Wie mein Buch auf die Welt kommt/ Effekte des Mediums auf den Inhalt

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Was ein Buch (nicht) kann
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Innovations- und Substitutionsprozesse


Die Öffentlichkeit hat es also mit zwei Medien zu tun, mit dem gebundenen Buch und dem E-Book, zwei verschiedenen Formen des Archetypus Buch. Zentral ist die Erkenntnis, dass ein Buch ein Medium ist. Obwohl dieses Verständnis banal klingen mag, ist es unerwarteterweise ziemlich neu. Der deutsche Medienwissenschaftler Prof. Dr. Werner Faulstich weist in seinem Buch ,Grundwissen Medien‘ (2004) auf diesen Umstand hin: „Kurioserweise wird das Buch oft gar nicht als ein Medium begriffen, obwohl es eine explizite Buchwissenschaft bereits seit Mitte des 20. Jahrhunderts gibt [...]. Gleichwohl mutet seltsam an, dass es bis heute eine explizite Theorie des Buchs, als Medientheorie, noch nicht gibt, obwohl doch das Buch über Jahrhunderte als wichtigstes Kulturmedium weltweit seine Bedeutung hatte.”[1] Wenn man sich im konventionellen Kultur- und Wissenschaftsbetrieb mit dem Buch beschäftigt, gilt das Interesse hauptsächlich dem Inhalt und nur in geringem Maße der Frage, wie das Medium Buch durch die Art und Weise, wie es auftritt, den Inhalt beeinflusst und wie es durch unseren Umgang mit ihm unsere Wahrnehmung konditioniert.

Üblicherweise gehen wir davon aus, dass die Form keinen Einfluss auf den Inhalt hat. Ob Wasser aus einem Glas, einer Tasse oder einem Plastikbecher getrunken wird, hat keinen Einfluss auf die Flüssigkeit. Sie verändert ihre physikalische Zusammensetzung nicht. Diese Erkenntnis lässt sich aber nicht auf Medien übertragen. Zwei renommierte Philosophen des 20. Jahrhunderts beschäftigten sich mit den Fragen nach dem Verhältnis von Form und Inhalt und hatten großen Einfluss auf die Entwicklung der Medientheorie, weil sie einige fundamentale Konzepte und Methoden medientheoretischen Denkens vorbereiteten.

1964 formulierte der amerikanische Medientheoretiker Marshall McLuhan seine berühmte These ,Das Medium ist die Botschaft‘, nachdem er tiefgreifende Analysen über den Stellenwert der oralen Kultur und den des Buchdrucks angestellt und mit dem ,globalen Dorf‘ eine Metapher entwickelte hatte, um die zunehmende elektronische Vernetzung der Welt zu beschreiben. McLuhan nahm an, dass sich die speziellen Eigenschaften eines Mediums viel stärker auf die Gesellschaft auswirken als der übertragene Inhalt. Seine These illustrierte er am Beispiel der Glühlampe, die selbst keinen Inhalt hat, aber durch ihre Anwesenheit Räume schafft, die sonst nicht möglich wären.[2] Sie macht deutlich, dass das Medium die Botschaft ist, weil das Medium selbst die Wahrnehmung jedes einzelnen Menschen wie auch die Entwicklungsmöglichkeiten und die Form des gesellschaftlichen Lebens bestimmt und verändert. Während man unter einem Medium üblicherweise einen Informationsträger wie Fernsehen, Internet oder Buch versteht, umfasst er nach McLuhan viel mehr. Er begreift Medien als funktionale Erweiterungen unseres Körpers. Der deutsche Philosoph Mike Sandbothe greift diesen anthropomorphen Ansatz, bei dem Medien Werkzeugcharakter zugeschrieben wird, auf und interpretiert Medien als „Instrumente zur Veränderung der Wirklichkeit”.[3] McLuhans globaler Medienbegriff konnte sich in der Medienwissenschaft nicht durchsetzen, weil zum einen einige Kritikerinnen/Kritiker jede Art von Anthropomorphismus bei technischen Errungenschaften bekämpfen und zum anderen die Organersatztheorie hinterfragen, da Individuen nicht in der Lage seien, unsere komplexe mediale Wirklichkeit zu steuern.[4]

1967 proklamierte Jacques Derrida, der französische Philosoph, die Beobachtung: „Es gibt kein Außerhalb des Textes (il n'y a pas de hors-texte).”[5] Nach der deutschen Kulturwissenschaftlerin Mercedes Bunz heißt dies: „Ein Text schöpft keine Bedeutung aus einer hinter ihm stehenden Wirklichkeit, auf die er verweist. Er steht mit ihr vielmehr in einem untrennbaren Beziehungsgefüge, einem Gefüge, das offen gelegt werden kann.”[6] Derrida weist darauf hin, dass niemand dieses Gefüge verlassen kann, um einen neutralen Beobachtungsstandpunkt einzunehmen. Die Welt, in der wir leben, ist die Welt der Sprache, da alles Wissen, Denken und Begreifen sich in sprachlichen Strukturen vollzieht. Wir denken, sprechen, schreiben und erschließen uns die Welt unter Nutzung von sprachlichen Strukturen.[7]

Die mehrmalige Verwendung des Begriffs Medium im obigen Abschnitt führt uns zur Frage, was man darunter versteht. Der Duden[8] beschreibt Medium als ein „vermittelndes Element". Rehm definiert Medien als „Kommunikationsmittel zur Verbreitung von Wissen [...] durch Zeichen und Bilder, Rede, Druck [...].”[9] Bei Anwendung des Begriffs in diesem Sinne fallen ganz verschiedene Arten darunter: Menschen genauso wie Zeitungen und Bücher, aber auch Telefon, Fernsehen, E-Mails oder Facebook. Aufgrund der zunehmenden gesellschaftlichen Bedeutung sind Medien Gegenstand verschiedener Wissenschaften. Ihre fachspezifische Herangehensweise an das gemeinsame Objektfeld ,Medien‘ führt fast zwangsläufig zu einem eigenen Modell des Medienbegriffs.[10]

Der deutsche Medienwissenschaftler Knut Hickethier identifiziert vier verschiedene Wissenschaftsbereiche, die sich mit Medien beschäftigen und sie zu ihrem Thema machen.[11] 1. Wissenschaften, die Medien als Bausteine für ihre übergeordneten Theorien benötigen: Soziologie, Politologie und Philosophie. 2. Wissenschaften, denen Medien Material für ihre Problemstellungen liefern: Psychologie, Pädagogik oder Rechtswissenschaft. 3. Wissenschaften, die sich mit Medien auseinandersetzen, weil ihr eigentlicher Gegenstand von Medien zum Gegenstand gemacht wurde: Kunst-, Musik-, Theater- und Literaturwissenschaft. 4. Wissenschaften, welche die Medien zu ihrem zentralen Thema machen: Medienwissenschaft, Publizistik- und Kommunikationswissenschaft.

Bisher gibt es noch keine einheitliche Definition für Medien, welche die Forschungsarbeit und den Austausch erleichtern würde. Hickethier geht von einem Medienbegriff aus, welcher die Kommunikation in den Vordergrund stellt: „Kommunikation bedient sich immer eines Mediums. Die Menschen, die miteinander kommunizieren, verwenden dabei Zeichen, die mit Bedeutungen in Verbindung stehen. Kommunikation ist Voraussetzung dafür, dass Menschen Vorstellungen erzeugen und Wissen entsteht.”[12]

Es gab verschiedene Versuche, Struktur in die Bandbreite des Begriffs zu bringen. So untersuchte zum Beispiel der deutsche Publizistikwissenschaftler Harry Pross die Medien auf den Grad der Technisierung, welcher beim Senden und Empfangen der Information betrieben wird. 1972 stellte er die klassische Einteilung in drei Mediengruppen vor.[13] Diese wurde 1997 vom deutschen Kommunikationswissenschaftler Manfred Faßler durch quartäre Medien ergänzt, wobei er besonders auf die zunehmende Auflösung der Bedeutung räumlicher und zeitlicher Abstände hinwies:[14]

  • Primärmedien: Es sind die Menschen selbst. Sie benützen Sprache und Gesten, um Informationen und Gefühle zu übertragen. Weder auf der Sender- noch auf der Empfängerseite ist ein technisches Gerät notwendig.
  • Sekundärmedien: Bei diesen benötigt der Medienhersteller technisches Gerät für die Erstellung und Verbreitung von Inhalten.
  • Tertiärmedien: Sowohl Medienhersteller als auch Mediennutzer brauchen technisches Gerät, um Informationen zu senden oder zu empfangen.
  • Quartärmedien: Wie bei den Tertiärmedien benötigen sowohl Sender als auch Empfänger technisches Gerät, allerdings mit dem Unterschied, dass die Inhalte digital vorliegen, eine Verbindung mit dem Internet bedingen und nicht unbedingt auf Kommunikation mit großen Gruppen aus sind.


Darst. 3: Medieneinteilung nach Harry Pross und Manfred Faßler[15]

Primärmedien Sekundärmedien Tertiärmedien Quartärmedien
Sender keine Medientechnik benötigt Medientechnik benötigt Medientechnik benötigt Medientechnik
Empfänger keine Medientechnik keine Medientechnik benötigt Medientechnik benötigt Medientechnik
Beispiel Sprache, Gesten Zeitungen, Bücher Film, Telefon, Fernsehen digitale Datei z.B. EPUB, JPEG, HTML, MP3

Der österreichische Medienphilosoph Frank Hartmann wirft in diesem Zusammenhang der Medientheorie Versagen vor. Sie könne ihre Zusicherung, kulturelle Kommunikation zu erklären, bisher nicht erfüllen und liefere nur Symptombeschreibungen oder leere Begriffsspielereien. Weil die meisten medientheoretischen Ansätze ihren Fokus auf das Subjekt oder die Gesellschaft legten, würden variable technische Gegebenheiten und besondere Medienleistungen, wie Umwandlung und Weitergabe, nachrangig behandelt und somit in ihren Aus- und Rückwirkungen auf Technik und Kultur unterschätzt.[16]

Diese Fixiertheit, sich mit Medien unter einem bestimmten Blickwinkel auseinanderzusetzen, stößt schon früher auf Widerstand. Erwin Panofsky schlug zum Beispiel die ,ikonologische Analyse‘ als neue Methode der Bildbetrachtung vor. Mit ,Kommunikologie‘ bezeichnete Vilém Flusser seine Theorie menschlicher Kommunikation, bei der er untersucht, wie über den kommu­nika­tiven Prozess Infor­mati­onen gespei­chert, verän­dert und weiter­verteilt werden. Der Franzose Régis Debray entwickelte mit der ,Mediologie‘ eine interdisziplinäre Wissenschaftstheorie, die untersuchen will, welche Technologien, welche historischen Bedingungen und welche kulturellen Praktiken der Medien die Grundlage für die Wirklichkeit bilden. „Der Ansatz des mediologischen Geistes besteht nun darin, den Finger auf die Überschneidungen zwischen intellektuellem, materiellem und sozialem Leben zu legen und diese allzu gut geschmierten Scharniere zum Quietschen zu bringen.”[17]

Bruno Latour versteht im Kontext einer Akteur-Netzwerk-Theorie auch Dinge als handelnde Akteure, die zusammen mit menschlichen Akteuren in netzwerkartigen Handlungszusammenhängen agieren und so mit diesen zu Aktanten verschmelzen. Ein einfaches Beispiel dafür ist der Aktant ,Mensch-Pistole‘, der aus dem Zusammenwirken der beiden Einzelakteure Pistole und Mensch entsteht und nicht auf einen dieser beiden Akteure reduziert werden kann. Die Akteur-Netzwerk-Theorie geht davon aus, dass sich Technik, Natur und das Soziale in einem Netzwerk wechselseitig Eigenschaften und Handlungspotentiale zuschreiben. „Ein Aktant ist somit die Summe all dessen, was einen Sachverhalt dahingehend bewegt, was eine Situation verändert.”[18]

Quellen

  1. Faulstich 2004, S. 130, zitiert bei Rautenberg 2010, S. 40
  2. Vgl. McLuhan 1994, S. 8
  3. Sandbothe 2003, o. S.
  4. Vgl. Panke 2011, o. S.
  5. Bunz 2006, S. 8
  6. Bunz 2006, S. 10
  7. Vgl. Panke 2011, o. S.
  8. Duden o. J., o. S.
  9. Rehm 1991, S. 191
  10. Vgl. Heller u.a. 2000, S. 35 zit. bei Hickethier 2003, S. 5
  11. Vgl. Hickethier 2003, S. 5-6
  12. Hickethier 2003, S. 20
  13. Vgl. Künzler 2013, S. 15
  14. Vgl. GiB 2013, o. S.
  15. eigene Zusammenstellung, Quelle: Wetzlmaier 2010, o. S.
  16. Vgl. Hartmann 2003, o. S.
  17. Debray 2004, S. 73
  18. Friedrich 2013, o. S.