Chemie für Quereinsteiger/ 3.5.3 Bindungsgrad und Stabilität

3.5.3 Bindungsgrad und Stabilität

Bearbeiten

Mit zunehmendem Bindungsgrad wird der Abstand zwischen den gebundenen Teilchen kleiner, da die Kraftwirkung größer ist. Das muß aber nicht unbedingt bedeuten, daß die Bindung stabiler wird. "Stabil" ist ein Begriff, der mit der zwischen den Teilchen wirkenden Kraft nichts zu tun hat. Er bezeichnet lediglich, wie die Bindung auf "Störmanöver" hin reagiert. Ein mechanisches Bild verdeutlicht dies am besten. Wir befestigen eine Feder zwischen zwei Kugeln und spannen sie. Je nach dem, wie weit wir die Kugeln voneinander entfernen, spannt sich die Feder stärker, sie bewirkt eine größere Kraft. Ob das Kugel-Feder-System aber stabil ist, hängt davon ab, auf welche Weise die Feder an den Kugeln angebracht ist. Gute Haken, bei denen sich die Federn nicht aushängen können, machen das System stabil. Offene Haken, an denen die Federn gerade noch hängen, verleihen Instabilität.

Das Prüfinstrument für die Stabilität soll ein kleiner Hammer sein: Wenn man die Feder zwischen den Kugeln spannt und ganz leicht mit einem Hammer auf die Feder klopft, dann wird sie aus der labilen Verankerung sofort ausgehängt. Ist die Feder gut verankert, dann macht ihr auch ein erheblicher Schlag mit dem Hammer nichts aus. Diese Sachlage ist von Mause- oder Rattenfallen her bekannt. Sowohl bei der Mausefalle als auch bei der mit ihrer erheblich größeren Kraftwirkung ausgestatteten Rattenfalle müssen die Federn gespannt und labil eingestellt sein. Sie müssen auf das geringste "Klopfen" reagieren. Sonst kann man auf diese Weise keine Ratten und Mäuse fangen.

Das Maß für die Stabilität ist also die Stärke des "Hammerschlages", um die Bindung aus ihrer "Verankerung" zu reißen, nicht die Spannung der Feder. Bei den verknüpften Teilchen ist das ebenso. Was man als Hämmerchen für die kleinen Teilchenverbände benutzen kann, wollen wir später betrachten.

 
Abb. 3.14: Bindungsgrad und Stabilität (Beispiele)

Betrachten wir als Beispiel Bindungen zwischen Stickstoff- und Kohlenstoff-Atomen untereinander, von der Einfachbindung bis zur Dreifachbindung. In beiden Fällen nimmt die Bindungsstärke von der Einfachbindung zur Dreifachbindung hin zu. Im Stickstoff-Molekül ist sogar die Dreifachbindung die stabilste, die dritte Bindung ist besonders gut "eingehängt". Bei Kohlenstoff-Atomen ist es umgekehrt, die Dreifachbindung ist hier die labilste.

Allerdings muß man bei diesen Modellvergleichen genau berücksichtigen, wie weit die Möglichkeit der Veranschaulichung geht, wie weit das Modell paßt. Das Kugel-Feder-Bindungsmodell verdeutlicht die chemische Bindung nur solange dem Experiment entsprechend, solange man die Kugeln nicht trennt. Beim langsamen Trennen der Kugeln muß man sie auseinanderziehen. Wenn man dann die Bindung durch eine Feder darstellt, würde die Federkraft immer stärker werden, dann müßte sie plötzlich mit einem Ruck abreißen. Das stimmt aber mit den Beobachtungen nicht überein. Die Kraft, um Teilchen einer Substanz zu trennen, ist am Anfang größer und wird immer kleiner, bis die Kugeln getrennt sind. Hier paßt besser das Bild zweier gekoppelter Magneten, die getrennt werden sollen.

Zur Verdeutlichung des Verhaltens von Teilchen muß der Chemiker einen großen Vorrat an Bildern oder Modellen zur Verfügung haben. Die Kunst liegt dann in der geeigneten Auswahl und der nützlichen Anwendung der Modelle. Ist kein geeignetes Modell zur Hand, dann ist es der Intuition des Chemikers überlassen, sich ein geeignetes Bild einfallen zu lassen. Hier schlägt der philosophische Ansatz in der Chemie wieder durch.