Astronomische Berechnungen für Amateure/ Zeit/ Richtige Zeit

Wir haben eine Reihe von Zeitskalen und -definitionen kennengelernt. Welche verwenden wir als Amateure in der Arbeit mit unserem Hobby? Vor allem aber: wenn wir mehrere Skalen brauchen, wie rechnen wir die verschiedenen Skalen ineinander um? Hilfe soll die folgende Übersicht geben. Eine präzise Übersicht über alle Zeitskalen (auch diejenigen, auf die wir aus Gründen der Vereinfachung nicht eingegangen sind) mit der Veränderung ihrer Definition im Laufe der Geschichte finden Sie hier.

Die hier vorgestellten Zeitskalen lassen sich in vier Kategorien einteilen:

  • Bürgerliche oder Alltagszeit
  • Erdrotationsabhängige Zeitskalen: Sonnenzeit und Sternzeit
  • beide Zeitskalen unterscheiden wahre und mittlere Zeit
  • die Sonnenzeit wird weiterunterteilt in lokale bzw. Zonenzeit; die Sternzeit wird immer lokal behandelt
  • Dynamische, dh. durch Bewegungsgesetze definierte Zeitskalen: Ephemeridenzeit, baryzentrische und terrestrische dynamische Zeit
  • Atomzeit, dh. die technische Realisierung eines gleichmässig ablaufenden Zeitmasses


Am Schluss müssen alle Rechnungen und Beobachtungen in bürgerlicher Zeit vorliegen (mögliche Ausnahme: historische Berechnungen). Beobachtungsprotokolle und Vorhersagen für sehenswerte Himmelsereignisse stützen sich auf diese Zeitskala. Sie ist direkt mit der mittleren Sonnenzeit als Zonenzeit verknüpft. Für den Datenaustausch benutzt man unter Astronomen meist UT. Die beobachteten Phänomene selber sind häufig lokal. Zur Bestimmung der lokalen Position benötigt man in der Regel die lokale Sternzeit – wir werden im Kapitel „Positionsastronomie“ den Zusammenhang aufzeigen.

Wenn wir die Position von Himmelskörpern des Sonnensystems mit den klassischen Gesetzen der Physik berechnen (Ephemeridenrechnung), dann benötigen wir die dynamische Zeit. Für den Amateurastronomen ist es unerheblich, ob es sich um Ephemeridenzeit, TDT, TDB oder TT handelt. Es wurde sowieso darauf geachtet, dass 1984 bei der Ablösung der Ephemeridenzeit durch TDT und 1991 bei der Ablösung von TDT durch TT in den astronomischen Jahrbüchern die jeweils neue Skala die alte möglichst nahtlos fortsetzt. Wir benutzen darum im folgenden die drei Ausdrücke Ephemeridenzeit, dynamische Zeit und TT synonym. Die Atomzeit ist zur Zeit die technisch beste Realisierung einer dynamischen Zeit.

Was uns jetzt noch fehlt, sind die Zusammenhänge der Zeitskalen untereinander. Hier stellen wir ausführlich dar, wie UT (bürgerliche Zeit) und dynamische Zeit TT ineinander umgerechnet werden können. Doch zuvor müssen wir nochmal ausführlicher UT und seine Einheiten analysieren. Die Einheit der Zeit UT ist der Tag zu 86 400 Sekunden. Aber die Erdrotation wird im Laufe der Zeit immer langsamer. Soll die Koppelung der Alltagsgrösse UT-Tag an den zugrunde liegenden astronomischen Sonnenlauf bestehen bleiben, dann sind Massnahmen notwendig. Die Definition, wie lang eine Sekunde ist, geht auf das Ende des 19. Jahrhunderts zurück, als Simon Newcomb seine Sonnentheorie entwickelte. Er stützte sich auf ältere Beobachtungen aus dem 18. und 19. Jahrhundert, so dass der von ihm benutzte Mittelwert etwa der Situation im Jahr 1820 entsprach. Als die Ephemeridensekunde, die aus dieser Theorie abgeleitet wurde, 1967 durch die Atomsekunde abgelöst wurde, achtete man bei der neuen Definition sorgfältig darauf, dass die Länge sich nicht änderte. Ein Tag wird aber pro Jahrhundert durchschnittlich 1.4 msec länger. Seit 1820 ist ein astronomischer Tag also auf etwa 86 400.002 Sekunden Länge angewachsen, wenn man die Newcomb'sche Sekunde zugrunde legt. Die Differenz von 0.002 Sekunden zur bürgerlichen Definition wächst nach rund 500 Tagen auf 1 Sekunde an. So wird denn folgendes Prozedere verfolgt:

Nach wie vor wird der Sonnenlauf als Folge der Erdrotation verfolgt, und daraus ein UT1 genanntes Zeitmass abgeleitet. Infolge der Erdrotation verändert sich dieses Mass unregelmässig, mit einer langfristigen Tendenz, dass die Tageslänge zunimmt. Ein zweites Mass, UTC (C für coordinated) schafft die Verbindung zwischen UT1 und der Atomzeit TAI: wie die TAI verläuft sie gleichmässig, aber immer dann, wenn der Unterschied zwischen UT1 und UTC 0.9 Sekunden übersteigt, wird in UTC eine Schaltsekunde eingefügt. Damit gilt:

Die Differenz UT1 - UTC von 1973 bis 2005

Darin ist dAT die Summe aller bis zum betrachteten Zeitpunkt eingefügten Schaltsekunden. Gegenwärtig (Juni 2008) beträgt dAT = 33 Sekunden und UT1 – UTC wies am 20. Juni 2008 den Wert –0.437 91 s auf. TAI und TT sind über die feste Beziehung

miteinander verbunden. Mit anderen Worten: TT und TAI laufen synchron, haben aber nicht den gleichen Ursprung. Setzen wir

wo ET die in früheren Werken benutzte Ephemeridenzeit ist, dann gilt:

Bis zum nächsten Mal eine Schaltsekunde eingefügt wird, gilt mit dAT = 33 s vereinfacht:

Die Differenz TT - UT als Funktion der Zeit zwischen 1650 und 2000

wo als Abkürzung für die Summe aller Korrekturen steht, und vereinfacht statt UT1 nur noch UT steht. In älteren Jahrbüchern wurde ausschliesslich publiziert. Heute holen Sie sich die Informationen vom Server des U. S. Naval Office, wobei Sie die Wahl haben, welche Grössen Sie abrufen wollen. Das USNO publiziert auch eine Prognose für eine gewisse Zeit in die Zukunft. Da aber die Änderung der Erdrotation unregelmässig erfolgt, sind solche Prognosen mit einigen Unsicherheiten behaftet.


Beispiel:

Wie gross ist der Unterschied zwischen TT und UT am 20. Juni 2008? Es ist: dAT = 33 s, dUT = –0.437 91 s, also ist .



Übungen

  • Gelegentlich kann man das Argument hören: wenn man alle ein bis zwei Jahre eine ganze Schaltsekunde einfügen muss, dann ist doch die Erde in wenigen Jahrhunderten bis zum Stillstand abgebremst. Was ist an dieser Argumentation falsch?
  • Was bedeutet das, wenn ΔT 1870 den Wert +1.04 s, 1872 aber –0.82 s aufwies? Was bedeutet ein positiver, was ein negativer Wert von ΔT (zwischen 1871 und 1902)?