Das Ordnungswidrigkeitenrecht in der Praxis: Tipps und Hinweise
Die richtige Ermittlungstaktik ist für den Ausgang des Bußgeldverfahrens oftmals von entscheidender Bedeutung. Zentrale Aspekte sind hier insbesondere:
- gegen wen und warum wird das Verfahren eingeleitet
- der Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens
- der Zeitpunkt der Mitteilung an den Betroffenen über die Einleitung
- der Umfang von Vorwürfen, die erhoben werden
- die Bußgeldhöhe (so diese nicht durch Verordnung vorgeschrieben ist)
- Prüfung ob es Nebenbeteiligte gibt.
Oftmals ergeben sie Hinweise, daß eine Ordnungswidrigkeit vorliegen könnte. Diese Hinweise sind aber so vage, daß ein konkreter Vorwurf nicht erhoben werden kann. In solchen Fällen ist es wichtig indirekt so viele Informationen zu beschaffen, daß diese für ein Bußgeldverfahren die nötige Verdachtsgrundlage liefern, ohne Verwertungsverbote auszulösen. Die Befragung des beabsichtigten Beteiligten zur Erlangung weiterer Erkenntnisse sollte tunlichst vermieden werden. Ein guter Verteidiger wird diese Informationen als den Verwertungsverboten unterliegend erkennen und kann so leicht die gesamte Grundlage des Verfahrens kaputt machen.
Insofern ist es meist sinnvoll so früh wie möglich das Verfahren einzuleiten und die Einleitung auch dem Beteiligten mitzuteilen. Aber nur wenn keine Gefahr besteht durch Verdunkelung wichtige beim Beteiligten befindliche Beweise (z.B. Geschäftsunterlagen, Gegenstände) zu verlieren. In solchen Fällen, in denen die Gefahr der Verdunkelung besteht, kann auch ein Durchsuchungsbeschluß beim zuständigen Amtsgericht beantragt werden. In solchen, sicher extrem seltenen Einzelfällen, ist es am geschicktesten die Eröffnung des Bußgeldverfahrens durch die durchsuchenden Beamten mitteilen zu lassen.
Vor der Einleitung ist es essentiell zu entscheiden gegen wen und warum das Verfahren eingeleitet wird. Im Straßenverkehrsrecht z.B. ist dies zumeist unproblematisch. Der Fahrer ist der Täter und die Tat ist ein Verstoß gegen das Straßenverkehrsrecht. Andere Möglichkeiten sind hier zumeist ausgeschlossen. Anders ist die Sachlage bei Ordnungswidrigkeiten im gewerblichen Sektor. Verstößt ein Koch gegen die Hygienevorschriften ist es einerseits möglich das Verfahren gegen den Koch einzuleiten, andererseits aber auch gegen den Inhaber des Restaurants, da dieser offensichtlich seine Aufsichtspflicht verletzt hat, was eine Ordnungswidrigkeit nach § 130 OWiG ist. Die Möglichkeit Ordnungswidrigkeiten im gewerblichen Sektor als Aufsichtspflichtverletzung (siehe dazu auch das gesonderte Kapitel zu diesem Thema) zu ahnden bietet sich insbesondere in den Fällen an, in denen kein Täter festgestellt werden kann (vgl. Göhler RNr. 20 zu § 130; KK-Rogall RNr. 94). Verschmutzt ein Unternehmen wegen eines nicht richtig geschlossenen Ventils ein Gewässer und kann nicht mehr festgestellt werden wer den Fehler verursacht hat, so ist dennoch der Betriebsinhaber über den § 130 OWiG zu belangen. Schon alleine aus der Tatsache, daß in der Firma keine verantwortliche Person zweifelsfrei festgestellt werden kann begründet einen Organisationsmagel, der für sich schon eine Aufsichtspflichtverletzung darstellt.
Der Umfang der Tatvorwürfe sollte stets in Abwägung des größten möglichen Ergebnisses gegen ein fundiertes Verfahren erhoben werden. Es macht keinen Sinn Vorwürfe die sich nicht zweifelsfrei belegen lassen in das Verfahren aufzunehmen, da diese - insbesondere im Falle einer Gerichtsverhandlung - das Verfahren insgesamt in ein ungünstiges Licht rücken.Im Zweifel sollte auf einzelen Vorwürfe lieber verzichtet werden, um nicht das restliche Verfahren zu gefährden.
In den Rechtsgebieten in denen es keine Vorschriften über die zu erhebenden Bußgelder für bestimmte Fallkonstellationen gibt, also nicht dem Straßenverkehrsrecht mit seinem Bußgeldkatalog, ist die Abwägung welches Bußgeld angebracht und angemessen ist nicht leicht. Als Richtschnur dient im Gesetz dann meist nur der Bußgeldrahmen (z.B. § 33 Abs. 6 AWG: 500.000 EUR bei vorsätzlichen ungenehmigten Einfuhren) und der § 17 Abs. 4 OWiG. Dieser schreibt vor, daß das Bußgeld den wirtschaftlichen Vorteil des Täter überschreiten soll. Die Feststellung was wirtschaftlicher Vorteil aus der Tat ist und wie hoch dieser beziffert werden kann ist in vielen Fällen nicht trivial (vgl. hierzu auch Göhler RNrn. 37 bis 45 zu § 17). Diese Abwägungen sind eine Seite der Ermittlung der Bußgeldhöhe. Eine andere ist auch verfahrenstaktischer Natur. Die Androhung eines überhöhten Bußgeldes wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Gerichtsverfahren enden. Dort die geforderte Höhe aufrecht zu erhalten wird meist nicht möglich sein. Eine zu niedrige Bußgeldhöhe schafft keinen Anreiz sich zukünftig an die Vorschriften zu halten. Das Bußgeld muß also so hoch sein, daß es weh tut, aber gleichzeitig nicht so hoch, daß es nicht mehr zu zahlen ist. Insbesondere bei Bußgeldern gegen Unternehmen sollte auch das Insolvenzrisiko berücksichtigt werden. Bußgelder stehen in der Rangordnung der Forderungen bei Vollstreckung in die Konkursmasse hinten an. Selbst wenn man ein sehr hohes Bußgeld gegen das Unternehmen durchsetzen kann, ist der wirkliche Erlös am Ende niedriger oder fällt ganz weg. Daher ist es in der Praxis durchaus üblich vor der Festsetzung eines Bußgeldes gegen ein Unternehmen sich dessen wirtschaftliche Leistungsfähigkeit darlegen zu lassen.
Finanziell lohnend für die Behörde ist auch zu prüfen, ob es eventuell Nebenbeteiligte gibt. Gibt es weitere Nutznießer aus der Tat, so ist es sinnvoll zu versuchen den Verfall des § 29a OWiG gegen diese anzuordnen. Die Beteiligung kann während des Verfahrens zu jedem Zeitpunkt angeordnet werden.