Komplexe Zahlen/ Anwendung in der Mathematik

Dieses Kapitel enthält – mit nur kurzen Erläuterungen – Hinweise zu mathematischen Anwendungen, bei denen die komplexen Zahlen relevant sind. Über Verweise auf Wikipedia-Artikel sind ausführliche Erklärungen und in der Regel auch Literaturhinweise zu finden.

Die Beispiele beziehen sich auf verschiedene Gebiete der Mathematik und zeigen die universelle Bedeutung der komplexen Zahlen:

  • Analysis
  • Topologie
  • Zahlentheorie
  • Chaosforschung

Exponentialdarstellung Bearbeiten

Euler’sche Formeln Bearbeiten

In der reellen Analysis definiert man die sogenannte e-Funktion (= natürliche Exponentialfunktion exp)   mit   durch die unendliche (Taylor-) Reihe (mit Nutzung der Fakultät  ):

 

Ersetzen wir in der Reihe für   formal   durch  , so erhalten wir:

 

Die Zusammenfassung der Realteile und der Imaginärteile liefert dann:

 

Der Vergleich dieser Formel mit Taylor-Reihen zeigt: Der Realteil ist die Taylor-Reihe für Cosinus, der Imaginärteil diejenige für Sinus. Wir erhalten damit die 1. Euler’sche Formel:[1]

 

In gleicher Weise erhält man die 2. Euler’sche Formel mit   statt  :

 

Durch Addition bzw. Subtraktion der Euler’schen Formeln erhält man zwei nützliche Beziehungen;

 

Für   mit   ergibt sich die folgende Darstellung:

 

Polarform und Exponentialform Bearbeiten

Die Exponentialform einer komplexen Zahl   ergibt sich unmittelbar aus dem Vergleich der 1. Euler’schen Formel mit der Polarform:

 

Die Exponentialform kann also auch als Verkürzung der Polarform angesehen werden. Es gelten die gleichen Beziehungen wie bei der Definition der Polarform:

 

Rechenregeln Bearbeiten

Einige Rechenregeln für komplexe Zahlen vereinfachen sich bei Verwendung der Exponentialform. Dies ergibt sich aus den Rechenregeln für Potenzen mit e als Basis:

 

Siehe auch   Eulersche Formel sowie   Taylorreihe

Die Riemann’sche Zahlenkugel Bearbeiten

Die komplexen Zahlen lassen sich durch die Punkte einer Ebene (mit einem rechtwinkligen Koordinatensystem) darstellen, der Gauß-Ebene oder komplexen Zahlenebene. Jeder komplexen Zahl z entspricht genau ein Punkt der Ebene und umgekehrt. Der Abstand eines Punktes z vom Nullpunkt ist die reelle Zahl  .

Das Innere des Kreises um einen Punkt   mit dem Radius   wird durch   bezeichnet. Demgegenüber meint   denjenigen Teil der Gauß’schen Ebene, der außerhalb des Kreises liegt. Das Äußere eines Kreises bezeichnet man auch als eine Umgebung des uneigentlichen Punktes  . (Dabei wird „Umgebung“ als Verallgemeinerung des üblichen Begriffs verstanden; das ist ein Thema der Topologie.)

 
Auf der riemannschen Zahlenkugel sind die komplexen Zahlen einschließlich darstellbar.
 
Stereographische Rückprojektionen der komplexen Zahlen   und   auf die Punkte   und   der riemannschen Zahlenkugel.

Wenn man einen solchen Punkt in der Unendlichkeit zur komplexen Ebene hinzunimmt, erhält man die riemannsche Zahlenkugel  .[2]

Anschaulich handelt es sich um eine Kugel vom Radius 1, deren Nordpol auf (0,0,1) liegt (man darf die Kugel beliebig wählen, solange ihr Nordpol (0,0,1) ist). Dem unendlich fernen Punkt   wird dieser Nordpol   der Kugel zugeordnet und jedem Punkt   der komplexen Zahlenebene der von   verschiedene Schnittpunkt der Kugeloberfläche mit der Geraden durch   (stereografische Projektion).

Siehe auch   Riemannsche Zahlenkugel

Gauß’sche Zahlen Bearbeiten

Einführung Bearbeiten

 
Gauß’sche Zahlen als Gitterpunkte in der komplexen Zahlenebene

Die gaußschen Zahlen[3] sind eine Verallgemeinerung der ganzen Zahlen in den komplexen Zahlen. Eine gaußsche Zahl g ist definiert durch:

 

In der gaußschen Zahlenebene entsprechen die gaußschen Zahlen den Punkten mit ganzzahligen Koordinaten. Sie bilden ein zweidimensionales Gitter.

 
Primelemente in der komplexen Ebene.

Die gaußschen Zahlen werden mit   bezeichnet. Sie bilden einen Ring (im Sinne der Algebra) bezüglich Addition und Multiplikation, und zwar mit den Zahlen   als Einheiten.

Primelemente Bearbeiten

Auf dieser Grundlage lassen sich Primelemente als Verallgemeinerung des Begriffs Primzahl definieren (wir befassen uns bei der Verallgemeinerung nur mit  ):

Definition (Primelement der gaußschen Zahlen)

Ein Element   heißt Primelement, falls   weder 0 noch eine Einheit ist und für alle Elemente   gilt: Ist   ein Teiler des Produkts  , so ist   stets ein Teiler von   oder von  .

Für Primelemente gelten u. a. folgende Sätze:

  • Ist   ein Primelement und   eine Einheit, so ist   ebenfalls ein Primelement. – Dies lässt sich in der Darstellung rechts ablesen: Durch Multiplikation mit den Einheiten entsteht die Rotationssymmetrie um 90°. Weil mit   auch   Primelement ist, liegen die Primelemente zusätzlich symmetrisch zu den Diagonalen.
  • Die Eindeutigkeit der Primfaktordarstellung gilt (abgesehen von der Multiplikation mit Einheiten) auch für die gaußschen Zahlen.

Ein „kleinstes“ Primelement kann nicht angegeben werden, weil die komplexen Zahlen nicht angeordnet werden können. Wir können aber den Betrag prüfen: Abgesehen von den Einheiten hat jede gaußsche Zahl einen Betrag von mindestens  , nämlich für  . Also hat (nach den Multiplikationsregeln) jedes Produkt zweier gaußschen Zahlen, die keine Einheiten sind, einen Betrag von mindestens 2. Die einzige gaußsche Zahl im ersten Quadranten mit einem Betrag kleiner als 2 ist gerade   und ist also ein Primelement. Durch Multiplikation mit den Einheiten erhält man als weitere Primelemente  . Siehe dazu beispielsweise die folgenden Beziehungen:

 

Primzahlen und Primelemente Bearbeiten

Die Primelemente im Ring der gaußschen Zahlen haben einen engen Bezug zu den gewöhnlichen Primzahlen. Die Primzahlen   (betrachtet als gaußsche Zahlen, also als komplexe Zahlen) zerfallen in drei Klassen:

Der doppelte Primfaktor von 2 Bearbeiten

Die Zahl 2 kann als Produkt der Primelemente   und   geschrieben werden, die sich aber eben nur um eine Einheit unterscheiden (das wird als „verzweigt“ bezeichnet):

 

Diese Primfaktorzerlegung der Zahl 2 im Ring der gaußschen Zahlen ist im Wesentlichen eindeutig, aber es kann keiner Darstellung der Vorzug gegeben werden, da die komplexen Zahlen und damit auch die gaußschen Zahlen und deren Einheiten nicht angeordnet werden können.

Faktoren von Primzahlen der Form 4k + 1 Bearbeiten

Ist   eine Primzahl, die die Form   mit   hat, so kann man zeigen, dass sich   auf im Wesentlichen eindeutige Weise als Summe zweier Quadratzahlen schreiben lässt:

 

Dann ist dies die Primfaktorzerlegung von p:

 

p selbst ist also kein Primelement im Ring der gaußschen Zahlen, sondern Produkt von zwei zueinander konjugierten Primelementen (p wird als „zerlegt“ bezeichnet). Beispielsweise ist   kein Primelement, aber   und   sind zwei Primelemente.

Primzahlen der Form 4k + 3 Bearbeiten

Ist p eine Primzahl der Form   mit  , so ist p auch im Ring der gaußschen Zahlen ein Primelement (p bleibt prim, es wird als „träge“ bezeichnet).

Folgerungen Bearbeiten

In der Zahlentheorie wird gezeigt, dass jedes Primelement von   genau eine Primzahl   teilt. Dadurch erhält man auch eine Zerlegung der Primelemente von  :

  • den Teiler   der verzweigten Primzahl   sowie dessen Produkte mit den Einheiten
  • die Teiler   der zerlegten Primzahlen   sowie deren Produkte mit den Einheiten
  • die trägen Primzahlen selbst sowie ihre Produkte mit den Einheiten (diese Primzahlen haben außer sich selbst ja nur Einheiten als Teiler)

Siehe auch   Gaußsche Zahl  Primelement  Ring

Mandelbrot-Menge Bearbeiten

 
Mandelbrot-Menge (schwarz) mit farbig dargestellter Umgebung. Jedem Pixel ist eine komplexe Zahl   zugeordnet. Farbig kodiert ist die Anzahl der Iterationen  , die notwendig ist, einen Betrag von 103 zu überschreiten. Sie wächst von Farbstreifen zu Farbstreifen um 1.
Animierte Zoomfahrt in die Mandelbrot-Menge.

Die Mandelbrot-Menge[4] ist eine fraktal erscheinende Menge, die eine bedeutende Rolle in der Chaosforschung spielt. Die Visualisierung der Menge wird im allgemeinen Sprachgebrauch oft Apfelmännchen genannt.

Die Mandelbrot-Menge   ist die Menge aller komplexen Zahlen c, für welche die rekursiv definierte Folge komplexer Zahlen   mit dem Bildungsgesetz

 

und dem Anfangsglied

 

beschränkt bleibt, das heißt, der Betrag der Folgenglieder wächst nicht über alle Grenzen. Die grafische Darstellung dieser Menge erfolgt in der komplexen Ebene. Die Punkte der Menge werden dabei in der Regel schwarz dargestellt und der Rest farbig, wobei die Farbe eines Punktes den Grad der Divergenz der zugehörigen Folge widerspiegelt.

Das Bildungsgesetz, das der Folge zugrundeliegt, ist die einfachste nichtlineare Gleichung, anhand der sich der Übergang von Ordnung zu Chaos durch Variation eines Parameters provozieren lässt.

Die grafische Darstellung der Mandelbrot-Menge und ihrer Strukturen im Randbereich ist nur mittels Computer durch sogenannte Fraktalgeneratoren möglich. Der Computer ermittelt für jeden Bildpunkt, ob die zugehörige Folge divergiert oder nicht. Sobald der Betrag   eines Folgengliedes den Wert   überschreitet, divergiert die Folge. Die Zahl der Iterationsschritte N gemäß obiger Rekursionsformel, nach denen das erfolgt, kann als Maß für den Divergenzgrad herangezogen werden. Über eine zuvor festgelegte Farbtabelle, die jedem Wert N eine Farbe zuordnet, wird in diesem Fall dem Bildpunkt eine Farbe zugewiesen.

Im Wikipedia-Artikel Mandelbrot-Menge finden sich grafische Darstellungen über die Iteration. Eine animierte Darstellung der Entwicklung bietet Wolfgang Beyer.

Siehe auch   Fraktal  Chaosforschung

Anmerkungen Bearbeiten

  1.   Leonhard Euler (1707–1783)
  2.   Bernhard Riemann (1826–1866)
  3. Nach   Carl Friedrich Gauß (1777–1855); engl. Gaussian integer
  4.   Benoît Mandelbrot (1924–2010)