sechs Monate nicht wegen dieser Krankheit arbeitsunfähig war und gearbeitet hat oder der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stand.

Der Anspruch auf Krankengeld besteht auch bei Bezug von Arbeitslosengeld I (dann aber nur in Höhe des Arbeitslosengeldes). Vorsicht: Wenn das Arbeitslosengeld I ausgelaufen ist entsteht kein Anspruch mehr!

Die AU-Bescheinigungen müssen lückenlos bei der Krankenkasse eingereicht werden, ansonsten kann der Anspruch auf Krankengeld verfallen. Die Krankenkasse kann auf Grundlage eines Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) das Krankengeld beenden. In der Regel erfolgt die Begutachtung nach Aktenlage. Dagegen kann Widerspruch bei der Krankenkasse eingelegt werden. Auch der krankschreibende Arzt hat die Möglichkeit ein Zweitgutachten zu beantragen.


Stufenweise Wiedereingliederung Bearbeiten

Während des Bezugs von Krankengeld kann der Versicherte an einer stufenweisen Wiedereingliederung (StW) teilnehmen (§ 74 SGB V und § 44 SGB IX), umgangssprachlich auch „Hamburger Modell“ genannt. Das gilt gleichermaßen auch bei einer Aussteuerung aus der GKV bzw. aus der Arbeitslosenversicherung. Der behandelnde Arzt definiert u.a. per Stufenplan, welche Belastungen krankheitsbedingt zu vermeiden sind. Die StW ist eine Maßnahme der medizinischen Rehabilitation laut ständiger sozialgerichtlicher Rechtsprechung aller Instanzen. Daher hat der Rehabilitand nach langjähriger Rechtspr. auch Anspruch auf Fahrkosten zum Betrieb und zurück für die Dauer der StW - entgegen verbreiteter Praxis gesetzlicher Krankenkassen. Eine Zuzahlung findet dabei nicht statt. Einschlägige Rechtsgrundlage für die Fahrkosten (§ 64Vorlage:§/Wartung/buzer Abs. 1 Nr. 5 i. V. m. § 73Vorlage:§/Wartung/buzer SGB IX) ist gemäß Rechtsprechung folgende Normenkette direkt per Gesetzesverweis vom SGB V ins SGB IX laut LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 28. Mai 2020, L 6 KR 100/15, rechtskräftig:

GKV: § 60Vorlage:§/Wartung/buzer Abs. 5 SGB V ➔ § 73 Abs. 1 und 4 SGB IX

Mehr zur stufenweisen Wiedereingliederung:
Urteile zu Fahrkosten bei StW
Prof. Dr. Nebe zu Fahrtkosten
DJG zu Fahrkosten bei StW


Details zu den Themen Krankengeld und Arbeitsunfähigkeit:
AU-Richtlinien
BMAS
vdek-Verlautbarung
vdek-Krankengeld
vdek-Rundschreiben


Weitere Informationen zur Krankenversicherung allgemein:
Patientenrechte
www.weisse-liste.de
MDS
GBA-Richtlinien
GKV-Spitzenverband