Geschichte und Politik Tibets/ Tibet vor der chinesischen Okkupation, 1895-1951

Tibet ist durch seine zentral-asiatische Hochlandlage, die natürliche Abgrenzung durch das Himalajagebirge, seinen Ressourcenreichtum und teilweise auch wegen seiner Unzugänglichkeit ein strategisch wertvolles Gebiet für die benachbarten Großmächte. Als Teil Chinas wäre China selbst durch die Gebirge im Westen und Süden vor den Briten und Russen geschützt, letztere könnten durch ihre Herrschaft über die Gebiete nordöstlich der Hochgebirge ihre Positionen im Osten gegenüber China stärken.

Aufgrund dieser strategischen Bedeutung wird Tibet mit Amtsantritt des XIII. Dalai Lama zum „Zankapfel“[1] der Großmächte. 1904 fallen die Briten in Tibet ein, 1905 und 1910 die Chinesen. Zweimal flieht der Dalai Lama, beim letzten Mal nach Indien. 1911 erlangt Tibet die Freiheit. Die Qing-Dynastie der Mandschu in China wird durch die republikanische Revolution gestürzt, die chinesischen Truppen ergeben sich und ziehen sich aus Tibet zurück. So kann der Dalai Lama im Winter 1912 nach Tibet zurückkehren und verkündet bereits im Januar 1913 die Unabhängigkeit Tibets, die jedoch von keiner Nation offiziell anerkannt wird[2].

Während der Zeit der chinesischen Bürgerkriege von 1912 bis 1948 hält China seine Souveränitätsansprüche weiter aufrecht, herrscht real jedoch nicht über Tibet, da das ehemalige Kaiserreich durch die Probleme im eigenen Land und ab 1930 auch durch Probleme mit dem von Osten her eindringenden Japan keine Mittel, wie beispielsweise eine Regierungsvertretung, zur Leitung Tibets aufbringen kann.

1933 stirbt der XIII. Dalai Lama, 2 Jahre später wird der XIV. Dalai Lama Tenzin Gyatso im Nordosten Tibets geboren. In der Übergangszeit, also der Zeit nach dem Tod des ehemaligen bis zur offiziellen Amtsantretung des Dalai Lama[3], ist der Tradition nach der Panchen Lama für die Innen- und Außenpolitik Tibets zuständig. Aus den Angelegenheiten des 2. Weltkrieges hält sich Tibet als neutrale Nation heraus.

Am 1. Oktober 1949 ruft Mao Tsetung nach fast 30 Jahren innenpolitischer Spannungen die Volksrepublik China aus. Als kommunistischer Regent Chinas ist sein Ziel die „Wiedergeburt Chinas“[4], was für ihn ein Reich mit den Grenzen der vergangenen Qing-Dynastie (inklusive Tibets, welches er als zugehörig ansieht) darstellt, geprägt von den Thesen des Nationalismus und Marxismus-Leninismus.

Bis zum Ende des Jahres hat die Volksbefreiungsarmee Chinas bereits den Osten Tibets eingenommen, am 1. Januar 1950 kündigt die chinesische Regierung unter Mao Tsetung die Befreiung Tibets und Taiwans an. Als die Volksbefreiungsarmee im Oktober 1950 fast ganz Tibet besetzt hat, wendet sich der Dalai Lama erfolglos an die UNO[5]. Ohne der modernen, chinesischen Armee gleichwertige militärische Mittel ist eine tibetische Delegation am 23. Mai 1951 in Peking gezwungen, ein Abkommen zu unterzeichnen, welches Chinas Souveränität über Tibet festsetzt[6]. Somit endet die nominale Unabhängigkeit Tibets.



  1. Vgl. „Zeittafel Tibet“, Tsewang Norbus, aus „Tibet – Eine Kolonie Chinas“ (Hg. Helmut Steckel), 1993, S. 312.
  2. Vgl. „Tibet – Land - Religion - Politik“, H. Forster-Latsch und P. L. Renz, 1999, S. 111-232; im Folgenden aufgeführt als: H. Forster-Latsch und P. L. Renz.
  3. Der Dalai Lama wird mit 5 Jahren inthronisiert, übernimmt jedoch erst mit der Volljährigkeit alle Aufgaben. Tenzin Gyatso, der XIV. Dalai Lama, trat 1940 die Herrschaft Tibets an.
  4. Vgl. H. Forster-Latsch und L. P. Renz, 1999, S. 98.
  5. El Salvador zeigt sich als einzige Nation hilfsbereit (vgl. H. Forster Latsch und P. L. Renz, S. 100).
  6. Das so genannte „17-Punkte-Abkommen“ machte China offiziell zum Souverän über Tibet, obwohl es nur unter Zwang von der tibetischen Delegation unterzeichnet wurde. Die Inhalte werden weiter unten genauer betrachtet.