Sinus und Kosinus – Serlo „Mathe für Nicht-Freaks“

In diesem Kapitel behandeln wir die beiden trigonometrischen Funktionen Sinus und Kosinus. Sie bilden die wichtigsten trigonometrischen Funktionen und werden unter anderem in der Geometrie für Dreiecksberechnungen sowie der Trigonometrie benötigt. Wellen wie elektromagnetische Wellen sowie harmonische Schwingungen lassen sich über Sinus- beziehungsweise Kosinusfunktionen beschreiben, sodass diese in der Physik allgegenwärtig sind.

Definition über Einheitskreis Bearbeiten

Es gibt mehrere Möglichkeiten, den Sinus und den Kosinus zu definieren. Aus der Schule wird dir möglicherweise schon die Definition vom Sinus und Kosinus am Einheitskreis bekannt sein. Dabei wird ein Punkt   betrachtet, der sich auf einem Kreis um den Ursprung mit Radius   befindet. Die  -Achse schließt mit der Strecke vom Nullpunkt zu   den Winkel   ein:

 
Der Punkt P auf dem Einheitskreis mit den Koordinaten (x,y)

Der Winkel   legt eindeutig fest, wo sich der Punkt   befindet. Damit kann die  -Koordinate und die  -Koordinate jeweils durch eine von   abhängige Funktion beschrieben werden. Diese Funktionen   und   nennen wir die Sinusfunktion   beziehungsweise Cosinusfunktion  :

 
Die Sinus und Kosinusfunktion am Einheitskreis

Im Folgenden nehmen wir   als Winkel und schreiben   anstelle von   beziehungsweise   anstatt  . Damit ergibt sich folgende Definition:

Definition (Definition Sinus und Kosinus am Einheitskreis)

Sei   der Punkt auf dem Einheitskreis, dessen Ortsvektor mit der horizontalen Koordinatenachse den Winkel   einschließt. Die Koordinaten von   werden dann   genannt. Dabei nennt man   den Kosinus von   und   den Sinus von  .

Graph der Sinus und Kosinusfunktion Bearbeiten

Die folgende Animation zeigt, wie die Graphen der Sinus- beziehungsweise Kosinusfunktion schrittweise konstruiert werden:

 
Animation zur Definition des Sinus und des Kosinus am Einheitskreis

Damit ergibt sich folgender Graph für die Sinusfunktion:

 
Graph der Sinusfunktion

Für die Kosinusfunktion erhalten wir:

 
Graph der Kosinusfunktion

Definition über Exponentialfunktion Bearbeiten

Darstellung über komplexe Exponentialfunktion Bearbeiten

Die Sinus- und Kosinusfunktion kann auch als Summe von gewissen komplexen Exponentialfunktionen definiert werden. Mit dieser Darstellung können besonders elegant Eigenschaften vom Sinus und Kosinus nachgewiesen werden.

Definition (Sinus und Kosinus über komplexe Exponentialfunktion)

Wir definieren die Funktionen   (Sinus) und   (Kosinus) durch

 

Diese Funktionen sind wohldefiniert: Für jede reelle Zahl   ist die komplexe Zahl   die komplex Konjugierte von  . Damit ist   eine reelle Zahl und es gilt  . Auf analoge Art kann man zeigen, dass   ist.

Herleitung der Exponentialdefinition Bearbeiten

Man kann zeigen, dass   der Punkt auf dem Einheitskreis ist, dessen Ortsvektor mit der  -Achse den Winkel   einschließt:

 
e^(iθ) im Einheitskreis

Der Realteil der komplexen Zahl   ist damit  , und der Imaginärteil ist  . Es gilt also  . Bei   betrachten wir den Winkel  . Der Punkt   liegt gespiegelt an der reellen Achse auf der anderen Seite:

 
e^(-iθ) im Einheitskreis

Damit ist der Realteil von   derselbe wie bei  , also  . Jedoch ist der Imaginärteil gegenüber   um die Zahl   multipliziert und damit gleich  . Wir erhalten  . Also haben wir:

 

Durch Addition beider Gleichungen erhalten wir:

 

Und durch Subtraktion der beiden Gleichungen ergibt sich:

 

Damit haben wir die beiden Definitionen   und   hergeleitet. Diese Herleitung ist noch einmal in folgender Grafik illustriert:

 
Herleitung der komplexen Exponentialdarstellung des Sinus und Kosinus

Reihendarstellung vom Sinus und Kosinus Bearbeiten

Definition als Reihe Bearbeiten

 
Diese Animation illustriert die Definition der Sinusfunktion durch eine Reihe. Je höher die Zahl   ist, desto mehr Summanden werden in der Reihendefinition verwendet. So ist bei   neben der Sinusfunktion zusätzlich das kubische Polynom   eingezeichnet.

In der Vorlesung wird oft eine andere Definition bevorzugt, nämlich die sogenannte Reihendarstellung, bei der der Sinus und Kosinus über eine Reihe definiert wird. Die Reihendarstellung ist zwar weniger anschaulich als die Definition über dem Einheitskreis, mit ihr können aber einige Eigenschaften des Sinus und Kosinus leichter bewiesen werden. Außerdem kann mit ihr der Sinus und Kosinus auf komplexe Zahlen erweitert werden.

Definition (Sinus und Kosinus)

Wir definieren die Funktionen   (Sinus) und   (Kosinus) durch

 

Wohldefiniertheit der Reihendarstellung Bearbeiten

Wir müssen nachweisen, dass unsere Reihendarstellung der Sinus- und Kosinusfunktion wohldefiniert ist. Sprich: Wir müssen zeigen, dass für alle   die Reihen   beziehungsweise   gegen eine reelle Zahl konvergieren.

Satz

Für alle reelle Zahlen   konvergieren die Reihen   und  .

Beweis

Wir beweisen den Satz für die Reihe   der Sinusfunktion. Der Beweis für die Reihe der Kosinusfunktion kann analog geführt werden. Für   finden wir zunächst:

 

Für   konvergiert die Reihe demnach. Für   wenden wir das Quotientenkriterium an. Sei hierzu   für alle  , so dass wir   haben. Es gilt:

 

Wegen   konvergiert die Reihe nach dem Quotientenkriterium.

Äquivalenz der Exponential- und Reihendarstellung Bearbeiten

Wir haben mehrere Definitionen der Sinus- und Kosinusfunktion kennen gelernt. Einen Zusammenhang zwischen der Exponentialdarstellung und der Definition am Einheitskreis haben wir bereits hergestellt. Nun müssen wir noch zeigen, dass die Exponential- und die Reihendarstellung äquivalent zueinander sind.

Satz

Es gilt für alle  :

 

Damit ist es egal, ob die Sinus- bzw. Kosinusfunktion über ihre Reihendarstellung oder über ihre Exponentialdarstellung definiert wird.

Beweis

Wir wissen bereits vom Kapitel über die Exponentialfunktion, dass die Exponentialfunktion die Reihendarstellung   hat. Wenn wir nun   für   in die Reihendarstellung einsetzen, erhalten wir:

 

Nun setzen wir   in die Reihendarstellung der Exponentialfunktion ein:

 

Schreiben wir   und  . So haben wir gezeigt, dass

 

Es folgt für die Differenz

 

Damit ist:

 

Analog ist:

 

Es folgt: