Buchanfang Algebra by Morrison69/ Auf dem Weg zur Gruppe – Serlo „Mathe für Nicht-Freaks“


Auf dem Weg zur Gruppe Bearbeiten

In diesem ersten Abschnitt erkläre ich dir, wie wir zum Begriff der Gruppe kommen - daher auch der Titel Auf dem Weg zur Gruppe. Ausgehend von einer Menge besprechen wir verschiedene Konzepte und Strukturen. Dabei werden wir Magmen und Halbgruppen streifen und landen zuletzt bei dem stärksten Konzept - der Gruppe. Bevor wir anfangen, vereinbaren wir noch eine kleine Konvention: Sprechen wir von Mengen, so lassen wir in diesem Abschnitt stets die leere Menge   außen vor. Wir diskutieren sie später in einem eigenen Abschnitt. Weiter bauen wir unsere Begriffe dieses Kapitels auf dem Beispiel der ganzen Zahlen   auf. Da dir das Rechnen mit ganzen Zahlen bekannt sein sollte, werde ich entsprechende Resultate nur erwähnen und nicht beweisen (z.B. dass für ganze Zahlen   immer   gilt).

Mengen und Magmen Bearbeiten

Am Anfang war die Menge. Für unsere Zwecke benötigen wir allerdings keinen abstrakten Mengenbegriff - sondern orientieren uns ganz einfach an Georg Cantor : Unter einer „Menge“ verstehen wir jede Zusammenfassung M von bestimmten wohlunterschiedenen Objekten m unserer Anschauung oder unseres Denkens (welche die „Elemente“ von M genannt werden) zu einem Ganzen. Falls du dennoch dein Wissen über Mengen auffrischen willst, empfehle ich dir den Abschnitt Mengenlehre.

Eine Menge für sich allein ist mathematisch natürlich ein interessantes Objekt. Können wir allerdings mit den Elementen der Menge etwas machen, so gewinnt unsere Theorie an Tiefe. Etwas machen ist natürlich ein recht unmathematischer Begriff. Wir wollen ihn nun präzisieren:

Definition (Verknüpfung und Magma)

Ist   eine Menge, so heißt eine Abbildung   eine zweistellige Verknüpfung. Sie ordnet zwei Elementen der Menge   ein drittes Element zu. Eine Menge   zusammen mit einer auf ihr definierten zweistelligen Verknüpfung   nennen wir ein Magma.

Bei einem Magma handelt es sich also um eine Menge und eine auf ihr definierte Verknüpfung. Um diese Zusammengehörigkeit hervorzuheben, schreiben wir das Magma symbolisch als Tupel:  . Im folgenden Beispiel orientieren wir uns an den ganzen Zahlen. Sie werden unser Beispiel für viele Strukturen sein, die wir besprechen.

Beispiel (Die ganzen Zahlen  )

Die ganzen Zahlen   bilden zusammen mit der Addition ein Magma. Prüfen wir zunächst, ob es sich bei der Addition tatsächlich um eine Verknüpfung handelt. Als Abbildung soll sie zwei ganzen Zahlen genau eine ganzen Zahl zuordnen. Das ist aber leicht einzusehen: Addierst Du etwa -5 und 16, so erhältst du 11 - und nichts anderes. Klar ist ebenso: Du kannst zwei ganze Zahlen immer addieren, und dein Ergebnis ist dann ebenso eine ganze Zahl. Die ganzen Zahlen bilden also mit der gewöhnlichen Addition ein Magma!

Hinweis

Im Magma   kannst du zu jeder Zahl   ihr Negatives   finden. Das ist jedoch weder charakteristisch noch notwendig für ein Magma - vielmehr eine schöne spezielle Eigenschaft der ganzen Zahlen!

Halbgruppen Bearbeiten

Wenden wir uns nochmals den ganzen Zahlen   zu. Diese Struktur haben wir im vorherigen Abschnitt ein Magma genannt. Untersuchen wir nun die Addition genauer und setzen Klammern:   gilt für alle ganzen Zahlen  . An einem konkreten Beispiel ist das sofort klar:  . Diese Eigenschaft nennen wir Assoziativität der Verknüpfung  . Dies halten wir in einer Definition fest:

Definition (Assoziativität und Halbgruppen)

Gilt in einem Magma   für alle   die Beziehung  , so heißt die Verknüpfung   assoziativ. Ein Magma   mit einer assoziativen Verknüpfung   heißt eine Halbgruppe

Mit dieser Definition können wir festhalten:   ist eine Halbgruppe. Vielleicht fragst du dich, ob es auf den ganzen Zahlen auch nichtassoziative Verknüpfungen gibt. Die Antwort liegt auf der Hand:

Beispiel (Die ganzen Zahlen  )

Anstatt der Addition   können wir auch die Subtraktion   als Verknüfung auf den ganzen Zahlen   definieren. Oben haben wir gesehen, dass die Addition assoziativ ist. Wie sieht es nun mit der Subtraktion aus? Wir finden schnell ein Gegenbeispiel:   Damit ist es hier nicht gleichgültig, in welcher Reihenfolge wir die Klammern setzen. Die Subtraktion ist also keine assoziative Verknüpfung. Nach Definition kann   also keine Halbgruppe sein!

Beachte aber, dass die Addition mit negativen Zahlen wieder assoziativ ist! Hier liegt der Unterschied zwischen Addition negativer Zahlen und Subtraktion! Beachte auch, dass das Minuszeichen zum einen als Vorzeichen und zum anderen als Verknüpfungszeichen dient.

Monoide Bearbeiten

Fassen wir kurz zusammen, wo wir gerade stehen: Mit einer Halbgruppe haben wir eine Menge mit einer auf ihr definierten assoziativen Verknüpfung. Oben haben wir uns hierzu die Halbgruppe   angesehen. Ohne weit auszuholen, können wir zudem festhalten: Für alle ganzen Zahlen   gilt  . Diese Gleichung setzt aber voraus, dass es die 0 überhaupt gibt! Das ist wieder eine schöne Eigenschaft der ganzen Zahlen, muss aber nicht immer erfüllt sein. Da die 0 bei der Addition nichts bewirkt, nennen wir sie ab jetzt neutrales Element der Addition in  . Allgemeiner definieren wir also:

Definition (Neutrales Element und Monoid)

Gibt es in einer Halbgruppe   ein Element   mit der Eigenschaft  , so nennen wir   das neutrale Element der Halbgruppe  . Eine solche Halbgruppe mit neutralem Element wird Monoid genannt.

Beispiel (Die ganzen Zahlen  )

Wie wir gesehen haben, ist   zusammen mit dem neutralen Element 0 ein Monoid. Führe dir nochmal vor Augen: 0 bewirkt bei der Addition nichts! Wir ändern jetzt die Verknüpfung + zur Verknüpfung   ab und betrachten die Multiplikation von ganzen Zahlen. Du kannst zwei ganze Zahlen   natürlich miteinander multiplizieren und erhältst als Ergebnis wieder eine ganze Zahl. Diese Multiplikation ist auch assoziativ - schließlich rechnen wir für ganze Zahlen  :  . Das neutrale Element der Multiplikation ist natürlich nicht mehr 0, denn für jede ganze Zahl   ungleich 0 gilt  . Dagegen gilt für alle ganzen Zahlen  . Somit können wir festhalten:   bildet mit der 1 als neutralem Element der Multiplikation ein Monoid!

Hinweis

Gibt es in einer Halbgruppe ein neutrales Element, so ist dieses automatisch eindeutig. Doch das diskutieren wir ausführlich im Folgekapitel. Jedenfalls liegt hierin der Grund, dass wir von dem neutralen Element sprechen können.

Gruppen Bearbeiten

Mittlerweile sind wir mit des Monoids   schon sehr nahe an den Begriff der Gruppe herangekommen. Es fehlt uns nur noch ein letzter Schliff, den du (etwas heuristisch) so formulieren kannst: Wie kommen wir von irgendeinem Element   durch die Verknüpfung   auf das neutrale Element  ? Das ist die zentrale Frage, sozusagen die kleine Nuance, durch die wir von einem Monoid zu einer Gruppe gelangen. Ich zeige dir dieses Konzept zunächst an zwei Beispielen. Wieder orientieren wir uns an den ganzen Zahlen  :

  • Oben haben wir gesehen, dass   eine Halbgruppe ist. Wir stellen uns vor, dass wir eine Gleichung in dieser Halbgruppe lösen wollen. Die Gleichung könnte zum Beispiel   lauten. Um diese Gleichung zu lösen, musst du sie nach   umstellen. Aber was bedeutet dieses Umstellen eigentlich? Aus   folgt   für alle  . Das haben wir der Eindeutigkeit der Verknüpfung   in der Halbgruppe (und eigentlich schon im Magma) zu verdanken. Jetzt rechnen wir so:
 

Aus der Gleichung   folgt also  . Also ist   ein Kandidat für die Lösung der Gleichung. Aber natürlich ist es auch wirklich eine Lösung! Für diese Berechnung haben wir verwendet, dass die Zahl   genau die oben erwähnte Eigenschaft hat, uns das neutrale Element   zu liefern.

  • Wir haben auch gesehen, dass   eine Halbgruppe ist. Also könnten wir auch versuchen, die Gleichung   zu lösen. Aus der Schule wissen wir schon, dass die einzige Lösung in den reellen Zahlen   ist. Aber diese Zahl ist nicht ganz, also ist die Gleichung nicht in   lösbar. Die Umformungsschritte von oben hätten wir auch nicht durchführen können, weil in der Halbgruppe   kein Element   existiert mit  . (Beachte: 1 ist das neutrale Element in  .)

Du kannst an diesen beiden Beispielen sehen, dass das Konzept der Halbgruppe nicht ausreicht, um solche Gleichungen lösen zu können. Allgemein wollen wir bezüglich der Verknüpfung   Gleichungen der Form   und   für bekannte   nach   umstellen können. Dafür wollen wir fordern, dass für jedes   ein   existiert mit  , wobei   das neutrale Element der Halbgruppe ist. Dann können wir nämlich beim Umstellen wie im ersten Beispiel vorgehen.

Daher ist es sinnvoll, die Existenz dieser Elemente   zu fordern. Das motiviert die folgende Definition:

Definition (Inverse Elemente und Gruppe)

Sei   ein Monoid mit neutralem Element  .

  • Zum Element   heißt ein Element   inverses Element, falls   gilt.
  • Hat in   jedes Element ein inverses Element, dann heißt   eine Gruppe.

Über den langen Umweg von Magmen, Halbgruppen und Monoiden hast du nun den Begriff der Gruppe kennengelernt. Du kannst hoffentlich bei jeder neu eingeführten Eigenschaft verstehen, warum wir sie fordern wollen. Diese Begriffe und ihre Zusammenhänge kannst du auch gleich unten vertiefen. Im nächsten Kapitel wirst du noch eine kompaktere Definition des Gruppenbegriffs kennenlernen, die ohne diese Zwischenschritte auskommt.

Wie hängen die verschiedenen Strukturen zusammen? Bearbeiten

Vielleicht ist dir schon aufgefallen, dass wir bei der Einführung von Magma, Halbgruppe, Monoid und Gruppe schrittweise immer eine zusätzliche Eigenschaft hinzugenommen haben. Das bedeutet auch, dass beispielsweise ein Monoid automatisch alle Eigenschaften einer Halbgruppe oder eines Magmas besitzt. Insgesamt kann man folgende Zusammenhänge feststellen:

  • Alle Halbgruppen sind immer auch Magmen.
  • Alle Monoide sind immer auch Halbgruppen (und damit auch Magmen).
  • Alle Gruppen sind immer auch Monoide (und damit auch Halbgruppen und Magmen).

Umgekehrt gilt dies aber nicht! So können wir zum Beispiel eine Halbgrupe finden, die kein Monoid ist, etwa  . Die natürlichen Zahlen erfüllen mit der Verknüpfung der Addition nämlich die Abgeschlossenheit und die Assoziativität, es gibt aber kein neutrales Element.

Aufgabe (Aufgabe)

Entscheide, welche der Definitionen auf die folgenden Tupel aus einer Menge und einer Operation zutreffen: Handelt es sich um Magmen, Halbgruppen, Monoide oder sogar Gruppen?

Hinweis

Wir sprechen hier von einer Operation und nicht von einer Verknüpfung. Dies liegt daran, dass eine Verknüpfung schon auf einer Menge definiert ist. Damit aber erfüllt ein Tupel aus Menge und Verknüpfung automatisch schon die Voraussetzung dafür, ein Magma zu sein. Bei einer Operation dagegen geben wir die Zielmenge nicht an. Es kann also durchaus auch passieren, dass es sich dabei nicht unbedingt um eine Verknüpfung handelt.

  1.  : die Menge der ganzen Zahlen ohne die Null mit der Division als Operation
  2.  : eine Teilmenge der  -Matrizen mit Einträgen aus   auf der Hauptdiagonalen und Nullen jenseits davon; zusammen mit der Matrixmultiplixation als Operation
  3.  : eine Teilmenge der  -Matrizen mit Einträgen aus   auf der Hauptdiagonalen und Nullen jenseits davon; zusammen mit der Matrixmultiplixation als Operation
  4.  : die positiven reellen Zahlen mit der Potenz als Operation
  5.  : die Menge der  -Matrizen mit Einträgen in   mit der Matrixmultiplixation als Operation
  6.  : die Menge der natürlichen Zahlen mit der Addition als Operation

Lösung (Aufgabe)

Tupel aus Menge und Operation Magma? Halbgruppe? Monoid? Gruppe?
  nein nein nein nein
  ja ja ja nein
  ja ja ja ja
  ja nein nein nein
  ja ja ja nein
  ja ja nein nein

Erklärung zur Lösung:

  1. Die Menge der ganzen Zahlen ohne die Null ist unter der Operation   nicht abgeschlossen: Beispielsweise ist   keine ganze Zahl. Deswegen handelt es sich bei   nicht um ein Magma. Damit kann   aber auch nicht Halbgruppe, Monoid oder Gruppe sein: Die Assoziativität der Verknüpfung ist für alle diese Strukturen eine notwendige Bedingung.
  2. Die Menge   ist unter der Matrixmultiplikation abgeschlossen, denn:  . Also ist die Verknüpfung zweier Elemente der Menge   wieder ein Element der gleichen Menge, weil es sich beim Ergebnis der Rechnung um eine Matrix mit Diagonaleinträgen in   handelt. Deshalb ist   ein Magma. Dass die Matrixmultiplikation immer assoziativ ist, haben wir bereits im Kapitel zu Matrizen gelernt. Deswegen ist   auch eine Halbgruppe. Außerdem gibt es auch ein neutrales Element in  , nämlich die Einheitsmatrix  . Daher ist   sogar ein Monoid. Allerdings ist   keine Gruppe. Es gibt nämlich nicht zu jedem Element ein Inverses. Ein Beispiel für ein nichtinvertierbares Element ist  .
  3. Die Menge der  -Diagonalmatrizen mit Einträgen in   ist ein Monoid (und damit auch eine Halbgruppe sowie ein Magma). Dies können wir genauso begründen wie in Aufgabe 2. bei den Matrizen mit Einträgen aus  . Zusätzlich ist die Menge   mit der Matrixmultiplikation sogar eine Gruppe: Weil wir für   und   nicht   einsetzen dürfen, können wir zu jeder solchen Matrix   eine Inverse berechnen, nämlich:  . Diese Matrix ist auch in unserer Menge   enthalten, weil alle   und   in   multiplikativ invertierbar sind.
  4. Bei der Potenz handelt es sich in   um eine Verknüpfung: Bei jeder Potenz   aus zwei positiven reellen Zahlen ist das Ergebnis wieder eine positive reelle Zahl. Deswegen ist   ein Magma. Die Verknüpfung „Potenz“ ist aber nicht assoziativ. Dies siehst du zum Beispiel, wenn du   und   berechnest.   und  , also ist  . Also ist die Potenz in   nicht assoziativ. Deswegen ist   keine Halbgruppe und damit auch kein Monoid und keine Gruppe.
  5. Um nachzuweisen, dass   ein Magma, eine Halbgruppe und ein Monoid ist, gehen wir genauso vor wie in der 2. Teilaufgabe. Auch den Nachweis, dass es sich nicht um ein Gruppe handelt, zeigen wir wieder, dass es eine nicht invertierbare Matrix gibt, etwa  .
  6. Wenn man zwei natürliche Zahlen addiert, ist das Ergebnis auch wieder eine natürliche Zahl. Also ist   ein Magma. Die Addition in den natürlichen Zahlen ist auch assoziativ. Deswegen ist   zusätzlich eine Halbgruppe. Allerdings gibt es in der Menge der natürlichen Zahlen kein neutrales Element, weil   ist. Daher ist   kein Monoid und auch keine Gruppe.

Hinweis

Dieses Buchprojekt ruht und es ist auch nicht absehbar, wann die Arbeit wieder aufgenommen wird. Wenn du Lust hast, an diesem Buch weiterzuschreiben, dann wende dich bitte an Stephan Kulla.