Astronomische Berechnungen für Amateure/ Himmelsmechanik/ Zeitgleichung

Bereits im Kapitel 2.2 haben wir von der Zeitgleichung gesprochen. Jetzt sind die Grundlagen gelegt, um diese Grösse präzise zu definieren:

Die wahre Sonnenzeit wird durch die Position der wahren Sonne S am Erdhimmel bestimmt. Sie bewegt sich unregelmässig auf der Ekliptik. Ihre Position kann durch verschiedene Grössen dargestellt werden: im rotierenden geozentrischen Äquatorsystem dienen Rektaszension α = (♈S) und Deklination δ = (SF) zur Positionsfestlegung, im festen geozentrischen Äquatorsystem Stundenwinkel τ und Deklination δ. Über die lokale Sternzeit θ sind die Koordinaten beiden Systeme miteinander verbunden:

Andererseits haben wir bereits in Kap. 4.6 den Zusammenhang zwischen dem Stundenwinkel τ und der wahren Ortszeit WOZ hergestellt:


Wahre und mittlere Sonne auf Ekliptik und Äquator

Eine andere Möglichkeit, die Position der wahren Sonne zu bestimmen, ist die entlang der Ekliptik vom Perigäum aus gemessene wahre Anomalie v = (PS) = λ + ϖ, mit λ der Länge der Sonne in der Ekliptik und ϖ = (♈P) der Länge des Perigäums.

Um die mittlere Ortszeit MOZ zu definieren, benötigen wir zwei Hilfssonnen: die erste (I) startet zeitgleich mit der wahren Sonne S im Perigäum (P) und läuft gleichmässig auf der Ekliptik so, dass sie nach einem Jahr zusammen mit der wahren Sonne wiederum das Perigäum erreicht. Ihre Position auf der Ekliptik wird durch die mittlere Anomalie M = (PI) auf der Ekliptik vom Perigäum aus oder ihre geozentrische, ekliptikale Länge λI = (♈I) gemessen.


Da die Ekliptik gegen den Äquator um den Winkel ε – die Schiefe der Ekliptik – geneigt ist, taugt die eben definierte Hilfssonne noch nicht, um ein gleichmässig ablaufendes Zeitmass festzulegen. Wir definieren darum eine zweite fiktive Hilfssonne (II), die zeitgleich mit der ersten im Schnittpunkt von Ekliptik und Äquator, dem Frühlingspunkt ♈, startet, und mit der gleichen Winkelgeschwindigkeit wie die erste Hilfssonne auf dem Äquator umläuft. Jeweils im Frühlings- und Herbstpunkt treffen sich die beiden Hilfssonnen. Ihre Position wird am besten durch die vom Frühlingspunkt ♈ aus gemessene Rektaszension αII = (♈II) beschrieben. Weil beide Hilfssonnen die gleiche Winkelgeschwindigkeit haben, gilt: (♈I) = (♈II) bzw. λI = αII.


Die zweite Hilfssonne ist nun diejenige, die das gleichmässig ablaufende Zeitmass MOZ definiert, und zwar über die Beziehung:


Damit finden wir für die Zeitgleichung:

und daraus

Wegen


entspricht der erste Teil der Zeitgleichung gerade dem negativen Wert der Mittelpunktsgleichung: damit wird also derjenige Teil der Zeitgleichung dargestellt, der auf die ungleichförmige Keplerbewegung zurückzuführen ist. Der Term λα berücksichtigt den Unterschied der Bewegung auf der Ekliptik und dem Äquator und heisst darum Reduktion auf den Äquator. Im rechtwinkligen sphärischen Dreieck ♈FS gilt die Beziehung


Diese Gleichung kann ähnlich wie die Mittelpunktsgleichung in eine Reihe entwickelt werden:


Zu einem ersten Zwischenresultat zusammengefasst ergibt sich damit

 

wobei alle Terme ab e3 bzw. tan6 (ε/2) weggelassen wurden. Dies ist gerechtfertigt, denn es ist: e ≈ ¹⁄₆₀ und ε ≈ 23.5°, also tan (ε/2) ≈ ¹⁄₅. Die Terme der Gleichung sind im Bogenmass.

Für die Interpretation der Zeitgleichung ist diese Form sehr günstig: die beiden dominanten Terme sind –2e∙sin(M) bzw. tan²(ε/2)∙sin(2λ). Der erste Term, der von der Mittelpunktsgleichung stammt, hat den Wert Null, falls M = 0 oder M = π ist, was im Perihel und im Aphel der Fall ist. Dieser Term hat eine Periode von einem Jahr. Der zweite Term, der von der Reduktion auf den Äquator stammt, hat den Wert Null, falls 2λ = 0 bzw. 2λ = π ist, was beim Durchgang durch den Frühlingspunkt, nach einem Vierteljahr, nach einem Halbjahr und nach drei Vierteljahren der Fall ist, also etwa zu den Zeiten von Frühlings-, Sommer-, Herbst- und Winterbeginn. Dieser Term hat eine Periode von einem halben Jahr. Weil die in der Gleichung vorkommenden Parameter e, ε und ϖ (s. auch weiter unten) über lange Zeit nicht konstant sind, bleibt die Zeitgleichung nicht konstant, sondern verändert sich.

Für die Berechnung ist die Form (A) der Zeitgleichung noch ungünstig. Wir formen sie deshalb noch weiter um: einerseits ist

Folglich

In der Gleichung (A) kommt diese Grösse als Argument des Sinus vor, weshalb wir den Term mit e² weglassen können:

was wir vereinfachen können:

Analog findet man:

Aus der Zeitgleichung in der Form (A) wird damit die Zwischenform:

M und λI hängen zusammen:


Da M nur als Argument von Winkelfunktionen vorkommt, ersetzen wir M durch λI – ϖ. Mit Hilfe der goniometrischen Formeln für sin(x + y), cos(x + y) und sin x + sin y erhalten wir schliesslich:

 


Für die Epoche J2000, also JD0 = 2451545.0, betragen die Werte der Parameter: e = 0.0167086, ε = 23° 26' 21.448", ϖ = 282.937348°. Damit erhält man für die Koeffizienten in den eckigen Klammern die Werte[1] –107.3 s; –428.6 s; 596.1 s; –2.1 s; 4.4 s; 19.3 s; –12.7 s. Damit erhält die Zeitgleichung für diesen Zeitpunkt die Gestalt (Koeffizienten in Zeitsekunden!)

 


Die mittlere Länge λI lässt sich dabei sehr einfach berechnen:

Dabei ist n die mittlere tägliche Bewegung der Sonne am Erdhimmel, t ein beliebiger Zeitpunkt im Laufe des Jahres 2000, t0 der Startzeitpunkt, also die Epoche J2000, und λ0 die mittlere Länge der Sonne zum Zeitpunkt der Epoche, also λ0 = 280.46646°.



Nachweis:

  1. umwandeln vom Bogenmass in Grad und dann in Stunden und schliesslich in Sekunden!