Autorin: Dorothea Heilmann

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Notwendiges Vorwissen: Verfassungsorgane

Lernziel: Staatsorgan Bundespräsident:in im Verfassungsgefüge abgrenzen; Funktionen, Rechte und Pflichten bestimmen; Wahl und Anklage Bundespäsident:in verstehen


A. Bundespräsident:in als Staatsoberhaupt

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Der:Die Bundespräsident:in[1] ist das Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland mit erstem Amtssitz in Berlin und zweitem Amtssitz in Bonn. Die Rolle als Staatsoberhaupt im Verfassungsgefüge ergibt sich zwar nicht explizit aus dem Grundgesetz, folgt zum einen aber aus den einschlägigen Beratungen des Parlamentarischen Rates[2] und lässt sich zum anderen in gewisser Weise auch aus dem Grundgesetz selbst erschließen. Jedenfalls haben Bundespräsident:innen des Grundgesetzes eine Reihe verfassungsrechtlicher Befugnisse, die fast in allen Verfassungen der Welt dem Staatsoberhaupt zugeschrieben werden.[3] Als oberstes Verfassungsorgan repräsentieren Bundespräsident:innen die Einheit des Staates (geistig-moralische Wirkung[4]). Über diese repräsentative Rolle hinaus weist den Bundespräsident:innen das Grundgesetz im internationalen Vergleich aber nur geringe politische Kompetenzen zu. Im Sinne der gängigen Klassifizierungen der Allgemeinen Staatslehre sind Bundespräsident:innen daher zwar unter die Staatsoberhäupter, aber lediglich unter die unselbstständigen[5] Staatsoberhäupter einzuordnen.[6]

Beispiel: Weitere Beispiele sind etwa der:die US-Präsident:in oder der:die Präsident:in der 5. Französischen Republik.[7]

Die Regelungen zu den Funktionen, Rechten und Pflichten sowie zur Wahl finden sich u.a. in den Art. 54 ff. GG, welche im Folgenden näher beleuchtet werden.

B. Funktionen

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Die Regelungen zum:zur Bundespräsident:in beginnen im V. Abschnitt des Grundgesetzes mit Art. 54 GG. Anders als bei den übrigen obersten Verfassungsorganen findet sich in den Art. 54 ff. GG kein einleitender Artikel, in dem durch eine Skizzierung der Aufgaben (vgl. Art. 50 GG für den Bundesrat, vgl. Art. 62 GG für die Bundesregierung) eine kurze, schlagwortartige Beschreibung des betreffenden Verfassungsorgans versucht wird. Aus der Zusammenschau der dort genannten Artikel lassen sich aber im Wesentlichen drei Hauptfunktionen ableiten: die Repräsentativfunktion, die Beurkundungsfunktion und die sog. Reservefunktion.

I. Repräsentativfunktion

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Die Repräsentativfunktion von Bundespräsident:innen ist nicht nur im Sinne einer Teilnahme an Festessen und Stehempfängen zu verstehen, sondern weitaus tiefgehender. Bundespräsident:innen verkörpern den wichtigsten Gedanken, den es in einem modernen Staat überhaupt zu repräsentieren gibt: den der Existenz, der Legitimität und der Einheit des Staates.[8]

1. Staatsoberhaupt und völkerrechtliche Vertretung

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Als Staatsoberhaupt von Deutschland tritt der:die Bundespräsident:in in der Öffentlichkeit als Stellvertreter:in des „Bundes“ auf und verkörpert damit den Staat als einheitliches Gemeinwesen.[9] Die missverständliche Formulierung („des Bundes“) soll jedoch die Bundesrepublik Deutschland in ihrer Gesamtheit beschreiben und somit auch die Länder umfassen. Bundespräsident:innen vertreten Deutschland dabei im Inland („Staatspflege“) und im Ausland (völkerrechtliche Vertretung, Art. 59 I 1 GG). Sie agieren hierbei als integrierendes, die Einheit des Staates und des Volkes repräsentierendes Organ und schaffen so auch Vertrauen der Bürger:innen in den Bundesstaat als Rechtsstaat.[10]

a) „Staatspflege“
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Die innerstaatlichen (Vertretungs-)Aufgaben, vor allem die Bestimmung der Staatssymbole, die Erfüllung von Repräsentationspflichten, die Übernahme von Schirmherrschaften und Ansprachen, die Anordnung von Staatsakten und Staatsbegräbnissen lassen sich unter dem Begriff der „Staatspflege“ zusammenfassen. Für diesen sehr weit gefassten Bereich existieren vielfach keine rechtlichen Vorgaben.

Die Bedeutung der Reden und Ansprachen von Bundespräsident:innen ist aber nicht zu unterschätzen, da sie damit die Öffentlichkeit, die Regierung, die Parteien und Vereine auf ein Thema aufmerksam machen können. Bekannt sein dürfte in diesem Zusammenhang die jährliche Weihnachts- oder Osteransprache, aber auch Reden zu Gedenktagen.[11]

Neuerdings finden auch Gespräche mit den Bürger:innen über social media statt.

Beispiel: So trifft sich etwa Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier seit dem 11.12.2020 regelmäßig mit sieben Bürger:innen zur sog. „Bürgerlage“. Im Livestream spricht er mit ihnen über ihre aktuelle Lage in der Pandemie und ihre Sicht auf die weiteren Entwicklungen im Land. Zuhörende haben dabei die Möglichkeit, Fragen in die Diskussionsrunde hineinzugeben.

b) Vertretung im Ausland
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Zu den Vertretungsaufgaben im Zusammenhang mit dem Ausland zählen Besuche in andere Länder oder der Empfang von Staatsgäst:innen aus dem Ausland. Hervorzuheben ist die Position im Hinblick auf Verträge, die mit dem Ausland geschlossen werden, da hierfür die Unterzeichnung der Bundespräsident:innen erforderlich ist, Art. 59 I 2 GG. Bundespräsident:innen empfangen Botschafter:innen aus dem Ausland, Art. 59 I 2 GG („empfängt die Gesandten“). Diese können erst nach einer offiziellen Zulassung durch Bundespräsident:innen als Botschafter:innen in Deutschland tätig sein, Art. 59 I 2 GG („beglaubigt [...] die Gesandten“).

2. Ordensverleihungen

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Auch vertreten Bundespräsident:innen ganz Deutschland, wenn sie Personen als Anerkennung und Ehrung im Namen von Deutschland das Bundes-Verdienstkreuz verleihen. Im Jahr 2020 wurden insgesamt 1250 Personen ausgezeichnet.[12]

Beispiel: So zeichnete Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier jüngst am 7.6.2021 in Schloss Bellevue unter dem Motto „Natur – Umwelt – Klimaschutz“ drei Frauen und drei Männer für ihr herausragendes Engagement mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland aus. Die Geehrten engagieren sich für Natur-, Umwelt- und Klimaschutz, sie schützen bedrohte Lebensräume und setzen sich für den Erhalt der Biodiversität ein.

3. Begnadigungen

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Nach Art. 60 II GG üben Bundespräsident:innen das Begnadigungsrecht aus. Das bedeutet, sie sind befugt, die strafrechtlichen oder die beamt:innen- und versorgungsrechtlichen Folgen eines einzelnen Straf- oder Disziplinarurteils zu beseitigen oder zu mildern. Nicht davon umfasst ist die sogenannte Amnestie, also das Herabsetzen oder Erlassen von Strafen in einer generell bezeichneten Zahl von Fällen. Diese Möglichkeit würde aber grundsätzlich bestehen, wenn der Deutsche Bundestag unter Mitwirkung des Bundesrates ein entsprechendes Gesetz beschließen würde.

Zu beachten ist, dass das Begnadigungsrecht der Bundespräsident:innen nicht für den Bereich der Länder gilt (Föderalismus). Dementsprechend sind sie nur bei bestimmten Strafverfahren, für die die erstinstanzliche Zuständigkeit von Bundesgerichten begründet ist, für einen Gnadenerweis zuständig.

Beispiel: Dies ist zum Beispiel bei den sogenannten Staatsschutzdelikten (wie Spionage oder Terrorismus) der Fall.

Bundespräsident:innen üben auch das Disziplinargnadenrecht bei der disziplinarischen Ahndung von Dienstvergehen von Bundesbeamt:innen, Bundesrichter:innen und Soldat:innen aus. Jedoch liegt die Gnadenkompetenz für strafgerichtliche Verurteilungen und Disziplinarfälle in der Regel bei dem Land, dessen Gericht erstinstanzlich die Strafe verhängt hat bzw. das die Disziplinargewalt über die Landesbeamt:innen ausübt.

Weiterführendes Wissen

Da eine Vielzahl an Gnadenverfahren durchzuführen ist, hat der Bundespräsident von der durch Art. 60 III GG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht und die Gnadenbefugnis teilweise auf andere Stellen (des Bundes) delegiert.

II. Beurkundungsfunktion

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1. Ausfertigung von Gesetzen

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Bundespräsident:innen sind auch in das Gesetzgebungsverfahren integriert. Die nach den Vorschriften des Grundgesetzes zustande gekommenen Gesetze (insbesondere Art. 76 ff. GG[13]) werden von den Bundespräsident:innen nach Gegenzeichnung ausgefertigt (unterzeichnet) und im Bundesgesetzblatt verkündet, Art. 82 I 1 GG. Die Gegenzeichnung erfolgt durch beteiligte Bundesminister:innen und/oder den:die Bundeskanzler:in, Art. 58 GG. Diese Thematik ist nicht ganz unumstritten und wird im Folgenden auch nochmal näher beleuchtet.

2. Mitwirkung bei der Regierungsbildung

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Der:die Bundespräsident:in wirkt nach dem Grundgesetz bei der Regierungsbildung mit, indem er:sie dem Bundestag eine:n Bundeskanzler:in zur Wahl vorschlägt (Artikel 63 I GG) und diese Person ernennt (Artikel 63 II GG). Nach Art. 64 I GG werden auch Bundesminister:innen auf Vorschlag der:des Bundeskanzler:in von der:des Bundespräsident:in ernannt und entlassen.

3. Ernennung/Entlassung von Bundesbeamt:innen, Bundesrichter:innen und Soldat:innen

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Bundespräsident:innen ernennen zudem Bundesrichter:innen, Bundesbeamt:innen, Offizier:innen und Unteroffizier:innen, Art. 60 I GG. Nach Art. 60 III GG können Bundespräsident:innen wie schon beim Begnadigungsrecht von der Ermächtigung Gebrauch machen und diese Befugnisse auf andere Stellen übertragen.

Bundespräsident:innen vollziehen allerdings nur die Ernennung und Entlassung, die Personalhoheit richtet sich nach den jeweils einschlägigen Rechtsvorschriften des Grundgesetzes, des BVerfGG, des Bundesbeamtengesetzes (BBG), des Bundesministergesetzes (BMinG) oder des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen Staatssekretäre (ParlStG), sowie der einschlägigen Fachgesetze. Wenn Bundespräsident:innen nach diesen Vorschriften ein eigenes Recht zur Auswahl von Mitgliedern der zu besetzenden Institutionen zukommt, kann sie:er unabhängig eine personelle Auswahl treffen.[14] Unbestritten und auch unabhängig von der Personalhoheit ist ein Recht des:der Bundespräsident:in zu einer Rechtsprüfung dahingehend, ob die jeweiligen Kandidat:innen die gesetzlich vorgeschriebenen Ernennungs-/Entlassungsvoraussetzungen erfüllen.[15]

III. Reservefunktion

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Hervorzuheben ist die Reservefunktion der Bundespräsident:innen, demnach können diese in bestimmten staatsrechtlich bedeutsamen Situationen – etwa dem Vertrauensverlust des:der Bundeskanzler:in (Art. 68 GG) oder wenn sich eine Regierungsbildung nach der Bundestagswahl schwierig gestaltet – die Aufgabe zukommen, für bestimmte Verfahren die erforderliche Legitimität zu vermitteln.[16]

1. Auflösung Bundestag nach Vertrauensfrage

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Scheitert die Vertrauensfrage, so können Bundespräsident:innen den Bundestag auflösen (Art. 68 I GG).

2. Auflösung Bundestag nach gescheiterter Kanzler:innenwahl

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Art. 63 IV 2 und 3 GG besagt in Bezug auf die Bundeskanzler:innenwahl: „Vereinigt der Gewählte die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich, so muß der Bundespräsident ihn binnen sieben Tagen nach der Wahl ernennen. Erreicht die gewählte Person diese Mehrheit nicht, so hat der Bundespräsident binnen sieben Tagen entweder ihn zu ernennen oder den Bundestag aufzulösen.“ Folglich haben Bundespräsident:innen bei fehlender absoluter Mehrheit eines:einer vorgeschlagenen Kandidat:in die Möglichkeit entweder den:die mit einfacher Mehrheit gewählte Kandidat:in zu ernennen oder den Bundestag aufzulösen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass das Grundgesetz für den Bundestag kein Recht auf Selbstauflösung ohne Zustimmung des:der Bundespräsident:in vorsieht. Ihr:Ihm kommt daher auch im Rahmen der Regierungsbildung eine besondere Rolle zu. Neben den explizit im Grundgesetz genannten Optionen, steht den Bundespräsident:innen aber noch eine ungeschriebene Möglichkeit zur Verfügung. So können diese etwa für den Fall, dass eine Mehrheitsregierung nicht in Sicht scheint (woran sich die Frage des:der Bundeskanzler:in faktisch anschließt) und verbleibende Optionen ebenfalls nicht zur Wahl stehen, durch Gespräche mit den Vertreter:innen aller Parteien eine Regierungsbildung „erzwingen“ und so Neuwahlen verhindern.

Beispiel: So ist dies nach der Bundestagswahl im Jahr 2017 geschehen. Nach dem Scheitern der Sondierungsgespräche zwischen Unionsparteien, FDP und Grünen, lud der amtierende Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Vertreter:innen aller Parteien zu Gesprächen ein. Dabei gelang es ihm, die SPD zu Koalitionsgesprächen mit den Unionsparteien zu bewegen und schließlich auf dieser Grundlage doch noch eine Mehrheitsregierung zu bewirken. Mit Verweis auf seine Kompetenz, die Kandidat:innen für die Kanzler:innenschaft im Plenum des Bundestags vorzuschlagen, hätte Steinmeier jedoch ebenso eine Minderheitsregierung unter Führung der Unionsparteien forcieren können.

3. Erklärung des Gesetzgebungsnotstandes

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Wird der Bundestag nach Stellung der Vertrauensfrage nicht aufgelöst, können Bundespräsident:innen auf Antrag der Bundesregierung und mit Zustimmung des Bundesrates den Gesetzgebungsnotstand erklären (Art. 81 GG). Zwar wurde im Laufe der Geschichte die Vertrauensfrage wiederholt gestellt und das Vertrauen in einigen Fällen auch nicht ausgesprochen, jedoch wurde der Bundestag stets aufgelöst (1972, 1982, 2005). Der Gesetzgebungsnotstand wurde bislang noch nie erklärt, da eine Gesetzesvorlage noch nie als dringlich im Sinne des Art. 81 I 1 GG bezeichnet wurde. Sollte dies zukünftig geschehen, darf das Grundgesetz im Wege des Gesetzgebungsnotstandes allerdings weder geändert, noch ganz oder teilweise außer Kraft oder außer Anwendung gesetzt werden.[17]

4. Staatsaktdurchführung

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Per Anordnungen[18] sind Bundespräsident:innen befugt, Staatsakte durchzuführen, wie Staatsbegräbnisse, Trauerstaatsakte oder sonstige Staats- und Festakte.

Beispiel: So hatte Bundespräsident Joachim Gauck am 24.8.2016 einen Staatsakt für den verstorbenen Bundespräsidenten a. D. Walter Scheel angeordnet.

C. Rolle im Verfassungsgefüge

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Auch wenn Bundespräsident:innen in parlamentarischen Krisensituationen eine wichtige Rolle spielen können (sog. Reservefunktion), wird deren politische Kompetenz gemeinhin als eher gering bewertet, was insbesondere mit der Fokussierung dieses Amtes auf die repräsentativen Aufgaben begründet wird. Dementsprechend werden Bundespräsident:innen auch gerne mit „Staatsnotar:innen“ verglichen.[19] Zum Teil werden Bundespräsident:innen auch als pouvoir neutre, also als „neutrale Gewalt“ verstanden.[20] Der Auffassung von Carl Schmitt sind sie als „Hüter der Verfassung“[21] zu begreifen. Demnach lassen sich Bundespräsident:innen nicht den klassischen drei Gewalten zuordnen, sondern treten neben diese, vgl. Art. 1 III, 20 III GG.

Dies entspricht auch der Sichtweise der Verfassungsgeber:innen, welche das Amt des:der Bundespräsident:in aufgrund der Erfahrungen mit der Weimarer Reichsverfassung im Grundgesetz so konzipiert haben, dass dieses Amt keiner der drei klassischen Gewalten zuzuordnen sein soll. Als Verkörperung der Einheit des Staates ist dieses Amt vor allem auf eine geistig-moralische Wirkung angelegt, welche durch die Autorität und Würde des Amtes vermittelt wird. [22]

Beispiel: Beispielsweise hat wie bereits erwähnt der Bundespräsident Frank Walter Steinmeier im Jahr 2017 zur Regierungsbildung beigetragen, was gut zeigt, dass die Rolle der Bundespräsident:innen sich gerade nicht nur durch knappe Schlagworte zusammenfassen lässt, sondern immer von den Umständen und ihrer geistig-moralischen Wirkung abhängt.

D. Rechte und Pflichten

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Es stellt sich die Frage, ob sich aus den zuvor beschriebenen Funktionen der Bundespräsident:innen auch Rechte oder sogar Pflichten ergeben können. An dieser Stelle wird sich mit den besonders klausurrelevanten Punkten des Prüfungsrechts sowie dem Äußerungsrecht der Bundespräsident:innen befasst.

I. Prüfungsrecht/Ausfertigungsverweigerungsrecht

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Ob und inwiefern ein Prüfungsrecht des:der Bundespräsident:in angenommen werden kann, ist umstritten. Es werden hierbei das formelle und materielle Prüfungsrecht unterschieden, welche im Folgenden näher erörtert werden sollen. Da es in der Geschichte Deutschlands bereits acht Fälle gab, in denen der Bundespräsident Gesetze nicht ausgefertigt und verkündet hat[23], handelt es sich zu Recht um ein Standardproblem, was in Prüfungen gerne abgefragt wird. Die wesentlichen Argumente sollten daher unbedingt beherrscht werden. Die Frage des Prüfungsrechts kann sich nicht nur auf nationaler Ebene (Verfassungsrecht), sondern ebenso auf Unionsebene ergeben.

1. Prüfungsmaßstab: Verfassungsrecht

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a) Formelles Prüfungsrecht
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Weniger umstritten, ist die Frage, ob der:die Bundespräsident:in ein formelles Prüfungsrecht zusteht. Darunter ist das Recht zu verstehen, Gesetze auf ihre formelle Verfassungsmäßigkeit hin zu prüfen. Die formelle Verfassungsmäßigkeit fragt danach, ob die formalen Anforderungen an ein Gesetz eingehalten wurden und umfasst demnach die Gesetzgebungskompetenz, das Gesetzgebungsverfahren und die Gesetzgebungsform (Zuständigkeit/Verfahren/Form).[24]

Um die Frage zu beantworten, ob und inwiefern der:dem Bundespräsident:in ein formelles Prüfungsrecht zusteht, d.h., sie:er das Recht hat, die Ausfertigung eines Gesetzes zu verweigern, wenn sie:er der Meinung ist, das es den formalen Anforderungen (sinnvollerweise hinsichtlich Gesetzgebungskompetenz und -verfahren) nicht entspricht, kann auf verschiedene Auslegungsmethoden zurückgegriffen werden.

Historische Auslegung:

So hängt das Prüfungsrecht des:der Bundespräsident:in ganz maßgeblich von der Einordnung als oberstes Verfassungsorgan in der Bundesrepublik Deutschland ab. Unter Rückgriff auf die bereits zu Beginn dieses Kapitels erwähnte geschichtliche Entwicklung lässt sich diese eher verstehen. Nur nochmal kurz zusammengefasst: Der Parlamentarische Rat hatte nach den Erfahrungen der Weimarer Republik die Befugnisse des Präsidenten bewusst beschränkt. Der Reichspräsident, vom Volk auf sieben Jahre gewählt, hatte nach der Weimarer Verfassung eine bedeutende Machtfülle. Er konnte Grundrechte außer Kraft setzen und mit Notverordnungen regieren. Reichspräsident von Hindenburg hat diese Vollmachten in der Endphase der Weimarer Republik in unheilvoller Weise genutzt. Eine solche Macht sollte nach dem Willen der Verfassungsgeber:innen des Grundgesetzes nicht noch einmal in einer Hand liegen. Infolge dessen ist die Stellung des:der Bundespräsident:in vor allem repräsentativer Natur.[25] Daraus wird zum Teil abgeleitet, dass dem:der Bundespräsident:in nicht mal ein formelles Prüfungsrecht zustehen sollte.[26]

Wortlaut des Grundgesetzes:

Nach dem Wortlaut des Art. 82 I 1 GG ergibt sich, dass die „zustande gekommenen Gesetze [...] vom Bundespräsidenten [...] ausgefertigt“ werden. Der Begriff „Ausfertigung“ ist dabei als Beurkundung zu verstehen. Der:Die Bundespräsident:in unterzeichnet demnach das Gesetz und beurkundet damit, dass der Gesetzestext mit dem vom Bundestag beschlossenen Gesetzesinhalt übereinstimmt. Die Aufgabe des:der Bundespräsident:in bezieht sich dabei auf Parlamentsgesetze (mithin formelle Gesetze). Neben dieser Beurkundung der Authentizität des Gesetzes und für die Argumentation eines formellen Prüfungsrechts spricht aber vor allem die Tatsache, dass Art. 82 I 1 GG an die Vorgaben in Art. 78 GG („Ein vom Bundestage beschlossenes Gesetz kommt zustande...“) anknüpft. Dieser Artikel beschäftigt sich wiederum mit dem Zustandekommen von formellen Gesetzen und nimmt Bezug auf das Verfahren im Bundestag unter der Beteiligung des Bundesrates. Laut h.M. steht der:dem Bundespräsident:in also zumindest ein Prüfungsrecht in Bezug auf die Gesetzgebungskompetenz und das Gesetzgebungsverfahren zu.[27]

Systematik des Grundgesetzes:

Der Blick auf die vergleichsweise geringen ausdrücklich genannten Kompetenzen des:der Bundespräsident:in spiegelt die historisch bedingte restriktive Ausgestaltung dieses Organs wider. Auch wird argumentiert, dass es in der Prärogative des Bundestages liege, die formelle Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes einzuschätzen (Einschätzungsprärogative). Demgegenüber wird befürchtet, dass der:die Bundespräsident:in für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes ggf. nicht kompetent genug sei. Schließlich wird auch mit der in Deutschland bestehenden Gewaltenteilung (Art. 1 III, Art. 20 III GG) argumentiert, wonach lediglich das BVerfG für die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen zuständig ist. Würde der:die Bundespräsident:in Gesetze ebenfalls prüfen, würde es damit zu einer dem Grundgesetz widersprechenden Überschneidung der Gewalten kommen.[28]

Streitentscheid:

Es stehen sich damit Argumente gegenüber, die einen Streitentscheid erfordern. Die stärkeren Argumente ergeben sich auf der „Pro-Seite“, da insbesondere der Wortlaut des Grundgesetzes dem:der Bundespräsident:in eindeutig ein formelles Prüfungsrecht zuspricht, da ein formell verfassungswidriges Gesetz nicht nach den Vorschriften des Grundgesetzes „zustande kommt“. Zudem kann das Argument der Gewaltenteilung, also dass lediglich das BVerfG für die Prüfung von Gesetzen zuständig ist, an dieser Stelle damit ausgehebelt werden, dass zum einen in einer modernen Demokratie eine gewisse Gewaltenverzahnung durchaus verfassungsmäßig sein kann (vgl. konstruktives Misstrauensvotum im Bundestag), wenn dies in Form einer Gewaltenverschränkung geschieht (checks and balances). Als eine solche Gewaltenverschränkung ist das formelle Prüfungsrecht der:des Bundespräsident:in zu verstehen.[29] Zum anderen wird der:die Bundespräsident:in generell nicht der exekutiven Gewalt zugeordnet, da er:sie die Einheit des Staates verkörpert.

Ein formelles Prüfungsrecht wird dem:der Bundespräsident:in dementsprechend laut h.M. zugesprochen.[30]

Beispiel: Im Jahr 1991 hat sich beispielsweise Bundespräsident Richard von Weizsäcker geweigert, das Gesetz zur Privatisierung der Flugsicherung zu unterzeichnen, weil nach Art. 87 GG die „Luftverkehrsverwaltung in bundeseigener Verwaltung geführt“ wurde. Bundespräsident Horst Köhler unterschrieb im Oktober 2006 das Gesetz zur Neuregelung der Flugsicherung wegen Unvereinbarkeit mit Art. 87d I GG nicht. Im Dezember 2006 wies er das Verbraucherinformationsgesetz zurück, weil es aus seiner Sicht im Widerspruch zu Art. 84 I 7 GG stünde, der es im Ergebnis der Föderalismusreform verbietet, den Gemeinden durch Bundesgesetz Aufgaben zu übertragen.[31]

b) Materielles Prüfungsrecht
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Wesentlich umstrittener gestaltet sich jedoch die Frage, ob dem:der Bundespräsident:in ein materielles Prüfungsrecht zusteht. In der Prüfungssituation ist der Schwerpunkt daher hier zu setzen. Ein materielles Prüfungsrecht würde bedeuten, dass Bundespräsident:innen ein formelles Gesetz auch inhaltlich auf die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz überprüfen könnten und nicht nur auf die Prüfung der Gesetzgebungskompetenz und des Gesetzgebungsverfahrens (formelles Prüfungsrecht) beschränkt wären.

Historische Auslegung und Systematik des Grundgesetzes:

Dagegen wird wie auch schon bei dem formellen Prüfungsrecht das Prinzip der Gewaltenteilung vorgetragen. Demnach seien die drei Gewalten in Deutschland getrennt, um nicht ein Organ mit zu vielen Kompetenzen auszustatten und um so die Gefahr eines Machtmissbrauchs zu verhindern (vgl. historische Entwicklung). Damit zusammenhängend wird auch die Rolle des BVerfG und dessen Verwerfungsmonopol betont. Das BVerfG sei folglich das einzige Verfassungsorgan, welches formelle Gesetze überprüfen dürfe (vgl. Art. 93 I GG, Art. 100 GG). Es wird argumentiert, dass mit einem Verstoß gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz zugleich eine Rechtsunsicherheit einhergehen würde, da auf diese Weise zwei Staatsorgane in der Lage seien, über die Verfassungsmäßigkeit von formellen Gesetzen zu entscheiden. Die Rechtsunsicherheit ergebe sich daraus, dass deren Entscheidungsergebnisse möglicherweise divergieren könnten.[32]

Wortlaut und Systematik des Grundgesetzes:

Auf der anderen Seite wird maßgeblich mit dem Wortlaut des Art. 82 I 1 GG argumentiert. Der Artikel spricht ausdrücklich davon, dass der:die Bundespräsident:in die „nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes“ zustande gekommenen Gesetze ausfertigt. Bezieht man sich nicht nur auf das Wort „zustande gekommen“, sondern auf den Begriff „Vorschriften“, so seien darunter nicht nur die Gesetzgebungskompetenz und das Gesetzgebungsverfahren zu verstehen, sondern ebenso etwa die Grundrechte. Dies würde bedeuten, der:die Bundespräsident:in könnte Parlamentsgesetze auch insgesamt auf die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz prüfen und hätte damit auch ein materielles Prüfungsrecht.[33] Zudem binde Art. 20 III GG auch den:die Bundespräsident:in an Recht und Gesetz, sodass ein materielles Prüfungsrecht nur sachgerecht scheint.[34] So widerspräche es der verfassungsmäßigen Ordnung, wenn der:die Bundespräsident:in ein verfassungswidriges Gesetz ausfertige. Gerne wird auch Art. 56 GG als Argument herangezogen. Demnach leiste die:der Bundespräsident:in einen Amtseid, in dem er:sie schwört „das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes [zu] wahren und [zu] verteidigen“. Folglich könnten darunter nur Gesetze zu verstehen sein, die nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes zustande gekommen seien, woraus sich ein materielles Prüfungsrecht ergebe. Schließlich wird an dieser Stelle die Präsident:innenanklage genannt, Art. 61 GG. Danach kann die:der Bundespräsident:in wegen vorsätzlicher Verletzung des Grundgesetzes vor dem BVerfG angeklagt werden. Ohne ein materielles Prüfungsrecht könnte sich der:die Bundespräsident:in bei Ausfertigung eines verfassungswidrigen Gesetzes einer solchen Anklage ausgesetzt sehen.[35]

Teleologische Auslegung:

Zum Teil wird auch mit dem Sinn und Zweck argumentiert. So gehe mit der Rolle des:der Bundespräsident:in zugleich eine „Drohwirkung“ für den Bundestag/Bundesrat einher, indem sie:er nur verfassungsmäßige Gesetze ausfertige.[36] Diese „Drohwirkung“ ist entsprechend wirksamer, wenn Bundespräsident:innen ebenso ein materielles Prüfungsrecht zustehen würde.

Streitentscheid:

In Bezug auf ein materielles Prüfungsrecht stehen sich mehrere gewichtige Argumente gegenüber, sodass weder ein klares Für noch Wider überwiegt und ein Streitentscheid notwendig ist. Festzuhalten ist, dass die Pro-Argumente, die den Amtseid und die Präsident:innenanklage betreffen, einen Zirkelschluss darstellen und damit keine durchgreifenden Argumente bilden. Das bedeutet, die:der Bundespräsident:in ist laut dem Grundgesetz verpflichtet, das Grundgesetz zu wahren. Allerdings gilt dies nur im Rahmen der ihr:ihm ausdrücklich zugewiesenen Kompetenzen. Diese sind allerdings streitig und geben damit keinen Aufschluss darüber, welche Kompetenzen Bundespräsident:innen überhaupt zustehen (Zirkelschluss). Hingegen kann das Contra-Argument einer bestehenden Rechtsunsicherheit nicht greifen, da es bei der Gesetzesausfertigung (Art. 82 I 1 GG) durch Bundespräsident:innen nicht um die Durchführung von Gesetzen, sondern um den Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens geht. Da mangels Ausfertigung durch den:die Bundespräsident:in das Gesetz erst gar nicht in Kraft tritt, ist folglich auch mit keinerlei Rechtsunsicherheit zu rechnen. Dieses Argument kann auch in Bezug auf das Verhältnis zum BVerfG herangezogen werden. Da zwischen verschiedenen Momenten zu unterscheiden ist, behält das BVerfG weiterhin das Verwerfungsmonopol: Das Bundesverfassungsgericht verwirft in Kraft getretene Gesetze, Bundespräsident:innen verhindern bereits das Inkrafttreten von Gesetzen.[37] So verbleibt auch die Letztentscheidungskompetenz beim BVerfG wegen der daraufhin zu erwartenden Organklage, bei der das Gericht inzident das fragliche Gesetz prüft.[38] Dem Argument einer damit bestehenden mangelnden Gewaltenteilung ist (wie bereits im Rahmen des formellen Prüfungsrechts) entgegenzusetzen, dass der:die Bundespräsident:in generell nicht der exekutiven Gewalt zugeordnet wird, da er:sie die Einheit des Staates verkörpert. Zudem sind in modernen Demokratien Gewaltenverschränkungen im Sinne von checks and balances durchaus anerkannt.[39]

Laut h.M. steht dem:der Bundespräsident:in grds. ein materielles Prüfungsrecht zu, da er:sie nicht gezwungen werden soll, ein verfassungswidriges Gesetz sehenden Auges auszufertigen. Ist die:der Bundespräsident:in nach der Prüfung des Gesetzes also davon überzeugt, dass es mit der Verfassung nicht übereinstimmt, darf sie:er es nicht ausfertigen.[40]

Umstritten ist allerdings auch die Reichweite eines solchen materiellen Prüfungsrechts. Die h. M. beschränkt zu Recht das materielle Prüfungsrecht auf evidente Verfassungsverstöße. Demnach können Bundespräsident:innen nur in Fällen „offensichtlicher und schwerwiegender“ Verfassungsverstöße die Ausfertigung verweigern.[41] Diese Beschränkung wird mit der Autonomie des Parlaments begründet, da auch der Bundestag gemäß Art. 20 III 1 GG an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden und wegen seiner unmittelbaren demokratischen Legitimation vorrangig für den Inhalt eines Gesetzes verantwortlich sei („Einschätzungsvorrang“[42] des Parlaments).[43] Auch wird an dieser Stelle erneut auf die Rolle des Bundesverfassungsgerichts verwiesen, welches primär für die Überprüfung der Verfassungskonformität von Gesetzen zuständig sei („Verwerfungsmonopol“ des Bundesverfassungsgerichts). Einer anderen Ansicht nach sei Art. 82 II 1 GG aufgrund der umfassenden Bindungswirkung der Art. 20 III, 1 III GG so zu verstehen, dass die Norm Bundespräsident:innen nicht verpflichten kann, ein von ihm:ihr für verfassungswidrig gehaltenes Gesetz auszufertigen.[44] In der Konsequenz sei ein umfassendes materielles Prüfungsrecht der Bundespräsident:innen anzunehmen. Die restriktivere und h. A., also eine Beschränkung auf eine „Evidenzkontrolle“, vermag vor allem deshalb zu überzeugen, da Sie die Rolle des:der Bundespräsident:in ausreichend würdigt, diese aber nicht über Maß ausweitet. Im Ergebnis ist also entsprechend der herrschenden Meinung von einem auf eine Evidenzkontrolle beschränkten materiellen Prüfungsrecht der Bundespräsident:innen auszugehen.

2. Prüfungsmaßstab: Unionsrecht

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Da das Europarecht immer mehr in den Fokus rückt („Europäisierung des Rechts“), stellt sich die Frage, ob der:die Bundespräsident:in ein Prüfungsrecht in Bezug auf eben jenes hat oder lediglich auf das Verfassungsrecht beschränkt ist. Auch wenn bislang kein:e Bundespräsident:in ein solches für sich beansprucht hat, ist dieser bis dato theoretische Streit durchaus von Relevanz, da die Thematik bereits in Examensaufgaben gestellt wurde. Insbesondere im Zusammenhang mit der sog. Pkw-Maut und dem zugrundeliegenden Infrastrukturabgabengesetz stellte sich die Frage, ob der Bundespräsident Joachim Gauck die Ausfertigung und Verkündung mit Verweis auf das entgegenstehende Europarecht hätte verweigern können.[45]

Hierfür ist der Blick erneut auf Art. 82 I 1 GG zu richten, aber auch auf das Verhältnis des Grundgesetzes zum Unionsrecht. Art. 82 I 1 GG verweist dem Wortlaut nach auf die „Vorschriften dieses Grundgesetzes“. In der Literatur wird daher angenommen, dass das Unionsrecht damit nicht als Prüfungsmaßstab herangezogen werden dürfte. Weiter wird damit argumentiert, dass das Unionsrecht zwar einen Anwendungsvorrang genieße, jedoch gerade keinen Geltungsvorrang.[46]

Andererseits werden die Art. 23 I 1 GG, Art. 20 III GG sowie Art. 4 III EUV herangezogen. Zum einen wird vertreten, dass mit der Unterzeichnung eines unionswidrigen Gesetzes durch den:die Bundespräsident:in gegen die in Art. 23 I 1 GG verankerte Integrationsverpflichtung verstoßen würde. Zum anderen wird vorgetragen, dass damit ein Verstoß gegen die verfassungsmäßige Ordnung (Art. 20 III GG) - zu der auch das Unionsrecht zähle - einhergehe, da der:die Bundespräsident:in als Teil der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden sei. Schließlich spreche das in Art. 4 III EUV normierte Gebot des unionsfreundlichen Verhaltens für ein entsprechendes Prüfungsrecht der:des Bundespräsident:in, womit ein unmittelbarer unionsrechtlicher Grundsatz ins Feld geführt wird.[47]

Streitentscheid:

Ein unionsrechtliches Prüfungsrecht der:des Bundespräsident:in ist anzunehmen. Zwar besteht kein Verstoß gegen Art. 23 I 1 GG, wenn Bundespräsident:innen unionsrechtswidrige Gesetze erlassen würden. Ein solcher Verstoß wird erst dann angenommen, wenn das Integrationsziel insgesamt infrage gestellt werden würde. So geht die Integrationsverpflichtung nicht so weit, dass sie jeden Erlass eines unionsrechtswidrigen Gesetzes verbieten würde. Indem die „fehlende Prüfung der Bundespräsident:in“ das Integrationsziel in seiner Gesamtheit nicht in Frage stellt, besteht mithin kein Verstoß gegen Art. 23 I 1 GG.[48]

Beispiel: Als problematisch dürfte sich etwa ein Gesetz erweisen, dass den Austritt Deutschlands aus der EU beschließt, da hierdurch das Integrationsziel insgesamt gefährdet werden würde.[49]

Ebenso kann auch kein Verstoß gegen die verfassungsmäßige Ordnung (Art. 20 III GG) angenommen werden, denn dafür müsste es sich bei dem Unionsrecht überhaupt erst um einen Teil der verfassungsmäßigen Ordnung handeln. Dagegen spricht schon das Rangverhältnis zwischen nationalem Recht und Unionsrecht. Bei der Annahme des Unionsrechts als Teil der verfassungsmäßigen Ordnung i.S.d. Art. 20 III GG würde jedes unionsrechtswidrige Gesetz zugleich verfassungswidrig und damit nichtig sein. Das kann mit Blick auf den Anwendungsvorrang des Unionsrecht nicht gewollt sein (ein Geltungsvorrang wird gerade abgelehnt). Jedoch führt Art. 4 III EUV zu einem anderen Ergebnis. Das Gebot des unionsfreundlichen Verhaltens entspringt unmittelbar dem Primärrecht (Art. 4 III EUV) und gilt damit vorrangig vor nationalem Recht. Mit der Unterzeichnung eines unionsrechtswidrigen Gesetzes würde der:die Bundespräsident:in eine Maßnahme vornehmen, die er:sie gem. Art. 4 III EUV zu unterlassen hat, da sie die Verwirklichung der Ziele der Union gefährdet. Aus diesem Grund kann der:die Bundespräsident:in die Ausfertigung eines unionsrechtswidrigen Gesetzes verweigern.[50]

3. Politisches Prüfungsrecht

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Das Prüfungsrecht von Bundespräsident:innen ist laut Art. 82 I 1 GG allein auf einen verfassungsrechtlichen bzw. unionsrechtlichen Kontrollmaßstab beschränkt, sodass Einigkeit darüber herrscht, dass Bundespräsident:innen kein politisches Prüfungsrecht zusteht. Hiermit würde er:sie in unzulässiger Weise in die politische Staatsleitung eingreifen.[51]

II. Äußerungsrecht in Bezug auf politische Parteien

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Bundespräsident:innen haben neben der Wahrnehmung der durch die Verfassung ausdrücklich zugewiesenen Befugnisse kraft des Amtes insbesondere die Aufgabe, im Sinne der Integration des Gemeinwesens zu wirken. Wie sie diese Aufgabe konkret wahrnehmen, entscheiden sie grundsätzlich autonom. Da Bundespräsident:innen aber kaum „harte“ juristische Kompetenzen (Erlass von Gesetzen, Verordnungen, Einsatz der Exekutive o.Ä.) zustehen, sind sie vor allem auf die Wirkung ihres Wortes angewiesen. Insoweit ist in der Rechtsprechung des BVerfG anerkannt, dass aus der Repräsentations- und Integrationsaufgabe der Bundespräsident:in eine Äußerungsbefugnis resultiert (vgl. hierzu das Äußerungsrecht der Bundesregierung).

Als Repräsentant:in aller Deutschen ist der:die Bundespräsident:in aber gehalten, parteipolitisch neutral zu agieren und sich aus dem politischen Tagesgeschäft herauszuhalten. Dies gilt insbesondere mit Blick auf Wahlen, da diesbezüglich ein Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit aus Art. 21 I GG i.V.m. Art. 38 I GG (bzw. Art. 28 I GG bei Wahlen auf Landesebene) besteht. Dieses Recht kann insbesondere dadurch verletzt werden, dass Bundespräsident:innen zugunsten oder zulasten einer politischen Partei in den Wahlkampf eingreifen (unzulässige Wahlbeeinflussung). Ebenso kann eine Verletzung der Chancengleichheit durch die Kundgabe negativer Werturteile durch Bundespräsident:innen über die Ziele und Betätigungen der Partei erfolgen.[52] Gleichwohl unterliegt der:die Bundespräsident:in weniger strengen Bindungen als Regierungsmitglieder.[53] Die Verfassung setzt der Äußerungsbefugnis der Bundespräsident:in zwar Grenzen (vgl. Art. 1 III, 20 III GG). Aufgrund der besonderen Stellung im Verfassungsgefüge kommt Bundespräsident:innen nach der Rechtsprechung des BVerfG aber ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Einzelne Äußerungen des:der Bundespräsident:in können gerichtlich nur dann beanstandet werden, wenn sie:er mit ihnen unter evidenter Vernachlässigung ihrer Integrationsaufgabe und damit willkürlich Partei ergreift.[54]

Beispiel: Die Bezeichnung von NPD-Parteimitgliedern als „Spinner“ durch den Bundespräsidenten Gauck wurde vom BVerfG noch als zulässig erachtet.[55] Zwar handele es sich dabei um ein negatives Werturteil, welches isoliert betrachtet auch als diffamierend empfunden werden und auf eine unsachliche Ausgrenzung der so Bezeichneten hindeuten könne. Allerdings diene die Bezeichnung „Spinner“ hier als Sammelbegriff für Menschen, die die Geschichte nicht verstanden haben und, unbeeindruckt von den verheerenden Folgen des Nationalsozialismus, rechtsradikale - nationalistische und antidemokratische - Überzeugungen vertreten.

Zur Begründung für diese weniger strengen Neutralitätspflichten führt das Gericht an, dass Bundespräsident:innen nicht mit den politischen Parteien in direktem Wettbewerb stünden und dass ihnen keine Mittel zur Verfügung stünden, die es ihnen wie etwa der Bundesregierung ermöglichen, durch eine ausgreifende Informationspolitik auf die Meinungs- und Willensbildung des Volkes einzuwirken.[56] Zudem gehöre es auch nicht zu deren Befugnissen, die Öffentlichkeit regelmäßig über radikale Bestrebungen zu informieren oder über einen Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei (Art. 21 II GG) zu befinden.[57] Für Bundespräsident:innen gelten damit weniger strenge Neutralitätspflichten als für andere Staatsorgane.

Klausurtaktik

In der Klausur müsstet ihr, bevor ihr euch ganz konkret inhaltlich mit der Äußerung oder Handlung des:der Bundespräsident:in auseinandersetzt, zuerst herleiten, dass überhaupt die Pflicht besteht, sich politisch neutral zu verhalten.

Formulierungsbeispiel
„Zu den zu beachtenden Rechten des:der Bundespräsident:in gehört das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit aus Art. 21 I GG, soweit es um die Chancengleichheit bei Wahlen geht, in Verbindung mit Art. 38 I GG (bzw. Art. 28 I GG bei Wahlen auf Landesebene). Dieses Recht kann insbesondere dadurch verletzt werden, dass Staatsorgane zugunsten oder zulasten einer politischen Partei in den Wahlkampf eingreifen (unzulässige Wahlbeeinflussung). Gemäß Art. 20 II 1 GG geht alle Staatsgewalt vom Volke aus. Dementsprechend findet die politische Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen statt („von unten nach oben“). Daraus folgt für die Staatsorgane die Pflicht zur parteipolitischen Neutralität.[58]

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Eine Wahl des:der Bundespräsident:in erfolgt in der Bundesrepublik Deutschland seit 1949.

I. Wählbarkeit

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Aus Art. 54 I 2 GG ergibt sich, dass „jeder Deutsche, der das Wahlrecht zum Bundestage besitzt und das vierzigste Lebensjahr vollendet hat“ wählbar ist. Anknüpfungspunkt ist damit neben der Staatsangehörigkeit (Art. 116 I GG) und dem Alter einer Person auch deren Wahlrecht zum Bundestag. Über die Ermächtigungsnorm des Art. 54 VII GG gelangt man mithin zu den §§ 12 f. BWahlG.

II. Amtsdauer und Wiederwahl

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Aus Art. 54 II 1 GG ergibt sich, dass die Amtsdauer des:der Bundespräsident:in fünf Jahre beträgt. Eine Amtsdauer von fünf Jahren stellt eine kontinuierliche Staatsleitung sicher und vermeidet Überschneidungen mit der Bundestagswahl.[59]

Weiterführendes Wissen

Um zu erfahren, wie genau das Verfahren nach der Annahme der Wahl abläuft, lohnt ein Blick in § 10 BPräsWG.

Bei dem Amtsantritt leisten Bundespräsident:innen vor den versammelten Mitgliedern des Bundestages und des Bundesrates einen Amtseid (Art. 56 GG).

Eine einmalige Wiederwahl erklärt sich mit Blick auf die Geschichte von selbst, da eine zu starke Position der Bundespräsident:innen auf diese Weise verhindert werden soll, Art. 54 II 2 GG.

Das Amt endet mit Ablauf der fünf Jahre, durch Entscheidung des BVerfG (Art. 61 II GG), durch den Verlust der Wählbarkeit, durch Rücktritt oder Tod.

Beispiel: Rücktritte von Bundespräsidenten waren in der Vergangenheit keine Seltenheit: So trat Christian Wulff 2012 vorzeitig, Horst Köhler 2010 „mit sofortiger Wirkung“ nach nicht mal einjähriger Amtszeit oder Heinrich Lübke 1969 drei Monate vor Ende der regulären Amtszeit zurück. Die Gründe können vielfältigen Ursprungs sein, wie Äußerungen in den Medien, Vorwurf der Vorteilsnahme etc.[60]

Im Verteidigungsfall kann sich die Amtszeit des:der Bundespräsident:in wie bspw. auch im Fall von ablaufenden Wahlperioden des Bundestages verlängern. Die Amtszeit endet dann neun Monate nach Beendigung des Verteidigungsfalles, Art. 115h I 2 GG.

III. Ablauf (Rolle der Bundesversammlung)

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Gewählt werden Bundespräsident:innen nach Art. 54 I GG von der Bundesversammlung. Die Bundesversammlung ist die größte parlamentarische Versammlung der Bundesrepublik Deutschland, aber kein ständiges Organ. Sie tritt extra für die Wahl des:der Bundespräsident:in zusammen. Dies ist auch ihre einzige Aufgabe.[61] Sie wird von dem:der Präsident:in des Bundestages einberufen und tritt spätestens dreißig Tage vor Ablauf der Amtszeit des:der amtierenden Bundespräsident:in, bei vorzeitiger Beendigung spätestens dreißig Tage nach diesem Zeitpunkt zusammen, Art. 54 IV GG. Die Bundesversammlung besteht aus den Mitgliedern des Bundestages und einer gleichen Anzahl von Mitgliedern, die von den Volksvertretungen der Länder nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt werden, Art. 54 III GG. Gewählt ist die Person, welche die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder der Bundesversammlung erhält, wobei keine Diskussion über den:die Kandidat:in in der Bundesversammlung stattfindet.[62] Wird diese Mehrheit in zwei Wahlgängen nicht erreicht, so ist gewählt, wer in einem weiteren Wahlgang die meisten Stimmen auf sich vereinigt, Art. 54 VI GG.

Weiterführendes Wissen

Immer wieder wird die direkte Wahl durch das Volk diskutiert.[63] Das Amt des:der Bundespräsident:in erhielte damit eine eigene, vom Parlament unabhängige Legitimation. Stimmen, die sich gegen eine solche direkte Wahl stellen, tragen vor, dass die zuvor genannten Prinzipien bei der direkten Wahl der Bundespräsident:in außer Kraft gesetzt würden und zudem eine solche Wahl vom Grundgesetz nicht gewollt sei. Letzteres resultiert aus den geschichtlichen Erfahrungen und dementsprechenden Erwägungen der Schöpfer:innen des Grundgesetzes, um eine Schieflage zwischen hoher demokratischer Legitimation einerseits und vergleichsweise geringen Kompetenzzuweisungen andererseits zu vermeiden.[64]

IV. Auswirkungen des Amtes/Inkompatibilität

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Das Bundespräsident:innenamt ist mit der Ausübung bestimmter Funktionen/Tätigkeiten inkompatibel. Bundespräsident:innen dürfen weder der Regierung noch einer gesetzgebenden Körperschaft des Bundes oder eines Landes angehören, Art. 55 I GG. Sie dürfen dementsprechend weder Teil der Bundes- oder Landesregierung, des Bundestages oder Bundesrates, noch eines Landesparlaments sein.

Auch dürfen Bundespräsident:innen kein anderes besoldetes Amt, kein Gewerbe und keinen Beruf ausüben und weder der Leitung noch dem Aufsichtsrat eines auf Erwerb gerichteten Unternehmens angehören, Art. 55 II GG.

Zwar ergibt sich auch dem Grundgesetz selbst kein Verbot für Bundespräsident:innen innerhalb der Amtszeit zugleich in einer Partei aktiv zu sein, jedoch gebietet dies die Überparteilichkeit des Amtes. Alle bisherigen Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland haben daher traditionellerweise eine bestehende Parteimitgliedschaft ruhen lassen.

F. Anklage vor dem Bundesverfassungsgericht

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I. Verfahrensablauf

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Nach Art. 61 I 1 GG können der Bundestag oder der Bundesrat Bundespräsident:innen wegen vorsätzlicher Verletzung des Grundgesetzes oder eines anderen Bundesgesetzes vor dem BVerfG anklagen (Präsident:innenanklage). Bundespräsident:innen können demnach nicht aus beliebigen politischen Motiven abgesetzt werden, sondern lediglich wegen Verfassungs- bzw. Gesetzesverletzung in einem dem Strafprozess nachgebildeten Verfahren vor dem BVerfG.[65] Dem Wortlaut entsprechend kann die Verletzung des Grundgesetzes sowie die Verletzung eines von Bundestag und Bundesrat, eines im Gesetzgebungsnotstand nach Art. 81 GG vom Bundesrat und eines im Verteidigungsfall vom Gemeinsamen Ausschuss beider Häuser erlassenen Gesetzes die Präsident:innenanklage und die aus ihr gegebenenfalls folgenden Konsequenzen rechtfertigen, nicht jedoch eine von der Bundesregierung erlassene Rechtsverordnung, eine von einer juristischen Person des Bundesrechts erlassene Satzung und auch nicht das Landesrecht.[66] Ebenso kann die Verletzung ungeschriebenen Verfassungsrechts eine Präsident:innenanklage begründen, zumindest wenn dieses in der Rechtsprechung des BVerfG anerkannt und in seiner Bindungswirkung für alle Staatsorgane gesichert ist (§ 31 I BVerfGG).[67]

Beispiel: Überschreitung der Amtsbefugnisse; Verletzung des Gebotes der Bundestreue; Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes; im Extremfall selbst ein Verstoß gegen das BGB, wenn Bundespräsident:innen nicht privat, sondern in ihrer Funktion handelt.[68]

In der Geschichte der Bundespräsidenten ist diese Norm bisher noch nie aktuell geworden.

Weiterführendes Wissen

Im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten von Amerika, wo ein solches Verfahren in Form des sog. Impeachment-Verfahrens (Amtsenthebungsverfahren) vor dem US-Senat bislang schon fünf Mal (Trump [2x], Clinton, Nixon, Johnson) durchgeführt wurde. Die eingeleiteten Amtsenthebungsverfahren waren jedoch stets erfolglos.

Der Antrag auf Erhebung der Anklage muss von mindestens einem Viertel der Mitglieder des Bundestages oder einem Viertel der Stimmen des Bundesrates gestellt werden, Art. 61 I 2 GG. Damit nennt die Norm nicht nur die anklagebefugten Organe (Bundestag bzw. Bundesrat), sondern zugleich die erforderliche Mehrheit, welche hier als eine qualifizierte Mehrheit i.S.d. Art. 121 GG zu verstehen ist.[69] Der Beschluss auf Erhebung der Anklage bedarf der Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages (Art. 121 GG) oder von zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates, Art. 61 I 3 GG. Die Anklage wird von einem:einer Beauftragten der anklagenden Körperschaft vertreten, Art. 61 I 4 GG. Genauere Bestimmungen ergeben sich aus den §§ 49 ff. BVerfGG, so etwa Form, Frist, Rücknahme.

II. Rolle des Bundesverfassungsgerichts

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Stellt das BVerfG fest (Feststellungsurteil), dass ein:e Bundespräsident:in einer vorsätzlichen Verletzung des Grundgesetzes oder eines anderen Bundesgesetzes schuldig ist, so kann es ihn:sie des Amtes für verlustig erklären, Art. 61 II 1 GG. Durch einstweilige Anordnung kann es nach der Erhebung der Anklage bestimmen, dass er:sie an der Ausübung seines:ihres Amtes verhindert ist, Art. 61 II 2 GG. In der Folge werden die Befugnisse der Bundespräsident:innen durch die Präsident:in des Bundesrates wahrgenommen, Art. 57 GG. Damit nennt Art. 61 II GG als einzige Norm im Grundgesetz explizit eine außerordentliche Beendigung der Amtszeit des:der Bundespräsident:in (im Vergleich zur ordentlichen Amtsdauer von fünf Jahren, Art. 54 II 1 GG).

Weiterführende Studienliteratur

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Zusammenfassung: Die wichtigsten Punkte

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  • Der:Die Bundespräsident:in ist das Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland.
  • Dabei lässt er:sie sich keiner der klassischen drei Gewalten zuordnen.
  • Die Regelungen zu Bundespräsident:innen finden sich in den Art. 54 ff. GG, aber zum Teil auch an anderer Stelle (vgl. Art. 82 GG).
  • Neben der Repräsentativfunktion kommt Bundespräsident:innen noch die Beurkundungs- und Reservefunktion zu.
  • Bundespräsident:innen sind in das Gesetzgebungsverfahren involviert, indem diese Gesetze ausfertigen. In diesem Zusammenhang stellt sich die strittige Frage nach dem Prüfungsrecht des:der Bundespräsident:in.
  • Ein formelles Prüfungsrecht wird angenommen, ein materielles Prüfungsrecht ist hingegen strittig, wird jedoch laut h.M. in Form einer Evidenzkontrolle angenommen.
  • Die Wirkung seiner:ihrer Ansprachen ist nicht zu unterschätzen, weshalb das Äußerungsrecht des:der Bundespräsident:in immer wieder auf dem Prüfstand stehen kann (vgl. Äußerungen zu politischen Parteien).
  • Bundespräsident:innen werden von der ausschließlich dafür zusammenkommenden Bundesversammlung gewählt.
  • Unter bestimmten Voraussetzungen können Bundespräsident:innen vor dem BVerfG angeklagt werden.
  • Stellt das BVerfG eine vorsätzliche Verletzung des Grundgesetzes oder eines anderen Bundesgesetzes durch Bundespräsident:innen fest, kann diese:r vorzeitig das Amt verlieren.

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Inhaltsverzeichnis des Buches

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1. Kapitel – Die Grundlagen des Staatsorganisationsrechts - Verfassung und Staat als zentrale Anknüpfungspunkte

2. Kapitel – Staatsstrukturprinzipien – Die Fundamentalnormen des Staates

3. Kapitel – Staatszielbestimmungen

4. Kapitel – Verfassungsorgane

5. Kapitel – Kompetenz und Verfahren

6. Kapitel – Verfassungsgerichtsbarkeit

7. Kapitel – Methodik der Fallbearbeitung im Staatsorganisationsrecht

Fußnoten

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  1. Zum aktuellen Begriff Wissenschaftliche Dienste des deutschen Bundestags, WD 3 Nr. 30/16, 23.12.2016.
  2. Vgl. Süsterhenn, in: Parlamentarischer Rat, 2. Sitzung, Sten. Bericht, S. 25; ferner Herzog, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art. 54 Rn. 3.
  3. U.a. auch Stern, Parlamentarischer Rat, 2. Sitzung, Sten. Bericht, S. 190 f., 200, 202, mit präziser Darstellung der Entstehungsgeschichte auf S. 190 f.; Herzog, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art. 54 Rn. 3.
  4. BVerfG, Urt. v. 10.6.2014, Az.: 2 BvE 2/09, Rn. 91, 94.
  5. Vgl. Großbritannien.
  6. Bsp. für selbstständige Staatsoberhäupter sind etwa der Weimarer Reichspräsident. Er konnte jederzeit das Parlament auflösen und Neuwahlen ausschreiben (Art. 25 Weim. Verf.), er hatte den Oberbefehl über die Streitkräfte (Art. 47 Weim. Verf.) und er konnte vor allem unter Berufung auf die Erfordernisse von Sicherheit und Ordnung jederzeit gesetzesvertretende Verordnungen, die sog. Notverordnungen, erlassen (Art. 48 II Weim. Verf.). Selbst das Recht, Regierungen beliebig zu ernennen und zu entlassen, war ihm aus der konstitutionellen Monarchie dem Grundsatz nach überkommen (Art. 53 Weim. Verf.).
  7. Vgl. Herzog, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art. 54 Rn. 8.
  8. Dazu etwa Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II: Staatsorgane, Staatsfunktionen, Finanz- und Haushaltsverfassung, Notstandsverfassung, 1980, S. 198 f., 218 f.; Herzog, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art. 54 Rn. 97.
  9. So auch Herzog, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art. 54 Rn. 15.
  10. Vgl. Herzog, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art. 54 Rn. 98.
  11. Es werden darüber hinaus auch Ansprachen aus aktuellen Anlässen gehalten, wie etwa die Ansprache von Frank-Walter Steinmeier zum Gedenken an die Verstorbenen in der Corona-Pandemie am 18.4.2021 in Berlin oder eine Rede von Frank-Walter Steinmeier bei einer Einbürgerungsfeier zum 72. Jahrestag des Grundgesetzes in Schloss Bellevue am 21.5.2021. Weitere Reden sind hier zu finden.
  12. Statistik der Ordensverleihungen.
  13. Vgl. hierzu Prüfungsrecht des:der Bundespräsident:in.
  14. Pieper, in: BeckOK GG, 48. Ed. 15.8.2021, Art. 60 Rn. 3.
  15. Pieper, in: BeckOK GG, 48. Ed. 15.8.2021, Art. 60 Rn. 4.
  16. Pieper, in: BeckOK GG, 46. Ed. 15.2.2021, Art. 54 Rn. 4.
  17. Pieper, in: BeckOK GG, 48. Ed. 15.8.2021 Rn. 9, Art. 81 Rn. 9.
  18. Vgl. etwa i.B.a. Staatsbegräbnisse und Staatsakte folgende Anordnung.
  19. Linke, DÖV 2009, 434 (434); Stein, ZaöRV 2009, 249 (251).
  20. Vgl. hierzu Herzog, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art. 54 Rn. 90, der selbst jedoch den Begriff „fonctionnaire neutre“ als passender einschätzt.
  21. Carl Schmitt, Der Hüter der Verfassung, 5. Auflage 2016, Anhang S. 158.
  22. BVerfG, Urt. v. 10.6.2014, Az.: 2 BvE 2/09, Rn. 94 = NVwZ 2014, 1149 (1152).
  23. Vgl. hierzu Wissenschaftliche Dienste des deutschen Bundestags, WD 3 - 3000 - 257/20, 25.11.2020, S. 4.
  24. Nolte/Tams, JuS 2006, 1088 (1088).
  25. Vgl. BVerfG, Urt. v. 10.6.2014, Az.: 2 BvE 2/09, 2 BvE 2/10, Rn. 91 ff. = NVwZ 2014, 1149 (1152).
  26. Vgl. Meyer, JZ, 2011, 602 (603).
  27. Linke, DÖV 2009, 434 (441 ff.); Nolte/Tams, JuS 2006, 1088 (1088).
  28. Pieper, in: BeckOK GG, 48. Ed. 15.8.2021, Art. 82 Rn. 10 ff.
  29. So formulierte das BVerfG jüngst „das Grundgesetz kennt grundsätzlich keine präventive Normenkontrolle, die einen solchen Zustand verhindern würde", vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.9.2019, Az.: 2 BvQ 59/19, Rn. 21.
  30. BVerfG, Urt. v. 26.7.1972, Az.: 2 BvF 1/71, Rn. 85 = NJW 1972, 1943; vgl. auch Heun, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, 3. Aufl. 2015, Art. 60 Rn. 20; Lechner/Zuck, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 8. Aufl. 2019, § 10 Rn. 1.
  31. Näher hierzu Wissenschaftliche Dienste des deutschen Bundestags, WD 3 - 3000 - 257/20, 25.11.2020, S. 4.
  32. Linke, DÖV 2009, 434 (441 ff.)
  33. Pieper, in: BeckOK GG, 48. Ed. 15.8.2021, Art. 82 Rn. 10 ff.; a.A. Linke, DÖV 2009, 434 (441 ff.).
  34. So auch Pieper: in: BeckOK GG, 48. Ed. 15.8.2021, Art. 82 Rn. 4.
  35. Pieper, in: BeckOK GG, 48. Ed. 15.8.2021, Art. 82 Rn. 10 ff.
  36. Hauk, JA 2017, 93 (94 f.).
  37. Vgl. hierzu Ramson, JuWiss, 24.8.2015.
  38. Vgl. Ramson, JuWiss, 24.8.2015.
  39. Zum Begriff der Gewaltenverschränkung in Person vgl. Ramson, JuWiss, 24.8.2015.
  40. Pieper, in: BeckOK GG, 46. Ed. 15.8.2021, Art. 82 Rn. 15; Pieper GS Bleckmann, 2007, 301 (302); Schoch ZfG 2008, 209 (223 f.).
  41. Vgl. etwa Brenner, in: V. Mangoldt/Klein/Stark, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 82 Rn. 27; Piertoth, in: Jarass/Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, GG Art. 82 Rn. 3.
  42. Gröpl, Staatsrecht I, 13. Aufl. 2021, § 16 Rn. 1283.
  43. Degenhart, Staatsrecht I, 37. Aufl. 2021, § 10 Rn. 788 f.; Hauk, JA 2017, 93 (95).
  44. Vgl. Hauk, JA 2017, 93 (95 ff.).
  45. Hauk, JA 2017, 93 (97 f.).
  46. Hauk, JA 2017, 93 (97 f.).
  47. Hauk, JA 2017, 93 (97 f.).
  48. Vgl. Hauk, JA 2017, 93 (97 f.).
  49. Wolff, in: Hömig/Wolff, GG Kommentar, Art. 23 Rn. 8 (Fn. 57).
  50. Hauk, JA 2017, 93 (97 f.).
  51. Pieper, in: BeckOK GG, 48. Ed. 15.8.2021, Art. 82 Rn. 16; Hauk, JA 2017, 93 (96); Nolte/Tams, JuS 2006, 1088 (1088).
  52. Zur Abwehr negativer Werturteile vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.2.2013, Az.: 2 BvE 11/12, Rn. 22 = BVerfGE 133, 100.
  53. BVerfG, Urt. v. 10.6.2014, Az.: 2 BvE 4/13, Rn. 27 = BVerfGE 136, 323.
  54. BVerfG, Urt. v. 10.6.2014, Az.: 2 BvE 4/13, Rn. 28 f. = BVerfGE 136, 323.
  55. BVerfG, Urt. v. 10.6.2014, Az.: 2 BvE 4/13, Rn. 27 = NVwZ 2014, 1156 (1158).
  56. BVerfG, Urt. v. 10.6.2014, Az.: 2 BvE 4/13, Rn. 27 = NVwZ 2014, 1156 (1158).
  57. BVerfG, Urt. v. 10.6.2014, Az.: 2 BvE 4/13, Rn. 27 = NVwZ 2014, 1156 (1158).
  58. BVerfG, Urt. v. 10.6.2014, Az.: 2 BvE 4/13, Rn. 30 = NVwZ 2014, 1156 (1159)
  59. Pieper, in: BeckOK GG, 46. Ed. 15.2.2021, Art. 54 Rn. 17.
  60. Pieper, in: BeckOK GG, 46. Ed. 15.2.2021, Art. 54 Rn. 191 ff.
  61. Eine anschauliche Beschreibung der Bundesversammlung findet sich hier.
  62. BVerfG, Beschl. v. 24.2.2011, Az.: 2 BvE 1/10, Rn. 5 = BVerfGE 128, 278 = BeckRS 2011, 49811.
  63. Zu einer etwaigen Volkswahl des:der Bundespräsident:in siehe Ipsen, FS H.-P. Schneider, 2008, 197 ff.; Winter, Der Bundespräsident – Legitimation durch das Volk?, 2008; v. Arnim, NJW 2009, 2934 (2934 ff.); Mehlhorn, Der Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich, 2010, 260 ff. mwN und zustimmend Ipsen, ZRP 2012, 63.
  64. Ausführlich hierzu Pieper, in: BeckOK GG, 46. Ed. 15.2.2021, Art. 54 Rn. 142.
  65. Herzog, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art. 61 Rn. 1 f.
  66. Herzog, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art. 61 Rn. 15.
  67. Herzog, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art. 61 Rn. 17.
  68. Herzog, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art. 61 Rn. 19.
  69. Herzog, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art. 61 Rn. 37.