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Musterzeichner – Ein neuer Beruf


Aus den Erinnerungen eines Meisterzeichners: »Der Rat meines Verwandten hat mein Leben glücklich gestaltet; noch heute, im Rückblick darauf, muss ich mir sagen, einen meinen innersten Neigungen und Fähigkeiten entsprechenderen Beruf hätte ich nicht wählen können«.

»Eine verdienstbringende Zeit brach in Deutschland an«, schrieb Bötticher. Der Sieg über Frankreich, die Reichsgründung, die französischen Milliarden Reparationen führten zum Aufschwung der Gründerjahre. Deutschland profitierte auch von den ausgewiesenen Spitzenkräften in vielen Bereichen.

Der erste, der den Musterzeichner-Beruf literarisch würdigte, war Cornelius Gurlitt (Nischwitz 1850–1938 Dresden).

Der kinderlose Großonkel Georg Böttichers, der sächsischer Kommerzienrat, angesehenes Mitglied der Freimaurerloge Dresden und Vorsteher des Freimaurerinstitutes in Dresden-Friedrichstadt, Dr. Franz Ludwig Runde (Klosterfelde b. Sangershausen (1791–1868/69 Dresden) und dessen Frau Caroline Henriette (1791–1868), Schwester von Ferdinand Hand, nahmen den damals den Sechsjährigen auf und sorgten für seine exzellente schulische Bildung. Ein Berliner Verwandter, Professor Dr. Karl Gottfried Bötticher (Nordhausen 1806–1889 Berlin), Architekt, Kunsthistoriker und Archäologe, erkannte die künstlerische Neigung seines Neffen.

Als Architekt und begabter Zeichner für Ornamentik erhielt dieser von Friedrich Schinkel (Neuruppin 1781–1841 Berlin) 1830 als Zeichner und Lithograph den Auftrag zum Musterbuch: Vorbilder für Fabrikanten und Handwerker. Darin spielte das Flachmuster bereits eine wichtige Rolle.

Da das Geld für ein Kunststudium noch dazu mit ungewissen Berufsaussichten für seinen 16-jährigen Neffen fehlte, ermunterte er ihn sich auf den neu entstandenen Beruf des Musterzeichners zu bewerben. Dazu besuchte Georg Bötticher das Dresdner Polytechnikum, die spätere Kunstgewerbeschule bis 1866, Abteilung Kunstgewerbliches Zeichnen. Hier studiert er bis 1967. Georg Bötticher war ihm zeitlebens dankbar für diese Anregung, die Unterstützung, den Weitblick und die Umsicht sowie dessen professoralen Verbindungen, wodurch er ihn zu jener Zeit erfolgreich auf einen neu heraus gebildeten Berufszweig, nämlich den des Musterzeichners, hatte aufmerksam machen können. Wie neu dieser Ausbildungsberuf war, davon zeugt ein Aufsatz Was ist ein Musterzeichner in der Gartenlaube ca. 1863. Bis dahin bezogen alle deutschen Fabrikanten ihre Fachkräfte aus Frankreich.

Bötticher zog in das Dresdener Polytechnikum. Sein Lehrer war u. a. der Maler und Bildhauer Prof. Wentzel, abgelöst von den Professoren Krumbholz und Heine. Daneben belegte er Französisch.

Professor Krumbholz, einer seiner maßgeblichen Dozenten, ein in Paris geschulter und begabter Blumenmaler, der Stilisierung und der Ornamentik unterrichtete, war 1863 an das Dresdener Polytechnikum zurückgekehrt. Er hatte 1844–1847 in Paris mit dem berühmten Dessinateur Eduard Müller, genannt »Blumenmüller«, zusammen für Pariser und Lyoner Fabriken gearbeitet. Nach vier Jahren in Deutschland ging er nach England. Danach arbeitete er sieben weitere Jahre in Paris (1854–1861). Sein naturalistischer Stil prägte auch Bötticher während seiner dreijährigen Ausbildung bei ihm. Georg Bötticher war einer seiner begabtesten Schüler. Und er wird ihn auch zu einem Parisaufenthalt für sein berufliches Weiterkommen ermuntert haben.

Danach wollte der umsichtige Großonkel Böttichers ihn zum Webfabrikanten in Chemnitz weiterbilden lassen. Dort waren schon damals zahlreiche Möbelstofffabrikanten ansässig. Bötticher blieb anderthalb Jahre an dieser Schule und schloss ein halbjähriges Volontariat in einer Webwarenfabrik an. Hier webte er Möbel- und Kleiderstoffe selbst. Er lernte u. a. an Jacquardmaschinen. An ihnen entstanden seine gemusterten Stoffe mittels durchlochter Pappkarten. Die Industrie brauchte hunderte von sogenannten Kartenschlägern. Doch aus Bötticher würde »im Lebtag kein Weber werden« versicherte man dem Großonkel.

Dr. Runde finanzierte Bötticher schließlich den Umzug nach Dresden. Dort besuchte er noch ein halbes Jahr die Abteilung der Musterzeichner am Polytechnikum.

Es entstanden erste kleine Kompositionen zu Flachmuster-Entwürfen, die vorrangig in Gewerbehalle publiziert wurden. Infolge der Veröffentlichungen erhielt der junge Bötticher die ersten Aufträge von Fabrikanten. Einer der ersten war der sehr kunstsinnige Tapetenfabrikant Karl Friedrich Ludwig Herting in Einbeck.

Herting Einbeck b. Hannover nennt sich noch heute die »Stadt der Tapeten«. Karl Friedrich Ludwig Herting, (Holzminden 1803–1879 Einbeck), war ausgebildeter Weißbinder, Malermeister, und Dekorationsmaler auch für den fürstlichen Hof, der ihn 1888 zum Kommerzienrat machte. Seine ersten Samt-Velourtapeten nach französischem Vorbild brachten ihm bei der Weltausstellung in London 1860 eine Medaille ein. Mit Ehrgeiz schuf er schließlich sogenannte Perlmutt-Tapeten, womit er Paul Balin in Paris mit seinen »Estampe«-Tapeten-Goldprägedrucken überflügelte. Seine Produkte waren europaweit sehr gut zu verkaufen. Dennoch musste er 1878 die Firma liquidieren. Für ihn entwarf Bötticher in den folgenden Jahren immer wieder Tapetenmuster. Neben Bötticher arbeitete u. a. auch der Pariser Blumenmaler Dumont für ihn.

Die künstlerischen Entwürfe wurden in der Stecherei umgesetzt. Dem überaus kunstliebenden Herting fiel das oft sehr schwer, denn er sah die Entwürfe als Kunstwerke, die Musterzeichner als Künstler im Sinne von Designern.

Bötticher hatte zunächst wie alle Kollegen von der Natur gelernt. Besonders plastische Tromp l’oeil-Blumen, -Blütengirlanden und ähnliche Muster wurden verlangt. Darin waren gerade die französischen Ateliers meisterhaft.

In Deutschland änderten sich Vorlieben hin zu Flachmustern, geometrischeren Mustern, etwa Flechtwerken, Bänderoptiken, Mäandern und ähnlichem. Dies hatte Bötticher nicht nur erkannt, er war einer derjenigen, der diesen Trend ab 1870 verstärkt aufbrachte. Es erstaunte Bötticher damals, dass er als einer der wenigen Fachleute die Muster vergangener Epochen studiert hatte, die Muster der Papiertapeten der letzten 100 bis 150 Jahre wirklich kannte, nicht zuletzt durch die weitreichenden Kontakte seiner Familie, insbesondere seines Berliner Onkels, Professor Dr. Karl Gottfried Bötticher.