Mittelwertsatz für Integrale – Serlo „Mathe für Nicht-Freaks“

Nach dem Mittelwertsatz für Integrale nehmen stetige Funktionen auf einem kompakten Intervall ihren durchschnittlichen Wert an. Dieser Satz kann unter anderem zum Beweis des Hauptsatzes der Differential- und Integralrechnung verwendet werden. Dieser stellt einen Zusammenhang zwischen Integral und Ableitung her.

Das Integral als Durchschnittswert Bearbeiten

Wiederholung: Durchschnitt und gewichteter Durchschnitt Bearbeiten

Mit dem Integral kann der Durchschnittswert einer Funktion bestimmt werden. Bei   verschiedenen Werten   bis   kann ihr Durchschnitt bzw. der Mittelwert   bestimmt werden über

 

So ist der Durchschnitt der Werte   gleich  . Wenn die einzelnen Werte   bis   in der Berechnung des Durchschnitts durch unterschiedliche Faktoren   bis   gewichtet werden sollen, lautet die Formel:

 

Eine Gewichtung   bedeutet beispielsweise, dass der Wert   doppelt so stark in den Durchschnitt eingehen soll, als wenn   wäre.

Durchschnittsberechnung einer Funktion Bearbeiten

Eine Funktion   hat unendlich viele Argumente und nimmt damit unendlich oft Funktionswerte an. Die Formel zur Mittelwertsberechnung von endlich vielen Werten kann also nicht verwendet werden, um den durchschnittlichen Funktionswert von   zu bestimmen. Wir können diesen aber annähern. Hierzu zerlegen wir das Intervall   in Teilintervalle. Durch die Wahl von Stützstellen   mit   und   wird das Intervall   in   Intervalle   mit   unterteilt:

 
Zerlegung des Grundintervalls in zehn Teilintervalle

Sei nun   das Supremum und   das Infimum der Funktionswerte von   im Teilintervall  . Damit das Supremum und Infimum existiert, nehmen wir zusätzlich an, dass   beschränkt ist. Nun können zwei Treppenfunktionen definiert werden, die jeweils die Funktion   von oben bzw. von unten annähern. Bei der oberen Treppenfunktion   definieren wir   für   und  . Bei der unteren Treppenfunktion   ist   bei   und  :

Beide Treppenfunktionen nehmen nur endlich viele Werte an und nähern beide den Funktionsverlauf von   an. Da die Werte von   immer über den Werten von   liegen, sollte auch der durchschnittliche Wert von   größer gleich dem Mittelwert von   sein. Der Durchschnittswert der oberen Treppenfunktion schätzt also den gesuchten Funktionsmittelwert nach oben ab. Analog ist der Durchschnittswert der unteren Treppenfunktion eine Abschätzung nach unten für den Mittelwert von  .

Um den Mittelwert einer Treppenfunktion zu bestimmen, reicht es nicht aus, den Durchschnitt der angenommenen Funktionswerte zu bilden. So nehmen die folgenden Treppenfunktionen dieselben Funktionswerte an. Wegen der unterschiedlichen Größe der Teilintervalle sollte sich aber der Durchschnittswert der beiden Teilintervalle unterscheiden:

Vielmehr müssen wir die Funktionswerte mit den Längen der Teilintervalle an der Stelle gewichten, wo diese Funktionswerte angenommen werden. Das  -te Teilintervall   hat die Länge  . Bei der oberen Treppenfunktion   bilden wir also den Mittelwert   der Zahlen   mit den Gewichten  :

 

Analog können wir den Durchschnittswert   der unteren Treppenfunktion bestimmen. Insgesamt erhalten wir die Abschätzung:

 

Wir konnten also den durchschnittlichen Funktionswert   der gegebenen Funktion   abschätzen. Als Summen treten dabei die Ober- und Untersummen auf, die selbst den orientierten Flächeninhalt unter dem Graphen approximieren. Um die obige Abschätzung weiter zu verbessern, müssen wir das Grundintervall immer feiner zerlegen. Unter der Voraussetzung, dass die Funktion   riemannintegrierbar ist, strebt dabei die Unter- sowie die Obersumme gegen das Integral  . Mit Hilfe des Sandwichsatzes können wir aus obiger Abschätzung folgern:

 

Mit Hilfe des Integrals kann also der Durchschnittswert einer Funktion bestimmt werden. Hierzu muss das Integral durch die Länge   des Grundintervalls geteilt werden.

Geometrische Herleitung Bearbeiten

Der Zusammenhang zwischen Integral und Mittelwert einer Funktion   kann geometrisch hergeleitet werden. Betrachten wir hierzu eine integrierbare Funktion  . Das Integral   entspricht dem orientiertem Flächeninhalt zwischen dem Graphen von   und der  -Achse:

 
Das Integral entspricht der orientierten Fläche unterhalb des Funktionsgraphen

Wenn wir die Funktion so verändern, dass sie nur den durchschnittlichen Funktionswert annimmt, dann sollte sich ihr Flächeninhalt unter dem Graphen nicht ändern. Wir können den Durchschnittswert   der Funktion   also darüber definieren, dass der Flächeninhalt des Rechtecks mit der Grundseite   auf der  -Achse und der Höhe   gleich dem orientierten Flächeninhalt unter dem Graphen von   ist:

 
Der Flächeninhalt unter dem Graphen der Funktion, die nur den durchschnittlichen Funktionswert annimmt, ist gleich dem Flächeninhalt unter dem Graphen der ursprünglichen Funktion

Damit erhalten wir die Gleichung  . Diese können wir umformen zu:

 

Der Mittelwertsatz Bearbeiten

Bedeutung Bearbeiten

 
Gibt es ein Argument  , so dass   dem durchschnittlichen Wert von   entspricht? Dies ist die zentrale Frage hinter dem Mittelwertsatz für Integrale

Bei einer stetigen Funktion   liegt der Durchschnittswert im Bereich der Werte, welche die Funktion annimmt. Es gibt also ein  , so dass   gleich dem durchschnittlichen Funktionswert von   ist. Das Rechteck mit der Breite   und der Höhe   besitzt dann denselben Flächeninhalt wie die Funktion   unter ihrem Graphen:

 
Annäherung des Integrals durch ein Rechteck

Dies ist bereits die Aussage des Mittelwertsatzes: Eine stetige Funktion nimmt ihren Mittelwert als Funktionswert an. Es gibt also für alle stetigen Funktionen   mindestens ein Argument   mit:

 

Um auch den Fall   zu erlauben, stellen wir obige Gleichung um und erhalten so ein   mit:

 

Notwendigkeit der Stetigkeitsvoraussetzung Bearbeiten

 
Graph der Funktion  

Dass der Mittelwertsatz für Integrale nicht für beliebige Funktionen gilt und dass die Stetigkeit als Voraussetzung wichtig ist, zeigt die Funktion   mit

 

Diese Funktion ist riemannintegrierbar, weil sie aus zwei konstanten Funktionen zusammengesetzt ist. Es gilt

 

Der durchschnittliche Funktionswert beträgt also

 

Nach Betrachtung des Funktionsverlaufs macht dies auch Sinn. Allerdings wird der Wert   von   nicht angenommen, da   und   die einzigen Funktionswerte sind. Bei unstetigen Funktion wie   (  ist an der Stelle   unstetig) ist der Mittelwertsatz nicht unbedingt erfüllt.

Satz und Beweis Bearbeiten

Satz (Mittelwertsatz für Integrale)

Sei   eine stetige Funktion. Dann gibt es ein   mit

 

Wie kommt man auf den Beweis? (Mittelwertsatz für Integrale)

Sei   der durchschnittliche Funktionswert von  . Im Fall   müssen wir zeigen, dass es ein   mit   gibt. Die Idee ist nun, den Zwischenwertsatz anzuwenden. Wenn wir zeigen können, dass der durchschnittliche Funktionswert zwischen dem Minimum   und dem Maximum   der Funktion liegt, so muss dieser aufgrund der Stetigkeit von   selbst als Funktionswert angenommen werden:

 
Illustration zum Beweis des Mittelwertsatzes

Um   zu beweisen, schätzen wir das Integral   nach unten durch das konstante Integral   und nach oben durch das konstante Integral   ab. Diese Abschätzung können wir wegen   vornehmen:

 

Division durch   liefert dann die gewünschte Ungleichung:

 

Für den formalen Beweis müssen wir unsere Argumente noch in eine logisch korrekte Reihenfolge bringen. Im Wesentlichen müssen wir hierzu die Reihenfolge der Argumente umkehren. Außerdem müssen wir den Fall   beachten, bei dem wir nicht durch   teilen dürfen. Im Fall   sind beide Seiten der Gleichung stets Null und damit ist die Gleichung für   trivialerweise erfüllt.

Beweis (Mittelwertsatz für Integrale)

Falls   gilt, wählen wir (gezwungenermaßen)   und es gilt

 

Im Folgenden sei nun  . Nach dem Satz vom Minimum und Maximum nimmt die stetige Funktion   auf dem kompakten Intervall   ihr Minimum   und ihr Maximum   an. Aufgrund der Monotonie des Integrals gilt

 

Wir erhalten also

 

Somit gibt es nach dem Zwischenwertsatz ein   mit

 

Verallgemeinerter Mittelwertsatz Bearbeiten

Motivation Bearbeiten

Es gibt auch eine verallgemeinerte Variante des Mittelwertsatzes für Integrale. Dabei wird zusätzlich zu unserer Funktion   noch eine Gewichtungsfunktion   eingeführt, die beschreibt, wie stark die einzelnen Funktionswerte bei der Berechnung des Durchschnittswerts ins Gewicht fallen sollen.

Ein solches gewichtetes Mittel ist dir vielleicht bereits vom Durchschnitt endlich vieler Zahlen bekannt. Wollen wir etwa den Durchschnitt der Zahlen   ermitteln und dabei die   und die   jeweils doppelt so stark wie die   zählen lassen, so berechnen wir

 

Wir multiplizieren also jede Zahl mit ihrer Gewichtung und teilen die Summe davon anschließend durch die Summe der Gewichte.

Dies übertragen wir nun auf den gewichteten Durchschnittswert von Funktionen und erhalten

 

als den Mittelwert von   bezüglich der Gewichtungsfunktion  .

Der verallgemeinerte Mittelwertsatz für Integrale besagt nun, dass auch dieser gewichtete Mittelwert als Funktionswert vorkommt. Es gibt also ein   mit

 

beziehungsweise

 

Im Folgenden werden wir die letztere Schreibweise verwenden, da diese auch im Fall   gültig bleibt.

Die Aussage des Satzes stimmt allgemein jedoch nur, wenn die Gewichtungsfunktion niemals negativ wird, also   für alle   gilt. Anschaulich macht es auch wenig Sinn, gewisse Funktionswerte negativ ins Gewicht fallen zu lassen.

Die Gewichtungsfunktion   muss im Gegensatz zu   nicht unbedingt stetig sein. Es ist nur wichtig, dass   riemannintegrierbar ist, damit die Integrale   und   überhaupt existieren.

Satz und Beweis Bearbeiten

Satz (Verallgemeinerter Mittelwertsatz für Integrale)

Sei   eine stetige Funktion. Ferner sei   riemannintegrierbar mit   für alle  . Dann gibt es ein   mit

 

Beweis (Verallgemeinerter Mittelwertsatz für Integrale)

Nach dem Satz vom Minimum und Maximum nimmt die stetige Funktion   auf dem kompakten Intervall   ihr Minimum   und ihr Maximum   an. Für alle   gilt wegen   also  . Aufgrund der Monotonie des Integrals gilt somit

 

Aufgrund der Monotonie des Integrals gilt außerdem  . Wir unterscheiden zwei Fälle:

Fall 1:  

Dann haben wir   und  , also  . Folglich können wir   beliebig wählen und erhalten

 

Fall 2:  

In diesem Fall dürfen wir durch   teilen und erhalten

 

Somit gibt es nach dem Zwischenwertsatz ein   mit

 

Daher gilt für dieses  

 

Ursprünglicher Mittelwertsatz als Spezialfall Bearbeiten

Wenn wir im verallgemeinerten Mittelwertsatz die konstante Gewichtungsfunktion   ( ) wählen, so bekommen wir den ursprünglichen Mittelwertsatz zurück, denn dann ist

 

sowie

 

Notwendigkeit von   Bearbeiten

Die Bedingung   kann nicht weggelassen werden, wie folgendes Gegenbeispiel zeigt:

Beispiel

Seien   jeweils die Identitätsfunktion, also   für alle  . Wir erhalten

 

und

 

Egal, welches   wir wählen, es gilt also immer

 

Man kann die Bedingung   jedoch ersetzen durch die Bedingung  . Es lässt sich beweisen, dass der verallgemeinerte Mittelwertsatz dann weiterhin gültig ist. Es ist nur wichtig, dass die Gewichtungsfunktion   keinen Vorzeichenwechsel besitzt.