Entgegen der landläufigen Meinung, dass die Natur von Aggressivität und Verdrängung beherrscht wird, sind Kooperationen zum Nutzen der Beteiligten seit der Entstehung von Leben von außerordentlicher Bedeutung, vielfältig und allgemein verbreitet. Gene kooperieren innerhalb des Genoms, Organellen kooperieren innerhalb der Zellen, Zellen kommunizieren und kooperieren, um einen Organismus aufzubauen. Nahezu alle wichtigen Schritte in der Evolution, von sich replizierenden Molekülen bis zu komplexen Insektenstaaten, beruhen auf der Lösung von Problemen kooperativen Zusammenlebens. Die Zellen der Eukaryoten sind das Produkt einer wohl 2 Billionen Jahre alten Symbiose. Auch Entstehung und Erhalt der immensen Artenvielfalt ist ohne zwischenartliche Kooperationen, mutualistischer Symbiosen nicht denkbar.

Seitentitel: Mykorrhiza – Pilz-Wurzel-Symbiosen/ Vorwort
(Mykorrhiza – Pilz-Wurzel-Symbiosen/ Vorwort)
(Mykorrhiza – Pilz-Wurzel-Symbiosen/ Vorwort)

Für Pflanzen war die Kooperation mit Pilzen der entscheidende Schritt beim Übergang vom Wasser zum Land vor 450 Millionen Jahren. Mehr als 90 % aller Landpflanzen leben heute in Symbiosen mit Bodenpilzen, die sich in den Wurzeln ansiedeln und die Pflanzen vor allem mit Phosphat, dem wichtigsten Energieträger, aber auch Wasser und anderen Nährelementen versorgen. Im Gegenzug erhalten die Pilze Kohlenhydrate, die sie nicht selbst herstellen können. Diese für beide lebensnotwendige, obligate Symbiose wird Mykorrhiza (Pilzwurzel) genannt. Obligate Symbiose bedeutet, dass weder Pflanzen noch Pilze ohne ihre Partner in der von Mangel und Stress geprägten Natur überleben und sich vermehren können. Forschungsergebnisse der letzten Jahrzehnte zeigen, dass die Mykorrhiza nicht nur Stoffkreisläufe und Stabilität von Ökosystemen beeinflusst, sondern auch Evolution und Diversität von Pflanzen und Pilzen wesentlich mitbestimmt hat.

Trotz des großen Erkenntnisfortschritts in den letzten 40 Jahren und der außerordentlichen Bedeutung für beinahe alle Landökosysteme ist die allgemeine Kenntnis der Mykorrhiza bemerkenswert gering. Das mag daran liegen, dass diese Symbiose sich unterirdisch, unsichtbar abspielt und daher selbst von Biologen und Ökologen erst seit kurzem in theoretische Modelle einbezogen wird. Die Einführung versucht, in allgemein verständlicher Form, das Phänomen Mykorrhiza in seiner Bedeutung für die Landökosysteme und die Evolution von Pflanzen und Pilzen darzustellen, um Studenten der Biologie, der Forstwissenschaft und von Land- und Gartenbau, aber auch einer breiteren Leserschaft den Einstieg in das komplexe Thema zu erleichtern.

Die Einführung beginnt mit der Vielfalt der beteiligten Arten und ihrer Einbindung in komplexe Netzwerke, die sowohl ihre langfristige Erhaltung als auch die Entstehung neuer Formenkreise und ökologischer Module ermöglicht. Anschließend werden allen Mykorrhizen gemeinsame Strukturprinzipien und Funktionen dargestellt, die das Zusammenleben von Pflanzen und Mykorrhizapilzen ermöglichen und genetisch regeln. Ein Kapitel ist der Verbreitung von Mykorrhizapilzen im Reich der Pilze gewidmet, ein weiteres ihren Assoziationen im Reich der Pflanzen. Danach folgt eine ausführlichere Darstellung spezieller Strukturen der unterschiedlichen Mykorrhizatypen, die im Laufe der Evolution zwischen Pilz- und Pflanzengruppen entstanden sind. Weitere Bodenorganismen, die für die Mykorrhiza von Bedeutung sind, werden kurz dargestellt und abschließend die Nutzung durch den Menschen besprochen.

Es versteht sich von selbst, dass bei einer Einführung in ein solch komplexes Thema Vereinfachungen und Verallgemeinerungen gemacht werden müssen. Es wird deshalb vielfach auf die zu Grunde liegenden, zumeist in wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlichen Forschungen verwiesen, aus denen Genaueres, insbesondere auch Methodisches, zu erfahren ist. So kann die Frage: „Woher weiß man das?“, die kritische Leser stellen werden, selbständig, individuell beantwortet werden. Durch einen Klick auf das Literaturzitat gelangt man in das zentrale Quellenverzeichnis, die Rücktaste führt wieder zum Text zurück. Viele der Zeitschriften haben einen freien elektronischen Zugang, andere sind über Universitätsbibliotheken für Studenten problemlos zugänglich, oder können gegen Gebühren angefordert werden.

In Anbetracht des raschen Fortschritts an wissenschaftlichen Erkenntnissen in diesem noch jungen Forschungsgebiet erscheint mir ein elektronisches Lehrbuch vorteilhaft, in dem Aktualisierungen laufend möglich sein werden. Kundige Leser werden daher aufgefordert, durch Korrekturen und Ergänzungen zur Verbesserung des Buches beizutragen.

Dem Buch liegen neben Literaturstudien eigene Forschungs- und Lehrtätigkeiten an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen zu Grunde. Allen, die mich während meiner wissenschaftlichen Arbeit unterstützt haben, sage ich auch hier herzlichen Dank. Für die sachkundige Beratung zu den Grafiken schulde ich Verena Uhle-Schneider, für umsichtiges Korrekturlesen Babette Münzenberger Dank. Mitarbeiter von Wikibooks unterstützten freundlicherweise die elektronische Umsetzung und erstellten u. a. die Vorlage:Quelle-Link für das zentralisierte Quellenverzeichnis.

Noch eine Anmerkung für Nutzer: In der Druckversion sind alle Kapitel zusammengefasst und durchnummeriert. Die Nummerierung der Abbildungen entspricht den Nummern der Kapitel der Druckversion. So können ohne allzu großen Aufwand weitere Abbildungen eingestellt werden. Es wurde auch eine, allerdings noch unfertige PDF Version erstellt (Dezember 2016).

Tübingen, im Herbst 2016

Ingrid Kottke